Kapitel 43- Kampf II
"Cat, ich wollte es dir wirklich sagen. Es tut mir so leid, dass ich es nicht gemacht habe. Ich wollte dich nur schützen, aber jetzt gerade fällt mir auf, dass es niemals funktioniert hätte", murmelte ich leise. Ob Cat alles verstanden hatte, wusste ich nicht. Die Kapsel um uns herum dämpfte die Geräusche von draußen auch nicht viel mehr und es viel mir schwer, die Schreie zu übertönen. Beinahe hätte ich die nächste Träne vergossen, doch ich verbot es mir. Wenn hier jemand einen Grund zum Weinen hatte, dann war es ja wohl Cat. Diese richtete sich nun auf und starrte mich mit verletzten Augen an. Ich nahm meine Hand von ihrem Rücken, was Cat sehr zu schaffen machte. Vor mir versuchte sie diesen Schmerz zu überspielen.
"Ich wusste, dass etwas nicht stimmt. Erzähl weiter!", forderte sie mich auf. Ich zögerte kurz, bevor ich meine Entschuldigung wieder aufnahm.
"Ich habe vorgegeben, jemand zu sein, der ich nicht bin. Ich bin nicht irgendjemand, wie ich die ganze Zeit gesagt habe. Im Hinterkopf redete ich mir die ganze Zeit ein, dass es besser wäre, dich in irgendeiner Weise einzuweihen. Noch dazu kam ja die Sache mit deinem Spiegel. Ich dachte wirklich, dass du sauer in mich bist und ich wollte nicht, dass sich deine Wut auf mich vertieft. Du bist schließlich meine erste Freundin. Ich weiß doch noch nicht einmal, wie man mit jemandem umgeht, der einen liebt, weil mir nie jemand diese Wärme geschenkt hat, die du mir schenkst, Cat. Dich zu verletzen wäre das Schlimmste, was ich tun könnte."
Cat lauschte mir aufmerksam. Nach meinen letzten Worten sah ich gerade noch das Lächeln in ihrem Mundwinkel, in welchen sich gleichzeitig purer Schmerz mischte. Ich bemerkte es zwar, sprach sie aber nicht darauf an.
"Mit diesen Worten kannst du mich nicht verletzen. Sag es freiheraus. Du bist meine Freundin und wenn ich deine Situation nachvollziehen kann, bin ich dir auch nicht böse", beruhigte sie mich. Auch ich lächelte sie an.
"Okay, ich hoffe, dass du nicht böse bist, wenn ich dir jetzt sage, dass ich... ich mach es kurz. Ich bin der..." Weiter kam ich nicht, obgleich ich versucht hatte es ihr zu sagen. Nicht aus dem Grund, dass ich es mir anders überlegt hatte. In diesem Moment zersplitterte die Kapsel um uns herum. Viele Splitter streiften meine Arme und neben mir hörte ich von Cat einen erstickten Laut. Ich fuhr herum und beugte mich so über sie, dass die Splitter meinen Rücken und nicht Cat trafen. Ihr Atem rasselte dicht an meinem Ohr. Ich biss die Zähne fest zusammen. Der Splitterregen dauerte gefühlte zehn Minuten. Ich kniff die Augen fest zusammen. Jeder Splitter auf meinem Rücken fühlte sich an, als würden mehrere Klingen auf mir langfahren. Meine verdreckte Kleidung bekam hinten Risse und auch meine Hände kamen nicht unbeschadet davon. Ich zog meine rechte Hand schmerzhaft zurück, als ein großer Splitter von der Seite herabfiel. Cat unter mir zitterte. Ihre Angst machte mir ebenfalls zu schaffen. Ich bemühte mich dem Splitterregen standzuhalten bis der letzte Splitter zu Boden fiel. Ich ließ mich neben Cat auf den Bauch fallen. Mein Rücken brannte, als hätte ihn jemand angezündet. Ich regte mich nicht, sondern bleib einfach still liegen. Mein Gesicht schaute nach rechts, wo Cat lag. Es gibt diese Filme, in denen Personen am Boden liegen und die Bewegungen einem wie in Zeitlupe vorkommen. Genauso ging es mir jetzt. Cats Kopf drehte sich zu mir. Ihre Haare wirbelten herum und hingen ihr nun schlaff herunter. Sie sahen verfilzt aus. Auch mir fiel eine Strähne ins Gesicht. Sie war rot. Ich registrierte zuerst gar nicht, was das bedeutete, dann wurde mir klar, dass meine Haare mit Blut verklebt sein mussten. Cat beäugte mich emotionslos. Eine Weile verweilte sie so, bis ihr Kopf zur Seite wegkippte und sie dort liegen blieb in einer großen Blutlache. Vor meinen Augen verschwamm alles, mein Verstand war vernebelt, denoch zwang ich mich, nicht ohnmächtig zu werden. Ich konnte nicht sehen, wer die Kapsel zerstört hatte.
Auf einmal wurde ich auf die Füße gezogen, aber meine Füße schleiften auf dem Boden, weil ich zu schwach war um zu stehen. Ich fiel nach hinten, aber der noch Unbekannte fing mich auf. Somit lag sein Körper an meinem verwundeten Rücken, während seine Hände meine Arme hielten, doch aus meinem Mund entfuhr kein Laut, kein Schrei, wie ich erwartet hatte. Er drehte mich so, dass ich ihn ansehen konnte. Oder auch nicht, denn vor meinem Auge tauchten die mir allzu gut bekannten schwarzen Flecken auf. Ich nahm eine Bewegung meines Gegenübers wahr. Seine flache Hand landete in meinem Gesicht und ich zuckte schlagartig zusammen. Meine Sicht wurde einigermaßen klar. Vor mir stand Chris mir besorgter Miene.
"Alles in Ordung?", echote er oder vielleicht kam es mir auch nur so vor wie ein Echo. Ich nickte. Großer Fehler. Ein Stich jagte durch meinen Kopf. Er fühlte sich an wie ein Blitz und ließ mich innehalten.
"Scheiße, du musst hier weg. Bei dir ist gar nichts in Ordnung", schrie er mich an. Ich gab ihm keine Antwort. "Du bist wahnsinnig", verstand ich. Seine nächste Frage galt nicht mir. "Cat!?", stieß er aus. Ich spürte seinen Atem, der mir entgegenbließ. Ich wollte schräg nach links nicken, entschied mich aber dagegen. Er trug mich ein paar Schritte weg und sagte: "Hilf Madline, ich übernehme Cat." Und dann fingen mich die nächsten Arme auf. Ich wusste dieses Mal nicht wer es war. Chris T-Shirt zierte nun ein großer, roter Fleck. Ich wäre ihm so gern nachgelaufen. Doch er hatte sich schon umgedreht und rannte über die Wiese davon. Mein Herz pochte schneller denn je in meiner Brust. Ich schnappte nach Luft und keuchte. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Dieser Jemand zuckte plötzlich zusammen, legte mich sanft auf dem Boden ab und wandte sich zu einem schwarzen Fleck um. Blöderweise hatte er mich auf den Rücken gelegt. Ich legte mich mit einem Ruck wieder auf den Bauch, bevor sich der Schmerz erneut durch meinen Körper bahnte. Der Fleck war wahrscheinlich ein Schatten, ein zweiter gesellte sich dazu. Er kämpfte mit dem einen und bewarf ihn mit Feuerstrahlen, doch er traf nie die Schatten, sondern nur einen seiner Mitschüler, der mit dem Rücken zu ihm gestanden hatte und eine Sekunde später in Flammen aufging. Qualvoll sank er zu Boden. Erschrocken lief der Typ, den ich als Jungen identifiezierte, zu seinem Mitschüler und wurde gleich darauf von zwei Schattenspitzen an den Boden genagelt. Eine dritte schoss mitten in sein Herz. Blut bildete sich um ihn herum. Er wand sich und ich erhaschte einen letzten Blick auf sein Gesicht. Sein Name war Jo, er gehörte in das Zimmer von Chris und den anderen Jungs. Das würde Chris nicht gefallen und wieder fragte mich, was er gerade tat. Ich wandte den Blick ab. An mir schienen die Schatten gerade kein Interesse zu haben. Sie ließen mich liegen, unbeachtete, in dieser Blutlache, als wüssten sie bereits, dass ich es auch ohne Qualen nicht mehr durchhielt. Fühlte sich so tatsächlich der Tod an? War das letzte, was ich sah tatsächlich der graue, bewölkte Himmel? Fühlte sich mein Tod anders an, weil ich der Avatar war? Eine Versagerin war ich! Sollte es der nächste Avatar nur besser machen als ich. Jeder würde sich an mich erinnern. Der Avatar, der in die Geschichte einging, weil er den Krieg gegen die Schatten verlor. Dabei wusste ich noch nicht einmal, ob das hier tatsächlich mein Ende war. Furcht machte sich in mir breit. Furcht vor dem Tod. Ich musste wenigstens versuchen zu überlegen. Ich hob meine Hand, welche sich gerade viel mehr von der Erde angezogen fühlte als sonst. Sie war schwer wie Blei und dennoch schaffte ich es, eine Schutzbarriere um mich herum zu erschaffen. Sie würde nicht lange halten, aber lange genug auf jeden Fall. Ich würde an meinen Schmerzen zu Grunde gehen. Bald würde ich von den Qualen erlöst sein. Ich drehte meinen Kopf leicht nach rechts, als nichts passierte, versuchte ich es ruckartig. Nun war der Schmerz einigermaßen auszuhalten. Mein Kopf lag auf der Seite, gedreht in die Richtung, in der meine Freunde gegen die übrigen Schatten kämpften. Meine Blick schweifte weiter. Ich suchte die Gegend nach Coral ab. Hoffentlich lag sie nicht ebenfalls am Boden. Doch in diesem Gemetzel war es unmöglich sie ausfindig zu machen. Sie war nicht mehr in der Nähe bei unserer Gruppe. Wenn ihr was zustoßen würde, dann könnte ich mir auch das niemals verzeihen. Ich konnte nichts für meine Freundinnen tun. Ich lag da, wie ein Häufchen elend und wartete darauf, dass mich der Tod überkam. Dabei hatte ich mein ganzes Leben lang nur gewartet. Ich hatte darauf gewartet, dass ich endlich Freunde fand, ich hatte auf Wärme und Zuneigung gewartet und auf die erste Party. Ich versuchte die Gedanken zu verdrängen, die in meinem Kopf ununterbrochen ihre Kreise drehten. Leider ließen sie sich nicht aufhalten. Meine Augenlider wurden auch immer schwerer. Das musste es für mich gewesen sein. Dies war womöglich der Moment, in dem ich von der Realität loslassen, mich treiben lassen konnte. Um mich herum platzte meine Schutzbarriere, wie eine übergroße Seifenblase. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, es war mir egal. Neben mir hörte ich Schritte. War der Tod nicht lautlos?
Eine Hand legte sich auf meinen Rücken. Unwillkürlich krümmte ich mich zusammen, als sich noch dazu eine Flüssigkeit übergoss. War es Wasser? Nein, dafür war sie zu fest. Sie fühlte sich nicht nach Wasser an. Was auch immer es war, die Hitze der Flüssigkeit breitete sich unter meinem aufgerissenen T-Shirt aus. Falls mein Rücken zuvor noch nicht in Flammen gestanden hatte, jetzt tat er es auf jeden Fall. Mein Körper schien zu brennen. Mein rechter Arm, der angewinkelt neben mir lag, krallte sich an einigen Grashalmen fest. Ich war fest entschlossen sie auszureißen, wenn der Schmerz nicht aufhörte. Zum wiederholten Male biss ich die Zähne zusammen. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Waren Sekunden, Minuten oder sogar Stunden vergangen? Irgendwann richtete ich mich ohne Nachzudenken auf. Ich bemerkte, wie die Kraft zurück in meinen Körper schoss. Meine Fingerspitzen kribbelten. Mein Rücken brannte immer noch, jedoch nicht mehr so doll wie vorher. Ich drehte den Kopf, um meinen Rücken zu betrachten und sah über meine Schulter. Dunkle Narben zeichneten sich auf meiner Haut ab und unter dem Schulterblatt begann eine relativ große Narbe, die bis nach unten zu meiner Taille reichte. Und rechts von mir, kniete ein Junge und zwar nicht irgendeiner. Christian! Am liebsten wäre ich ihm, um den Hals gefallen, hätte ihm gesagt, dass ich es von Anfang an gewusst hatte, dass er auf der guten Seite stand. Sein Blick aber verriet das Gegenteil. Ausdruckslos blickte er auf mich hinab. Die goldenen Sprenkel, die mir damals entgegengeblitzt hatten, waren fort. Ich musterte ihn von oben bis unten. Er sah aus, als hätte er sich mit den anderen Schülern geprügelt. Hier und da entdeckte ich ein paar Schrammen und Verbrennungen im Gesicht und auf seinen Armen, sonst ging es ihm gut. Was sollte ich ihm sagen. Ich fragte ihn das, was mich interessierte.
"Warum hast du mich gerettet?", wollte ich wissen und versuchte es ebenfalls mit einer ausdruckslosen Miene, aber dabei kam wohl er ein genervter Ausdruck auf meinem Gesicht aus. Er blies sich eine seiner verklebten Haarsträhnen aus der Stirn. Konnte das denn seine Antwort gewesen sein? Er schwieg weiterhin und betrachtete mich ebenfalls. Meine Haare waren ja noch immer mit Blut verklebt. Ich erschuf eine Wasserkugel und ließ sie über meinem Kopf fallen. Das musste ein seltsames Bild abgegeben haben. Ich saß noch immer da, das Blut ergoss sich über meine Schultern, Wasser lief in meinen Ausschnitt. Ich triefte vor Nässe und selbst das brachte mir keine Regung von Christian ein. Kein Lächeln oder Grinsen und auch kein Stirnrunzeln. Meine Kleidung klebte an mir, als ich aufstehen wollte. Ich stand zwar ein paar Sekunden lang, doch dann stolperte ich und Christian fing mich auf. Er trug mich ein par Meter weit und blieb stehen. Mein Blick gerade aus gerichtet sah ich Chris, wie er Cat im Arm hatte. Sie blinzelte ein paar Mal und Chris sprach beruhigend auf sie ein. Cat lebte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Sie drehte sich zu ihm um und küsste ihn. Er erwiderte ihren Kuss und ich musste unwillkürlich lächeln. Eng umschlungen saßen sie da. Chris hatte eine Hand an Cats Taille gelegt und sie umarmte ihn. Nun sprach Christian doch.
"Die Schatten brauchen dich noch, Madline, und sie brauchen dich lebend. Wärst du jetzt gestorben hätte uns das nicht viel genützt. Die Sucherei nach dem Avatar wäre weiter gegangen und wenn es so weit gewesen wäre, wären wir vielleicht längst tot", erklärte er. Seine Worte versetzten mir einen Stich. Er hatte es also wirklich nicht aus Liebe getan. "Beende diesen Kampf! Du musst deinen Freunden das nicht antun", fühte er hinzu. Ich seufzte.
"Ich kann nicht", beschloss ich etwas zu voreilig. Klar war diese Entscheidung falsch, doch wie ich bereits sagte, hatte ich keine Garantie, dass der Kampf beendet wurde, wenn sie mich hatten. Christian hielt mich noch immer, als hätten wir diese Vertrauensübung gemacht, bei der ich mich nach hinten fallen musste, damit er mein Vertrauen testen konnte. Er ließ meinen einen Arm los und stellte mich hin. Dieses Mal gaben meine Beine nicht nach. Ich stand, aber meine Beine fühlten sich noch nicht sicher genug um rennen zu können und wenn dies nicht so wäre, hätte ich verhindern können was folgte.
"Dann bleibt mir keine andere Wahl", stieß Christian aus. In seinen Augen flackerte Zorn auf. Er streckte seine Hand aus und zu spät begriff ich, was er vor hatte.
"Neeiin", schrie ich und stürzte nach vorne.
"Sag auf Wiedersehen, Cat!" Voller Hass schleuderte er einen Feuerball nach meiner Freundin. Cat, die immer noch an Chris hing, bemerkte den Feuerball nicht, nur er hatte ihn bemerkt. Er löste sich von ihr, sprang auf und warf sich zwischen Cat und den Feuerball. Auch später noch wiederholte sich dieser Vorgang des öfteren in meinem Kopf. Ich sah Chris zu Boden stürtzen. Ich sah wie Cat aufgebracht herumfuhr, wie sie zu Chris hinstürmte und er am Boden lag. Und ich dachte daran, wie ich noch gestolpert war, als ich den Versuch starten wollte, mich auf Christian zu stürtzen. Dieser Moment brannte sich tief in mir ein. Ich war an allem Schuld!
Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel. Und jetzt muss ich euch wirklich mal danken. 10.000 Leser und 1000 Votes? Zuerst dachte ich, ich träume, aber am nächsten Tag standen die Zahlen immer noch da. Ein riesiges Dankeschön an euch :) Ich kann es immer noch nicht glauben und bin fassungslos.
Lg Em
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