3. Neue Schule, neue Regeln!
Mir blieb die Spucke weg und neben mir hielt Cat den Atem an. Vor uns stand ein riesiges Gebäude mit einer Bogentür aus Kiefernholz, die als Eingang diente und darüber entdeckte man ein großes Fenster. Daneben waren jeweils noch andere kleinere Fenster und darüber gab es noch ein drittes Stockwerk mit weiteren Fenstern. Ein paar von ihnen standen offen, sodass die dunkelblauen, orangenen, grünen und hellblauen Vorhänge im Wind leicht flatterten. Seltsam allerdings war, dass die Vorhänge wohl in jedem Gang anders zu sein schienen. Oben (im vierten Stock) rechts sah man die dunkelblauen Vorhänge flattern, ein Stockwerk darunter die grünen. Daneben links die hellblauen und darüber die orangenen. An irgendwas erinnerten mich die vier Farben, aber ich konnte mich nicht mehr entsinnen an was.
Ich starrte hinüber zu den anderen Schülern, die schon eine Klassenstufe über uns waren. Sie liefen, die Koffer hinter sich herziehend und über irgendwas lachend, geradewegs auf die Bogentür zu. Ich folgte ihrem Beispiel und knuffte Cat in den Arm, um sie von ihrem Blick loszureißen. Als sie mich ansah, schaute sie mich gar nicht richtig an, sondern blickte durch mich hindurch und auch ihre Augen wirkten sonderbar glasig.
"Cat?", löste ich meine neue Freundin aus ihrer Erstarrung und ihre Augen wurden wieder normal.
"Was? Sorry, ich habe gerade nicht aufgepasst. War was?", fragte sie zurück. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu, den sie sofort erwiderte.
"Du warst kurz mal weg. Warst du so überwältigt von dem Aussehen des Internats?", wollte ich wissen, doch nach der Frage wusste ich gleich, dass es nicht so war. Cat runzelte nur die Stirn, bis sie mit dem Erzählen begann. Ihre Stimme versagte kurz und sie sammelte sich erst ein paar Sekunden bis sie nocheinmal anfing.
"Meine Großmutter hat mir vor mehreren Jahren ein Foto von dieser Schule gezeigt. Auf dieses Internat ist sie gegangen, ich weiß es. Die Schule auf dem Foto sieht haargenau so aus, wie diese. Das Merkwürdige daran ist, dass meine Eltern noch nie zuvor etwas von dieser Schule gewusst haben oder im Internet auf den Fotos wiedererkannt hätten und verschweigen würden sie mir das niemals. Ich war nämlich schwer getroffen als... ich erfahren habe, dass sie an einer Krankheit leidet. Wenn sie gesund wäre, könnte ich sie noch fragen, wie sie die Schule fand oder sie hätte mir irgendetwas anderes über das Internat erzählen können, aber sie tut sich recht schwer mit dem Reden, obwohl ich ganz genau weiß, dass sie gedanklich alles aufnimmt, was gesagt wird. Aber wieso hat sie meiner Mutter dann früher nichts davon erzählt?"
Cat bedrückte das, ich sah es ihr einfach an. Sie wirkte ziemlich betroffen und senkte den Blick. Aber ich hatte nicht wirklich Ehrfahrung damit, jemanden zu trösten, denn dieser Schritt war vor einem Jahr schon mal bei Jes schief gegangen und es hatte sich auch nicht gut angefühlt, denn danach hatten wir eine kleine Auseinandersetzung. Doch ich schob meine ehemahlige Freundin bei Seite und blickte wieder Cat an.
Nach einigen unsicheren Minuten des Schweigens entgegnete ich einfach gar nichts und zerrte sie hinter mir her ins Schulgebäude, wobei sie fast ein paar Mal über meinen Koffer gestolpert wäre. Kurz blieben wir stehen und ich schaute sie wieder an. Sie warf mir einen Blick zu, der besagte, dass sie bei der nächstbesten Gelegenheit ihren Laptop anschmeißen und einen Weg zur nächstgelegensten Psychatrie suchen würde. Ich seufzte.
"Naja, du musst wissen, dass ich nicht so gut im Trösten bin. Beim letzten Mal ist es soweit schief gegangen, dass ich Zoff mit einer Freundin hatte und das hat sich überhaupt nicht gut angefühlt. Deshalb... lasse ich das lieber und verzichte auf einen Streit", erklärte ich ihr. Dann griff ich erneut nach ihrem Arm und zog sie weiter durch eine Eingangshalle mit vielen kunstvoll verzierten Marmorsäulen.
Im nächsten Moment fing Cat an zu lachen. Etwas irritiert drehte ich mich zu ihr um.
"Jemanden zu trösten ist doch nicht so schwer. Dazu muss man einfach nur verständnisvoll und gefühlvoll sein. Mehr braucht es nicht. Glaub mir, das bekommst du sicher auch irgendwann hin", meinte sie zuversichtlich, was mich tatsächlich ein wenig aufmunterte.
"Es tut wirklich gut mit jemandem zu reden, der bei dieser Sache schon bessere Erfahrungen gemacht hat als ich", gab ich zu und schenkte ihr ein warmes Lächeln, das sie sanft erwiderte.
Dann setzten wir uns wieder in Bewegung und rollten unsere Koffer auf die Treppen zu, doch ein älteres Mädchen versperrte uns den Weg. Ihre mittellangen blonden Haare fielen ihr in großen Wellen über die Schultern und sie trug eine rote Bluse, die für meinen Geschmack doch etwas zu grell war, aber zu ihr passte sie. Ansonsten wirkte sie freundlich und kompetent.
"Halt, wo wollt ihr denn hin? Bevor ihr in euer Zimmer geht, wäre es von Vorteil zu wissen wo es ist. Ich denke, ich kann euch allen da behilflich sein."
Ja, das wäre tatsächlich von Vorteil, denn wenn ich mir das Gebäude nocheinmal von außen ins Gedächtnis rief, musste es über hundert Zimmer beeinhalten.
Also wandten wir uns um und folgten dem Mädchen zu einer kleinen Anfängergruppe, die ungefähr aus 60 Schülern bestand. Schnurstracks schlängelte sie sich durch die kleine Schülermenge hindurch, auf eine weitere, riesige Tür zu.
"Ich kann euch nicht sagen, wo ihr hingehört, aber sie schon", sagte das Mädchen und öffnete die große Eichentür, die mir schon vorhin ins Auge gesprungen war. Cat und ich standen weiter hinten, dadurch, dass wir uns zuletzt der Gruppe zugewandt hatten und sahen nicht so gut, was sich hinter der Eichentür befand. Wir hörten einzig und allein, das erstaunte Flüstern und Raunen vor uns, bis sich die Gruppe bewegte und wir den anderen in den Saal folgten. Auch hier wurde die Decke wieder von hohen Marmorsäulen gestützt. Unter unseren Füßen bedeckte ein langer, roter Teppich die kalten Fließen, wie auf einem Filmfestival. Cat schien sogar zu vergessen, dass sie eigentlich gar nicht auf dieses Internat gewollt hatte. Ich warf ihr einen Seitenblick zu, den sie vor Staunen allerdings nicht erwiderte.
Wir gingen weiter in den Saal hinein, bis die Truppe halt machte. Ich bemerkte es nicht sofort und stieß gegen den Rücken eines größeren Jungen. Dieser drehte sich um und versuchte nicht einmal das Funkeln in seinen Augen zu verbergen.
"Pass doch auf wo du hinläufst, Mädchen", fauchte er und drehte den Kopf wieder nach vorne. Ich seufzte. Na super, das war schon der erste Mensch, der mich angeblafft hatte. Und es würde hier sicher noch viele weitere geben. Ich verwettete meine Tollpatschigkeit darauf.
Nun stand das ältere Mädchen auf einem Podest, auf dem außer ihr noch vier Stühle zu sehen waren.
"Mein Name ist Elizabeth, aber alle nennen mich Liz. Ich bin Vertrauensschülerin hier an der Elemava-Academy und solltet ihr je ein Problem haben, das euch auf dem Herzen liegt, könnt ihr gerne zu mir kommen. Darf ich euch nun die Gründer dieser Schule vorstellen? Und dazu die besten Elementbändiger die es in diesem Land gibt? Mrs Chatfield, die Direktorin, Element Feuer, Mr Corner, Element Erde, Mrs Crumber, Element Wasser und Mr Gaster, Element Luft."
Sie gab den Weg frei und dort saßen sie wohl, die Gründer dieser Schule. Sie winkten und lächelten uns freundlich zu, aber das schien wohl keinen zu interessieren. Unruhiges Gemurmel war entstanden. Von allen Seiten kamen skeptische Ausrufe:
"Wie lange gibt es die Schule denn schon, wenn das da die Gründer sind. Die sehen voll jung aus. Vielleicht 35 oder so."
"Elementbändiger? Wo ist die Kamera, ich wollte schon immer in einem Film mitspielen?"
"Soll das ein Witz sein? Die wollen uns doch verarschen. Was ist hier denn bloß los?"
Auch Cat und ich sahen uns ungläubig an. Elementbändiger? Wer dachte sich denn so einen Mist aus?
"War das mit der Heilmagie vom Busfahrer etwas doch nicht gelogen? Ich schnall's nicht. Ich hab irgendwas verpasst", meinte Cat verwirrt und drehte den Kopf, um meine Reaktion abzuwarten. Auch ich verstand die Welt nicht mehr. War das Ganze jetzt ein Witz oder nicht? In diesem Moment meldete sich Liz wieder zu Wort.
"Nur die Ruhe. Gleich könnt ihr alle eure Fragen stellen. Das wird jetzt eine große Umstellung für euch, aber schlimm ist es nicht", gestand sie.
Die Vertrauensschülerin streckte die Hand aus und vor den Augen aller Anwesenden in diesem Saal, ließ sie einen in der Luft schwebenden Feuerball erscheinen und wieder verschwinden. Grinsend sah sie uns an und entfernte sich dann aus dem Saal mit den Worten: "Willkommen an der Elemava Akademy!"
Genau, willkommen in der Irrenanstalt!
Als die Tür zuflog, wollte jeder seine Fragen stellen, was ganz schön für Unruhe sorgte. Die vier Gründer warfen sich belustigte Blicke zu. Bestimmt hatten sie diese Situation bereits sehr oft erlebt und sich an die Aufregung der vielen, neuen Schüler gewöhnt.
"Wir wissen, dass ihr ganz viele Fragen habt. Wir werden sie euch so gut es geht beantworten, aber um erst einmal Licht ins Dunkle zu bringen, erzählen wir euch, weshalb ihr hier seid und was euch hier noch erwartet." Das war wohl Mrs. Chatfield, die das Element Feuer bändigen konnte, falls es denn stimmte. Ich erkannte es an ihrem bodenlangen, orangefarbenem Kleid, welches Ärmel hatte, die je an der Außenseite immer länger waren. Sie stand aufrecht und ließ ihren Blick über die Truppe schweifen, als wären wir winzige Küken. Dann begann sie mit der Erzählung.
"Wie Liz, Vertrauensschülerin und Feuerbändigerin, schon sagte, herzlich willkommen an der Elemava Akademy. Offensichtlich hattet ihr im letzten Schuljahr das Bedürfnis die Schule zu wechseln. Vielleicht wegen Notenproblemen, Mobbing langen Arbeitsschichten der Eltern oder ähnlichem. Aus diesem Grund habt ihr euch sicher für dieses Internat entschieden. Aber ihr konntet nicht wissen, dass wir mit euren Problemen ein wenig nachgeholfen haben. Das klingt für euch wahrscheinlich furchtbar, aber wenn wir es nicht geschafft hätten, euch in die Gesellschaft anderer Elementbändiger zu bringen, würdet ihr unkontrolliert euer Element einsetzen, was zur Folge hätte, dass ihr ganze Häuser in Brand setzen könntet. Außerdem hängt euer Leben daran, ob ihr an dieser Schule seid oder nicht." Mrs. Chatfields Miene wirkte sehr ernst, weswegen ich ihr bis jetzt auch alles abkaufte, was sie uns erklärte.
Ein Raunen ging durch die Schülergruppe, nachdem die Frau kurz inne gehalten hatte. Cat blickte zu mir. "Das ist wahrscheinlich auch der Grund weshalb meine Noten immer schlechter wurden", bemerkte sie und verschrenkte die Arme vor der Brust. Das tat mir richtig leid für sie und auch ich schwelgte eine Weile in Selbstmitleid. Ich wusste, dass diese vier wahrscheinlich etwas damit zu tun hatten, wie mein Bikini freie Sicht gegeben hatte. Wütend war ich schon, aber zugleich auch irgebdwie neugierig. Was hatte es jetzt mit diesen Elementen auf sich?
"Nun mussten wir nur noch eure Eltern überzeugen. Wir haben in den Artikel über unsere Schule alles geschrieben was sie hören wollten. Nachhilfeunterricht für schlechte Schüler, Sportplätze zum Trainieren oder nette Mitschüler. Darauf machten wir auf die Schule aufmerksam. Nelems, die Nicht-Elementbändiger oder auch Menschen, bekommen eine Absage von uns. Es ist keinem Elementbändiger gestattet, einem Nelem von unserer Identität teilhaben zu lassen. Diese Regel gilt in allen Elementbändigerschulen der Welt. Im ganzen Land können wir sehen, wo es Elementbändiger gibt und sie alle müssen in das nächstgelegenste Elementbändigerinternat, das sie finden können. Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, die Eltern auf das Internat aufmerksam zu machen und das Kind 16 wird, verliert es seine Kraft und wiedersetzt sich der Wandlung, was heißt, dass es sterben muss", sprach Mr Corner mit ebenso ernstem Tonfall weiter.
Augenblicklich verstummte das Geflüster im Saal und es wurde ruhig. Ich hasste diese Stille, sie war so unerträglich und lag wie ein dicker Schleier über uns.
"Von euch allen haben wir eine Vermutung, welches Element ihr bändigen könntet", fuhr Mrs Crumber fort. "Ob die Vermutung stimmt wissen wir natürlich erst, wenn ihr eure Bändigerkraft benutzt habt. Ihr alle werdet einem Element zugeordnet und einem Zimmer, welches ihr euch mit Schülern der gleichen Bändigerkraft teilen werdet. Es ist Vorschrift, dass jeder die Farbe seines Elementes tragen muss. Deshalb findet ihr in den Kleiderschränken auch nur einfarbige Kleidung vor. Gleich werdet ihr nacheinander aufgerufen und geprüft, damit jedem von euch ein Element zugeordnet werden kann. Ihr solltet wissen, dass Luft ein sehr seltenes Element ist, wovon es nur wenige Bändiger gibt. Es kommt nicht häufig vor, dass jemand dieses Element bändigen kann." Mrs Crumbers Augen wirkten jetzt so glasig wie die von Cat vorhin.
"Es gibt natürlich eine Ausnahme bei den Elementen. Ihr alle wisst sicher, was ein Avatar ist", fuhr sie fort.
Ich ließ daraufhin meinen Blick erneut über die Menge schweifen und viele nickten, auch ich kannte den Begriff. Es gab aber auch andere, die diesen Begriff nicht kannten und verwirrt den Kopf schüttelten, so wie Cat. Nach kurzem Überlegen, schien es ihr aber wieder einzufallen.
"Sind Avatare nicht diese seltsamen Figuren, die man für sein Profil auf Websites aussuchen kann?" Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Im Prinzip stimmte die Erklärung ja, doch irgendwie zweifelte ich daran, dass sie mit "Avatar" das meinten, was Cat im Sinne hatte.
Ich sah wieder zu Mrs Chatfield und den anderen Gründern, die sich über unsere Neugier scheinbar amüsierten. Die Direktorin wandte den Kopf zu mir und fing meinen Blick auf. Einen Moment lang blickten wir uns fest in die Augen und beinahe vermutete ich, in ihren Augen ein Funkeln erkannt zu haben. Dann setzte sich die Gründerin aufrecht hin und der größte Gründer gab uns die Antwort.
"Ein Avatar kann alle vier Elemente bändigen und sich sogar in den Avatarzustand begeben, um mit den anderen Avataren vor ihm zu sprechen. Dabei kann er enorme Fähigkeiten entfesseln und sollte dies unkontrolliert geschehen, möchte ich euch nur bitten, nicht in der Nähe des Avatars zu sein. Diese Kräfte sind unvorstellbar gefährlich. Natürlich auch nützlich. Allerding ist der letzte Avatar Szu, Hauptelement Erde, anscheinend vor mehreren Jahrhunderten im Avatarzustand getötet worden und wenn das passiert, gibt es nie wieder einen Avatar. Das liegt daran, dass der Avatarzyklus unterbrochen wäre. Es kann auch sein, dass Szu bei ihrem Tod nicht im Avatarzustand war, doch es ist zu lange her, dass es einen Avatar gegeben hat. Wir wissen darüber nichts Genaueres. Diese Erzählung basiert einzig und allein auf einer Überlieferung. Ohne den Avatar lösten sich alle Nationen einzeln auf und gründeten Familien. So ist es heute. Wir bezweifeln, dass einer von euch der neue Avatar sein könnte, aber solltet ihr irgendwann ein anderes Element bändigen als euer Hauptelement, dann müsst ihr uns sofort Bescheid geben. Lasst es uns bitte wissen! Diese Kräfte müssen kontrolliert werden können", schärfte uns nun Mr Gaster ein.
"Daher auch der Name, die Elemava Academy. Elem steht für Element und Ava für Avatar. Elemava Academy."
Mrs Chatfield nickte ihm zu, zog zunächst eine Liste hervor und fing an, die ersten Namen vorzulesen. Die gerade aufgerufene Schülerin trat zögernd und etwas misstrauisch auf das Podest zu.
Die Sache kam mir schon sehr suspekt vor. Die ganze Sache mit den Avataren und dem Avatarzustand und wie sie unsere Eltern überreden konnten uns auf diese Schule zu schicken. Liz hatte immerhin bewiesen, dass diese Gründer nicht gelogen hatten und deswegen versuchte ich den vieren einfach mal glauben zu schenken, auch wenn ich mich damit schwer tat. Cat lachte plötzlich auf und löste sich aus ihrer Starre.
"Das ist doch verrückt. Stimmt überhaupt ALLES was die sagen?" Sie schüttelte immer wieder den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich wusste auch noch nicht so recht, was ich davon halten sollte. In meinem Kopf ging ich die Informationen der Gründer nocheinmal gründlich durch. War es tatsächlich wahr?
Vorne ließ sich das Mädchen auf dem Podest gerade überreden, ihre Kräfte zu zeigen. Selbst aus der Ferne konnte ich sehen, dass sie zitterte und doch schluckte sie ihre Angst herunter. Die Lautstärke im Saal stieg wieder an. Alle redeten durcheinander, sodass ich nicht verstand, was Mrs Chatfield zu der neuen Schülerin sagte. Die Direktorin lächelte ihr aufmunternd zu. Das Mädchen streckte vorsichtig ihre Hand zu Mr Corners Füßen aus. Leider stand ich ganz hinten und es erwies sich als ziemlich schwierig, über die vielen Köpfe hinwegzusehen, damit ich sah, was genau sie da tat. Einen Moment lang dachte ich, es würde gar nichts passieren und die vier Gründer würden sich als ganz normale Menschen zu erkennen geben und lauthals drauf los lachen. Okay, diese Vorstellung war doch etwas zu übertrieben, zumal vorne tatsächlich etwas passierte.
Das Mädchen stolperte einen Schritt rückwärts und riss die Augen auf, als hätte sie einen Geist gesehen. Zeitgleich wuchs vor ihr aus dem Boden eine riesige Dornenhecke.
Im Saal breitete sich Stille aus und alle glotzten die wachsende Dornenhecke an. Die Schülerin war der Ohnmacht nahe, das sah man ihr an. Bevor sie aufgeregt nach Luft schnappen konnte, ließ Mr Corner die Hecke mit einer Handbewegung verschwinden und Mrs Chatfield wies ihr das Zimmer 137 zu. Steif bewegte sich das Mädchen an uns vorbei auf den Ausgang zu, während sie von uns allen schief angesehen wurde.
Cat konnte noch gar nicht glauben, was gerade passiert war. Mit großen Augen starrte sie den Fußboden an und auch ich musste das Gesehene erstmal verarbeiten. Meine neue Freundin holte tief Luft. "Also ist es wirklich alles wahr", sprach sie es aus. Ich traute mich gar nicht zu nicken.
"Hoffentlich kommen wir beide wenigstens ins selbe Zimmer, wenn wir schon diese ganzen Neuerungen ertragen müssen", wisperte ich.
Cat lachte leise auf. "Du weißt ja nicht, wie sehr ich mir das wünsche", gab sie zurück und ich verkniff mir ein Grinsen.
Eine Zeit lang hing ich meinen eigenen Gedanken nach. Als Cats Name aufgerufen wurde, schreckte ich jedoch hoch. Die Gruppe war bereits merklich zusammengeschrumpft. Es warteten noch etwa acht Schüler darauf, dass sie aufgerufen wurden.
Cat biss sich auf die Unterlippe und näherte sich vorsichtig dem Podest. Ihre Schuhe schabten, als sie die wenigen Stufen hinaufging. Ich hielt den Atem an und schon setzte vor mir wieder leises Gemurmel ein. Vorne redetete Mrs Chatfield kurz mit Cat, wobei ich nur einige Wortfetzen aufschnappte. Meine Freundin nickte und streckte ihre Hand aus.
Mir war noch gar nicht aufgefallen, dass jeder der vier Erwachsenen sein Element dabei hatte. Mrs Chatfield steckte ihre Fackel hinter sich in die Halterung, vor Mr Corners Füßen lag ein Stein, an dem noch viel feuchte Erde klebte. Igitt! Mrs Crumber hatte eine Wasserschale vor sich auf den Boden gestellt und Mr Gaster hatte überhaupt nichts, was mich nicht sonderlich wunderte. Was hätte man auch als Gegenstand für die Luft benutzen können, wenn sie schon die ganze Zeit da war?
Cat breitete die Arme vor sich aus und fing zuerst mit der Wasserschale an. Wahrscheinlich vermuteten die Gründer, dass dies Cats Element sei. Und das war es auch. Sie hob ihre Hände an und formte einen Ball, woraufhin sich das Wasser aus der Schale bewegte, in die Luft glitt und zu einer Kugel formte. Cat war so erschrocken, dass sie die Kugel blitzschnell in die Schale zurückgleiten ließ. Mrs Crumber murmelte ihr noch etwas zu. Dann durfte sie den Saal verlassen.
Vor mir kamen noch einige dran, sodass ich als Vorletzte aufgerufen wurde. Mit klopfendem Herzen ging ich nach vorne, die kleine Treppe zum Podest hinauf und stand schließlich vor den vier Gründern dieser Elemava Akademy. Mein Mund fühlte sich so trocken an wie noch nie. Auf meinen Armen breitete sich eine Gänsehaut aus, obwohl es im Saal dank der Fackeln gemütlich warm war.
Die Gründer begrüßten mich der Reihe nach und Mrs Chatfield stellte ihre Vermutung auf.
"Als du bei einer Party in einen Pool geworfen wurdest, hast du die Luft unten für eine Minute angehalten. Das ist ziemlich ungewöhnlich, weshalb wir glauben, dass du das Wasser bändigen kannst." Ihre sanfte Stimme verdrängte zwar die Kälte, doch was sie sagte beunruhigte mich. Was? 1 Minute? Das hatte sich angefühlt, als wäre ich nur zehn Sekunden unter Wasser gewesen. Ich sah den Stern am Abendhimmel, meine Nase füllte sich mit Wasser und ich war endlos in die Tiefe gesunken. Wenn ich genau darüber nachdachte, konnte ich mich an den weiteren Vorgang unter Wasser überhaupt nicht mehr erinnern. Seltsam, als würde sich mitten in meinen Erinnerungen ein großes, schwarzes Loch auftun und die Geschehnisse aus meinem Hirn verbannen.
Die Gründer betrachteten mich erwartungsvoll. Ich riss mich zusammen und streckte hastig meine Hand in die Richtung der Wasserschale aus. Die Wasseroberfläche blieb weiterhin glatt und rührte sich nicht.
Lange Zeit geschah gar nichts und auch die vier Gründer konnten sich nicht erklären, warum ihre Vermutung falsch zu sein schien.
Als ich die Hand gerade sinken lassen wollte, erhob sich aus der Wasserschale eine riesige Kugel, die etwa die Größe eines Sessels annahm. Entsetzt zog ich die Hand zurück und ließ das Wasser zurück in die Schale gleiten. Die vier hatten sich nicht geirrt, was mein Element anging und doch hatte ich noch bei keinem gesehen, dass er eine Wasserkugel mit der Größe eines Möbelstücks erschaffen hatte. Lag der Fehler etwa bei mir?
Mrs Chatfield beugte sich in ihrem Stuhl nach vorne und sah mir tief in die Augen. Vielleicht sah sie auch durch mich hindurch. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus und mein Puls beschleunigte sich, aber Mrs Chatfield blickte mich nur weiter unverholen an. Mittlerweile sah sie aus wie ein Zombie. Dann senkte sie ihren Blick.
"Nichts", flüsterte sie. War das jetzt positiv oder negativ? "Zimmer 275", wies mich Mrs Chatfield an, schaute mich aber während sie das sagte nicht einmal aus dem Augenwinkel an. Die restlichen drei Gründer waren ebenfalls in ihre Überlegungen vertieft, also beschloss ich, mich auf den Weg zu machen.
Das letzte was ich sah, bevor ich den Raum verließ, war das Gesicht des letzten Anfängerschülers, der mir mit offenem Mund hinterherschaute. Dann fiel die Tür ins Schloss.
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