2. Wiedersehen
Der Bus hielt auf dem steinigen Kies in der Rundung direkt vor dem Eingang zur Schule. ,Willkommen zurück in meinem zweiten Zuhause!', dachte ich und stand von meinem Sitz auf. Im Gang herrschte schon das übliche Gerammel, weil alle ihren Koffer von der Gepäckablage hieven wollten und hätte ich mich einmal nicht geduckt, wäre mir ein Koffer wahrscheinlich auf den Kopf gefallen.
Im letzten Jahr hatte ich mich auf die Zehenspitzen stellen müssen, um meinen Koffer greifen zu können, doch in diesem Jahr hob ich ihn problemlos herunter. Himmel, wie ich gewachsen war. Ich stellte Kikis Koffer neben meinem ab, wodurch sich einige Schüler wegen des Platzmangels beschwerten. Deshalb griffen Kiki und ich schnell nach unseren Taschen und bahnten uns unseren Weg zur nächstgelegenen Tür. Noch vor der Megafonansage des Busfahrers gingen die Türen auf und wir quetschten uns erleichtert mit ein paar anderen durch den winzigen Ausgang.
Vor dem Eingang zur Schule standen schon einige Schüler allein und in Gruppen, um ihre Freunde nach dieser langen Zeit zu begrüßen. Kiki und ich liefen schnurstracks zur Treppe und schleppten unsere Koffer die Stufen hinauf.
"Kommt es mir nur so vor oder musste ich dieses Jahr mehr einpacken", schnaufte Kiki neben mir. "Der fühlt sich so an als wären Backsteine darin." Im ersten Schuljahr hätte ich bestimmt noch über Kikis Humor gekichert, aber in diesem Moment lenkte es mich nur ab von meinen Gedanken, weil er die Schule vielleicht nie wieder sehen würde. Seine grünen Augen, diese verwuschelten Haare und dies-
"Mads? Sag bloß, du denkst wieder an Christian", ertappte sie mich und stieß das große Tor der Schule auf.
"Nein, jetzt doch nicht", versuchte ich zu lügen, doch Kiki hob schon grinsend eine Augenbraue in die Höhe. Doch so schnell wie das Grinsen gekommen war, verschwand es auch wieder und wir blieben stehen.
"Ich weiß du vermisst ihn, aber könntest du bitte mal aufhören nur diesen einen Wermutstropfen zu sehen? Sei einfach optimistisch. Glaub mir, Christian lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Er wird es schaffen. Und jetzt mach deinen Kopf frei, denn ich habe keine Lust eine schmollige Madline ins Gute-Laune-Zimmer mitzubringen und Cat freut sich darüber bestimmt auch nicht", antwortete sie und legte ihre Hände mütterlich sanft auf meine Schultern. Und jetzt musste ich wirklich lächeln. Sie hatte ja Recht.
"Wo wir gerade beim Thema Gute-Laune-Zimmer sind, ist Alice schon da?" Alice gehörte zu unserem 5er-Mädchenzimmer, wobei man durchaus sagen konnte, dass sie mehr im zickigen Nachbarzimmer lebte, als bei uns. Sie verhielt sich mindestens genauso zickig und anstatt wenigstens ein dezentes Make-up aufzutragen, knallte sie sich alles was ihre Lidschattenpailette hergab ins Gesicht. So viel ich wusste, waren ihre Eltern reich, nur nicht so reich, dass sie Millionäre wären. Ich konnte mir schon vorstellen, dass ihre Mutter als Politikerin arbeitete und der Vater, keine Ahnung, vielleicht ein Architekt war. Aber das waren auch nur Vermutungen, denn besonders viel wusste ich über Alice' Eltern nicht, außer, dass sie enorm streng zu sein schienen. Ihr wurde sogar schon die Creditkarte gesperrt und sie musste in vielen Fächern die Beste sein. Irgendwie tat sie mir deswegen ein klein wenig leid.
"Ich weiß nicht, ob sie schon da ist. Ich habe ihre Nummer nämlich nicht", erwiderte Kiki. Wir standen nun im ersten Stockwerk, direkt vor der Treppe und mussten in den vierten und letzten Stock.
"Nicht doch, das darf ja nicht wahr sein. Irgendwie fand ich es besser, als die Oberstufenschüler im letzten Jahr unsere Koffer hochgetragen haben. Jetzt sind sie nochmal um einiges schwerer", fand sie. Als jedoch zwei Schülerinnen an uns vorbei liefen und etwas von einem Fahrstuhl erzählten, hängten wir uns ihnen an die Fersen, völlig umsonst, denn einen Fahrstuhl gab es tatsächlich (seit wann das?), wenn man links um die Ecke bog, nur leider schien er defekt zu sein, worauf uns das riesige Schild mit der Aufschrift Defekt hinwies. Man hätte ihn sowieso nur in Begleitung eines Oberstufenschülers benutzen können. Und so mussten wir letztlich doch die Treppen nehmen.
"In welchem Stock sind wir?", fragte mich Kiki, nachdem wir unsere Koffer ein Stück weit getragen hatten und setzte ihren Koffer mit einem lauten Knall ab.
"Im zweiten", ächzte ich. Kiki holte tief Luft.
"Vielleicht könntest du ja Luftmagie benutzen", schlug sie vor. Ich überlegte kurz. Luft war leider das einzige Element, welches ich noch nicht vollständig beherrschte. Vor den Sommerferien hatte ich es oft geschafft, mich wortwörtlich in Luft zu verwandeln und durch eine verschlossene Tür zu gehen. Das war es dann aber auch mit meinen Erfahrungen der Luftmagie.
"Ausgeschlossen, solange ich sie noch nicht vollständig unter Kontrolle habe." Und so ging es weiter. Mit den anderen Schülern schleppten wir unser schweres Gepäckstück nach oben. Einige Muskelprotze liefen vorbei und trugen ihre Koffer wie Hanteln über dem Kopf, um ihre Muskeln zu zeigen. Total bescheuert! Den heißen Oberstufenschülerinnen halfen sie natürlich. Diese Sorte von Mädchen, die sich ihren pinken Nagel abbrechen, und deswegen ein ganzes Land zusammenschreien könnten. Diese Jungs dachten gar nicht daran, uns zu helfen, aber wir schafften es auch so. Oben vor der Tür zum Zimmer verschnauften wir erstmal. Dann klopfte ich an. Es dauerte nicht einmal zwei Sekunden bis unsere Freundin die Tür aufriss.
"Cat!", rief ich laut aus und wir fielen uns in die Arme (meine fühlten sich gerade so an wie Wackelpudding).
"Hi, ich habe mich schon gefragt, wann ihr endlich kommt", erzählte sie uns. Am liebsten hätte ich sie nie wieder losgelassen. So lange von ihr getrennt zu sein ohne ihr aufmunterndes Lächeln, doch schließlich lösten wir uns voneinander und sie fiel auch Kiki in die Arme.
"Ihr seid bestimmt auch die Treppen hochgegangen oder? Mann, wenn Coral nicht schon im Zimmer gewesen wäre, hätte ich mir den Schlüssel noch im Sekretäriat abholen müssen. Und wie diese Schüler aus dem Jahrgang im Bus rumgeschrien haben. Das nächste Mal nehme ich einen Bus später. Ich schwöre, mir ist fast das Trommelfell geplatzt", berichtete sie uns. "Übrigens, Alice ist noch nicht da. Wenn du also das Bett am Fenster haben willst...", sagte sie an mich gewandt.
"Nein, ist schon gut", entgegnete ich und warf einen Blick zum Umriss der kleinen Tür, direkt in der Wand neben meinem Bett. Dahinter befand sich ein geheimer Trainingsraum, den ich oft zum Üben mit Szu benutzt hatte, als sie noch Zeit in der realen Welt hatte. Und dort gab es eine kleine Bibliothek, deren Bücher unter anderem sogar Testergebnisse enthielten, die ich jedoch noch nicht einmal verwendet hatte. Kiki verbrachte am meisten Zeit in der alten Bibliothek, um sich die Kampftechniken der Elemente durchzulesen.
"Na gut, kommt erst mal rein", entschied Cat. Das musste sie mir nicht zwei mal sagen. Ich warf den schweren, grünen Hartschalenkoffer und die Zusatztasche, die ja auch noch existierte, auf mein Bett und Cat schloss hinter uns die Tür.
Fast zeitgleich vernahmen wir ein gedämpftes Knacken und eine weibliche Stimme, die kurz darauf einsetzte. Cat verdrehte die Augen und riss die Tür wieder auf. Wir lauschten mit den anderen Schülern auf dem Gang. Die Stimme gehörte Mrs. Chatfield und sie hielt eine kurze Durchsage.
"Herzlich willkommen an der Elemava-Academy. Wir freuen uns sehr, euch alle wohlauf zu sehen, im Angesicht der Tatsache, dass viele Oberstufenschüler im letzten Schuljahr gefallen sind." Es folgte eine kurze Pause und ich bemerkte, dass Cats freudige Miene nun trüb drein blickte. Mein Freund Christian hatte noch die Chance zu leben, während ihre erste Liebe Chris im Kampf gefallen war, als Christian Cat mit schwarzen Energiebällen attakieren wollte. Chris hatte sich zwischen Cat und den Energieball geworfen und obwohl er Cat das Leben gerettet hatte, fühlte sie sich wirklich nidergeschlagen. Ich wusste, dass sie ihn schrecklich vermisste, mir ging es mit Christian schließlich ähnlich. Insgeheim ahnte ich jedoch, dass sie versuchte, Christians Chance auf Leben irgendwie zu umgehen.
"Wie dem auch sei", fing sich Mrs. Chatfield wieder. "Wir erwarten den zweiten und dritten Jahrgang halb zwei und den vierten Jahrgang um zwei im großen Saal zur Besprechung des kommenden Schuljahres und einer Überraschung für die Unterprima (,zweiter Jahrgang, wir') und die Obersekunda (, dritter Jahrgang'). Zu diesem Zeitpunkt werdet ihr auch eure Stundenpläne erhalten. Erscheint bitte pünktlich!"
Und damit endete die Durchsage und Cat schloss die Tür wieder.
"Na toll, ich habe noch nicht mal Mittag gegessen", beschwerte sich Kiki und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Du solltest dich lieber mal fragen, wie schnell du deinen Koffer auspacken kannst, denn 13:30 Uhr ist in zehn Minuten", informierte Cat sie und tippte auf die blaue Uhr an ihrem Handgelenk.
Kiki und ich warfen uns entsetzte Blicke zu und beeilten uns im Eiltempo, unsere Koffer auszupacken. Schneller als gedacht, waren wir fertig und stiegen die Treppen zum großen Saal hinunter.
"Was meint ihr, was mit dieser Überraschung gemeint ist?", fragte Kiki und schien zu überlegen. Irgendwie wunderte es mich nicht, dass ausgerechnet Kiki das Thema zuerst ansprach. So neugierig wie sie, war keine von uns. Coral zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht gibt es ja irgendwelche besonderen Geschenke", schlug sie vor und ihr Gesicht erhellte sich kurz. Ich schüttelte den Kopf.
"Doch nicht bei so vielen Schülern", wiedersprach ich.
"So viele sind es eigentlich gar nicht", erwiderte Cat nur und widmete sich wieder ihren eigenen Gedanken. Heute wirkte sie noch nachdenklicher, als im letzten Monat vor den Ferien, was bestimmt noch immer an Chris lag. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen und Christian auch. Sie hatten mir schon oft geholfen und nun wäre es an der Zeit, ihnen das zurückzugeben, was sie mir gegeben hatten. Nur wie? Christian die Seele eines Geistes zu beschaffen war ja schon schwer genug und Tote zum Leben erwecken, damit Cat Chris endlich wieder in den Armen halten konnte, ging leider auch nicht. Ich gehörte zwar zu den wichtigsten Elementbändigern der Welt, genaugenommen stand ich sogar an der Spitze, trotzdem jedoch würde ich beiden nicht ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen konnte. Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit, sich in einen Geist zu verwandeln, von der niemand wusste. Wenn sich soetwas finden ließ, dann in der geheimen Bibliothek. Allerdings könnte dies das Ende meiner Avatarfähigkeiten bedeuten. Obwohl sie mich ganz schön in Schwierigkeiten brachten und ich deswegen gewisse Pflichten zu erfüllen hatte, würde ich sie niemals freiwillig abgeben. Sie waren jetzt einfach ein Teil von mir.
Wir stiegen die letzten Stufen zum Mamorsaal hinab und Kiki hielt uns die Tür auf. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, ganze Stuhlreihen aufzustellen, damit wir nicht die ganze Zeit über stehen mussten. Außerdem sah es ganz so aus, als hätten die Wände einen sichtbar neuen Anstrich bekommen und man hatte auch den roten, abgenutzten Teppich vom letzten Jahr ausgetauscht, sodass dieser nun breiter und flauschig aussah. Ganz vorn auf dem schwarzen, beleuchteten Podest stand in der Mitte ein hölzernes Rednerpult und dahinter die vier samtenen Sessel, die mir irgendwie auch neu vorkamen. Wir eilten zu den vordersten Stuhlreihen, die für die Obersekunda bestimmt waren und ließen uns dort nider.
"Wow, hätte gar nicht gedacht, dass die Schule sich über die Ferien so um eine neue Gestaltung gekümmert hat", staunte Cat und warf einen Blick in den Mittelgang auf den roten Teppich. Als wir ihn das erste Mal betreten hatten, fühlten wir uns wie Hollywoodstars, die gleich irgendeinen Preis entgegen nehmen würden. Zu dieser Zeit hätte sich das Gefühl nur noch verstärkt, aber ich merkte selbst, dass die Zeit der Träume von Berühmtheit und Ponys vorbei war. Ein Pony hatte ich mir zuletzt vor neun Jahren gewünscht.
"Wahnsinn", stimmte ich meiner Freundin zu, obwohl es sich ein wenig sarkastisch anhörte. Doch Cat ging darauf gar nicht erst ein. Coral reckte derweil ihren Hals, während sie sich über die Stuhllehne beugte, um hinten Ausschau nach ihrem Freund Drew auszuhalten. Er war nicht nur ein guter Feuerbändiger, sondern vor allem auch einer der wenigen Lavabändiger an dieser Schule, was ihm zu einem ungewöhnlichen Phänomen machte, da eigentlich nur Erdbändiger Lava bändigen konnten. Dafür gelang es ihm nicht Blitze zu bändigen.
"Naa, hast du ihn schon gefunden?", wollte Kiki wissen und grinste sie an.
"Nein, ich sehe nur deinen dummen Sebastian", antwortete Coral, ohne Kikis Grinsen groß zu beachten. Empört verschränkte Kiki die Arme vor der Brust.
"Also hör mal, Sebastian und dumm passen so gut zusammen wie Zwiebeln und Erdbeereis. Also gar nicht! Oder hast du etwa vergessen, dass Sebastian Jahrgangsbester ist und dein Drew in Russisch auf einer Vier steht? Ich denke nicht", zog Kiki sie auf. Coral wandte sich um und warf ihr einen An-deiner-Stelle-würde-ich-es-lassen-Blick zu. Schließlich entdeckte sie Drew doch und bewegte die Lippen zu einem Hi. Ich musste darüber irgendwie schmunzeln. Auf jeden Fall hatte sie ihn über die Ferien vermisst. Sie war die einzige von uns viern, die mit ihrem Freund über Whats App kommuniziert hatte. Und in diesem Moment steckte auf einmal erneut ein Kloß in meinem Hals.
Langsam füllten sich auch die letzten Plätze im Saal und Cat drehte weiterhin gedankenverloren eine Haarlocke um den Finger. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie ansprechen sollte, entschied mich jedoch dagegen und überließ sie sich selbst.
Ein paar Minuten später wurde endlich die Tür geöffnet und die Gründer traten ein. Nacheinander schritten sie anmutig über den roten Teppich. Ich musste irgendwie kichern, als ich mir vorstellte, wie man es am Computer in Zeitlupe anschauen würde. Mr Gaster, Mrs Crumber und Mr Corner setzten sich auf einen der vier großen Sessel, welche schon fast Thronen ähnelten und Mrs Chatfield stellte sich vor das Rednerpult. Sie begann mit einem Räuspern.
"Nocheinmal herzlich willkommen zurück an der Elemava Academy! Wir freuen uns sehr euch hier wieder begrüßen zu dürfen und erwarten in den einzelnen Fächern natürlich maximale Erfolge. Vorallem im Bändigerwettkampf, an dem es Pflicht ist, ab dem dritten Jahrgang anzutreten. Die besten Bändiger, sowie auch die klügsten werden am Ende des Jahrgangs selbstverständlich geehrt."
Sie machte eine kurze Pause und ließ ihren Blick wissend über die Menge gleiten. Das mit den besonderen Ehrungen kannte ich schon aus dem letzten Schuljahr. An meiner alten Schule galt ich damals als Streberin. Als ich dann gewechselt war, musste ich mich wahrscheinlich erstmal an die neuen Regeln gewöhnen, weshalb mir ein glanzvoller Start etwas misslang. Deswegen war ich auch nicht wieder Jahrgangsbeste, sondern Jahrgangszweite geworden, was mich innerlich schon ein wenig aufregte. In meinem Jahrgang war Melissa die beste Schülerin und irgendwie hatte ich große Lust, ihr den Titel der Jahrgangsbesten abzunehmen. Und dafür würde ich in diesem Jahr alles geben.
"Jedenfalls möchten wir euch auf die Änderungen des kommenden Schuljahres hinweisen. Beginnen wir mit der Unterprima. Einige von euch haben es bestimmt schon mitbekommen, aber einige der Fächer, die euch in der alten Schule gelehrt wurden, werden nun wieder eingeführt." In den gesamten vorderen Stuhlraunen stöhnten alle, während die Obersekunda in den hinteren Reihen leise vor sich hin feixte, da wir nun auch das gleiche Schicksal wie sie teilen mussten.
"Wir wollten euch nach den ganzen neuen Umstellungen nicht noch zusätzlich belasten und haben die normalen Hauptfächer aus diesem Grund gestrichen. Wir hoffen natürlich, dass ihr euch auch in diesen Fächern so gut ihr könnt anstrengen werdet. Eure Zusatzfächer lauten: Mathe, Biologie, Chemie, Physik, Geographie und die Geschichte der Kreaturen", zählte sie auf. Geschichte der Kreaturen? Okay, das war mir auf jeden Fall neu, hörte sich jedoch spannend an.
"Die neuen Stundenpläne findet ihr nach der Besprechung auf euren Zimmern", fuhr sie fort. Und mit diesen Worten hakte sie den zweiten Jahrgang wohl vorerst ab und schritt zum dritten Jahrgang über, bei dem sie etwas mehr anzukündigen hatte. Neben mir starrte Cat Löcher in die Luft.
"Mathe? Im ernst. Ich weiß wirklich nicht, was ich falsch mache, aber ich kann es nicht. So oft schon habe ich es probiert und bin ständig zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Nämlich das Mathe auf keinen Fall mein Lieblingsfach werden kann, selbst wenn ich es irgendwann verstehen sollte", agitierte sie und schaute mich nun verzweifelt an. Ich wusste nicht so recht, was ich darauf erwidern sollte, denn dass mir Mathe äußerst leicht fiel, wollte sie bestimmt nicht hören. Hätte ich nicht selbst so viel mit meinem neuen Avatartraining zu tun, welches mir Mrs Chatfield auch noch an den Wochenenden angehängt hatte, würde ich ihr Nachhilfestunden anbieten oder versuchen, ihr die Formeln sonst irgendwie beizubringen. Aber in diesem Fall fiel mir nicht wirklich eine Lösung ein. Wobei... eigentlich gab es eine. Leider hatte sie jedoch mit Schummeln zu tun und ich wusste nicht, ob Cat das wirklich tun wollte. Dabei würde sie nämlich nie etwas lernen. In den Büchern unserer alten Bibliothek standen sämtliche Lösungen von Klassenarbeiten und Tests. Wir brauchten theoretisch nur alles auswendig zu lernen und das Gemerkte im Test aufzuschreiben. Bisher war ich zu jedem Test gut vorbereitet gewesen und das würde sich in Zukunft hoffentlich nicht ändern. Ich verwendete die Lösungen nicht, aber ich hatte keine Ahnung wie es mit den anderen aussah. Würden sie absichtlich schummeln?
"Cat, du kannst dir doch gar nicht sicher sein, dass dir die Themenbereiche der Mathematik in diesem Schuljahr so schwer fallen. Vielleicht behandeln wir ja auch etwas ganz anderes, als du erwartest. Ich habe gehört, in diesem Schuljahr kommen als dritter Themenbereich die optischen Täuschungen dran", erzählte ich und zwinkerte sie zu. Sie schien nicht so ganz überzeugt zu sein.
"Komm schon! Die optischen Täuschungen sind sogar Stoff der neunten Klasse. Dann wirst du es jetzt doch sicher erst recht überstehen!" Meine Freundin biss sich auf die Unterlippe.
"Ach, ich weiß nicht. Es ist Mathe! Auf meiner alten Schule habe ich mir auf dem Zeugnis eine Vier in Mathe eingefangen und davon waren meine Eltern überhaupt nicht begeistert. Deshalb haben sie mich hier her geschickt", geriet sie in Bedenken. Ich seufzte nur darüber.
"Sicher haben die Gründer deine Noten etwas ins Negative gerückt, damit du die Schule wechselst. Wir hatten schließlich alle unsere Gründe. Also Kopf hoch, sonst fällt noch die Krone herunter", schob ich hinterher. Cat versuchte sich an einem Lächeln und umarmte mich freundschaftlich.
"Auch wenn du es selbst nicht glaubst, du weißt einfach am besten was mir im Moment gut tut. Vielen Dank, dass du mir immer zur Seite stehst", antwortete sie leise. Plötzlich erstarb das Lächeln auf meinen Lippen. Kälte breitete sich in meinem Körper aus und mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Es war nicht Cats Schuld, sondern meine. Denn gerade erinnerte sie mich tatsächlich an mich selbst, wie ich in den Armen von Christian lag, der mir immer zur Seite gestanden hatte. Der Gedanke an ihn versetzte mir einen Stich ins Herz. Meinetwegen saß er in der Zwischenwelt fest. Ich sollte jetzt tot sein, nicht er. Er hatte das nicht verdient, nach allem was er noch für mich getan hatte und ich wusste ganz genau, dass ich ihn nicht mehr lange in der realen Welt festhalten konnte.
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