Kapitel 45 - Verschollener Reiter
Nachdem Maila die Gefangenen gesichert hatte, war sie nach oben gelaufen, um Ohnezahn mit den Drachen zu unterstützen. Allerdings hatte er die Situation auch ohne sie bestens unter Kontrolle. All die Drachen warteten friedlich auf dem Deck und Maila seufzte erleichtert. Sie ließ ihre Augen eilig über die Drachenherde wandern und entspannte sich etwas.
"Alle noch da... wirklich gut gemacht, Ohnezahn! Eigentlich hätte ich nichts anderes erwarten dürfen, aber ich bin zugegebenermaßen trotzdem überrascht, dass das so unproblematisch war...", sie nickte nachdenklich und strich beiden Nachtschatten über den Kopf. "Du hast das auch super gemacht, meine Süße - danke für eure Hilfe, ihr beiden." Sie lächelte und sah sich ein weiteres mal prüfend um.
Das Schiff war von außen noch intakt, die Drachen würde sie allerdings nicht wieder in ihre Käfige zurückbringen können. Zwei der Hauptketten waren zerstört und das System damit unterbrochen. Über die Hälfte der Besatzung war seit dem Angriff auf das Deck verschwunden und sie würden nicht ohne Hilfe aus der Bucht, in der sie trieben, heraus manövrieren können. Sie hatten das Schiff zwar zurückerobert, aber Mailas Geist war dennoch aufgewühlt. Und das nicht zuletzt wegen ihrer unbekannten Angreiferin. Doch darüber konnte sie sich gerade keine Gedanken machen. Denn auch die Taifumerange, die sich nur mit Mühe auf den Masten halten konnten oder auch die Nadder, die sich skeptisch beäugten, bereiteten ihr Sorge. Das alles würde nicht lange gut gehen, doch sie wusste nicht wie bald sie mit Unterstützung von der Sif rechnen konnten.
"Ich werde mit dem Kommandanten reden, wie wir weiter verfahren werden. Wir haben bereits Wachen für die Fremde aufgestellt und einige Männer arbeiten an der Reparatur der durchtrennten Ketten, aber vorerst können wir wahrscheinlich nicht aufbrechen... Bleibt bitte beide hier und sorgt dafür, dass die Drachen auch weiterhin ruhig bleiben - und haltet nach einem Zeichen von der Sif Ausschau", fügte sie noch seufzend hinzu, als sie sich bereits wieder zur Treppe wandte. Wenigstens hatten sie es geschafft, diese Tür zu öffnen.
Sie war schon wieder in ihre Gedanken, Sorgen und Pläne versunken, als Mondblüte plötzlich vor sie sprang und aufgeregt herum sprang. "Hey - Hey?! Mondblüte, komm schon dafür haben wir doch jetzt keine Zeit", murmelte sie halbherzig. Sie versuchte an dem aufgedrehten Drachen vorbei zu kommen, gab es aber letztendlich auf. "Was denn?" seufzte sie und sah Mondblüte ratlod an. Ihre blauen Augen funkelten als wollte sie ihre Reiterin ihre Gedanken lesen lassen, doch Maila war zu abwesend, um ihre Partnerin zu verstehen. "Es tut mir leid, Kleine, aber ich - waaah - Mondblüte!" Stolpernd stützte sie sich auf den Nachtschatten, der sie soeben schwungvoll herumgedreht hatte.
Sie klackerte aufgeregt und stupste Mailas Kopf nach oben, wo sie verwirrt beobachtete wie Ohnezahn über das Segel balancierte. "Was wird das?" Fragend sah sie von Ohnezahn zu Mondblüte und wieder zurück.
Der Drache begann an einem der Taue zu zerren und zu ziehen, bis es letztendlich riss und schlaff von dem Mast herunterhing. Mondblüte war sofort zur Stelle und schnappte sich die zweite Hälfte des Seiles. Maila verstand immer noch nicht, worauf sie hinauswollte und beobachtete nur gequält wie weitere Drachen begannen die Taue zu durchtrennen, bis letztendlich die Segel einknickten und die Masten ins Schwanken gerieten.
Ohnezahn rief auffordernd in die Menge und er und Mondblüte begannen mit aller Kraft an dem Seil zu ziehen. Wollten sie etwa den Mast einreißen?! Gerade wollte sie die Drachen aufhalten, als plötzlich ein heftiger Ruck durch das Schiff fuhr und sie sich wieder in Bewegung setzten. Ihre Augen weiteten sich, als sie endlich begriff, was die beiden geplant hatten. Unwillkürlich musste sie lächeln. "Ihr seid genial", murmelte sie und beobachtete fasziniert das Schauspiel. Mit vereinter Kraft zogen die Drachen an den Seilen und das laute Peitschen der vielen Flügelschläge erfüllte die Luft.
"Was passiert hier? Werden wir angegriffen?! Oder ist die Verstäää - bei Odin!" rief der Kommandant, als er kurz darauf auf das Deck stürmte und das brachte auch Maila in die Realität zurück. "Beeilung! Die Masten halten das nicht lange aus, wir brauchen weiter Seile an der Rehling - bringen sie alle, die Sie finden können!" rief sie ihm zu und so gelang es der neu geformten Gruppe das Schiff auf den richtigen Kurs zu bringen und als Donnerschlag schließlich gemeinsam mit Viggo zurückkehrte, war die Sif bereits nicht mehr weit entfernt.
"Na, so verlassen wirkt das Schiff auf mich nicht. Was ist jetzt also deine Notlage?" begrüßte ihr Vater sie lächelnd, sprang von Blitzschlag ab und kam auf sie zu. Er verschränkte die Arme vor der Brust, während er gespannt auf ihren Bericht wartete. Sie grinste zurück und streichelte passiv Donnerschlag, als sie ihm erwiderte: "Unsere Notlage sitzt unten in einer Zelle, du hast den ganzen Spaß verpasst!" Sie lachte, doch ihr Vater musterte sie kritisch. Erst jetzt merkte auch sie, wie erschöpft sie eigentlich war, doch sie wusste, dass es jetzt erst los ging. Also begann sie Viggo die Geschehnisse zusammenzufassen.
Doch sobald sie geendet hatte, zog er nur die Augenbrauen hoch. Unglaube funkelte in seinen dunkel Augen, während er sie einen langen Moment lang nur zögernd ansah, bevor er schließlich seine Fassung zurück gewann. Er blinzelte mehrfach und räusperte sich dann, um sich zu sammeln. "Irgendeine Idee, wer dein Angreifer war?"
"Nein", antwortete sie sofort und sah nachdenklich zu Boden, "Darüber denke ich schon die ganze Zeit nach. Sie hat sich nicht von ihrer Gefangennahme einschüchtern lassen, aber meine Identität ist zu labil für ein Verhör", erklärte sie ihren Gedankengang und sah unsicher auf. Viggo nickte nur zustimmend.
"Nein, nein, das gast du gut gemacht. Wir haben ersteinmal nichts verloren. Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll, du musst mir gleich nocheinmal alles genau erzählen, jedes Detail kann entscheidend sein. Aber mir gefällt es jetzt schon nicht. Viele Jäger da draußen bedienen sich an dem Chaos von einfachen Piraten, um Gewinne zu erschleichen, aber Schiffe unter unserem Segel ... die sind eine Nummer zu groß für sie. Außerdem wundert es mich, dass sie auf dich gewartet hat, nachdem sie nicht an dem System vorbei kam", redete er vor sich hin und strich sich nachdenklich über den Bart. "Es gefällt mir nicht. Und ich will in Erfahrung bringen, was hier vor sich geht", erklärte er entschlossen und sah ihr tief in die Augen. Sie sah, dass er tief beunruhigt war, nickte aber nur eilig und hielt seinem Blick stand. Ihr Vater sah sich misstrauisch um.
Dann machte er einen Schritt auf sue zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie erkannte das Funkeln in seinen Augen, das einen Plan verriet. "Hör genau zu, flieg vor zur Sif und tausche mit Arik - er muss fertig sein, wenn wir zu ihnen aufschließen und dann hier deinen Platz einnehmen. Sag Gerhard er soll den Kurs wechseln, oder einen Umweg in eine andere Richtung einschlagen, nur zur Sicherheit... Du wartest dann in deinem Zimmer, lass die Drachen bei Arik und fahr die Gitter herunter - verschließe auch das Kartenzimmer. Ich werde sie blind zu dir bringen lassen und du musst versuchen irgendetwas aus ihr herauszubekommen. Arik und ich kommen genau fünfunddreißig Minuten später um sie zu befragen - du musst mir dann sagen, wie ich handeln muss." - "Moment - wieso das alles, wird sie denn nicht einfach gefangen bleiben, bis - ? Oh! ... Die Klippen!"
Er nickte schnell. "Richtig, wir können es nicht riskieren, jemanden so unberechenbaren und potenziell gefährlichen zu den sinkenden Klippen zu führen. Vielleicht war das genau ihr Plan. Oder aber sie wusste von den seltenen Drachen und hat deswegen all den Aufwand betrieben. Wie dem auch sei, ich will sie nicht auf der Sif behalten. Allerdings bin ich mir auch nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, sie ziehen zu lassen." - "Sie ist aber sicherlich keine von unseren Reitern", warf Maila skeptisch ein und ihr Vater rieb nachdenklich die Hände aneinander. "Wir werden sehen, ich gehe stark davon aus, sie wird mit dir sprechen... wir müssen nur hoffen, dass du trotzdem rechtzeitig zu der Schule aufbrechen kannst. Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren, du solltest dich beeilen", murmelte er, noch immer mit gerunzelter Stirn, tief in seine Gedanken versunken.
Doch so kam es dann auch. Nachdem Maila in Windeseile mit Arik die Rollen getauscht hatte, wartete sie eine Weile lang nur nervös in ihrem Zimmer, den Blick aus dem Fenster gerichtet. Das Jagdschiff hatte sich an die Sif gehängt und wurde nun von dem gewaltigen Schiff gezogen, während Mondblüte und Arik von dort zu ihnen hinüber kamen. Maila hatte den vertrauten Schatten ihrer Partnerin vor einigen Minuten über sie hinweg ziehen sehen und sich gedanklich bei ihrem Cousin entschuldigt. Vorhin hatte sie nicht einmal die Zeit gehabt, ihn richtig in den Plan einzuweihen, doch jetzt steckte er bereits mitten drinnen. Und sie konnte nichts weiter tun, als nervös mit ihren Fingern auf den Fensterrahmen zu trommeln.
Von der Übersetzung der Gefangenen sah sie nur wenig, erst als ihre Tür aufflog und zwei Wachen die fremde Reiterin in den Raum stießen, ging es mit ihrem Teil des Plans weiter. Mit einem lauten Schlag flog die Tür zu und Maila erhob sich vom Fenster. Paranoid wanderte ihr Blick noch einmal durch den Raum, doch sie hatte alle Karten, Waffen und anderes, das Gefangene nicht haben sollten, in das Kartenzimmer getragen und diese Tür abgesperrt.
Nun beobachtete sie einfach gespannt wie die Fremde sich mit dem Tuch, dass über ihren Kopf gestülpt worden war, abmühte. Maila erhaschte einen Blick auf ihre roten Locken und in ihren Fingern prickelte die Neugier. Seufzend befreite die Fremde sich schließlich und warf ihre Haare schwungvoll zurück, bevor sie Maila bemerkte. Vor lauter Schreck hatte sie nicht einmal Zeit sich umzusehen, sie runzelte nur die Stirn und beide sahen sich mit großen Augen an.
"Maila?!" - "Mia?!"
"Was machst du denn hier?" sagten sie beide gleichzeitig und starrten sich noch immer verwundert an. Bis Mia schließlich blinzelte, sich aus ihrer Starre löste und die Treppe herunter kam. Sie strahlte und wirkte merklich erleichtert, während Maila das Herz bis zum Hals schlug und sie versuchte das Zittern in ihrer Händen zu unterdrücken. Ihre Gedanken wirbelten haltlos durch ihren Kopf. Mia war der fremde Angreifer? Das war aus ihr geworden? Aber warum griff sie ihr Schiff an? Auch sie blinzelte perplex, als ihr wieder bewusst wurde, dass Mia sie unsicher ansah. Sie rang sich ein Lächeln ab. "Mit dir hätte ich nicht hier gerechnet!"
Erinnere dich, warum du hier bist, schärfte sie sich ein. Sie musste eine Menge in Erfahrung bringen und nun war es vielleicht sogar ein bisschen leichter geworden. So lockerte sie ihre Schultern und kam auf ihrer ehemalige Mitschülerin zu, die sich soeben neugierig in dem Raum umsah. "Warum ist es so... schön hier?" - "Äh - wie - wie sollte es denn sonst sein?" fragte sie, während sie sich gedanklich in ihre Rolle einfand. Sie wusste nichts von alle dem, was passiert war. Sie war Maila, die Schülerin und eine Gefangene von Viggo.
"Dann bist du keine Gefangene?" fragte Mia verwundert und musterte sie skeptisch. Verdammt. "Oh - oh doch, aber ich bin schon lange hier und... und, naja - das werde ich wohl auch bleiben. Jedenfalls 'darf' ich mich in diesem Raum hier aufhalten. Und mit dir werden sie wohl irgendetwas vorhaben, denke ich. Normalerweise bringen sie Gefangene nicht in diesen Trakt. Viggos Räume sind auch in diesem Flur. Hast du überhaupt irgendwas angestellt? Du arbeitest doch nicht etwa mit ihm?!", fragte Maila und riss entsetzt die Augen auf.
"Oh nein, nein, nein! - Also doch. Das erste meine ich. Aber ich denke das ist nur ein Missverständnis. Wie auch immer, es ist eine lange Geschichte... Hast du vielleicht irgendwas für diese Fesseln?" wank Mia ab und sah sich forschend in dem Zimmer um. Maila sah auf das Seil um ihre Handgelenke und trat einen Schritt näher. "Moment... darf ich?" fragte sie und Mia nickte schnell. Geschickt suchte sie nach dem Ende des Strangs und löste den Knoten von innen her auf.
"Das fühlt sich gleich besser an, danke", seufzte Mia und die beiden lächelten sich an. "Jetzt will ich aber wirklich deine Geschichte hören, was hast du alles gemacht, seit wir uns das letzte mal gehört haben? Du bist doch in den Süden zu einer Auffangstation gereist oder nicht?", fing Maila an zu reden und setzte sich auffordert auf ihr Bett. Mia setze sich an das andere Bettende und nickte, als sie den Briefwechsel der beiden ansprach. Maila hatte ihrer ehemaligen Mitschülerin zweimal einen Brief geschrieben, nachdem sie die Schule verlassen musste, doch diesen Kontakt hatten sie irgendwann verloren. Dennoch hoffte sie, dort anknüpfen zu können.
"Ja richtig. Dort unten kümmern sie sich um verletzte Drachen aus dem ganzen Inselreich und ich habe dort eine ganze Weile mitgeholfen. Als ich klein war habe ich auch eine Weile mit meinem Vater in einem der Dörfer gewohnt, wenn ich mich richtig erinnere... Jedenfalls habe ich eine Zeit lang noch Geschichten von euch gehört, als ich in dem Fischerdorf war, in dem Nicos Familie lebt", erzählte Mia munter weiter, während Maila mit aller Kraft dagegen ankämpfte ihre Rolle zu erhalten. Nicos Name griff einen wunden Punkt in ihr an und löste etwas in ihr aus, das sie noch immer nicht kontrollieren konnte. Die Beziehung zu ihrem Mitschüler hatte sie so weit verdrängt, dass es beinahe ihr Herz brach, daran erinnert zu werden. Auch die unsinnige Eifersucht, die in ihr aufkeimte musste sie unterdrücken. Das Mia bei Nicos Familie gewesen war lag schon viele Monde zurück und außerdem hatte es nichts zu bedeuten. Er schuldete ihr nichts...
Es gelang ihr also irgendwie unbemerkt ihre Fassung zu bewahren, vermutlich da Mia zu sehr mit erzählen beschäftigt war. "Nun ja, ich habe Glattstreicher schon immer geliebt", erzählte sie gerade und Maila warf nickend, "Stimmt, das weiß ich noch!" ein, woraufhin sie kurz lächelte und dann weiter sprach: "Irgendwann war Schimmerschuppes Flügel dann aber wieder vollständig genesen und er wäre mit der Spätsommergruppe freigelassen worden... aber er wollte einfach nicht. Er kam immer wieder zurück und ich hatte ihn ehrlich gesagt auch zu lieb gewonnen, um ihn ziehen zu lassen. Wir haben dann beschlossen einfach gemeinsam durch das Inselreich zu ziehen und zu sehen, wohin es uns bringt", endete sie und zuckte lächelnd mit den Schultern.
Maila nickte grinsend und sah auf das Meer hinaus. "Das muss sicher schön sein... ich freue mich, dass du deinen eigenen Weg gefunden hast, letztendlich war es dann doch so, wie Hicks gesagt hat, oder nicht?" murmelte sie und Mia verzog das Gesicht. Sie lächelte bitter. "Ja..." Maila blinzelte und musterte sie für einen Moment, änderte dann aber schnell das Thema. Über die Schule und die alten Zeiten wollte sie ohnehin nicht reden.
"Und... - Nun, es tut mir leid, wenn ich dich so dazu dränge, aber was hat dich dann hierher verschlagen? Du musst nur wissen... das ist sehr ungewöhnlich, weil - naja... die Sif macht soweit ich weiß keine Gefangenen... vor allem seit dem großen Nordkurs", hackte sie erneut nach und säte die erste falsche Information. Es tat ihr zwar leid, doch das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, verfolgte sie bereits seit mehreren Minuten und ließ ihr keine Ruhe. Die Art, wie Mia sprach, wie sie ihr jetzt zulächelte und sich nachdenklich die Hände rieb, um dem Thema erneut auszuweichen erregte bei Maila den Anschein als sei sie nervös. Vielleicht vertraute sie ihr einfach nicht, oder aber es hatte etwas mit dem Angriff zu tun, der mindestens genauso verwirrend und verdächtig war.
"Also...", murmelte Mia und zog unsicher die Schultern hoch, "Ich weiß auch nicht so genau was da passiert ist. Ich versuche häufig Drachen vor solchen..." - "Barbaren?" warf Maila ein und nickte zustimmend, als ihre ehemalige Mitschülerin überrascht aufsah. "Ja genau! - vor solchen grausamen Jägern zu retten. Ich gebe mein bestes." Erneut nickte Maila grinsend und diesmal war es ein ehrliches Lächeln, das Mia ihr zurückgab. Ihre Hoffnungen auf eine ehrliche Antwort stiegen. "Ich sah die beiden Schiffe aus der Ferne und wusste nicht einmal, dass es sich da um ein Drachenschiff handelte", erzählte sie, "Zuerst habe ich nur die Piraten gesehen, wie sie versucht haben, das Schiff zu stürmen. Aus dem Wasser habe ich zugegeben auch nicht erkannt, dass das Schiff eins von den Bösen Jungs ist und ich mich da lieber raushalten sollte", seufzte sie, Maila verzog das Gesicht und legte aufmunternd den Kopf schief.
"Ja - und dann gibt es nicht mehr viel zu erzählen", unterbrach Mia sich plötzlich. Ihr Lächeln blieb unverändert, doch sich ihre Augen verdunkelten und ihre Stirn glättete sich. Gerade als Maila dachte, sie hätte ihr Vertrauen erlangt und würde mehr herausfinden.
"Ich habe die Piraten vertrieben und sie haben gerade die Flucht ergriffen, als da dieser Drachendämon mit den beiden Nachtschatten aufgetaucht ist - der gehört zu denen oder?" Sie deutete hinter sich an die Wand, wie um auf die gesamte Sif zu deuten und sich davon abzugrenzen. "Das ganze Inselreich spricht von ihm!" redete sie weiter und Maila bemerkte sehr wohl, wie sie das Thema wechselte, ließ es allerdings zu und knirschte spielerisch mit den Zähnen. "Ja," seufzte sie. "Sie nennen ihn den Drachenbezwinger. Nicht mal nach all der Zeit die ich auf dem Schiff verbracht habe, weiß ich was er genau macht, außer alle Befehle und Missionen auszuführen. Außerdem hält er alle Drachen unter Kontrolle, vor allem Ohnezahn und Mondblüte, aber -" "Was? Ohnezahn?" unterbrach Mia sie mit großen Augen und Maila nickte frustriert. "Niemand weiß wie er das macht - Mondblüte ist mein eigener Drache, aber ich kann ihn nicht davon abhalten das - das zu machen..." flüsterte sie und Mia nickte verständnisvoll, die wohl ihre Chance erkannte hatte.
"Das ist mir zugegeben nicht aufgefallen. Ich habe nochmal versucht ihn zu überlisten und die Drachen davor zu bewahren, in deren Hände zu fallen, aber er hat uns übermannt und eingesperrt, ich bin gar nicht unten angekommen, da hat er mich und Schimmerschuppe überwältigt. Aus diesem Grund halte ich mich ja eigentlich auch fern von diesem Zeug, ich bin nicht ausgebildet worden oder so etwas, ich verlasse mich nur auf Schimmerschuppe und gegen so eine Gewalt haben wir einfach keine Chance", seufzte Mia und diesmal war es Maila, die langsam nickte, während sie eilig versuchte ihre Gedanken zu sortieren.
Mia schien sie nicht als Drachenbezwinger erkannt zu haben und falls doch, ließ sie sich das nicht anmerken. Aus irgendeinem Grund vertraute sie Maila aber nicht, denn sie erzählte die Geschichte ganz anders, als sie passiert war. Aber was verbarg sie nur? Professionell geplant schien die Aktion nicht zu sein, Mia richtete sich nach dem, was Maila ihr sagte und änderte das Thema immer wieder so, wie es ihr passte. Wollte sie etwa Informationen aus ihr herausbekommen? Aber worüber? Und warum auf diese Weise? Und wer hätte sie geschickt?
Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, doch sie sollte ohnehin keine Chance mehr haben, mehr herauszufinden. Die Tür flog auf und ihre Zeit war um. Beide Schülerinnen sprangen auf und wirbelten erschrocken herum. Ohnezahn trat als erster ein und musterte sie mit eisigen Augen. Dann wanderte er angespannt die Treppe hinunter und verharrte dort, ohne auch nur einen Moment den Blick abzuwenden. Arik in Form des Drachenbezwingers folgte ihm und stellte sich ebenfalls neben die Treppe, während Viggo mit ernster Mine vor sie trat und Mondblüte das Ende der Gruppe bildete, indem sie sich oben vor der Tür niederließ.
"Wir machen in der Regel keine Gefangenen", verkündete Viggo ohne weitere Umschweife und sah Mia mit schiefgelegtem Kopf an, "In der Regel greift aber auch Niemand - egal für wie wichtig er oder sie sich auch halten mag - unsere Schiffe an." Viggo lächelte spöttisch, seine Augen bohrten sich allerdings gnadenlos in Mias. Mailas ehemalige Mitschülerin spannte sich merklich an, hielt dem Blick des Generals jedoch stand. "Was wolltest du auf dem Schiff?" fragte er eisig nach und die beiden funkelten sich an, während Maila Arik einen schnellen Blick zuwarf. Sie versuchte ihm zu signalisieren, dass sie etwas wusste und er schien sie zu verstehen. Seine Augen glänzten auf und er trat neben Viggo. Dieser lehnte sich zur Seite, um ihm zuzuhören, während er noch immer Mia fixierte.
Arik murmelte etwas, Viggo verschränkte seufzend die Arme vor der Brust und senkte für einen Moment seinen Kopf zum Boden. "Sag du es mir", forderte er dann und sein bohrender Blick sprang auf sie über. Sein Blick war so kalt, seine Mine so eisern, sein gesamter Eindruck so bedrohlich überlegen, dass sie beinahe ihr Mut verlassen hätte. Doch sie fing sich schnell genug und war wieder zurück in ihrer Rolle. Sie keuchte protestierend und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. Bestimmt reckte sie den Kopf in die Höhe. "Nein!" fauchte sie und Viggo zog nur die Augenbrauen hoch. Überleg dir das lieber zweimal, sagte sein Blick.
Mia warf ihr einen dankbaren Blick zu und Maila lächelte rebellisch, doch in Wahrheit wusste sie was jetzt kommen würde. Ihr Vater wank Arik zu, der einen Zischlaut ausstieß und sich langsam zu Mondblüte umdrehte, die fiepend den Kopf einzog. "Nein, nicht!", rief Maila sofort und sprang nach vorne, woraufhin beide sie abwartend ansahen. Mondblüte fiepte noch immer leise und kauerte sich vor der Tür zusammen, bis Maila ergeben die Hände hob. "Lasst sie in Ruhe", forderte sie und trat wieder zurück neben Mia, der sie einen entschuldigenden Blick zuwarf. Dann holte sie tief Luft und wiederholte alles, was Mia ihr gesagt hatte. Doch sie erzählte ihm nicht nur alles, sie kommunizierte auch unauffällig mit ihrem Vater. Die ganze Zeit über sah sie ihm so intensiv in die Augen, dass er all ihre Gedanken verstand - zumindest hoffte sie das.
Maila bemerkte Mias aufmerksame Blicke, doch Arik signalisierte ihr immer wieder, dass sie wohl keinen Verdacht zu schöpfen schien. Tatsächlich fiel Maila ihre Rolle als erpresste, schnippische Reiterschülerin leichter, als sie das erwartet hätte und ihr Tonfall, sowie ihr verachtender Blick schienen Mia tatsächlich zu überzeugen. Ihr Vater allerdings war noch immer der ungeschlagene Meister in diesem Spiel. Er verlor seine eisige Maske niemals, wirkte so locker und zufrieden in seiner deutlich überlegenen Lage, als hätte er nie etwas anderes getan. Unglücklicher Weise war das nicht fernab der Wahrheit.
Diesen Gedanken drängte Maila allerdings zurück und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust, sobald sie geendet hatte. Viggo grinste überheblich zufrieden und breitete seine Arme wiederum aus. "Nun, ich bin erleichtert, dass wir diese Angelegenheit ohne weiter Komplikationen -" "Moment", unterbrach Maila ihn und für einen Moment waren sie beide gleichermaßen verwirrt, doch bevor der böse Viggo widersprechen konnte, legte die gekränkte Reiterschülerin in Maila los:
"Ich bin noch nicht fertig", schimpfte sie und sah wie seine Mine sich verdunkelte. Arik trat vor und hob bereits eine Hand, doch Viggo hielt ihn zurück, "Eure hochgradig unverhältnismäßige Brutalität und Eure radikale Willkür gegenüber dem gesamten Inselreich, einschließlich und insbesondere den Reitern gegenüber ist bereits derartig, ohne alle Maß - unverschämt!" Sie sprach das Wort als wäre es die schlimmste Beleidigung, die sie kannte und hob den Kopf, wie sie es von ihrer Mutter Mala gelernt hatte. "Doch nun seid Ihr eindeutig zu weit gegangen, Viggo! Eine ehemalige Schülerin von Hicks anzugreifen, die den Plänen ferner nicht sein könnte und seit über einem Jahr keiner Seite dieses grotesken Krieges gewählt hat, wird Hicks nicht gefallen. Und abgesehen davon, dass die Drachenjagd zweifelsfrei ohnehin gottloses Treiben ist, ist dieser Umgang mit Euren Feinden außerordentlich unerfreulich und Euer Mangel an Moral beklagenswert! Euer gesamtes Tun im vergangenen Jahr wird weitläufige Konsequenzen haben, sobald Hicks und die Reiter davon erfahren. Ihr wisst sie werden mich eines Tages hier rausholen! Ich kann es noch immer nicht fassen, dass ihr euch derartig sicher fühlt den Nordkurs beizubehalten! Was hält Euer Vorgesetzter wohl davon? Ihr solltet doch wissen spätestens bei den Riffinseln von -" "Das reicht!" knirschte Viggo und Maila verstummte, ließ es sich allerdings nicht nehmen ihm weiter düstere Blicke zuzuwerfen.
"Bring die Gefangene weg", knurrte er Arik zu und sah dann wieder zu Maila mit einem derart eisigen Blick, dass ihr ganz unwohl wurde. "Lass sie bewachen, erstatte dem General Bericht und komm anschließend zurück - Wir scheinen hier ein Autoritätsproblem bei unserem Ehrengast zu haben." Er sah ihr noch immer tief in die Augen und sie versuchte dem Blick standzuhalten, auch wenn sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen musste, dass das nicht real war. Wäre es das, wäre sie schon lange eingeknickt. Währenddessen packte Arik Mia am Arm und zog sie mit sich. Auch die beiden Drachen folgten ihm und sobald die Tür hinter ihnen zufiel war es bedrückend leise in dem Raum.
Für einen Moment behielt ihr Vater seine harte Mine bei, dann lächelte er langsam und schüttelte schließlich lachend den Kopf. "Mein Mangel an Moral ist beklagenswert?" fragte er und er klang beinahe ein wenig beleidigt. Maila sah allerdings einen Funken Stolz in seinen Augen. Sie lächelte ebenfalls und die Hitze stieg ihr in den Kopf. "Ja... das erschien mir realistisch", murmelte sie kleinlaut und Viggo zuckte mit den Schultern. "Das war auch ziemlich gut - es erinnert mich fast an die alten Zeiten, als ich noch in einer Zelle saß!" Maila lächelte matt und seufzte dann. Sie freute sich so sehr, über die neue Atmosphäre zwischen ihnen, doch sie hatten noch immer viel zu besprechen.
"Hat es denn funktioniert?" fragte sie ernster und Viggo nickte stolz, wenn auch wieder ernster. "Du denkst es geht hier nicht mit rechten Dingen zu, denn sie verschweigt und verdreht Teile der Geschichte. Sie ist gut - sie nutzt aus was du sagst und erfindet ihre Geschichte mit jedem Satz neu. Dennoch scheint dir die Rolle durchaus abgekauft zu haben. Wenn du nicht ebenso gut wärst, hätte das leicht schief gehen können. Aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass irgendwas nicht ganz stimmte", fasste er die Lage zusammen und beide sahen stirnrunzelnd zu Boden.
"Und was machen wir dann?" - "Ich bin mir nicht völlig sicher. Du hast gute Arbeit geleistet, die falschen Informationen einzuschleichen - ich denke sie weiß nicht genug, um gefährlich zu sein. Ob sie zu den Reitern gehört oder nicht, kann ich nicht festmachen - das ganze ist sehr widersprüchlich. Sollte es wirklich so sein, dann wird das, was sie zu berichten hat, Hicks Ansichten vermutlich nur festigen, aber das ist keine Überraschung. Zulassen dürfen wir das dennoch nicht. Wir brauchen ihn noch bis zum Anfang der nächsten Woche auf unserer Seite. Ich habe vorhin mit Gerhard gesprochen, der Wind hat sich gedreht, wir werden vermutlich früher als erwartet ankommen. Das ist gut, vielleicht holen wir dann die verlorene Zeit wieder auf, aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Neo hat einen Vorsprung. Ich hätte dir gerne die Klippen gezeigt, ich hätte dir gerne mehr Zeit gelassen und -" er seufzte tief und als er sie ansah sah sie wieder diese tiefe Traurigkeit in seinen Augen. "Ich hätte vieles gerne anders gehabt. Aber das können wir jetzt nicht mehr ändern und wenn wir die Klippen ohne Unterstützung betreten..." Er musste den Satz nicht vollenden, den Mailas Magen hatte sich bereits herumgedreht und ihre Mine verdunkelte sich.
"Das ist mal wieder alles außerhalb der Planung, aber noch ist die Schlacht nicht geschlagen, wir haben immer noch eine Chance. Aber dafür musst du noch morgen zur Schule fliegen."
- 4549 Wörter - School of Dragons - Honigmuesli - 04.09.20 -
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