Kapitel 47 - Moment der Wahrheit I
Als Maila Berk erreichte, dämmerte es bereits. Die rote Abendsonne glitzerte auf der Wasseroberfläche und erleuchtete das abendliche, träge Treiben auf der Insel. Es war nicht mehr viel los, dafür brannten allerdings umso mehr Lichter in den Häusern. Maila erleichterte das, denn sie traute sich ohnehin nicht zu nahe heran.
Mia hatte davon geredet, dass die Reiter zurück nach Berk aufgebrochen wären, auch wenn sie das bezweifelte. Dennoch war sie auf ihrem Weg zur Schule vorbeigekommen, nur um sicher zu gehen. Also lagen sie nun auf einem Felsen abseits der Insel und Maila spähte mit einem Vergrößerungsglas zur Siedlung hinüber, während die Drachen aufmerksam die Gegend überwachten. Feuerschwinge hatten sie schon etwas weiter zuvor warten lassen, da man den großen Taifumerang selbst aus dem hintersten Winkel der Insel noch sehen würde. Dennoch war Maila nervös. Und das nicht nur wegen der bevorstehenden Nacht in der Schule.
"Siehst du etwas?" murmelte sie Ohnezahn zu und auch er wandte seinen Blick hinüber zu seinem Heimatdorf. Sein Blick war bei weitem nicht mehr so traurig, wie er es in den vergangenen Wochen gewesen war. Er peitschte schon den ganzen Tag voller Vorfreude mit dem Schwanz hin und her und auch jetzt konnte er kaum stillhalten. Maila musste bei dem Anblick lächeln. Auch Mondblüte trat aufgeregt von einer Pfote auf die andere, doch beide signalisierten ihr, dass sie die Reiter ebenfalls nicht entdecken konnten.
Seufzend setzte sie sich auf und klopfte den Sand von sich. "Also war es doch eine falsche Fährte, ich hätte Mia wirklich nicht vertrauen dürfen", knurrte sie, doch ihre Partnerin summte nur besänftigend und rieb ihren Kopf an Mailas Hand. "Hast ja Recht Süße, einen Versuch war es wert. Lasst und aufbrechen, um -"
Plötzlich fuhr Ohnezahn herum und spitze die Ohren. Er knurrte warnend und auch Maila ließ ihren Blick über den Horizont wandern. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie verfluchte sich innerlich. "Nichts wie weg hier", murmelte sie und wollte sich gerade zu Mondblüte herumdrehten, als ein gezielter Schuss an ihr vorbeiraste. Sie rollte sich instinktiv weg, wurde so aber von ihrem Drachen getrennt. Und bevor sie Ohnezahn erreichen konnte landete das Rumpelhorn bereits vor ihr auf dem Felsen und schnaubte zornig.
"Keine falschen Bewegungen!" rief sein Reiter und Maila erkannte Erets Stimme sofort. Er sprang ab und zog sein Schwert. Locker drehte er sein Handgelenk und schwang seine Waffe. Durch seine Flugmaske konnte sie seine Augen funkeln sehen. "Der berühmte Drachenbezwinger!" rief er und kam auf sie zu, "Ich hatte gehofft, das wir uns eines Tages begegnen!"
Noch bevor Maila reagieren konnte, sprangen die Nachtschatten wieder vor sie und fauchten. Schildebrecher war zwar langsamer als sie, ließ sich aber nicht einschüchtern. Er brüllte auf und warf den Kopf herum, während Maila fieberhaft nachdachte. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft panisch an ihre Rippen und ihre Gedanken waren wie betäubt. Sie würden nicht rechtzeitig verschwinden können und sie merkte bereits, wie die Siedlung auf sie aufmerksam wurde. Kämpfen war aber auch keine Option und das sah sie ihren Partnern ebenfalls an. Also blieb ihr nur eines übrig.
"Aufhören!" rief sie und sofort sahen sie alle verdutzt an. Die Nachtschatten reagierten, ließen zögerlich die Flügel sinken und traten einen Schritt zurück, während ihre Gegner noch immer in Angriffsposition verweilten. "Keine Spielchen sagte ich!" rief Eret, auch wenn er nun verunsichert klang, "Was auch immer du hier willst, ich würde dir raten dich fernzuhalten! Ich werde nicht zulassen, dass Berk irgendetwas passiert!" - "Keine Sorge", rief Maila und hob abwehrend die Hände.
Perplex ließ er nun das Schwert sinken und auch Schildebrecher legte den Kopf schief. "Was wird das?" fragte Eret misstrauisch, während Maila sich überlegte, was sie genau sagen sollte. "Ich bin nicht hier um euch anzugreifen, ich suche nach Hicks und den Reitern - Mit friedlichen Absichten", ergänzte sie schnell und Eret verfestigte den Griff um sein Schwert wieder. Er kniff skeptisch die Augen zusammen. "Sie sind aber nicht hier nehme ich an?" fragte Maila und ihr Gegner trat noch einen Schritt zurück. "Du - deine Stimme kommt mir bekannt vor", murmelte er und sie nickte zustimmend. "Ja richtig, deswegen bin ich auf der Suche nach den Reitern", erklärte sie weiter und zog langsam die Kapuze ab, ohne den Anschein böser Absichten zu vermitteln. "Ich brauche ihre Hilfe." - "Maila?!" Jetzt weiteten sich Erets Augen und das Schwert fiel klappernd auf den Boden.
"Wie um alles in der Welt hast du es geschafft - ?!" "Es ist eine lange Geschichte", unterbrach sie ihn und hob besänftigend die Hände, während auch er seine Maske abzog. "Ich muss so unglaublich viel erklären, aber ich habe Zeitdruck - wo ist Hicks?" fragte sie erneut und Eret nickte schnell. "Sie sind in der Schule... aber ich hätte trotzdem gerne eine Erklärung - warum spioniert ihr die Insel aus, warum hast du nicht gleich nach ihnen gefragt? Und wie bist du überhaupt frei gekommen? Und warum erst jetzt? Hat es etwas mit dem Angriff auf Viggos Schiff zu tun?" - "Moment, wie viel wisst ihr von dem Angriff?" fragte sie und Misstrauen flackerte in seinen Augen auf. "Heidrun war hier, zusammen mit Fischbein, das ist noch nicht lange her. Sie haben eine Menge Nachforschungen betrieben und von Hicks Plan erzählt, warum genau willst du also zu Hicks?"
Die Skepsis in seiner Stimme wurde immer deutlicher und er spannte sich merklich an, während Maila sich auf die Zunge bis. Diese Reaktion hätte sie erwarten müssen. Und eigentlich wollte sie nur so schnell wie möglich weg von hier. "Das ist eine lange Geschichte...", wich sie also aus, doch Eret verschränkte nur die Arme vor der Brust. "Wir haben Zeit", erwiderte er trocken und Schildebrecher bestätigte das mit einem Schnauben. Sie würden sie nicht gehen lassen.
Also sah Maila ein letztes Mal verzweifelt zwischen ihnen hin und her, holte dann aber zitternd Luft und erzählt ihm die ganze Geschichte. Welche andere Wahl hatte sie auch? Sie hatte sich geschworen, aufrichtig zu bleiben. Und das war sie, sie erzählte Eret alles. Wie Viggo sie von der Wahrheit überzeugen konnte, von dem Ausbruch, ihren gemeinsamen Planungen, von all den Problemen, die sich ihnen gestellt hatten und ihrem Konflikt mit den Reitern. Ihren Plan vertraute sie ihm nur teilweise an und dass Viggo ihr Vater war, ließ sie ebenfalls weg, denn dazu konnte sie sich noch nicht bewegen. Doch sie sah es als eine Art Übung, bevor sie zu den Reitern gehen würde. Mit jedem Wort fiel es ihr leichter, immerhin hatte sie sich mental seit Wochen darauf vorbereitet. Erets Mine verdüsterte sich mit jedem weiteren Satz, doch in seinen Augen sah sie keinen Zorn und das nahm ihr ein so großes Gewicht von den Schultern, als hätte sie zuvor den gesamten Himmel getragen.
"Ich verstehe", murmelte er, als sie geendet hatte und verschränkte die Arme vor der Brust. "Es tut mir aufrichtig leid, Maila. Das tut es wirklich. Aber noch größer sind meine Sorgen. Was du da erzählst kommt mir alles sehr bekannt vor... immerhin habe ich lange unter Drago gedient." Er verzog das Gesicht, als hätte er auf etwas sehr bitteres gebissen. Maila aber nickte nur dankbar. Sie kannte Eret kaum, wenige Male nur hatte sie ihn aus der Ferne gesehen, doch seine Unterstützung bedeutete ihr in diesem Moment alles. Hicks vertraute ihm sehr und deswegen tat sie das auch. Sie entspannte ihre Schultern und merkte auch, wie die Kälte in ihrem Inneren zurückgetrieben wurde.
"Neo..." setzte er gerade an und unterbrach sich. Seine Augen verdunkelten sich noch mehr. "Ich kenne ihn... Das selbe habe ich Fischbein schon erzählt. Er wurde erst unter Drago so... so wie er heute ist. Früher -" Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf, während Maila die Stirn runzelte. Ein seltsames Funkeln lag in Erets Augen. "Wie auch immer, ich gebe dir recht, du musst dich beeilen. Neo ist nicht zu unterschätzen, er ist wahrlich wahnsinnig. Und ich bin mir sicher, dass er einen Plan hat. Wenn wir Viggo rechtzeitig einholen können, haben wir eine Chance, aber das ist nicht meine Entscheidung. Ich werde mich nach Hicks richten." Er senkte den Kopf und lächelte aufmunternd. "Gute Reise, Maila, Prinzessin der Beschützer, und viel Glück."
Damit entließ er sie wohl und sie nickte ihm ebenfalls dankbar zu. Sie zog ihre Kapuze wieder über, stieg in den Sattel und schwang sich wieder in den Himmel. Ihr Herz klopfte noch immer wie verrückt und ihre Hände zitterten, doch nun fühlte sie sich endlich gewappnet für die Schule.
~*~
Hicks hatte sich gerade Fischbeins Bericht angehört, als Mia auf den Dorfplatz gestolpert kam. Unmittelbar zuvor waren alle Drachen um sie herum aufgesprungen und hatten knurrend auf die Bäume gedeutet, doch Hicks hatte sie zurückgehalten. Vage hatte er den Umriss eines Glattstreichers ausmachen können und sobald Mia aus dem Wald getreten war, hatte er auch sie erkannt. Ihre roten Locken waren durchnässt und auch von ihren Klamotten tropfte das Wasser. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass sie humpelte. Sie presste eine Hand auf ihre Seite und auch ihr Drache wirkte erschöpft.
"Mia?!" rief Hicks alarmiert und rannte auf sie zu. Er konnte sie gerade noch erreichen, bevor ihre Beine nachgaben und stützte sie vorsichtig. Auch ihr Drache sank zu Boden und Hicks warf Fischbein einen vielsagenden Blick zu. Dieser machte sich sofort auf den Weg und kam wenig später mit Decken, Kräutern und der gesamten Schülerschar zurück.
"Danke Hicks", murmelte Mia gerade und lehnte sich an ihren Glattstreicher, "Ich habe Neuigkeiten für euch, ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Dank Schimmerschuppes Schallgeschwindigkeitsschwimmen haben wir es so schnell geschafft, aber das ist sehr anstrengend für ihn." Hicks sah zu dem Glattstreicher auf, der sie alle misstrauisch aus seinen müden Augen musterte. Fischbein bat ihm eine Hand voll Kräuter und einen Fisch an, was er auf Mias Nicken hin zögerlich annahm. Das Oberhaupt aber versuchte noch seine Gedanken zu sortieren. Er hatte duzende Fragen. Auch seine Schüler sahen ungeduldig zwischen ihm und ihrer geschundenen Mitschülerin hin und her, doch sie hielten sich zurück, bis Erik es nicht mehr aushielt. "Was ist dir nur passiert? Geht es dir gut?"
"Ja - alles okay. Einfach erschöpft", antwortete sie und setzte sich noch etwas auf, "Aber zumindest sind wir jetzt frei. Es gibt wirklich viel zu erzählen." Hicks nickte und musterte sie aufmerksam. "Ich habt es also geschafft?" fragte er und auch die Schüler begannen durcheinander zu reden. "Was hast du in Erfahrung gebracht?" - "Haben sie dir etwas getan?" - "Greifen sie wieder an?" - "Was haben sie vor?" - "Hast du mit Viggo geredet?" - "Wie bist du freigekommen?" - "Hast du Maila gesehen?" - "Wie geht es ihr?"
Inzwischen waren auch die anderen Reiter zu ihnen gestoßen und Hicks hob besänftigend die Hände. "Immer mit der Ruhe, wir haben viel zu besprechen - lasst uns doch von vorne anfangen und am besten nach drinnen gehen. Grobian kann sich um deinen Drachen kümmern, während du dich drinnen etwas erholst." Mia schüttelte nur eilig den Kopf. "Ich bin dankbar für das Angebot, aber ich bleibe lieber bei ihm", sie strich ihrem Drachen über den Hals und Hicks nickte verständnisvoll. So setzten sie sich zu ihr auf den gepflasterten Boden, während die Abendsonne hinter den Baumkronen versank. Der Wind fuhr durch den Wald und ließ Blätter über den Dorfplatz wirbeln. Er wirkte so unruhig, als würde die Stimmung der Wikinger auf ihn abfärben.
"Also...", begann das Oberhaupt schließlich und sah zu seiner ehemaligen Schülerin auf, "Hat alles funktioniert? Bist du auf das Schiff gekommen?" - "Ja, das ist alles glattgelaufen", begann Mia zu erzählen. Sie atmete tief durch, "Genau wie deine Quelle es gesagt hatte, waren Piraten da und ich habe Viggos Leuten damit geholfen sie abzuwehren. Das Schiff wurde dann in die Begleitung der Sif geholt und ja ich habe Viggo getroffen, er war zunächst etwas misstrauisch, hat sich aber dankbar gezeigt." Sie sah zum Himmel hinauf und zögerte kurz. "Er war - naja neutral würde ich sagen. Ich wurde bewacht, durfte aber einen Tag bleiben, bevor ich weitergezogen bin."
Hicks nickte schnell. "Das ist gut." Er seufzte erleichtert. Zu hören, dass sie sich nicht ihn Gefahr befunden hatte, nahm ihm ein großes Gewicht von den Schultern. Er hatte nie einen seiner Schüler auf die Sif schicken wollen und als Erik Mia vorgeschlagen hatte, war ihm das auch nicht ganz recht gewesen. Er wollte sie ebenso wenig in Gefahr bringen und hatte darüber hinaus das Gefühl gehabt, sie auszunutzen. Allerdings hatte er keine andere Wahl gehabt und sich dann etwas überlegt, wie er sie einschleusen könnte, ohne Viggo einen Grund zu geben, sie gefangen zu halten. Durch die Abwehr eines Piratenangriffes, in seiner Schuld zu stehen schien ihm die beste Möglichkeit zu sein und es hatte anscheinend auch funktioniert.
Dennoch sah er beunruhigt in die Runde. "Was hast du also in Erfahrung gebracht?" fragte er die wichtigste Frage und auch die anderen wurden unruhig. Aufgeregt rutschten sie auf ihren Plätzen hin und her, zerbrachen kleine Zweige und warfen sich nervöse Blicke zu. Mias Gesichtsausdruck verdunkelte sich. "Das wir euch gar nicht gefallen. Ich weiß auch gar nicht, wie ich es euch am besten sagen soll." Unbehagen legte sich über die Gruppe und auch Hicks Herz wurde schwer wie Blei.
"Ich habe Maila gesehen und - es geht ihr gut", begann Mia vorsichtig, "Auch den Drachen geht es gut, sie alle dürfen sich auch frei bewegen..." - "Aber?" fragten Fiona und Nico sofort, wie aus einem Mund. Ihre Augen funkelten aufgewühlt und sie hielten sich unterstützend am Arm. "Aber ich habe mit einigen Wachen geredet und - und ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Maila hat euch verraten", Mia holte zitternd Luft, während die anderen Schüler aufsprangen und protestierten. Sie schrien alle durcheinander und Hicks gab sein bestes sie aufzuhalten. "Ruhe bitte, beruhigt euch! Wir sollten uns erst einmal anhören, was Mia damit meint", beschloss er, doch er hörte sich nicht so zuversichtlich an, wie er gewollt hatte. Auch ihm schnürte sich die Kehle zu und seine Hände zitterten.
"Bitte, Mia, erklär uns was du meinst", forderte er und das Mädchen nickte verunsichert. "Die Wachen sprechen davon, dass Viggo sich dem anderen General - äh..." - " Neo?" - "Ja genau - widersetzen will. Er will die alleinige Kontrolle über die Flotte. Und anscheinend arbeiten sie an einer Falle für die euch, sie wollen Berk vernichten und folgen Dragos Idealen -" "Nicht Maila!", rief Fiona ein und ihre Augen loderten, als würde sie jeden, der etwas anderes behauptete, eigenhändig vom Rand der Welt schubsen. Die anderen Schüler nickten zustimmend. Doch Hicks sah den Schock in ihren Gesichtern. Er sah, dass sie seine Furcht, dass dies die Wahrheit sein könnte, teilten. Sie versuchten sich genau wie er mit aller Kraft dagegen zu wehren und Mias Worten keinen Glauben zu schenken. Ihr Vertrauen in Maila und all die Zeit des Kampfes in Frage zu stellen war zu schmerzhaft, um sich dem zu stellen.
"Ich weiß es nicht", versuche Mia es verzweifelt. Sie wirkte noch aufgewühlter, als er selbst, "Ich kann nur weitergeben, was ich gehört habe. Die Wachen sprechen davon, dass Maila es war, die Viggo befreit hat und -" "Nein er hat sie entführt!" protestierten die Schüler sofort, doch diesmal sprach Mia einfach weiter "Und - dass sie sich ihnen daraufhin angeschlossen hat. Sie arbeiten zusammen. Sie ist bei allen Planungsgesprächen dabei", wieder setzen die Schüler zum Protest an, doch Mia war schneller, "Sie hat einen Generalsrang!" Das brachte nun sogar Nico und Fiona zum Schweigen. Entsetzt sahen sie sich an und Mia seufzte. "Ich wollte es ja auch nicht glauben. Aber ich habe gehört wie sie mit den Wachen umgegangen ist. So spricht niemand, der gefangen gehalten wird. Sie läuft in voller Rüstung, bewaffnet und mit beiden Nachtschatten herum. Ich habe gesehen, wie sie mit den Drachen trainiert hat, sie befehligt mindestens zweihundert und - und ich habe gehört, wie die Wachen sie auch mit Drachenbezwinger ansprechen."
Ein entsetztes Raunen ging durch die Menge. Hicks sah Schock, Horror und Entsetzen in den Augen seiner Reiter. Er wusste, dass sie das so sehr abstreiten und verleugnen wollten, wie er, doch niemand schien noch etwas erwidern zu können. Die Lage war plötzlich so erdrückend, dass Hicks das Gefühl hatte, Watte einzuatmen. Drei furchtbare Minuten sahen sie einfach alle erschüttert zu Boden, bis Nico plötzlich mit den Schultern zuckte. "Sie wird erpresst", verkündete er und sah hoffnungsvoll in die Runde. "Ja, sie kann uns nicht verraten haben, sie arbeitet bestimmt insgeheim gegen Viggo", schloss Fiona sich ihm an, die beiden sahen einander ins Gesicht und nickten eilig. "Genau, sie hat ihre Reihen infiltriert." - "Sie muss sich anpassen, um nicht aufzufallen." - "Sie würde uns niemals verraten!"
Damit brach wieder eine gewaltige Diskussion aus. Alle sprangen auf und schrien durcheinander. Sie machten Theorien, wollten mehr Details von Mia hören und Hicks hatte das Gefühl, dass sie kurz davor waren Viggo noch heute Abend eigenhändig erwürgen zu wollen.
So bemerkte niemand die beiden Nachtschatten, die lautlos über sie hinwegzogen. Unbemerkt landeten sie oberhalb der Felsklippe und suchten Schutz hinter ein paar Kiefern.
~*~
Maila sprang ab und spähte vorsichtig zum Dorfplatz hinunter. Sie hatte geplant, direkt in der Siedlung zu landen, anstatt auf der Insel herumzuschleichen. Immerhin hatte sie sich Ehrlichkeit und Offenheit vorgenommen. Doch als sie die Versammlung auf dem Dorfplatz entdeckt hatte, waren ihr Zweifel gekommen. Ohne überhaupt näher kommen zu müssen, hatte sie gespürt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zu ging. Und als sie nun durch ihr Vergrößerungsglas hinabsah wurde dieses Gefühl nur bestätigt. Die Reiter waren so aufgebracht, wie Maila es noch nie erlebt hatte. Sie waren beunruhigt und verängstigt, ja sogar wütend und so zornig, dass sie sich nicht ausmalen konnte, worüber sie dort stritten.
Allerdings kam ihr ein Verdacht, als sie schließlich Mia in ihrer Mitte erkannte. Zähneknirschend packte sie das Vergrößerungsglas weg und drehte sich zu den Drachen herum. "Was macht die den hier? Und wie ist sie vor uns hier angekommen?" Doch die beiden wussten auch keine Antwort. Maila hatte sich darauf vorbereitet heute Abend mit den Reitern zu reden und ihnen endlich alles zu offenbaren. Bei dem Gedanken daran schlug ihr Herz wieder unkontrolliert schnell und ihre Furcht vernebelte ihre Gedanken. Sie konnte sich auf nichts anderes konzentrieren, geschweige den die Lage richtig erfassen.
Das Mia hier war beunruhigte sie. Sie hatte sie immerhin persönlich weit genug weggebracht. Selbst mit ihrem Abstecher nach Berk hätte ein Nachtschatten schneller sein müssen. Warum gab sie sich nur so eine Mühe ihr in die Quere zu kommen? Sie hatte Maila gegenüber steif und fest behauptet, sie wäre unabhängig durch die Welt gezogen. Warum würde sie also auf direktem Weg zu den Reitern fliegen? Würden sie zusammenarbeiten, hätte sie es ihr doch sicherlich auf der Sif erzählt... Doch auf der anderen Seite sollte es keine Rolle spielen. Sie wusste, dass Mia sorgfältig von ihrem Vater geprüft worden war. Sie war im dunklen gehalten worden und sie konnte ihrem Plan eigentlich nicht in die Quere kommen. Aber dennoch war sie hier.
Maila hätte am liebsten schreien mögen. Noch nie hatte sie ihre Freunde so aufgewühlt gesehen und die unbegründete Angst, dass Mia ihnen etwas erzählt haben könnte, machte sie wahnsinnig. All ihre mentale Vorbereitung war vergessen. Auf einmal war sie so verunsichert, dass sie sich am liebsten umgedreht hätte und wieder nach Hause geflogen wäre. Sie kam hier ohnehin nicht weiter. Soeben beobachtete sie, wie die Reiter sich zerstreuten und in alle Richtungen davonliefen. Ihre Chance war verflogen.
Und das schlimmste an der Sache? Mia war in Tränen aufgebrochen und Nico, der sie davor noch so zornig angesehen hatte, legte nun den Arm um sie. Gemeinsam mit Erik verschwanden sie im Haupthaus, während Fiona und Igor begannen Äxte gegen die Wände der Waffenkammer zu werfen. Hicks war davon gestürmt, Astrid und Fischbein hinter ihm her. Auch der Rest der Bewohner hatte sich zurückgezogen.
Für einen Moment überlegte Maila, ob sie Hicks folgen sollte. Oder sich vielleicht Fiona offenbaren. Vielleicht wäre ihr das sogar lieber, als von der gesamten Gruppe konfrontiert zu werden. Doch als sie zu Fiona und Igor hinuntersah spürte sie wieder die eisige Klaue, die sich um ihr Herz legte. Irgendwas war soeben passiert. Und ihr Bauchgefühl sagt ihr, dass es keine gute Idee war, sich ihnen heute zu nähern. Besser wäre es noch, wenn Mia nicht mehr bei ihnen wäre.
Da kochte auf einmal eine furchtbare Wut in ihr Hoch und sie war kurz davor doch noch hinunter zu stürmen und Mia von Nico wegzureißen. Sie wollte endlich wieder mit ihren Freunden zusammen sein und ihnen die Wahrheit sagen. Doch ihre Furcht hielt sie zurück und als sie an die wütenden Gesichter ihrer Mitschüler dachte wurde ihr so kalt, dass sie unkontrolliert zu zittern begann. Eilig wandte sie sich ab und atmete tief durch.
Es war noch nicht vorbei. Sie musste stark bleiben. Morgen konnte sie es immer noch versuchen. Es würde leichter sein, wenn sie alle einmal über ihre Wut geschlafen hatten. Heute hätte sie eh keine Chance mehr. Und so machte sie sich stattdessen daran, auf der Nordseite der Insel ein Lager zu errichten.
~*~
Aber die Nacht war alles andere als leicht oder erholsam. So nahe an der Schule zu sein machte nicht nur sie, sondern auch die Drachen nervös. Immer wieder schreckten sie auf und fuhren herum, bewegten sich unruhig hin und her und so fand Maila nur wenig Schlaf. Allerdings konnte sie ihren Gedanken ohnehin nicht entkommen. Entweder musste sie sich ihnen in ihren Albträumen stellen, oder während sie wach lag und in den Sternenhimmel sah. Immer wieder schärfte sie sich ein, dass nichts schief gehen konnte, solange sie ruhig blieb und die Wahrheit sprach. Doch all ihre Ängste und Sorgen besänftigte das nicht. Sie war nicht gut darin über sich selbst zu sprechen und der Gedanke allein machte sie schon nervös. Was wenn sie es nicht aushielt ihren Freunden gegenüber zu stehen? Was wenn sie es nicht über sich bringen konnte, über all die Dinge zu sprechen, die sie getan hatte?
Als die Sonne schließlich aufging hielt Maila es nicht mehr aus und machte sich einfach auf den Weg zurück zu Siedlung. Sie dachte nicht weiter darüber nach und stapfte einfach verbittert durch den Wald, die Drachen hinter ihr her. Kurz bevor sie die Siedlung erreicht hatte, blieb sie doch noch einmal stehen und atmete tief durch. Seufzend löste sie ihre zur Faust geballten Hände und versuchte das Zittern und ihr rasendes Herz zu beruhigen. Sie sah noch einmal zu ihren beiden Partnern zurück und drückte sie an sich. "Danke ihr beiden - für alles", murmelte sie und erlaubte sich noch einen Moment in Sicherheit, bevor sie sich aufrichtete und die Schultern strafte. "Dann mal los!"
Gemeinsam schlichen sie durch die Siedlung, begegneten zu Mailas Überraschung aber niemanden. Sie wollte sich nicht verstecken oder anschleichen, nur Ohnezahn hielt sich noch etwas zurück. Er bewegte sich in den Schatten oder auf den Dächern, er sollte nicht das erste sein, das Hicks zu Gesicht bekam. Doch je länger sie in dem verlassenen Dorf herumwanderten, desto nervöser wurde sie wieder. Sie wollte es hinter sich bringen, endlich die Wahrheit verkünden und alles richtig stellen. Es gab jetzt ohnehin kein zurück mehr.
Schließlich liefen sie zum Haupthaus hinunter und umrundeten es einmal. Aber auch die Nebenhäuser waren verlassen und selbst als sie in die Besprechungsräume spähte, fand sie niemanden. "Wo sind sie denn nur?" murmelte Maila gerade, als sie plötzlich eine Bewegung hinter sich registrierte. Augenblicklich fuhr sie herum und unterdrückte den Drang ihr Schwert zu ziehen.
"Wonach suchst du denn?" fragte Hicks, der sich mit unergründlicher Mine in ihren Weg gestellt hatte, während der Rest der Reiter gerade aus der großen Halle strömte. Schon bald war Maila von der gesamten Gruppe umstellt. Sie bewegten sich unruhig durcheinander und Maila hörte sie aufgeregt murmeln, brachte es aber nicht über sich, einem von ihnen in die Augen zu sehen. Hinter ihnen raschelten auch die Drachen nervös mit den Flügeln und selbst Mondblüte traten von einer Pfote auf die andere. Maila stieß die Luft aus, die sie wohl angehalten hatte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie war so nervös, dass sie das Gefühl hatte jeden Moment umzukippen. Alle Blicke waren auf sie gerichtet und in diesem Moment war sie wirklich froh, dass sie sich genau überlegt hatte, was sie sagen wollte.
"Hicks - und ihr alle - es tut mir leid. Alles. Es tut mir so leid. Ich muss euch eine ganze Menge erklären und das hätte ich schon so lange machen sollen", ihre Stimme klang erstickt, aber sie wurde ein wenig sicherer mit jedem Wort, das sie sprach. Sie trat zögerlich einen Schritt aus dem Türrahmen des Haupthauses nach vorne und wollte gerade weitersprechen, doch da wichen die Reiter vor ihr zurück. Maila sank das Herz in die Stiefel. Erst jetzt bemerkte sie auch die vielen gemischten Ausdrücke in ihren Gesichtern. Angst. Enttäuschung. Wut. Doch sie sagten nichts. Augenblicklich schoss ihr der Gedanke 'Was hatte Mia gestern nur getan?' durch den Kopf, doch sie versuchte weiter zu sprechen.
"Ich - Ich weiß, dass ihr wütend seid... ihr habt eine Menge gehört und erlebt und - und das ganze ist sehr verwirrend - aber ihr müsst mir glauben, dass das alles nicht so ist wie es scheint. Eine Menge gefährlicher Dinge geht seit ein paar Wochen vor sich und ich brauche dingend eure Hilfe - Ich möchte euch die Wahrheit sagen - euch alles erklären, denn - denn das schulde ich euch... aber ich weiß nicht genau wie ich das machen soll...", sie zögerte. Ihr schnell schlagendes Herz schnitt ihr fast die Luft ab und die regungslosen Minen ihrer Freunde verunsicherten sie zutiefst. Sie wollte doch nur eine Reaktion. Die schweigenden, eisigen Gesichter wagte sie kaum anzusehen. Doch als Hicks endlich sprach, war es nicht das, was sie erwartet hätte.
"Mach dir keine Mühe, wir wissen es schon. Mia hat es uns gesagt", er verschränkte die Arme vor der Brust und er musterte sie abschätzend, "Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass ihr beide die selben Versionen erzählt hättet." Sein Blick war steinhart und seine Stimme fest. Maila sah zwar den gebrochenen Ausdruck in seinen Augen, allerdings konnte sie ihm nichts mehr entgegenbringen, bevor er völlig die Fassung verlor. Ihr blieb nichts weiter übrig als in purem Schock die Augen aufzureißen.
"Du arbeitest mit Viggo zusammen?! Du hast uns verraten?! Verdammt! Du musst es uns nicht mehr gestehen, wir wissen es schon! Und das, nachdem wir uns so lange Sorgen um dich gemacht haben! Maila, wir hatten Angst, dass sie dir etwas tun! Und wir haben Tag ein Tag aus versucht dich da rauszuholen! Aber sieh dich an! ... Es ist für dich allen Anscheins nach nicht schwer rauszukommen!", er deutete mit beiden Händen auf sie und schüttelte ungläubig den Kopf. "Ich habe jeden Tag darauf gehofft, dass du zu uns zurückkommst, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr sicher." Seine Augen loderten auf in purem Zorn, "Warum bist du hier? Willst du uns weiter falsche Informationen erzählen? Kommst du uns abholen? - Um uns in diese Falle zu locken? Ich hätte gerne eine Erklärung! Aber ich weiß wirklich nicht, ob ich diese Erklärung hören möchte... Oder ob ich ihr trauen kann", seine Stimme starb ab und er stolperte einige Schritte zurück, während Maila von einer Welle aus Panik überrollt wurde. Tränen stiegen ihr in den Augen und sie taumelte zurück, während sie sich mit beiden Händen an den Kopf fassen musste.
Auf einmal erschien es ihr die gesamte Aktion leichtsinnig und töricht. Es war nun unmöglich sie jemals wieder umzustimmen. Als wäre es noch nicht schlimm genug, dass Mia ihnen alles erzählt hätte, sie glaubten auch daran. Und ihr Vertrauen war gebrochen. Sie würde sie niemals wieder auf ihre Seite zurückholen können. Was hatte sie sich nur eingebildet? Es war von Anfang an hoffnungslos gewesen!
Sie spürte wie diese Kälte begann sie von innen zu zerfressen und ihr alle Energie zu entziehen. All ihre Hoffnung hatte sie verlassen. Auch ihre Beine gaben nach und sie wäre gestürzt, wenn Mondblüte sie nicht aufgefangen hätte. Dankbar stützte sie sich auf ihre Partnerin und ließ sich auf die Treppe sinken. "Was hat sie euch nur erzählt?" flüsterte sie, die Augen weit aufgerissen und fassungslos ins Leere gerichtet. "und - und ...woher hat sie das gewusst?" hauchte sie unhörbar und erschrocken, als ihr bewusste wurde, dass Mia das alles überhaupt nicht wissen sollte...
"Was soll das heißen?! Mia hat keinen Grund zu lügen - versuch jetzt keine Tricks!" warnte das Oberhaupt, aber er hörte sich jetzt etwas verunsichert an. Er wechselte stirnrunzelnde Blicke mit den anderen Reitern. Auch Astrid beobachtete sie mit kühlem Blick. "Wir haben Mia darum gebeten sich die Lage auf der Sif anzusehen, da sie als einzige unversehrt hinein und wieder herauskommen konnte."
"Ihr habt sie eingeschleust?" schoss Maila entsetzt zurück und schaffte es sogar zu den beiden aufzusehen. "Ihr habt sie aktiv dazu aufgefordert eines unserer Schiffe anzugreifen? Hicks was ist das bitte für ein Plan? Viggo hat sie einsperren lassen und sie wäre unter anderen Umständen nicht in naher Zukunft wieder frei gekommen! Ich weiß nicht, was sie euch da erzählt hat, aber sie konnte nichts von alle dem - " Sie unterbrach sich. Zu spät bemerkte sie, dass da ihre Verzweiflung, ihr Zorn und vor allem auch ihr Vater aus ihr sprachen.
"Moment was redest du da? Angegriffen? Und woher weißt du das alles? " Er kniff die Augen zusammen "Unser Schiff?!" Hicks drehte sich zu Astrid und dann wieder zurück. "Okay, okay - Auf welcher Seite stehst du, Maila?!" forderte er eindrücklich und die gesamte Menge wurde immer unruhiger. Auch Maila hatte nichts mehr zu sagen. Ihre Gedanken drehten sich. Ein wilder Sturm aus Emotionen brauste durch ihr Inneres und sie hatte endgültig das Gefühl die Kontrolle verloren zu haben. Sie zwang sich tief durch zu atmen. Einmal. Zweimal. Sprich die Wahrheit und sprich mit deinem Herzen, dann kann nichts schief gehen, rief sie sich ins Gedächtnis. Sie seufzte.
"Okay. Ja... Okay... Hicks hör mir zu. - äh bitte. Ihr habt keinen Grund mir zu glauben. Das weiß ich. Ich habe keine Beweise. Und ich kann euch auch nicht alles erklären. Dafür ist es einfach zu viel. Aber ich versuche es. Ich versuche es wirklich und ich schwöre dir, bei allem was mir heilig ist, selbst bei allen Göttern unter dem Himmel, dass ich auf eurer Seite stehe", redete sie weiter, doch sie klang so unsicher und verzweifelt, dass sie sich selbst kaum Glauben schenken würde. "Auch wenn es vielleicht nicht so aussieht - aber ich habe immer auf eurer Seite gestanden. Das alles ist so verrückt und kompliziert - und ich würde mir ja selbst nicht glauben! Aber es ist so... Hinter diesem Krieg steckt etwas größeres. Und sein Name ist Neo. Er ist wahrhaftig wahnsinnig und er wandelt auf Dragos Wegen. Er will Rache an Berk und danach den Rest des Inselreichs! Er plant seinen Feldzug schon seit über fünf Jahren und bald kann ihn nichts mehr aufhalten. Das gefährliche ist, dass bis vor kurzem niemand davon wusste! Nur... nur Viggo konnte es herausfinden und wird seitdem auch von ihm erpresset", erklärte sie vorsichtig, doch wie erwartet löste der Name ihres alten Feindes Wiederwillen in den Reitern aus.
"Wer hat dir das erzählt? Viggo? Der Viggo, der früher eindeutig nicht auf unserer Seite stand? Woher weißt du, dass das nicht alles ein Teil von seinem Plan ist?" - "Hicks, ich-" "Er hat uns angegriffen!" - "Das war er nicht..." - "Jetzt verteidigst du ihn auch noch?! Er hat dich entführt und er hat dich wochenlang festgehalten! Oder stimmt das alles auch nicht?" Hicks Blick bohrte sich in Mailas und trotz all der Wut sah sie in ihm den Wunsch, dass sie protestieren würde. Sie wusste, dass das hier seine Art war, ihr eine Chance zu geben. Sie müsste nur diese Anschuldigungen abstreiten. Doch das tat sie nicht. Sie schwieg und biss sich auf die Lippe.
"Ich fass es einfach nicht", murmelte er und wandte sich ab. Es sah aus, als würde er gehen wollen, doch Astrid hielt ihn zurück und warf Maila einen gequälten Blick zu. Verrat und gebrochenes Vertrauen spiegelten sich in ihren Augen. Genau wie in allen Augenpaaren, die in diesem Moment auf sie gerichtet waren.
Die eisige Klaue in Mailas Brust schoss sich so fest um ihr Herz, dass sie für einen Moment befürchtete bewusstlos zu werden. Das Blut rauschte in ihren Ohren, ihr Sichtfeld verschwamm in einem Tränenschleier und sie war nicht mehr in der Lage Luft zu holen. Sie hatte versagt. Das Vertrauen ihrer Freunde war gebrochen und vielleicht konnte sie nun endgültig nichts mehr daran ändern. Es gab kein zurück mehr. Keine Chance. Keine Hoffnung. Es war vorbei, sie hatte sie verloren.
Und mit dieser Erkenntnis zersprang etwas in ihrem Inneren. All die aufgebraute Spannung war verschwunden, ihre Sicht klarte sich und ihre brausenden Gedanken ebbten ab. Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Der Gedanke traf sie wie ein Blitzschlag. Es war vorbei. Auch in ihrem Gewissen hatte der ewige Kampf ein Ende gefunden und es war nur noch Platz für die süße Bitterkeit dieser Erkenntnis. All ihre Hoffnungen waren umsonst gewesen und nun blieb ihr nicht anderes übrig, als sich mit ihrem Schicksal abfinden. Sie hatte immer gewusst, dass es so kommen könnte. Immerhin hatte sie eine Menge Schmerz und Sorge ihrer Freunde zu verantworten. Vielleicht war es einfach zu viel verlangt, auch noch auf Vergebung zu hoffen. Nur noch die Wahrheit schuldete sie diesen Reitern.
Sie atmete tief durch. "Es stimmt." Ihre Worte hallten in der Stille nach. Mondblütes Nähe gab ihr die Sicherheit und die Kraft, die sie brauchte und so sprach sie einfach weiter. Sie klang tonlos und geschlagen, doch das sprechen fiel ihr nun leichter. "Ich habe Viggo damals befreit. Weil er mir alles erzählt hat. Ich habe ihm vertraut. Und ich stehe noch immer dazu: Hätte ich ihn damals nicht gehen lassen, hätte Neo bereits an diesem Tag die Schule zerstört. Und wäre es ein anderer, der Neos Pläne schreiben würde, hätten sie das Inselreich bereits überrannt... Würde Viggo nicht auf unserer Seite stehen, hätten wir den Krieg bereits verloren." Erklärte sie und sah zu den Reitern auf. Sie wollte weiter sprechen, doch Hicks kam ihr zuvor. Das blanke Entsetzten hatte seinen Zorn vertrieben
"Aber -" murmelte er, drehte sich wieder zu ihr um und musterte sie skeptisch, "Aber - um das klar zu stellen - dann bist du freiwillig dort geblieben?!" - "Ja." - "Du hast mit Viggo zusammen gearbeitet?!" - "Ja. Wir haben versucht Neo zu überlisten." - "Aber du hast unter ihnen gelebt? Du bist ein General!?" - "Offiziell ja. Aber die Männer gehorchen alle Neo." - "Und du weißt wie sich das alles anhört?" - "Ja. Aber es ist die Wahrheit." - "Bei Odin, ich - Okay, Moment, angenommen es wäre so - sie planen einen Angriff... wie wollen sie das machen? Habt ihr eine Flotte? Und die Drachen?! Was wollt ihr mit denen?" - "Ja er hat eine Flotte. Ihr habt die Sif gesehen... ihr kennt also den Maßstab, von dem ich hier spreche. Und sein Plan ist einfach, er macht es wie Drago: Mit einer gewaltigen Übermacht alle Feinde ausrotten. Nur die Drachen hat er nicht unter Kontrolle - dafür hat er Viggo angeheuert. Außerdem weiß er ganz genau, dass er an euch nicht vorbeikommt und deswegen werdet ihr sein erstes Ziel sein. Aber auch dafür braucht er Viggo... Ich sagte es schon, wäre es nicht Viggo, hätten wir bereits verloren."
"Aber ich dachte du bist der Drachenbezwinger?!" - "Ja und nein... Es - es ist kompliziert." - "Wie bitte?" - "Der Drachenbezwinger existiert überhaupt nicht. Ich habe ihn mir damals ausgedacht. ...um euch sicher entkommen zu lassen und - und das haben wir dann später noch benutzt. Es war die perfekte Möglichkeit mich unentdeckt zu beteiligen. Und ja, ich habe mich statt Viggo um die Drachen gekümmert, das war meine Aufgabe des Plans. Es - es war auch einer der Gründe warum ich geblieben bin. Ich habe mich um alle bemüht und ich denke es geht ihnen allen gut", erklärte sie alles geduldig, doch auf einmal verstummte Hicks. Auch die Gruppe atmete auf. Sie wirkten plötzlich wieder hin und her gerissen und auch Hicks wechselnde erneut zögernd einen Blick mit Astrid. Es war jetzt bedrückend still geworden und auch Maila war auf einmal wieder aus der Spur geworfen.
"Dann warst es also wirklich du, der meinen Trupp gerettet hat?" Alle drehten sich zu Heidrun um und Maila sah mit großen Augen auf. Die Augen ihrer Tante funkelten ihr aus der hinteren Reihe entgegen. Sie hatte nicht einmal wahrgenommen, dass sie auch hier war, bis zu diesem Moment. Das hätte sie nur noch unsicherer gemacht, doch in diesem Moment bewirkte es das Gegenteil. Denn Heidruns Augen leuchteten so warm und zugleich herausfordernd, wie sie es immer taten. Sie stand noch immer hinter ihr.
Und da flammte auf einmal auch in ihrer Brust wieder Hoffnung auf. Auch wenn das bedeutete, dass die Nervosität zurückkam. Hatte sie etwa doch noch eine Chance? Sie hatte nicht das Gefühl, das verdient zu haben... doch anscheinend waren die Götter ihr gnädig. Ihr Herz schlug wieder schneller und sie sah abwartend zu Hicks. Noch mehr Aufregung durchflutete sie, als sie sah wie er ebenfalls eilig nickte. Er sah aufgeregt zu ihr und als sie von seinem hoffnungsvollen Blick getroffen wurde, begann ihre Haut zu prickeln.
"Du hast uns also wirklich geholfen - der fremde Reiter, der diese Drachen befreit hat, das warst du?" - "Du bist sogar zurückgekommen, um die Fallen zu öffnen, die wir nicht knacken konnten", ergänzte Heidrun noch und Mailas Herz schlug so schnell, dass sie kaum mehr Lauft bekam. "Ja - ja schon. Und um mein eigenes Team zurückzuholen natürlich. Dieses Spiel musste ich leider spielen. Ich hatte nie die Chance euch alles zu erklären. Und - und ich fühlte mich schrecklich für dieses ganze Lügennetzt. Ich wollte auch nicht aggressiv zu eurer Inselgarde sein - ich habe sie mit der Drachenfrucht betäubt und vom Kurs abgebracht, aber das war alles, was ich tun konnte. Ich wollte niemals jemandem Schaden", versicherte sie und kämpfte gegen den Knoten in ihrem Hals und das Brennen in ihrem Augenwinkel. Denn sie sah wie das Vertrauen zögerlich in ihre Freunde zurückkehre.
Hicks aber schluckte seine Aufregung herunter und sah sie wieder ernst an. "Aber - okay... Ich glaube ich verstehe den ganzen 'Viggo wird von Neo kontrolliert' Teil, aber - wenn du uns nur beschützen wolltest, warum hast du uns dann nicht gleich eingeweiht?" Damit sprach er die eine Frage aus, die schwer, düster und unausweichlich über ihnen hing. Maila seufzte. "Ich - ich glaube.... ich kam mir einfach wie ein schrecklicher Verräter vor. Ich wusste nicht ob ich das richtige tue und ich habe Viggo damals ja selbst nicht einmal vertraut. Wie konnte ich das also von euch erwarten?" flüsterte sie, ihre Stimme erstarb und sie blinzelte mit aller Kraft ihre Tränen weg. Ihre Finger klammerten sich um Mondblütes Pfote und sie konzentrierte sich krampfhaft auf ihre Atmung. Ehrlichkeit. Es hört sich leichter an, als es ist...
Hicks kniff die Augen zusammen und musterte sie ein weiteres mal. "Was hat sich daran verändert? Warum vertraust du ihm? Warum hast du uns nicht eingeweiht?" hackte Hicks erneut nach. Seine Wut war verschwunden, doch sein Blick war noch immer abschätzend. Er schien zu spüren, dass noch eine wichtige Information fehlte. Und Maila sah, dass er ihr glauben wollte, er wollte es mit aller Kraft. Sie musste nur diese Frage beantworten. Sie lächelte. Nun gab es kein zurück mehr.
"Hicks, Viggo ist mein Vater."
- 6606 Wörter - School of Dragons - Honigmuesli - 16.01.2021 -
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top