2. Abschied

Das Halbjahr kroch elend langsam an mir vorbei. In der Cafeteria saß ich jetzt nur noch allein an einem Tisch und immer, wenn die Footballmannschaft vorbeikam, fing das dröhnende Gelächter wieder an. Selbst der letzte Tag des Schuljahres endete schlimm. Casper hatte mein Einserzeugnis in ein Jungenwaschbecken geworfen und ein Foto gemacht, wie ich in die Jungentoilette ging, um es zurück zubekommen. Die Bildunterschrift lautete: „Seht mal wer hier die Toiletten vertauscht! Und wir dachten immer Streber könnten lesen."

Ich hatte meinen Eltern längst von allem erzählt und sie hatten mir zugestimmt, dass ich nächstes Jahr die Schule wechseln würde. Nur hatten die beiden nicht wirklich Zeit für mich und weil sie sogar in den Ferien arbeiteten, war ich die meiste Zeit allein zu Hause. Ohne Freundin, ohne irgendjemanden, dem ich mein Herz ausschütten könnte.

Meine Mutter hatte deshalb gemeint, ich solle auf ein Internat ziehen, aber das war mir nur recht, solange es da irgendwen gab, mit dem ich mich anfreunden konnte. Andere Kinder würden sicherlich nicht so ruhig reagieren, wenn ihre Eltern ihnen ein Internat aufdrängen würden.

Mum durchsuchte also das Internet und entdeckte tatsächlich ein Internat. Seltsamerweise wurde der erste Jahrgang nur von 14- oder 15-jährigen Schülern besucht und darunter gab es keine Klassen mehr, als würde ich das nächste Schuljahr tatsächlich an einer gewöhnlichen High School verbringen. Wirklich seltsam, aber mein Vater stimmte dafür und meine Mutter ebenfalls. Also war es nun entschieden.

Einen Tag vor der Anreise zum Internat packte ich meinen Koffer. Ich bekam extra den Großen um alle Sachen mitzunehmen, die ich mitnehmen wollte. Darunter, eigentlich fast nur Bücher, ein paar Klamotten und wenige Beschäftigungen, wobei ich hoffte, dass ich sie nicht zu oft benötigte, damit ich mehr Zeit mit den anderen verbringen konnte.

~*******~

Einen Tag danach stieg ich in Mamas Auto und meine Eltern und ich fuhren ab. Ich wusste nicht, was mich auf der neuen Schule erwartete. Ich hatte nur auf der Website des Internats ein Foto gesehen und leider auch, dass sie zum Trainieren ein riesiges Wasserbecken benutzten. Das beruhigte mich überhaupt nicht.

„Wo ist dieses Internat eigentlich?", wollte ich wissen und beugte mich auf der Rückbank des Autos nach vorne. Mum, die am Steuer saß, wirkte so entspannt wie noch nie, als wäre sie froh, mich endlich loszuwerden.

„Keine Ahnung Schätzchen, wir lassen dich einfach am Bahnhof raus und du fährst allein mit dem Bus weiter. Das machen wohl alle Schüler so. Da stand irgendwo, dass wir dich nicht direkt vor der Schule rauslassen können, aber wen kümmert das schon?", antwortete Mum beruhigt. Himmel, das nervte mich an meiner Mutter. Sie machte sich keine Gedanken darüber, ob ich auch wirklich ankam oder irgendwo während der Reise stecken blieb.

„Aber Mum, weißt du denn wo du hin fährst?", wiedersprach ich also.

„Madline, ich muss mich auf der Autobahn konzentrieren, rede doch in der Zwischenzeit mit deinem Vater, wenn du willst", meinte sie ruhig.
Wir fuhren gerade die Autobahnauffahrt hoch. Oben angekommen trat Mum kräftig aufs Gaspedal. Ich warf einen Blick zu Dad und wollte gerade eine neue Unterhaltung anfangen, als ich sah, dass er sich den Straßenatlas anschaute. Na wenigstens einer, der hier den Überblick behielt.

Ich lehnte mich wieder zurück in das weiche Sitzpolster, steckte mir meine MP3-Playerstöpsel in die Ohren, hörte die ganze Zeit über auf der Fahrt Musik und warf immer wieder Blicke aus dem Fenster. Die Landschaft flog nur so an uns vorbei und während das so weiter ging, schlief ich schließlich ein.

Später rüttelte mich dann jemand an den Schultern. Zögernd blinzelte ich. Mum! Sie hatte das Auto auf dem Parkplatz der Bahnhofsstation geparkt, war ausgestiegen und hatte mich so eben geweckt, indem sie mir die Stöpsel des MP3-Players aus den Ohren genommen hatte.

Ich quälte mich langsam aus dem Sitz hoch und stieg aus. Dad öffnete mir den Kofferraum und ich schnappte mir meinen vollbeladenen Koffer.

„Da hinten steht schon dein Bus, bestimmt kannst du dich schon reinsetzen." Dad deutete auf einen Bus, indem wohl bis jetzt nur ein Zeitung lesender Busfahrer saß. Offensichtlich waren wir viel zu früh am Bahnhof angekommen, was meine Eltern anscheinend wenig kümmerte. Je eher sie mich ablieferten, umso eher konnten sie es sich zuhause gemütlich machten.

„Und dieses Blatt zeigst du bitte dem Busfahrer, okay? Sonst weiß er nicht, ob du wirklich Schülerin des Internats bist." Seufzend nahm ich es entgegen und lächelte meine Eltern so gut an, wie es mir in der jetzigen Situation möglich war, auch wenn es mich total nervte, dass sie mich noch immer wie eine Fünfjährige behandelten. Als ob ich nicht selbstständig genug wäre.

Meine Eltern setzten ebenfalls ein Lächeln auf und zum Schluss umarmten wir uns noch einmal als Familie und verabschiedeten uns. Zum Glück war der Abschied kurz, sonst hätte ich doch noch angefangen Tränen zu vergießen.

Nach der Umarmung wandte ich mich ab und machte ein paar Schritte auf den Bus zu. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich blickte ein letztes Mal hinter mich und erblickte das silberne, davonfahrende Auto, welches gerade um eine Ecke bog. Ich war auf mich allein gestellt. Bestimmt würden sie mich auf dem Internat genauso hassen, wie auf der Schule zuvor.

Ich schluckte, drehte mich wieder um und lief, den Koffer hinter mir her ziehend auf den Buseingang zu, das Blatt Papier bereithaltend. Die Tür stand schon offen, weshalb ich einfach eintrat und den Busfahrer mit einem leisen "Hallo" begrüßte, während ich ihm den Infozettel unter die Nase hielt. Dieser nickte und ich suchte mir hinten einen Platz am Fenster. Immerhin hatte ich freie Auswahl. Außer mir saß hier noch kein anderer Schüler. Zweifellos war ich zu früh dran, also schnappte ich mir mein Buch aus der Handtasche, die Mum mir für die Reise geliehen hatte.

Nach einer Weile füllte sich der Bus bis es im Inneren so voll war, dass viele schon stehen mussten. Auf der Internetseite hatte zwar gestanden, dass der Bus an zwei Tagen immer im Abstand von einer Stunde fahren würde, aber irgendwie hatten sie sich alle diese Uhrzeit ausgesucht. Vielleicht fuhren aber auch immer so viele mit. Unter normalen Umständen hätte mich ein voller Bus ziemlich gestört. In diesem Fall konnte ich das jedoch zu meinem Vorteil nutzen. Ich hatte meine Tasche extra auf den Sitz neben mich gestellt, damit mich jemand fragen konnte ob er sich hinsetzen konnte. So wollte ich erreichen, dass ich mich schon mal mit jemandem bekannt machte. Und der Plan schien sogar zu funktionieren.

„Ähm hi, darf ich mich zu dir setzen?", fragte ein Mädchen, das sich zu mir durch die stehende Schülermenge gequetscht hatte und einen noch größeren Koffer, als ich mit sich schleppte. "Ich bin neu hier und kenne dieses Internat noch nicht so gut.. Falls du dich schon auskennst, könntest du mir irgendwas über das Internat er-..."

„Nein", unterbrach ich das Mädchen etwas zu grob, doch ich fing mich wieder. „Ich bin auch neu, setz dich ruhig." Ich nahm meine Tasche vom Sitz und machte ihr Platz, wobei einige der stehenden Schüler beinahe beleidigt auf den nun besetzten Sitzplatz glotzten, als ob sie selbst nicht die Chance gehabt hätten, danach zu fragen. „Ich heiße Madline."

„Mein Name ist Cathrine, aber wenn du willst, kannst du mich Cat nennen", stellte sie sich freundlich vor. Ich lächelte sie an.

„Wenn du auch neu bist, kommen wir vielleicht in eine Klasse", hoffte ich. Cat strahlte.

„Ja, ich habe es nicht so mit neuen Freundschaften, da wäre es gut schon mal jemanden hier zu kennen", erwiderte sie strahlend. Cat war mir sofort sympathisch.

„Ehrlich? Ich auch nicht", sagte ich und wir beide lachten. In diesem Moment fuhr der Bus auch schon los und es wurde augenblicklich lauter, was den Busfahrer anscheinend überhaupt nicht nervte. Im Gegenteil, er trug Kopfhörer auf den Ohren. Wahrscheinlich war er dieses Gebrüll schon längst gewohnt.

„Hast du Geschwister?", fragte mich Cat, als wir schon mindestens die Hälfte der Strecke geschafft haben mussten und ich antwortete ihr mit: „Nein." Und sie zum abertausendsten Mal mit: „Ich auch nicht." Wir ähnelten uns wirklich.

Ehe wir uns versahen, waren wir auch schon angekommen. Wie schnell die Zeit verging. Cat und ich hatten nur geredet und gelacht und mittlerweile konnte man uns bestimmt schon als Freundinnen bezeichnen. Meine „erste" richtige Freundin.

Der Busfahrer sprach in sein Megafon: „Liebe Schüler der Elemava Akademy, wir sind angekommen. Nehmt eure Koffer bitte vorsichtig von der Ablage! Es ist schon mal passiert, dass er jemandem auf einen Kopf gefallen ist. Da mussten wir erst mal Heilmagie anwenden. Also seid bitte vorsichtig! Ich wünsche euch einen angenehmen Aufenthalt." Als er endete sahen Cat und ich uns verwundert an, da lachten wir auch schon los.

„Heilmagie? Was sich der Busfahrer für Scherze ausdenkt. Kurz dachte ich, der meint das mit der Heilmagie ernst. Der hat wohl zu viele Filme gesehen", prustete Cat. Ich stimmte ihr zu.

„Und der Name erst: Elemava Akademy. Wer darauf wohl gekommen ist?", kicherte ich.

Wir standen auf und reihten uns in die lange Schülerkette ein. Aufgrund der Ansage versuchten alle ihren Koffer vorsichtig von der Ablage zu hieven. Ich hatte meinen Koffer relativ schnell befreit und holte daher auch Cats Koffer nach unten.

Wir schoben uns nach draußen und folgten den größeren Schülern. Das Staunen war sichtlich groß, als wir die Schule sahen.
„Wow", stießen Cat und ich gleichzeitig aus, was kein Stück übertrieben schien.

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