24. Das Ticken der Uhr
"Oh mein Gott, wie seid ihr hier rein gekommen? Die Tür war doch abgeschlossen und ihr seid nicht einmal Luftbändiger", erkannte Grace hysterisch und wich ein paar Schritte zurück, nicht aber ohne ihren am Boden liegenden Körper aus den Augen zu lassen.
"Ich glaube nicht, dass wir dir eine Erklärung schuldig sind, wenn du diejenige bist, die sich als Geist in das Austauschprogramm einer Schule für Elementbändiger eingeschrieben hat", kam mir Kiki zuvor, als ich gerade antworten wollte. Tatsächlich wirkte Grace schon nicht mehr so gefasst, wie sie sich ihren Mitschülern präsentierte. Ihr Gesicht war kalkweiß und in ihren Augen weit aufgerissen, als könnte sie sich noch nicht mit der Vorstellung abfinden, dass wir als Wasserbändiger durch eine geschlossene Tür getreten waren und ihre Identität entlarvt hatten. Allerdings hatte sie wohl keine Lust einen Kommentar zu dieser Aussage abzugeben und schwieg unter Kikis vorwurfsvollem Blick, weshalb ich mir die Freiheit nahm, die Stimme zu erheben.
"Die Schatten hatten recht. Es existiert noch ein zweiter Geist und hier steht er", wandte ich mich an Kiki.
"Ich dachte, sie hätten gelogen", entgegnete Kiki überrascht. Ich schüttelte nur den Kopf.
"Das hatte ich ehrlich gesagt auch gedacht. Aber sie haben tatsächlich die Wahrheit gesagt. Was hat sie nur bewegt, uns diesen Gefallen zu tun?", sprach ich meinen Gedanken aus, obwohl die Frage eher rhetorisch gemeint war.
"Zweiter Geist? Ihr seid ja verrückt!", behauptete Grace und unterbrach damit meine Gedankengänge. "Ich bin der einzige, noch lebende Geist. Gäbe es einen zweiten, dann glaubt mir... ich hätte es gewusst", versicherte sie uns. Ich merkte, wie Kiki neben mir eine Augenbraue hob und sich ein Grinsen auf ihre Züge legte. Wahrscheinlich fand sie die Situation genauso amüsant wie ich.
"Nichts für ungut, aber wir können dir nicht glauben. Denn tatsächlich existiert noch ein weiterer Geist." Kikis Blick glitt für einen Moment zu mir. "Naja, existierte trifft es eher." Ich unterdrückte meinen Drang ihr entgegenzuschleudern, dass er noch immer am Leben war und trat auf Grace' leblosen Körper zu. Ich streckte meine Hand danach aus und bemerkte die beunruhigende Miene von Grace, als ob es ihr unangenehm wäre, dass ich den Körper berührte. Dieser fühlte sich ganz kalt an, als ich mit meiner Handfläche darüber glitt, sodass ich automatisch zurückfuhr.
"Warum hast du den Austausch angetreten?", wollte ich wissen und richtete mich zu meiner vollen Größe auf.
"Warum sollte ich auf deine Fragen antworten?", erwiderte Grace mit einer Gegenfrage.
Ich wagte einen fragenden Blick zu Kiki, welche zuerst zögerte, schließlich aber nickte. Ich sollte Grace von unserem Wissen berichten und ihre Reaktion abwarten. Deshalb blieb ich neutral und verriet ihr nur das Nötigste: "Uns ist zu Ohren gekommen, dass sich an unserer Schule ein Diener der Schatten herumtreibt. Wir möchten wissen, ob du etwas darüber weißt. Und da du gesehen hast, wie wir ohne Luft-Magie diese verschlossene Tür passiert haben, kannst du dir sicher sein, dass wir noch einige weitere ungeahnte Fähigkeiten besitzen. Eventuell auch das Herausfinden, ob jemand lügt", log ich und setzte einen siegessicheren Gesichtsausdruck auf, damit meine Aussage auch glaubwürdig klang. Ich wollte vor allem deshalb glaubwürdig klingen, weil mir nicht entgangen war, wie Grace bei dem Wort Spion beinahe unmerklich zusammen gezuckt war. Nach einer bedrückenden Stille hob Grace den Blick. Hass trat in ihre Augen.
"Ich würde mich niemals mit den Schatten verbünden. Sie und der Avatar sind schuld daran, dass meine Eltern getötet wurden", brachte Grace aufgebracht hervor und trat einige Schritte näher an mich heran. "Sie hatten sich damals mit uns verbündet, im Krieg und anschließend haben sie keinen von uns verschont und unsere Art ausgelöscht, weil wir ihnen nicht länger von Nutzen waren. Und auf einmal standen die neutralen Geister zwischen den Fronten und wurden gleichzeitig von Avatar und Schatten niedergemetzelt. Es war nur eine Frage der Zeit bis die Bewegung von Asien aus in den Süden vordrang, um dort gründlich aufzuräumen. Sie haben meine Eltern ermordet! Eine komplett unschuldige Art bis auf den letzten ausgerottet! Ausgenommen von mir..." Grace Stimme wurder immer lauter und agressiver. Entweder konnte sie ausgesprochen gut schauspielern oder sie sagte die Wahrheit. Und plötzlich tat mein Verstand etwas völlig unerwartetes. Er glaubte ihr! Und auch Kiki schien Grace' Antwort als logisch zu empfinden.
"Ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr ich die Schatten verabscheue. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier. Nämlich um diesen einen Schatten zu finden. Diesen einen Kerl, der ihnen das Leben ausgehaucht hat und der mit mir beinahe das Gleiche getan hätte. Ich habe herausgefunden, dass er nach dem Krieg nach Amerika beordert wurde und habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihn ausfindig zu machen und zu töten. Nach 10 Jahren kann ich endlich Rache nehmen und ihm zeigen, wie es sich anfühlt, wenn die Welt um einen herum für immer schwarz bleibt", erklärte sie und ballte die Hände zu Fäusten, als würde sie es mit jedem aufnehmen, der sich ihr in den Weg stellte.
Seltsamerweise bekam ich es bei ihren Worten mit der Angst zu tun. Sie hasste den Avatar... Ohne zu wissen, wen sie vor sich hatte, legte sie mir ihre Meinung über meine Vorgänger offen und ich zweifelte nicht daran, dass sie sich ohne zu zögern mit mir anlegen würde, wenn sie von meiner Identität erfuhr. Theoretisch wäre es nur fair gewesen, ihr anzuvertrauen, wer ich wirklich war. Immerhin hatte sie eben das Gleiche getan. Aber in diesem Moment wollte ich nichts lieber, als schweigen, zumal sich in meinem Hals gerade ein dicker Kloß bildete. Zum Glück übernahm Kiki das Reden.
"Und wieso bist du der Akademie beigetreten? Wie hast du die Aufnahme überstanden? Haben die Gründer gewusst, dass sie einen Geist vor sich haben?", fragte Kiki neugierig, woraufhin Grace einen langen Seufzer von sich gab. Dennoch begann sie zu erzählen.
"Nachdem meine Familie ermordet wurde, blieb mir nur noch meine Großmutter. Mein Großvater hatte sie geheiratet, obwohl er wusste, dass es verboten war, als Geist einen Nicht-Geist zu heiraten. Allerdings wusste Grandma über die Geister Bescheid, da ihre Familie ebenfalls aus Geistern bestand, ihre Generation aber übersprungen wurde. Sie war schon ziemlich alt und das Amt hatte Bedenken, dass sie es schaffen würde, mich zu versorgen, bis ich volljährig wäre. Außerdem konnte sie nicht mehr richtig denken, sodass es eher an mir lag, sie zu versorgen, aber sie hat versprochen, dass sie mich noch ein bisschen in meinem Leben begleiten würde. Da ich erst 6 war, habe ich von ihr erst später einige Sachen über den Krieg erfahren, unter anderem den Namen des Mörders meiner Eltern. Doch kurz bevor ich 11 wurde, ist sie gestorben und hat mich zurückgelassen, ganz allein in einem Haus voller Erinnerungen. Das Jugendamt wollte mich in ein Waisenhaus verfrachten, aber zu diesem Zeitpunkt haben die Gründer der Elemava-Akademy eingegriffen und mich in Melbourne auf ihrer Schule aufgenommen. Ich bin immer noch glücklich, dass sie das getan haben", gab Grace zu und senkte ihren Blick. Mich hätte wirklich interessiert, wie es dazu gekommen war, dass die Gründer sie aufgenommen hatten, aber ich wagte es lieber nicht, die tragische Erzählung von Grace zu unterbrechen. Schließlich fuhr sie fort.
"Auf der Akademie hatte ich mein eigenes Zimmer. Ich durfte den Großen jederzeit beim Training zuschauen. Mit 14 Jahren zeigten sich bei mir zum ersten Mal die Eigenschaften eines Geistes. Die Gründer waren davon ausgegangen, dass ich die Fähigkeiten eines Elementbändigers besitzen würde, da sie bei mir außergewöhnliche Schwingungen festgestellt haben, die normalerweise auf Bändigerkräfte schließen lassen. Dann haben sie aber herausgefunden, dass ich ein Geist bin und haben mich im neuen Schuljahr an den Unterrichtsstunden der Untersekunda teilhaben lassen. Die Schüler haben dabei nie herausgefunden, dass ich eigentlich nicht bändigen kann, da mich die Gründer oft gedeckt haben. Sie wollten nicht, dass die anderen Schüler von meinem Geheimnis erfahren. Und auch nicht, dass ich am Schüleraustausch teilnehmen darf, als ich sie darum gebeten habe. Ich habe ihnen meinen Standpunkt erläutert und habe lange darum gekämpft, die Reise antreten zu dürfen. Letztenendes haben sie jedoch eingewilligt und jetzt bin ich hier und widme mich ganz meiner Aufgabe. Ich weiß, dass es riskant ist und dass ich aufpassen muss, dass die Schatten nicht erfahren wer ich bin und dass ich noch lebe, aber ich will endlich ein ruhiges Leben führen. Es soll wegen ihm kein unschuldiges Blut mehr fließen, wenn ich die Chance habe, das zu verhindern." Grace setzte ein entschlossenes Gesicht auf und näherte sich wieder ihrem bewusslosen Körper.
"Aus diesem Grund werde ich euch gerne dabei unterstützen, den Spion zu finden. Denn wenn er wirklich ein Diener der Schatten ist und er herausfindet, dass ich als Geist überlebt habe, wird er ihnen diese Information keinesfalls vorenthalten und ich wäre Ihnen ausgeliefert", entschied Grace entschlossen. Kiki und ich waren während ihrer Erzählung still geblieben, doch jetzt, wo Grace geendet hatte, konnte sich Kiki nicht mehr zurückhalten.
"Wow, dass du eine solch traurige Vergangenheit mit dir herumschleppst, hätte ich ja nicht gedacht", sprach sie ihren Gedanken laut aus. "Eine Sache musst du uns aber trotzdem noch erklären. Es gibt einen weiteren Geist an dieser Schule, wie du ja nun weißt. Er war ein guter Freund von uns und trotzdem haben wir nie von ihm erfahren, welche Fähigkeiten Geister ausmachen."
Ich warf Kiki einen verstohlenen Seitenblick zu, als sie Christian als "guten Freund" bezeichnete. Schließlich konnte man die Beziehung zwischen Christian und mir nicht wirklich als Freundschaft abstempeln. Doch bevor ich sie darauf ansprechen konnte, nahm Grace den Faden des Gespräches wieder auf.
"Nun, ich bin kein Halbgeist, deswegen kann es schon vorkommen, dass Unterschiede zwischen unseren Fähigkeiten bestehen. Aber ein gewöhnlicher Geist muss einmal pro Tag seinen normalen Körper verlassen. Geister sind nachaktive Wesen, die allerdings einen menschlichen Körper bewohnen, der am Tag aktiv ist. Dadurch verbrauchen Geisterwesen unglaublich viel Energie. Deswegen schläft der Körper des Geistes bei Nacht, damit der Geist erwachen kann, während sein Körper wieder an Energie gewinnt. Bei Tagesanbruch schlüpft die Geisterscheinung wieder in seinen Körper und ruht sich aus, während der Geist wieder die Körperform annimmt, um am Tag ebenfalls aktiv sein zu können. Ein typischer Geist besteht also aus zwei Erscheinungen: einem menschlich aussehendem Körper mit Geistermalen und einer durchsichtigen Gestalt, deren Beine sich auflösen können, wenn der Geist das Bedürfnis hat zu fliegen. Wenn ich aber bei Nacht meine Menschengestalt behalten will, muss ich dafür aber am Tag eine bestimmte Zeit lang auf sie verzichten, damit es wieder ausgeglichen ist und mein Menschenkörper genug Energie bekommt, damit ich nicht müde werde. Klingt kompliziert, ist es aber nicht", erzählte Grace und lächelte unsicher, als sie meinen (aus irgendeinem Grund) misstrauischen und Kikis interessierten Blick bemerkte. Dieser fielen beinahe die Augen aus dem Kopf vor Erstaunen.
"Das klingt ja echt hoch interessant. Da kann man mal sehen, wie komplex Mutter Natur unsere Welt eingerichtet hat", murmelte sie entzückt. "Gibt es noch andere besondere Fähigkeiten?" Grace überlegte.
"Wir können zum Beispiel durch Wände gehen und uns in unserer Geistererscheinung komplett auflösen, sodass wir für andere Personen unsichtbar werden. Außerdem sind wir unglaublich schnell und werden nicht so schnell müde, wie gewöhnlich Menschen, da unsere Energie immer konstant bleibt, solange wir unseren Körper stets wechseln. Unsere Erscheinung kann sich sogar auch auf unsere Kräfte auswirken. So ist die Haut eines Geistes zum Beispiel sehr blass, fast weiß und dieser Zustand ändert sich nie. Das sorgt dafür, dass wir keinen Sonnenbrand bekommen und das ist in Australien echt praktisch. Das ist auch eines der Merkmale, womit ihr einen Geist in meiner Heimat erkennt, da dort so ziemlich jeder zumindest etwas gebräunte Haut hat. Außerdem wechselt manchmal unsere Augenfarbe, wenn wir unsere Kräfte benutzen. Dafür gibt es allerdings keine Garantie. Und ansonsten gibt es da nur noch die Geistermale auf unserer Menschenhaut. Das können sowohl Flecken in einer anderen Farbe sein, als auch verschlungene Muster oder Zeichen. Es ist jedoch verboten, jemand anderem mitzuteilen, wo sich diese am Körper befinden, da mit ihrer Beschädigung beziehungsweise Zerstörung Geisterfähigkeiten verschwinden können. Wenn sich keine neuen Flecken bilden, können diese Kräfte für immer verloren gehen und nie wieder zurückerlangt werden und sollte es eine wichtige Fähigkeit sein, wie das Wechseln des Körpers oder die Funktion unserer Haut, dann kann ein Geist sehr schnell an Kraft verlieren."
Während Grace noch einige Kleinigkeiten erwähnte, musste ich an Christian denken, der tatsächlich auch einige von diesen Kräften besessen hatte. Er war schon oft durch Wände gegangen, war ziemlich schnell und wurde selten müde. Seine Haut war schon irgendwie schneeweiß und ich glaubte, mich sogar daran erinnern zu können, dass seine Augen mal nicht haselnussbraun, sondern grau-grün gewesen waren. Allerdings hatte ich damals noch geglaubt, einige dieser Fähigkeiten, wie das durch Wände gehen, kämen von seinen Luftbändigerkräften.
"Entschuldigung, wenn ich dich unterbreche", entschuldigte ich mich bei Grace. "Aber ist es schon einmal vorgekommen, dass ein Geist Elemente bändigen kann?"
Grace strich sich verwirrt eine ihre mondscheinblonden Haarsträhnen hinter das Ohr und runzelte die Stirn.
"Nicht dass ich wüsste. Normalerweise kann so etwas nicht vorkommen, da dies eher die Merkmale eines Elementbändigers sind."
Ich warf Kiki einen vielsagenden Blick zu. Diese schien wohl genau das Gleiche zu denken, wie ich. Wieso konnte Christian Feuer und Luft bändigen, wenn er doch ein Geist war? Und das war er zweifellos, sonst hätte er nicht einige der Merkmale, die Grace aufgezählt hatte. Doch dieses Rätsel sollte später geklärt werden, da nun auch Grace' Neugier zum Vorschein kann.
"Ich vemute, du hast wegen deinem Freund gefragt. Mich interessiert ja, ob er wirklich ein Geist ist, da ich bisher mit niemandem reden konnte, der genauso ist wie ich. Bei Problemen musste ich mir meistens selbst helfen, das könnte sich von nun an ändern." Wieder wechselten Kiki und ich einen Blick miteinander.
"Tja, da gibt es ein Problem, das uns im Weg steht", berichtete Kiki vorsichtig.
"Hoffentlich keins, das nicht gelöst werden kann", entgegnete Grace.
"Es kann gelöst werden. Dazu brauchen wir aber deine Hilfe", erklärte ich. Grace sah mich überrascht an. Sie konnte ja noch nicht wissen, dass ihre Hilfe vorraussetzte, dass sie einen Teil ihrer Seele an Christian spenden musste. Vielleicht lehnte sie es sofort ab, wenn ich ihr genauere Einzelheiten nannte.
"Okay, sag mir was es ist und ich werde sehen, was sich machen lässt", beschloss sie. Sie blickte mich auffordernd an. Ich schwieg. Wahrscheinlich weil ich befürchtete, dass sie einen Rückzieher machte, wenn ich ihr die Vorraussetzung beichtete. Immerhin hatte ich mich voll und ganz darauf konzentriert, endlich einen Geist zu finden, doch nie darauf, ihm die Sache zu erklären, wenn es soweit gekommen war. Ich hatte ja nicht wissen können, dass ich überhaupt einen ausfindig machen konnte.
"Folge uns einfach!", übernahm Kiki deshalb das Wort für mich. Grace nickte nur und schloss daraufhin die Augen, was mich anfangs ziemlich verwunderte. Doch einige Sekunden später, erkannte ich, dass sie sich konzentrieren musste, um in ihren eigentlichen Körper zurückzugleiten. Ihre durchsichtige Form löste sich auf und glitt fließend in ihre menschliche Gestalt über. Ohne große Schwierigkeiten erhob sie sich. "Na dann los!"
Auf dem Weg in den "Leichenkeller" konnten Kiki und ich nicht umhin, Grace noch einige weitere Fragen zu stellen.
"Wenn du deinen Körper für längere Zeit nicht verlässt, tut er es dann irgendwann automatisch?" (Das war Kiki)
"Ja, in der Tat würde er das in einem solchen Fall von selbst tun und für einige Tage in der Geistergestalt bleiben müssen, aber ich achte ja auf meine Routine."
"Warum verlässt du deinen Körper nicht einfach bei Nacht, sondern an Tagesstunden?" (Ebenfalls Kiki)
"Weil ich in der Nacht oft Informationen über die amerikanischen Schattenclans und den Rat besorge, indem ich mir aus der verbotenen Abteilung einige Bücher ausleihe."
"Warum bekämpfst du nicht auch den Avatar, wenn du ihn genauso hasst, wie die Schatten?" Das hatte ich gefragt. Mittlerweile hatten wir die Tür zum Keller erreicht.
"Ich hasse den Avatar schon. Allerdings nicht so sehr wie die Schatten. Schließlich waren sie es, die meine Eltern töteten", gab Grace zurück, öffnete die Tür und ging vorraus in die Dunkelheit des Kellers. Plötzlich tippte mir Kiki von hinten auf die Schulter.
"Du musst es ihr sagen, hörst du? Bevor sie es von einem der anderen Schüler erfährt, solltest du es lieber selbst tun, denn die Chance, dass es irgendwer ausplappert, ist verdammt hoch." Ich musste unwillkürlich seufzen.
"Ich weiß. Ich mache es gleich nachdem sie Christian ihre Seele gespendet hat. Wenn ich es ihr sofort sage, ist sie vielleicht nicht mehr bereit, mir zu helfen", sagte ich nur und stieg die steinernen Stufen hinab in den Keller. Ich lauschte Kikis Schritten hinter mir und tastete mich in der Dunkelheit vorwärts. Unten erleuchtete eine Lampe spärlich einen winzigen Teil des Ganges, sodass ich ungefähr wusste, wo das Ende der Treppe war. Unten angekommen erkannte ich Grace' Umrisse in der Dunkelheit und folgte ihr bis wir vor der Tür mit den Ziffern 047 standen.
"Dort drin ist er?", fragte Grace und ich nickte. Ich ergriff Kikis Hand und zog sie mit einem Ruck durch die Tür. Grace gesellte sich einen Moment später ebenfalls zu uns. Ich ignorierte die Kälte und schritt auf den Tisch in der Mitte des Raumes zu. Dort lag er. Bedeckt von einem weißen Leichentuch. Ich hoffte nur, dass es noch nicht zu spät war.
"Wartet hier! Ich werde nachsehen, ob er noch zu retten ist", informierte ich die anderen und griff bereits nach Christians Hand. Sie war eiskalt. Auf der Stelle spürte ich ein starkes Ziehen an meiner Hand. Das war ein gutes Zeichen. In Sekundenschnelle löste sich mein Körper auf und wurde mitten hinein gerissen in einen Strudel, der mich dort ausspuckte, wo ich Christian zum letzten Mal gesehen hatte.
Die Zwischenwelt umfing mich mit ihrer gewohnten Farbe. Ich sah mich um und drehte mich einige Male im Kreis, um mich zu vergewissern, dass Christian noch hier war. Ich konnte ihn nirgends entdecken.
"Christian?" Meine Stimme hallte endlos in der gähnenden Leere wieder. Ich wartete für einen Moment, doch es kam keine Antwort.
"Christian, gib mir bitte ein Zeichen, wenn du mich hörst!", versuchte ich es noch einmal. Aber wieder geschah nichts.
Das durfte nicht sein. Er konnte noch nicht gegangen sein, das durfte er nicht. Kraftlos sackte ich zusammen, spürte das Zittern meiner Hände und die Tränen in meine Augen steigen. Christian konnte nicht tot sein. Ich hatte nach langer Zeit eine Möglichkeit gefunden ihn zu retten. Das sollte nicht umsonst gewesen sein. Doch ich musste es akzeptieren. Es war zu spät.
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