6. Beginn des Schuljahres

Am Morgen wurden wir von Kikis Handywecker geweckt. Er schrillte so laut, dass ich mir meine Hände automatisch auf die Ohren legen musste, um das Geräusch nur noch entfernt wahrzunehmen. Kiki tastete nach einem Knopf und das Handy verstummte.

"Sorry", murmelte sie entschuldigend und setzte sich auf. Cat wälzte sich in ihrem Bett unruhig herum und tat so, als hätte sie das nervige, auffällige Klingeln gar nicht gehört und Alice blieb einfach liegen. Bestimmt war sie genervt, nicht nur von Kiki und ihrem Wecker.

Coral bemühte sich die Augen offen zu halten und gähnte herzhaft. Ich konnte nicht anders, als es ihr gleich zu tun. Kiki rieb sich die Augen und Cat schickte einen langen Seufzer in ihr Kopfkissen.

Ich beschloss, ein Vorbild zu sein und stand benommen auf. Als ich an Cats Bett vorbeikam, versuchte ich, ihr die Bettdecke wegzuziehen, doch sie hatte meine Schritte schon bemerkt und krallte sich wie verrückt daran fest.

"Bitte nicht!", murmelte sie und drehte sich nach rechts, sodass sie mit dem Rücken zu mir lag. "Nur... noch eine Minute", schob sie hinterher, was mir ein Schmunzeln entlockte. So würde es bestimmt noch eine Ewigkeit dauern, doch ich ließ sie vorerst in Ruhe und schlüpfte derweil in eine bequeme Dreiviertelhose. Dazu suchte ich noch ein blaues T-Shirt raus und begab mich mit Kiki schon mal ins Bad. Alice ließen wir noch schlafen, da wir genauso gut eine Wand anbrüllen könnten.

Cat stand auf, ohne dass ich sie nocheinmal auf die Uhrzeit hinweisen musste und schließlich gingen wir, immer noch müde, hinunter zum Speisesaal und setzten uns an den Tisch von gestern Abend, den wir jetzt als unseren Stammtisch bezeichneten.

Ein Blick durch den Saal und mir fiel auf, dass das andere Mädchenzimmer unseres Jahrgangs auch noch nicht da war, wie Alice. Die Beautys brauchten wohl ihren Schönheitsschlaf.

Zum Frühstück gab es ein beeindruckendes Buffet mit Brötchen, Obst, Sirup, Honig, Marmelade, Nutella, Saft, Tee und noch ganz anderen Sachen. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Cats Augen zu Strahlen begannen und unverwandt zu den Müslischalen wanderten.

Viele Schüler standen schon an den vier Waffeleisen an oder häuften Brötchen auf ihre Teller. Gebratener Schinken, Würstchen und Rührei standen in einem Behälter ganz rechts, der die ungesunde Ecke am Buffet bildete. Auch dort hatte sich eine lange Schlange gebildet.

Ich machte mich mit den anderen auf zum Buffet und holte mir einen Saft und eine Schüssel Vollkornmüsli mit Milch. Dazu noch einen kleinen Tomatensalat. Cat hingegen nahm sich gleich eine volle Schüssel Cornflakes von der Sorte Count Chocula mit Marshmallows an den Platz.

"Isch liebe diesche Dinger. Ohne schie überlebe isch den Tag nischt und die lasschen misch besscher nachdenken", mampfte sie zwischen zwei Löffeln hindurch. Ich betrachtete ihre Essgewohnheiten etwas irritiert, musste dann aber lächeln.

Oben auf unserem Zimmer packte ich meine Schultasche mit einer Trinkflasche, gefüllt mit stillem Wasser, die ich mir unten voll gefüllt hatte, den Lateinheften, meinem Handy, dem Zimmerschlüssel, den jede von uns bekommen hatte und meiner Federtasche. Vorne stopfte ich noch meine Sportsachen hinein.

Dann gingen wir vier gemeinsam zu unserer ersten Stunde Wassertraining um das Schulhaus herum, wobei wir sowohl am Gewächshaus, als auch an den Beeten der Erdbändiger vorbei liefen. Dort erklärte der hochgewachsene Mann gerade etwas über die Samen, die er den Schülern der Reihe nach herumgab. Gleichzeitig kam mir in den Sinn, dass ich mit meinem Element noch ziemlich Glück gehabt hatte, denn mit Pflanzen kannte ich mich nun wirklich nicht aus und einen grünen Daumen hatte ich erst recht nicht. Und Coral, die ebenso skeptisch zu den Beeten blickte, schien es ähnlich zu gehen.

In der  Ferne erblickte ich nun das Wasserbecken und musste unwillkürlich schlucken, als in mir die Erinnerungen hochkamen, doch ich schob sie tapfer bei Seite.

Neben dem Becken stand wohl unsere Lehrerin. Sie trug ein einfaches, unbedrucktes, blaues Shirt und eine enge graue Hose. Eine Sonnenbrille hatte sie sich über die Sirn gezogen, damit ihr die schwarzen Haare nicht ins Gesicht fielen. Ein Jungszimmer hatte sich außerdem bereits um das Becken gedrängt, um besser sehen zu können.

Ich warf einen Blick über meine Schultern und erblickte schon das andere Jungszimmer, das gerade lässig über die Wiese schlenderte. Von Alice und den restlichen Mädchen fehlte noch jede Spur.

Mrs Bluelight drehte sich zu uns um und lächelte uns ruhig zu."Guten Morgen. Lasst uns noch auf die restlichen Schüler warten, damit ich nicht alles drei Mal erklären muss."
Wir nickten ihr zu und gesellten uns zu den Jungen an den Beckenrand, die kritisch die aufgebauten Holzscheiben über dem Wasserbecken betrachteten.

Das Mädchenzimmer brauchte noch etwas länger bis es kam. Die waren wohl noch länger mit dem Schminken oder Haare kämmen beschäftigt gewesen. Alice hatte sich bei ihnen untergehakt und sie spazierten fast gemächlich über die Wiese, als hätten sie alle Zeit der Welt und müssten nicht rechtzeitig zu Unterrichtsbeginn erscheinen.

"Meine Damen, ihr kommt reichlich spät. Bitte achtet das nächste Mal etwas mehr auf die Zeit", mahnte die Lehrerin, die die Mädels durch ihre dunkelbraunen, schmalen Augen skeptisch beäugte.

"Keine Panik, Mrs ... ähm... wie hießen sie noch gleich? Ich kann mir ja sooo schlecht Namen merken", beharrte das Mädchen ganz vorn und klimperte mit ihren unechten Wimpern. Ein anderes Mädchen kicherte, wie ein Pferd mit Schluckauf, als wäre das Gesagte überaus witzig. Oh mein Gott, die waren ja schlimmer als der Teufel.

Doch Mrs Bluelight blieb ruhig und antwortete: "Für dich Mrs Bluelight, junge Dame. Und deinen Namen kenne ich auch. Angelina, du wirst aber Angel oder Angie genannt. Du bist garde erst in den Ferien 15 geworden, bist 1,69 m groß und liebst Schminke und Modezeitschriften. Deine beste Freundin hier ist Bella. Abends schläfst du heimlich mit einer Puppe und ich weiß auch, dass du dich freust, keine Fächer wie Mathe oder Physik zu haben." Mrs Bluelight endete schließlich und wandte sich um, damit sie in unsere Gesichter sehen konnte.

Mir stand der Mund offen und auch Coral, Kiki und Cat fiel beinahe die Kinnlade herunter. Angelina zog erschrocken den Kopf ein, wie ein verängstigter Hund.

"Das mit der Puppe ist doch gar nicht wahr", behauptete sie kleinlaut und jeder wusste, dass sie log. Mit der Frau wollte ich mich nicht anlegen, sonst verriet sie noch, wie unbeliebt ich an meiner alten Schule gewesen war und die peinliche Sache mit dem Pool.

Mrs Bluelight grinste zufrieden und stellte sich uns nun richtig vor:
"Hallo, willkommen zu eurer ersten Stunde Wassertraining. Mein Name ist Mrs Bluelight, wie ihr wahrscheilich schon wisst und ich unterrichte an dieser Schule Chinesisch und Wassertraining. Heute habe ich mir ausgedacht, dass wir zuerst mit ganz einfachen Sachen beginnen", sagte sie, trat einen Schritt zur Seite und deutete auf die Zielscheiben hinter dem Becken.

"Diese Scheiben sollt ihr treffen mit Wasserkugeln. Wenn ihr es schafft, klappen sie einmal nach hinten und richten sich nach fünf Sekunden von selbst wieder auf. So schwer ist es auch nicht. Man muss nur beachten, die Wasserkugel der Größe entsprechend zu formen. Sie darf nicht zu leicht sein", riet sie uns. "Also, wer will als erstes?"

Cats Hand schoss in die Höhe. "Ich würde es gern versuchen", meldete sie sich.

"Gut, dein Name ist Cat richtig? Also gut Cat, von links nach rechts und such dir am besten zuerst eine geeignete Schrittstellung aus, wenn du magst. Um eine Wasserkugel zu formen, muss man außerdem sehr viel Konzentration aufbringen. Du bewegst deine Hände dabei immer nach Norden, damit du eine Verbindung zu deinem Element hast."

Cat nickte, lief nach vorne und stellte sich vor den Beckenrad. Sie ließ ihre Hände nach einem kurzen Blick zur Sonne nach Norden gleiten und zog sie an einem unsichtbaren Strang wieder zu sich heran. Dann drehte sie ihre Handflächen nach unten und hob sie ein Stück an. Nur eine Sekunde später spritzte ein Schwall Wasser in die Höhe.

Cat ließ die Hände jedoch schnell sinken und das Wasser glitt zurück ins Becken. Beim nächsten Versuch gelang es ihr eine Kugel zu formen, die jedoch gleich wieder zerplatzte. Aber schließlich schaffte sie es beim dritten Mal und im gesamten Durchlauf machte sie nur noch zwei Fehler.

Vor mir meldeten sich noch ein paar Jungs und Kiki, dann stellte ich mich vor den Beckenrand. Unter mir schwappte das Wasser in ruhigen Wellen an den Beckenrand. Es wehte ein leichter Wind, sodass ich mir eine lose Haarsträhne hinter das Haar streichen musste.

Ich atmete tief ein und aus, wandte mich gen Norden und formte eine winzige Kugel in meinen Händen. Vielleicht lag es am Zittern meiner Hände, doch es passierte rein gar nichts. Vom anderen Mädchenzimmer drang Gelächter zu mir herüber, doch ich ignorierte sie.

"Seid still", brachte Cat sie für mich zum Schweigen. Dafür war ich ihr wirklich dankbar. Ich konzentrierte mich, schloss die Augen und ein Kribbeln durchlief meine Arme und Hände. Ich hielt den Atem an und sammelte noch mehr Energie. Dann  schlug ich die Augen auf und ließ die Kugel, die ich vor meinem geistigen Auge sah, auf die Zielscheibe donnern.

Erst jetzt, öffnete ich die Augen. Die Scheibe war nicht nach oben gekommen, denn das ganze Gerät war ich sich zusammengebrochen. Erschrocken schlug ich mir die Hände vor den Mund.

"Das... das wollte ich nicht. Tut mir leid", entschuldigte ich mich, als ich meine Sprache wiederfand.

Schockiert sah mich Mrs Bluelight an. "Wow, ich habe noch nie solche großen Kugeln bei einer Anfägerin gesehen. Das ist ja unglaublich. Ich bitte dich aber trotzdem die Kugeln kleiner zu machen, sonst brechen die Scheiben nochmal durch und wir müssten neue besorgen."

Ich nickte, doch bei der nächsten Zielscheibe war es nicht anders. Die Kugel wurde sogar noch größer als zuvor, hatte beinahe den Durchmesser eines Autorads. Mrs Bluelight zog mich vorsichtig vom Beckenrand weg.

"Irgendetwas ist hier nicht normal. Wie machst du das, Madline? Das kann man nicht einfach so, obwohl man es noch nie zuvor gemacht hat", schwor sie mir eindringlich und ich warf hilflos einen Blick auf die zwei zerbrochenen Zielscheiben.

"Ich weiß es nicht, ehrlich. Es passiert einfach, aber ich bekomme das ganz sicher unter Kontrolle", versprach ich hilflos, was Mrs Bluelight ein Seufzen entlockte.

"Madline, wenn du dein Element nicht beherrschen kannst, wird das möglicherweise gefährlich für dich oder für andere. Ich glaube für heute sollten wir das Training lieber beenden. Wir kümmern uns später noch einmal darum. Wenn du möchtest, kannst du es auch allein üben. Du musst aber darauf achten, dass sich niemand in deiner Nähe befindet, verstanden?" Ich nickte nur verzweifelt, da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte.

Mrs. Bluelight wandte sich ab und rief: "Ok, wir machen Schluss für heute. Ihr habt jetzt eine kurze Pause." Sie klatschte in die Hände.

Wir schnappten uns unsere Schultaschen und entfernten uns vom Wasserbecken. Während wir über die Wiese liefen, musste ich die ganze Zeit darüber nachdenken, was soeben geschehen war. Wie konnte es sein, dass meine Fähigkeiten außer Kontrolle geraten waren? Ich tat doch genau das, was die anderen auch taten. Ich musste mein Element ganz schnell unter Kontrolle bringen. Ich durfte nicht so enden, wie auf meiner alten Schule. Als Außenseiterin.

Dieser Gedanke ließ meinen Magen verkrampfen.

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