Kapitel 45- Im Schattenreich

Das Erste, was ich nach dem Erwachen spürte, waren die stechenden Kopfschmerzen. Meine Augenlider klebten aneinander und wollten sich nicht öffnen. Schwarz, die Farbe, die ich schon viel zu oft gesehen hatte. In meinem Leben hatte ich viel gegrübelt. Früher dachte ich, es gäbe auf jede Frage eine Antwort, bis in einer dieser Wissenskinderserien diese Frage kam: Gibt es ein Leben nach dem Tod und wie fühlt sich Sterben an? Seitdem hatte ich Überlegungen durchdacht und mir den Kopf zerbrochen, weil ich mich nicht zum Aufgeben zwingen wollte. Sieht man weiß oder schwarz, wenn man stirbt und macht es einen Unterschied? Könnte es sein, dass mich die Schatten schon umgebracht hatten und ich es nicht einmal bemerkte?
In diesem Moment spürte ich die Auf- und Abbewegungen, als würde man mich hin und her schwenken. In meinem jetzigen Zustand, könnte ich denken, dass ich mich auf einem kenternden Schiff befand. Nicht, dass ich schon mal auf einem Kreuzfahrtschiff Urlaub gemacht hätte.
Ich spitzte die Ohren und vernahm die Schritte. Schwere Schritte und ich wusste, ich sollte meine Augen nun öffnen. Wo war ich überhaupt? Das Schwindelgefühl kehrte zurück. In meinem Kopf drehte sich alles und ich war mir nicht sicher, ob ich tatsächlich noch in der Realität lebte.
Konzentrier dich!, befahl ich mir und versuchte meinen Körper unter Kontrolle zu kriegen, mich einfach zu bewegen. Meine Füße schienen taub zu sein und auch meinen Armen fehlte die nötige Kraft. Ich presste die Lippen aufeinander. Diese gehorchten mir. Hier musste er sein, der Beweis, dass ich noch lebte.
Plötzlich griffen Hände nach mir, zumindest fühlte es sich so an. Ich blinzelte kurz und schlug dann endlich die Augen auf. Ich musste mich erstmal an das Licht gewöhnen, das vor meinen Augen hin und her tanzte, doch nicht nur das. Schwarze Gestalten packten mich an den Armen und zerrten mich ein paar Meter weit. Der Eine von den großen, schwarzen Punkten stellte sich mir direkt gegenüber. Seltsam, der Punkt hatte einen Kopf! Damit sah er aus wie ein...Und jetzt erinnerte ich mich auch wieder. Die Schatten! Es gab einen Kampf auf der Wiese neben der Schule. Ich war einen Pakt eingegangen, mit dem Schattenherr. Nur, dass der Kampf wahrscheinlich noch weiterging und der Schattenherr den Pakt gebrochen hatte. Wie lange war ich denn bewusstlos gewesen?
Ein Schatten schob meinen Arm nach oben. Ich wollte ihn ihm entreißen, doch mein Körper wehrte sich dagegen. Ich war nur eine Seele in einem dahintreibenden Körper, der mir nicht zu gehören schien. Ein anderer Schatten ergriff meinen linken Arm und führte ihn ebenfalls nach oben. Mein Herz schlug so schnell wie ein Presslufthammer. Auch die Angst um Cat und die anderen stieg mir allmählich zu Kopf. Der Schatten mir gegenüber, griff in die Luft. Irgendwo dort baumelte ein Ring von der Decke, korriegiere, zwei Ringe. Was hatte das denn zu bedeuten? Der Große umfasste die Ringe und ich vernahm ein rasselndes Geräusch, wie von Ketten, die aneinander klirrten. Ich zuckte instinktiv zusammen. Meine Gedanken waren noch immer vernebelt.
In diesem Moment umklammerten kalte Hände meine Handgelenke. Nein, keine Hände! Wie auf Knopfdruck wurde meine Sicht klar und ich riss die Augen auf. Die zwei Schatten ließen meine Arme los und ich wäre beinahe eingeknickt, weil meine Beine mein Gewicht nicht halten wollten, doch die Kälte, die meine Handgelenke umfasste, hielt mich zurück. Ich hing. Es war ein seltsames Gefühl. Ich stellte meine Füße auf dem Boden ab und ich hoffte, dort würden sie auch bleiben. Schließlich sah ich auf, während mir die dunkelblonden Haarstränen ins Gesicht fielen. Blut klebte an ihnen. Vor mir standen drei Schatten und blickten erbost auf mich hinab. Alle waren sie größer als ich und ich glaubte, dass sie sich noch mehr aufrichteten, um mich einzuschüchtern. Als nächstes glitt mein Blick nach oben. Die Kälte gehörte zu den zwei Metallringen um meinen Handgelenken. Ich wusste sofort, dass es nicht irgendein Metall war, dass ich hätte bändigen können, sondern Platin. Mir hingen Szus Worte nach.
"Aber das wichtigste: Du kannst kein Platin bändigen. Wenn Platin in Kontakt mit deinem Körper kommt, werden deine Bändigerkräfte enorm geschwächt. Und das gilt nicht nur für Erde. Bitte merke dir, dass Platin nicht gebändigt werden kann!"
Jetzt saß ich tatsächlich in der Patsche. An den Platinringen führten Ketten zur Decke, wie in einem Horrorfilm. Ich war eine Gefangene der Schatten! Fragte sich nur wie lange? Hatten sie eine Möglichkeit gefunden, den Avatarzyklus zu unterbrechen, damit es keinen weiteren geben würde? Ich musste überleben, irgendwie! Und auch Christian würde ich nicht fragen können. Er hatte sich auf die Seite der Schatten gestellt und ich konnte ihn nicht mehr von seinem Weg abbringen. Ich seufzte leise. Die Schatten quittierten das mit einem gehässigen Grinsen, bevor sie durch eine Tür gingen und verschwanden. Ich wusste nicht, ob ich es als Hoffnungsschimmer ansehen sollte, dass sie die Tür nicht abschlossen. Sie fiel einfach hinter ihnen zu.
In der Tür klaffte oberhalb ein rechteckiges Loch mit Gittern, wodurch sich das Gefühl gefangen zu sein nur noch verschlimmerte.
Die Schritte vor der Tür entfernten sich und ließen mich allein zurück, in einem Raum, einzig beleuchtet durch zwei Fackeln. Und da war noch etwas. Ich wusste, dass ich weitaus größere Probleme hatte, als das, an was ich jetzt dachte: Lange würde ich es hier auch nicht ohne eine Toilette aushalten. Ich schluckte, bei dem bloßen Gedanken an Wasser und verdrängte ihn schnell. Ich konzentrierte mich wieder auf die wesentlichen Dinge. Die Platinringe rieben an meiner Haut und brannten wie Hölle. Noch dazu überkam mich die Wucht der Müdigkeit, obwohl ich gerade für längere Zeit ohnmächtig gewesen sein musste. Es lag definitiv an den Platinringen. Sie waren in zu nahem Kontakt mit meinem Körper und schwächten mich. Bevor ich gähnen konnte, wurden meine Augenlider schwer und senkten sich, sodass ich abermals dieser dunklen Farbe ins Gesicht sah. Schwarz!

Das Geräusch einer quietschenden Tür drang an meine Ohren und dieses Mal öffnete ich wachsam und instinktiv die Augen, sonst würde ich zu spät bemerken, was sie mit mir vorhatten. Die Tür wurde weit aufgestoßen und es drängten sich drei Schatten hindurch. Ob es die von vorhin waren, wusste ich nicht. Die Schatten hier sahen bestimmt eh alle gleich aus. Was machte es da für einen Unterschied?
Sie näherten sich mir und ich achtete auf jede kleinste Bewegung ihrerseits. Ihre Augen wirkten ebenso wachsam wie meine und flackerten feindselig. Einer von ihnen ergriff einen Schlüssel an seinem Gürtel, welchen ich fast nicht erkannt hätte, weil es so aussah, als wäre er dicht mit seinem Träger verschmolzen. Er steckte ihn in die Schlüssellöcher in den Platinringen und meine Hände waren befreit. Dazu gab es keinen Kommentar von ihnen. Entweder sie wollten mir nicht erzählen, wohin ich jetzt gebracht wurde oder sie konnten nicht reden. Überhaupt hatte ich noch nie einen Schatten reden hören, wenn ich mich richtig erinnerte. Aber ich wusste, dass sis jedes Wort ihres Herren verstanden. Sie gehorchten ihm.
Ich hielt meine Hände vor mich, mit den Handflächen nach oben, um meine Handgelenke zu betrachten. Sie waren rot, was an sich noch gar nicht schlimm war. Nur das Brennen ließ sich nicht ignorieren. Mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammerte ich mein rechtes Handgelenk. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt zum Flüchten gewesen, aber die drei Schatten hatten sich wie eine Mauer vor der Tür aufgebaut. Was blieb mir also anderes übrig, als auf eine Reaktion ihrerseits zu warten? Diese Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der Größte legte mir blitzschnell die Hände auf den Rücken, während der Andere eine neue Platinfessel hervorholte (himmel, waren diese schwarzen Gürtel gut getarnt) und sie mir um die Handgelenke legte. Der Dritte beachtete meinen bösen Blick gar nicht, sondern schob mich einfach zur Tür hinaus. Der zweite Schatten schloss die Tür hinter sich. Nun standen wir auf einem spärlich beleuchtetem, gebogenem Korridor. Auch hier hingen Fackeln an den Wänden. Die Schatten nahmen mich in ihre Mitte und der Größte wollte wahrscheinlich die Führung übernehmen, doch irgendwas hielt ihn auf. Er zögerte und seine Augen blitzten unruhig im Licht der Fackeln auf. Sein Blick wanderte zu mir. Nein, nicht zu mir. Hinter mich! Ich sah mich um (sogut es mir mit den Schatten zu beiden Seiten gelang) und suchte mit meinen zusammengekniffenen Augen die Dunkelheit ab. Nach wenigen Sekunden Stille, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten. Seine Umrisse waren nun deutlich erkennbar. Hatte er dort die ganze Zeit gelauert und alles beobachtet? Seine verwunschelten Haare standen ihm zu allen Seiten ab und wenn ich könnte, hätte ich mir in den Arm gekniffen, damit ich mich bei seinem Anblick beherrschte. Jetzt trug er ein schwarzes T-Shirt, welches sich (wieder mal) über seine Brust spannte. Mir blieb die Spucke weg und ich ertappte mich dabei, wie ich an den Tag zurückdachte, an dem ich im Krankenbett gelegen und er ohne Oberteil da gestanden hatte. Ich zwang mich, den Gedanken zu verdrängen und schüttelte den Kopf. Er liebte mich nicht wirklich, jedoch konnte ich nicht leugnen, dass er mir fehlte. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht trat er ins Licht der Fackel und nickte dem großen Schatten zu.
"Ich übernehme die Führung", informierte er die Schatten. Augenblicklich verneigte sich der große Schatten vor ihm und überließ ihm den Vortritt. Wortlos reihte er sich ganz hinten ein. Dann setzten wir uns in Bewegung. Schon jetzt raubte mir das Platin die Kraft und ich schwöre, ich wäre eingeschlafen, wenn ich mich nicht so vor dem Treffen mit dem Schattenherrn gefürchtet hätte. Ich sollte besser nicht vergessen, dass ich keine Schwäche zeigen durfte, wenn ich dem Typen gegenüber stand. Ich musste von außen gefühllos wirken. Ich setzte also eine versteinerte Miene auf und lockerte mich ein wenig. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mir der linke Schatten einen irritierten Blick zuwarf. Ich tat so, als würde ich ihn nicht bemerken und richtete meinen Blick auf Christian. Dieser hatte seine Schultern gestrafft und wirkte auf eine merkwürdige Weise angespannt. Zu gern hätte ich gewusst, was er gerade dachte, aber wer wusste schon was in den Köpfen von Jungs, die einem dunklen Schattenherr dienten, vorging?
Wir gingen immer weiter den gebogenen Gang entlang und wir begegneten fast keiner Schattenseele (falls die überhaupt eine Seele hatten). Ab und zu liefen ein oder zwei Schatten vorbei, die mich anstarrten, als wäre ich ein explodierender Vulkan, der sie jeden Moment mit Lava und Asche bespucken könnte. Auch als sie an uns vorbei gegangen waren, spürte ich ihre Blicke auf meinem Rücken. Es war mir unangenehm. Wie diese Platinringe. Die Haut unter ihnen brannte und ich presste die Lippen fest aufeinander um den Schmerz zu verdrängen. So viel es mir schwer auf den Weg zu achten. Schon bald hatte ich komplett die Orientierung verloren. Wenn ich mich tatsächlich aus den Fängen dieser monströsen Schattenwesen befreien konnte, dann würde ich wahrscheinlich eh erstmal hier herumirren, wie in einem Labyrinth. Und da sie sich hier logischerweise besser auskannten, als ich, musste ich mir etwas anderes überlegen.
Nach einiger Zeit blieben die Schatten vor einer weiteren Tür stehen, wenn man es denn als Tür bezeichnen konnte. Sie war riesig und erinnerte mich viel mehr an ein Tor. Christian stieß die Tür auf und die beiden Schatten führten mich hinein, den Großen im Schlepptau. Zwei von meinen Wachen postierten sich vor dem Tor, damit ich nicht flüchten konnte, der große Schatten stellte sich hinter mich und drückte mir die Arme an den Rücken. Wie er wohl reagieren würde, wenn ich ihn trat? Ganz ehrlich, ich wollte es lieber nicht herausfinden. Ich betrachtete den Raum skeptisch. Links und Rechts standen jeweils sechs lange Schatten mit dunklen Mänteln und roten Masken. Nur der Schattenherr trug eine schwarze Maske, die sein ganzes Gesicht bedeckte. Er saß auf einem Thron mit Armlehnen aus Knochen. Ein Schauder jagte mir den Rücken hinunter. Wem die Knochen wohl gehörten? Ich malte mir das Schlimmste aus. In diesem Raum gab es nur eine Fackel, die genau über dem Trohn des Schattenherrs hing. Sie war im Moment mein einziger Lichtblick.
Nicht vergessen, du bist gefühllos. Du darfst keine Schwäche zeigen!
Ich wagte einen nervösen Blick zu Christian, der nun neben dem Trohn des Schattenherrn stand. Als ich sah, wie er mich abschätzig musterte, schluckte ich meine Nervosität hinunter und setzte eine ausdruckslose Miene auf.
Der Schattenherr beugte sich vor, sodass unter dem Ärmel seines langen Mantels, die schmalen Finger mit den spitzen Nägeln hervorlugten. Er bewegte sich langsam und geschmeidig auf mich zu. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Bestimmt war es beabsichtigt, dass ich jetzt genau in seinem Schatten stand. Er war zwar alt, aber keinesfalls klein.
"Ich grüße dich, junger Avatar", krächzte er mit kehliger Stimme. In meinen Adern gefror das Blut. Sein Blick schien mich zu dorchbohren und es fiel mir schwer, keine Schwäche zu zeigen. Ein gehässiges Lächeln umspielte seine Lippen hinter der Maske. Ich konnte ihm nicht antworten, ich war wie gelähmt.
"Ich habe dich schon erwartet", wisperte er mir zu.

Ich weiß, es ist ganz schön fies jetzt aufzuhören, weil irgendwie auch gar nichts passiert ist und nicht wirklich viel gesprochen wurde. Nur sind es jetzt schon 2362 Wörter und das was eigentlich noch in dieses Kapitel rein sollte, passt vollständig in das nächste Kapitel. Deswegen musste ich das ein wenig umstellen. Keine Sorge, im nächsten Kapitel wird wieder mehr gesprochen und dann werden auch die restlichen Fragen geklärt (bis auf eine, die ich mir für den Schluss aufhebe ;))

Vielen Dank übrigens für die vielen Büchervorschläge, ich habe nun ganz viele Bücher (unter anderem die Chroniken der Unterwelt und Splitterlicht). Dafür möchte ich euch danken. Ihr habt mir sehr geholfen :)

Und zu guter Letzt möchte ich @shortstoriees dieses Kapitel widmen, weil ich "Greeneyes" leider löschen musste.
Lg EmFantasybook

PS: Tut mir leid, wenn ich in letzter Zeit auf Kommentare oder Nachrichten nicht geantwortet habe, ich kriege da irgendwie keine Benachrichtigungen, es sei denn sie verschwinden in den ganzen Sternen. Das tut mir leid. Meistens antworte ich. Bei den Nachrichten wollte ich einmal selbst eine verschicken und habe dann erstmal die ganzen anderen bemerkt. Das tut mir leid :/
Aber bestimmt ist es nicht dauerhaft so. Oh, und der dickgedruckte Text nimmt schon eine ganze Seite für sich ein. Himmel, schreibe ich viel. ;)

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