Kapitel 18- Die richtigen Zimmerschlüssel

Ich dachte mir, dass es nach dem Elterntag nicht noch schlimmer kommen konnte, aber jeder Mensch macht mal Fehler und sowas zu denken war an diesem Tag wohl meiner. Ich stürmte nach dem Gespräch mit meinen Eltern in unser Zimmer und warf mich aufs Bett. Coral hatte die Stöpsel in den Ohren und bemerkte zuerst gar nicht, wie schlecht es mir ging. Doch dann musste sie gesehen haben, wie ich so merkwürdig zusammenzuckte, wenn ich schluchzte. Sie riss sich die Stöpsel aus den Ohren, setzte sich neben mich und streichelte meinen Rücken. Eigentlich ging es ihr ja auch schlehter als mir und dass sie so fürsorglich sein konnte, überraschte mich noch mehr. In diesem Moment war ich ihr so dankbar, dass ich mir überlegte, dass ich ihr etwas schulden würde. Cat kam später zu uns, mit einem miesen Ausdruck im Gesicht, als hätte sie sich gerade auf die Zunge gebissen und Alice ging es nicht gerade besser. Ich ließ Cat lieber in Ruhe, weil ich nicht angemotzt werden wollte. Ihr schien es wirklich mies zu gehen. Nur Kiki, die als Letzte zu uns stieß, strahlte über das ganze Gesicht. Wir konnten ihre Freude kaum teilen. Sie begriff auch schnell warum. Wir waren alle in einer miesen Stimmung und irgendwann fühlte ich mich zu unbehaglich und lief zur Tür. Ich brauchte dringend einen Spaziergang auf dem Schulgelände. Doch als ich die Tür aufmachte schaute ich geradewegs in eine Faust hinein und duckte mich noch rechtzeitig. Erschrocken sah ich auf und stand Mrs Chatfield gegenüber. Sie schlug sich die Hände vor den Mund.

"Oh nein, das tut mir leid. Ich wollte nicht... ich meine ich wusste nicht, dass du... es tut mir leid", entschuldigte sie sich überschwänglich und versuchte die richtigen Worte zu finden. Ich blickte sie forschend an. Als erste Gründerin der Schule war sie auch die Direktorin und aus einem mir unerklärlichen Grund bat sie mich um ein wichtiges Gespräch. Ich fühlte, dass es gleich ernst werden würde. Ich folgte der Direktorin die Treppen hinunter. Im zweiten Stock lag vor uns eine große Tür, nicht so groß wie die des Empfangssaals, aber nicht so klein wie die normalen Türen hier. Sie hielt mir die Tür offen und deutete mir mich zu setzen. Sie selbst schloss die Tür und setzte sich hinter einen großen Schreibtisch mir gegenüber. Ihr Büro war schön eingerichtet. Ein großes Fenster über dem Tor der Schule ließ weiches Licht hineinfallen. Die Vorhänge sahen ganz schön edel aus. An den Wänden hingen ein Terminkalender und einige Fotos oder Gemälde. Links von uns stand ein beiges Sofa, das super zu den gelben Wänden passte. An der rechten Seite stand ein Bücheregal. Kein einziges Buch schien verstaubt zu sein.

"Nun", brachte mich Mrs Chatfield wieder in die Wirklichkeit. "Ich habe dich um ein Gespräch gebeten, weil wir wissen, dass du vor einigen Tagen draußen warst. Die Überwachungskameras haben es aufgezeichnet", erklärte sie und verschränkte ihre Finger auf dem Tisch. Die neuen Überwachungskameras? Seit wann gab es die denn? Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte also schwieg ich. Die Direktorin sah mich an.
"Madline, ich will wissen, warum du am Donnerstag ohne Erlaubnis nachts draußen warst." Ihre Stimme klang eindringlich und ich musste schlucken. Ich würde ihr die halbe Wahrheit sagen. Ich wollte Christian da nicht unnötig mit reinziehen.
"Ich... ich habe gesehen wie jemand draußen über die Wiese gerannt ist, als ich Hausaufgaben gemacht habe. Dieser jemand hatte etwas verdächtiges an sich und deshalb bin ich ihm gefolgt. Die Person ist in den Schattenwald gelaufen und ich wusste nicht, ob ich ihr folgen sollte." Eigentlich stimmte das ja alles, bis auf ein paar kleine Ausnahmen. Die Direktorin sah mich dennoch streng an und fragte: "Wer war die Person?" Ihr Blick durchbohrte mich. Nur nicht lügen, nur nicht lügen, dachte ich.
"Ähm, ich habe die Person nur von hinten gesehen", gab ich zurück.
"Du hast meine Frage nicht beantwortet", meinte Mrs Chatfield. Mist, was jetzt? Ich musste mir etwas einfallen lassen.
"Ja, ich habe einen Schatten gesehen", erwiderte ich und das war auch nicht gelogen. Ich hatte Christians Schatten gesehen. Die Direktorin nickte.
"Das hättest du uns sagen müssen! Schatten dürfen nicht auf das Schulgelände. Wir haben einen Pakt deswegen geschlossen. Meistens trauen sie sich auch nicht in die Nähe unserer Schule, weil wir viele sind und sie kennen uns ziemlich gut. Sie greifen nur in Gruppen an. Ihr Vefhalten war in der letzten Zeit sowieso schon mehr als merkwürdig", fand Mrs Chatfield. "Erzähl weiter!", befahl sie.

"Tja ähm, ich stand eine Weile unschlüssig vor dem Schattenwäldchen und... bin dann trotz des Verbots hineingegangen und bin dem Schatten gefolgt. Irgendwann hab ich mich auf die Gestalt gestürzt und sie hätte mich fast erwürgt. Aber irgendwie kam dann so ein Lichtstrahl und der Schatten wurde verbrannt." Soweit alles richtig, bis auf die Sache, dass mich Christians Schatten fast erwürgt hatte, stimmte doch alles. Mrs Chatfield schien mir zu glauben.
"Du hast das Verbot missachtet, Madline. Was glaubst du, warum es Regeln gibt? Du hättest tot sein können. Tu das ja nicht wieder! In diesem Wald ist es gefährlicher als du denkst. Die Schatten sind hinterhältig. Sie kennen unsere Ängste und sie wissen, was sie tun müssen um uns... zu beseitigen", entgegnete sie und ich machte mich etwas kleiner vor ihr. Sie schnaubte.
"Ich kann dir sagen, dass du nicht ohne eine Strafe davon kommen wirst. Du hast mehrere Regeln gebrochen. Halb neun sollte jeder in seinem Zimmer sein, Das Rausgehen nach um Acht ist nicht gestattet und Das Betreten des Schattenwaldes ist Schülern der Elemava Akademy nicht gestattet," zählte sie auf. Ich schämte mich gleich drei Regeln gebrochen zu haben. Mrs Chatfield stöhnte auf.
"Ich werde mich mit den Gründern zurückziehen um eine Strafe für dich zu finden, aber eine Frage habe ich doch noch."
"Welche?", wollte ich interessiert wissen. Nicht, dass meine Fast-Wahrheit wegen dieser Frage zu Nichte gemacht wurde. Die Direktorin beugte sich über den Schreibtisch und ihre Augen schimmerten geheimnisvoll.
"Weißt du etwas über diesen Lichtstrahl, Madline? Und bitte sei ehrlich, wenn du mir antwortest!" Das Wort ehrlich hallte in meinem Gehirn hundertfach wider.
"Die Schattenhand hielt mich fest umklammert und ich habe gedacht, dass es das für mich war, aber aus dem Himmel kam ein Lichtstrahl auf mich zugeschossen. Es ging so schnell, dass ich ihn erst sah, als er auf mich traf, sonst hätte ich vorher sicher noch mehr Panik gehabt, dass er mich erschlagen könnte, aber als er mich traf, leuchtete ich in einem blauen Licht und die Schattenhand zerieselte zu Asche. Das Licht muss denSchatten verbrannt haben", berichtete ich und Mrs Chatfield hörte mir aufmerksam zu. Als ich endete ergriff sie das Wort.

"Meine Güte, Madline. Ist dir klar, dass dich die Göttin beschützt hat?" Nein, es war mir nicht klar und ja es war schon das zweite Mal, dass ich das Wort Göttin hörte.
"Naja nein nicht so richtig. Was hat das jetzt zu bedeuten?", fragte ich neugierig.
"Dass du bei der Göttin hoch angesehen bist", erklärte mir die Direktorin. "Du stehst unter ihrem Schutz, Kind und das passiert sehr selten", erzählte mir Mrs Chatfield und lächelte mich an. "Das mit der Strafe überlegen wir uns noch, aber fürs Erste kannst du gehen", fügte die Direktorin hinzu. Ich stand auf, während Mrs Chatfield eine Schublade aufmachte und irgendwas hineinlette. Ich warf einen Blick über den Schreibtisch. Die Direktorin bemerkte ihn jedoch zu spät. Ich hatte das Glänzen schon gesehen, bevor sie die Schublade zu machte. Das Glänzen unserer richtigen, silbernen Zimmerschlüssel. Warum machte sie das?
"Ich glaube jetzt sind Sie mir eine Erklärung schuldig", sagte ich und das war mir Mrs Chatfield wirklich.

Die Direktorin zog die Augenbrauen hoch und ihre Augen verengten sich ein wenig, jedoch nicht so, dass es so aussah, als wollte sie mich in den nächsten Sekunden zerfleischen. Zum Glück. Ich setzte mich zurück auf meinen Platz und legte die offene Hand auf den Schreibtisch.

"Ich hätte die Schlüssel gern wieder", bat ich. Die Direktorin seufzte, bewegte sich aber kein Stück. Ich rückte näher an den Schreibtisch heran und wartete, nichts. Dann seufzte die Direktorin erneut und fing an zu reden.

"Madline? Ich war selbst früher einmal an einer School of Elements. Die Regeln dort waren noch strenger, als die die wir hier aufgestellt haben. Jungs und Mädchen wurden damals getrennt unterrichtet. Glaube mir, schön ist etwas anderes. Wir durften uns nicht treffen und das hatte uns den ganzen Spaß verdorben. Du weißt sicher nicht, wie lange das schon her ist. Wir Elementbändiger werden sowieso älter, als normale Menschen, aber obwohl es schon vor langer Zeit passiert ist, erinnere ich mich noch gut daran. Meine beste Freundin Clara war von unseren Jungs ganz schön angetan und fand es nicht gerade gut, dass wir sie nicht kennenlernen durften. Mir persönlich war das egal, aber sie hat nicht aufgegeben. Und das hat sie zu ihrem Ziel gebracht. Sie hat eine geheime Tür gefunden, in unserem Zimmer und sie probierte sämtliche Schlüssel, die in unserer Schule aufzufinden waren. Bei keinem sprang diese Tür auf und sie hat sich immer mehr Gedanken darüber gemacht. Irgendwann hat sie unsere Zimmerschlüssel probiert. Es hat geklappt und an dem Abend haben wir endlich die Jungs getroffen. Die Tür hat in ein Zimmer von ihnen geführt. Wir sind danach oft zu ihnen gegangen und irgendwann wurden wir erwischt und das Schloss an der Geheimtür wurde ausgetauscht. Als ich mit den anderen drei Gründern die Schule gegründet habe, habe ich sofort an genau so eine Geheimtür gedacht, in zwei Zimmern von mehr als 200 Zimmern. Und ausgerechnet ihr habt eines dieser besonderen Zimmer bekommen." Sie hielt inne und schaute zu mir. Ich blickte sie gebannt an. Erzählen konnte sie jedenfalls gut. Als sie nicht weiterredete, ergriff ich das Wort.

"Also heißt das jetzt, dass diese Geheimtür in ein Jungenzimmer im Nebengang führt?"; wollte ich wissen. Mrs Chatfield senkte den Blick und antwortete: "Ich weiß es nicht mehr. Es ist so lange her, ich habe nicht mehr an diese Tür gedacht. Aber dann hat Mr Dole gemeint, sein Schlüssel sei in einer Stunde der Wasserbändiger aus der Untersekunda verschwunden. Da die Tür im Wasserbändigergang in einem Zimmer eingebaut worden ist, wusste ich sofort, dass jemand versuchte den Geheimgang zu öffnen und habe eure Zimmerschlüssel... geliehen. Ich wusste nicht genau, ob die Tür nun zu den Jungen führte, doch ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen."

Ich runzelte die Stirn. Wie konnte man nur gleich bei einem einzigen geklauten Schlüssel wissen, dass jemand versuchte, eine geheime Tür aufzuschließen, irgendwie unlogisch, doch das sprach ich selbstverständlich nicht aus.

"Mein Ziel war wohl genau das Gleiche wie das von dieser Clara. Ich liebe Geheimnisse und Rätsel und ich hatte mir vorgenommen die Tür aufzukriegen. Und das tue ich jetzt immer noch. Ich hätte gerne die Schlüssel zurück", verlangte ich und streckte meine Hand weiter über die Tischplatte aus. Mrs Chatfield öffnete die Schublade und übergab mir die fünf silbernen Schlüssel. Sie fühlten sich deutlich schwerer an, als die normalen Schlüssel. Ich schloss meine Hand und spürte die Kälte, die von den Schlüsseln ausging. Ja, das waren sie, eindeutig. Ich stand auf und lief zur Tür. Ich berührte schon die Klinke.

"Ach ja", meldete sich die Direktorin noch einmal hinter mir. "Bitte, egal was nun letztendlich hinter der Geheimtür ist, versprich mir nicht zu oft durch sie hindurchzugehen. Dieses alte Gebäude birgt mehr Geheimnisse, als du dir vorstellen kannst. An deiner Stelle würde ich also ein wenig aufpassen mit alten Gegenständen. Und mach ja nichts kaputt", mahnte sie. Ich lächelte sie an und nickte heftig mit dem Kopf, aber in Wahrheit verschränkte ich hinter meinem Rücken gerade die Finger. Im Nachhinein wurde mir klar, dass ich das nicht hätte tun sollen, aber dazu sollte ich lieber später kommen. Ich schloss die Tür vorsichtig hinter mir und grinste in mich hinein. Zeit mein Ziel zu erreichen und die geheime Tür in Zimmer 275 zu öffnen. Ich ging eilig den Gang entlang und stolperte die Treppen hinauf. Gleich würde ich es wissen. Ich stieß die Tür zu unserem Gang auf und klopfte an unsere Zimmertür. Ich atmete tief ein und aus, während ich darauf wartete, dass mir jemand die Tür öffnete. Eigentlich hätte ich auch den Zimmerschlüssel benutzen können, aber wie heißt es so schön: Vorfreude ist die schönste Freude und ein paar Sekunden mehr Vorfreude konnten mir doch auch nicht schaden oder? Hmm, eigentlich ein richtig dummer Gedanke. Ich kramte den Schlüssel hervor und wollte ihn ins Schloss stecken, doch die Tür ging schließlich schon von selbst auf und Kiki erschien im Türrahmen. Bevor sie fragen konnte, worum es denn jetzt überhaupt in unserem Gespräch ging, drängelte ich mich an ihr vorbei und ging vor der Geheimtür in die Hocke. Ich warf die übrigen Schlüssel auf mein Bett. Alice sprang vom Bett und schnappte sich ihren, der ganz leicht erkennbar war, an einem Schleifchenaufkleber auf der Hülle. Meinen legte ich vor mir auf den Boden und betrachtete ihn noch eine Weile. Im Hintergrund wurde ich mit Fragen überhäuft. Zuerst antwortete ich keinem, doch dann überlegte ich es mir anders.

"Ok, ok, im Büro haben wir ein Gespräch über... geführt und jedenfalls hat sich die Direktorin, kurz bevor ich gehen wollte, verraten, als sie die Schublade geöffnet hat. Darin lagen unsere echten Schlüssel und da habe ich sie zur Rede gestellt. Am Ende hat sie sie mir ausgehändigt und jetzt will ich es ausprobieren." Ich redete wie ein Wasserfall, so aufgeregt war ich, doch ich wollte die Tür nicht allein öffnen. Cat rutschte zu mir heran und ließ sich neben mir nieder. Kiki tat es ihr gleich und Coral folgte deren Beispiel. Nur Alice bewegte sich nicht von ihrem Bett, was einen nicht weiter verwunderte. Ich hielt den Schlüssel hoch, sodass die anderen ihn auch sehen konnten und schaute über meine Schulter. Meine drei Freundinnen nickten mir auffordernd zu. Dann war es wohl jetzt so weit. Ich holte noch ein letztes Mal tief Luft und steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch. Ich drehte ihn einmal herum. Und noch ein zweites Mal. Und ein drittes Mal. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Ich war bereit sie aufzumachen und ich wollte es auch und die anderen ebenfalls. Ich legte eine Hand auf den oberen Rand, krallte mich an der Tür fest. Es quietschte und knackte laut. Ich schwang die Tür auf.

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