Kapitel 39 - Die nördlichen Märkte

In den nächsten Tagen versuchte Maila möglichst nicht mehr über all ihre Probleme nachzudenken und sich mit anderen Dingen abzulenken. Es gab keine Sekunde, in der sie ruhte, außer ihre Müdigkeit zwang sie zu schlafen. Das war die schlimmste Zeit des Tages, denn ihre Träume waren wirr und zumeist geplagt von furchtbaren Szenarien. Und gerade deswegen suchte sie wie eine Verrückte zu jeder Zeit nach einer Beschäftigung. Sie trainierte mit Arik und Gerhard, arbeitete mit den Teams oder übte neue Manöver mit den beiden Nachtschatten, um auch sie abzulenken. Sie tat alles, um ihre schmerzhaften Gedanken wegzusperren.

Noch immer hatte sie keine Lösungen gefunden, doch sie versuchte es auch nicht. Sie wollte sich nicht damit befassen. Nur äußerst selten schloss sie sich den Planungen von Viggo an, doch er respektierte ihre Entscheidung, auch wenn er sie behütend im Auge behielt. So auch, als sie an diesem Tag von dem Training mit dem E-Team zurückkehrte und in das Kartenzimmer lief, um nach ihrem Armschonern zu suchen, die sie für das Kampftraining benötigen würde.

Viggo sah von seinen Notizen auf und musterte sie behutsam. "Du bleibst nicht lange, schätze ich?" - "Nein, ich suche meine -" Da hatte er schon den Tisch umrundet und hob fragend ihre Lederschoner in die Höhe. "Aber ich kann dir gleich sagen, dass Gerhard sich heute nicht die Zeit für ein zweites Training nehmen kann", erklärte er sanft und sie seufzte traurig. Er war ein erstklassiger Lehrer und sie fieberte dem Tag entgegen, an dem sie ihn schlagen könnte. Allerdings wusste sie auch von Arik, dass er mit den Vorbereitungen der Marktankunft eine Menge zutuen hatte und so streifte sie enttäuscht ihren Mantel ab und warf ihn über eine Kiste. Mondblüte streckte sich gleichgültig und trottete ins Nebenzimmer, um sich auszuruhen.

Maila aber ließ sich alternativlos auf einen Stuhl sinken und drehte gedankenverloren eine Figur des Spielbrettes in der Hand herum, während Viggo sich wieder seinen Überlegungen widmete. Sie war dankbar, dass er nichts weiter sagte und beobachtete einfach nur schweigend, wie er verschiedenste Papiere sortierte und nachdenklich mit dem Stift auf den Tisch klopfte, bevor er wieder etwas auf die große Karte zeichnete.

"Gibst du mir den?" fragte er nach einer Weile und sie schreckte aus ihren eigenen Gedanken auf. Er lächelte kurz und nickte zu der Spielfigur. "Oh - klar." Sie streckte die Hand aus, bis ihr plötzlich bewusst wurde, welche Figur sie da in der Hand hielt. "Der Verräter?" fragte sie skeptisch und sah zu Viggo auf, der das Gesicht verzog. Sie hatte eine düstere Vorahnung und ihr Herz klopfte nervös an ihre Rippen. "Das ist eine neue Theorie von mir - und sie gefällt mir nicht."

"Und?" hackte sie nach einigen Minuten nach, in denen sie ihn lediglich unsicher beobachtet hatte. Er legte jedoch nur die Stirn in Falten, woraufhin sie ihm auffordernd die Figur zuwarf. Sie schätze es, dass er sie nicht belasten wollte, doch sie war zu tiefst beunruhigt. Letztendlich sorgte sie selbst schon für genug Verwirrung auf beiden Seiten.

"Seit dem Angriff der Reiter... Es geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf! Wie haben sie uns gefunden?" Viggo verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust, "Woher wussten sie, wo du untergebracht bist?" Erstaunt lachte Maila auf und unterbrach in damit. "Oh - deswegen musst du dir keine Sorgen machen, das war unsere Inselgarde", wank sie ab, auch wenn sie bei dem Wort unsere unmerklich zusammenzuckte. Sofort verbannte sie den Gedanken allerdings. Sie hatte nun keine Zeit dafür.

Viggo sah sie währenddessen nur forschend an und so erzählte sie, dass Ramonas Gruppe sie bereits seit Berk beschatteten. "Ich dachte, das hätte ich dir bereits erzählt", stutze sie nun und er nickte nachdenklich. "Das hast du. Aber es ist merkwürdig. Irgendwas stört mich daran - Donnerschlags und Blitzschlags Patrouillen sollten sie auf Abstand halten. Sie hätten es auf keinen Fall riskieren dürfen, zu nahe zu kommen. Und du kennst ja unsere Sicherheitsvorkehrungen was die Kurse betrifft, es ist nahezu unmöglich uns zu folgen. Es sei denn, sie wussten genau, wo sie suchen müssen", murmelte er vor sich hin und schrieb einige Sätze auf eine neue Schriftrolle. Sie nickte widerstrebend. Sie vermuteten das Neo die Kurs- und Taktikpläne von außen erhielt, auch wenn er selbst das natürlich abstritt. Doch Maila wagte es nicht, diesem Gedanken nachzugehen. Sie wollte keinen ihrer Freunde für einen Verräter halten müssen.

"Solange ich nicht sicher bin, dass diese Reiter nicht doch noch da sind, sollten wir auf jeden Fall wachsam sein, so leicht lässt Hicks sich sicherlich nicht abschütteln." - "Aber er fürchtet Donnerschlag und seine Reichweite ist groß, oder nicht? Du hast selbst gesagt es sei schwer uns zu folgen", hackte sie nach und er zuckte nur unentschlossen mit den Schultern. "Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht. Wir nähern uns den Märkten, wie du weißt... und normal erhalte ich eine Menge Einladungen von den Händlern..." - "Willst du damit sagen, es werden Briefe abgefangen?" - "Es wäre möglich, doch ich bin mir nicht einmal sicher, ob es die Reiter sind - es geht mir um den da", redete er weiter und hob demonstrierend die Figur in die Höhe.

Maila nickte aufmerksam und er begann zu erklären: "Meine Vermutung hat zwar keinen klaren Ursprung, allerdings täuscht mein Gefühl mich in diesen Angelegenheiten selten. Leider spreche ich hierbei nicht auf einem Verräter auf unserer Seite, wäre es so, wüsste Hicks bereits alles über dich. Er weiß überhaupt erst seit kurzem von dem allem, so schnell hätte er nie einen Spion auf die Sif einführen können." Er nickte langsam und sie biss sich auf die Lippe. Noch konnte sie ihm nicht glauben, wenn sie wollte. "Aber überleg nur, es macht überraschend viel Sinn - Neo und die Jäger vertrauen mir nicht, es wäre für sie durchaus sinnvoll eine Art... Rückversicherung in ihrem Plan einzubauen. Ihnen ist bewusst, dass ich sie jederzeit hintergehen würde, um die Reiter zu schützen, ihre einzige Drohung ist die Angebliche Gefangenschaft meine Tochter", erklärte er und warf ihr einen wissend Blick zu, der deutlich aussagte, dass er diesen Plan noch immer lächerlich fand. Maila nickte unwohl.

"Mich brauchen sie nur für das große Finale - Ich soll ihnen die Reiter ausliefern und das schon seit Monaten. Unglücklicherweise bin ich nicht gerade... umgänglich. Ich bin mir sicher Neo denkt, ich würde mich zu viel einmischen - und das tue ich ja auch. Gerade seit du hier bist. Das ist ihm sicherlich aufgefallen. Es wäre nur klug, sich nicht mehr völlig auf mich zu verlassen und die Reiter selbst in den Griff zu bekommen", er machte eine Pause und sah auf das Spielbrett hinab. Seine Mine war düster und tiefe Falten zogen sich über seine Stirn. Maila fand, er sah auf einmal viel älter aus. Doch das intelligente funkeln in seinen Augen war noch immer unverändert.

"Viele Dinge, die ich zuvor für Zufall oder Glück hielt, könnten sich so erklären. Und je weiter ich diesen Gedanken spinne... Ich weiß es klingt absurd, zuerst erschien es mir auch seltsam. Aber ich habe einen ganz anderen Gedanken gefasst: Was, wenn dieser Spion der geheime Jägerkopf ist? Das hört sich viel zu weithergeholt an, doch je länger ich darüber nachdenke, desto plausibler erscheint es. Ein einfacher Informant ist ohnehin nicht Neos Stil. Er hat massive Vertrauensprobleme und macht seine Pläne außerdem nicht selbst. Er ist vielleicht klüger, als er sich manchmal gibt, doch es ändert nichts daran, dass er wahnsinnig ist. Ohne den versteckten Jägerkopf wäre ihm die Führung dieser Flotte niemals gelungen. Und niemand, absolut niemand hat jemals genaueres von diesem Jägerkopf gehört, nur Neo weiß wer und vor allem, wo, er ist. Das könnte seine Identität schützen. Ich bin mir sicher, dass ich dem Jägerkopf noch nicht begegnet bin, denn ich beobachte jeden von Neos Schritten genau, seit ich mich auf das alles eingelassen habe. Ohne zu wissen wer der Jägerkopf ist, stehen wir im dunkeln. Diese Person lenkt alle Pläne von Neo, hat seine Augen und Ohren offenbar überall. Sein Hintergrundwissen aus nächster Nähe der Reiter wäre ihm dabei durchaus nützlich. Irgendwo in diesem ganzen Spiel muss er sich schließlich befinden und ich denke nicht, dass jemand wie er allein auf Berichte aus womöglich sogar dritter Hand vertraut, das würde ich auch nicht. Aber das Problem ist nun: Unser Spion muss sich in irgendeiner Art in der Nähe der Reiter befinden."

Das traf Maila trotz ihrer eigenen Vermutung schwer und sie atmete mehrfach tief durch, um nicht wieder die Kontrolle zu verlieren. "Aber wie - wie kommst du darauf? Neo scheint den Reitern gegenüber keinen Vorteil zu haben oder?" flüsterte sie und Viggo schüttelte unwohl den Kopf. "So spielt man dieses Spiel. Einerseits wäre es wohl zu riskant solch vertraulichen Informationen an einen Schwachkopf wie Neo zu geben, er würde auf der Stelle auffliegen. Du weißt immerhin, wie gut Hicks ist. Und andererseits ist ihr Plan vermutlich größer als all das. Der Schlag gegen Berk und die Reiter ist nur der Anfang, immerhin eifern diese Leute Drago Blutfaust nach. Aber sie scheinen sowohl Hicks, als auch mich zu fürchten und deshalb lassen sie mich so wenig wie möglich wissen. Neo mag ein Schwachkopf zu sein, doch der andere ist es nicht. Deshalb denke ich inzwischen auch, dass Jägerkopf nicht der richtige Begriff ist. Wir wissen immerhin nicht, ob er wirklich der Anführer hier ist. Ich bezweifle, dass Neo sich gerne herumkommandieren lässt." Maila zuckte nur mit den Schultern. Sie spürte diese Kälte in sich aufsteigen, die ihr signalisierte, dass ihr das alles schon sehr bald zu viel werden würde. Doch sie musste hier durch. "Es ist vermutlich nicht wichtig. Das er ihr Stratege ist, ist sicher und ob Stratege oder geheimer Anführer, wir müssen ihn ohnehin finden", erklärte sie und Viggo blinzelte perplex. "Das ist... interessant. Ich bevorzuge es mehr zu wissen, als nicht zu wissen, aber du hast natürlich recht."

Für einen Moment schwiegen sie beide und Maila sah mit leerem Blick auf die kleine Verräterfigur, deren Blick immer lebendiger - immer böser zu werden schien. Sie dachte an die Reiter, vor allem an Hicks und Heidrun. An ihre Mitschüler, an Igor, der aus allem einen Wettstreit machte, ihr bester Kämpfer war und nicht viel sprach, sich insgeheim aber doch, auf seine weise, um die Gruppe sorgte. An Erik, der wie eine wandelnde Bibliothek war, der alles wusste und sie alle antrieb, über sich selbst hinauszuwachsen. An Fiona, ihre beste Freundin, die so wenig und doch so sehr eine Berserkerin war - loyal, mutig, klug, doch auch schüchtern und so einfühlsam. An Nico... bei dem Gedanken an sein glückliches Lachen und das Leuchten in seinen bernsteinfarbenen Augen traten ihr die Tränen in die Augen. Sie hatte so sehr versucht, nicht daran zu denken. Doch jetzt war es zu spät und sie atmete zitternd durch. Niemals würde sie einen von ihnen als Verräter beschuldigen.

"Es muss niemand sein, der Hicks privat nahe steht, Johann hat es schließlich auch geschafft an alle Informationen zu kommen, die er brauchte", erklärte Viggo sanft und sie lächelte matt. Sie wusste genau, dass er das nur für sie sagte. Unter keinen Umständen durften sie etwas unbedacht lassen und Viggo wäre der letzte, der das tuen würde. Jeder könnte es sein. Auch wenn ihr das nicht gefiel und sie das unter keinen Umständen glauben wollte.

Ihr Vater redete weiter, auch wenn er immer wieder unsicher zu ihr hinüber sah. "Soweit ich weiß stand diese Flotte nie unter offensiven Befehlen - vielleicht war es Teil der Geheimhaltung, vielleicht traut der Stratege sich auch einfach noch nicht. Mir sind kleine Dinge aufgefallen - es kann genauso gut sein, der einfach nicht mehr weiß. Ein Spion in den engsten Kreisen ist sehr gefährlich und auch sehr anstrengend", er machte eine kurze Pause und er musterte sie vorsichtig, "Erinnerst du dich, als du hier angekommen bist? Oder eigentlich gilt es für jede Situation, in der du bisher mit Neo gesprochen hast... Er nennt dich Beschützerin." Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücke und sie sah abrupt auf.

"Das kann er nicht wissen...", murmelte sie entsetzt und Viggo lächelte erleichtert. "Genau! Und an Berk hat er sich damals vermutlich auch nur so nahe herangetraut, weil er wusste, dass die Reiter nicht dort sind. Leider wart ihr schon zurück und so wurde er entdeckt. Die Kommunikation zwischen ihnen ist also langsam. Und es gibt noch mehr Beispiele, von denen du nicht wissen kannst. Neo hat es beispielsweise trotz Hicks Gegenmaßnahmen geschafft, völlig unbemerkt Drachen einzufangen. Und das im ganzen Inselreich und auch in unmittelbarer Nähe von den Drachenauffangstationen der Reiter. Ich spreche aus eigener Erfahrung wenn ich sage das ist schwer. Und noch bevor ich mir hier eingemischt habe schaffte er es für Jahre völlig unentdeckt zu bleiben. Ich denke ich tue dem Jägerkopf sogar einen gefallen, wenn ich Neo von seinen Übersprungshandlungen abhalte", Viggo knirschte mit den Zähen und Maila sah nur in Horror auf die Figur auf dem friedlichen Spielbrett.

"Der Brief von Dagur, den wir vorgestern abgefangen habe", redete Viggo weiter, "Der, der sagte, es wären erneut Drachen verschwunden -" " -er war in die andere Himmelsrichtung bestellt", murmelte sie leise, nun völlig bei der der Sache, "er hätte keinem der Späher in die Hände fallen können." Sie sah auf und er nickte düster. "Aber ich kann - ich kann nicht sagen, wer-" flüsterte sie erstickt und er nickte verständnisvoll, sodass sie nicht weitersprechen musste. Ihre Brust zitterte und sie atmete schnell. Ihre Augenwinkel brannten. Sie wollte nicht wieder durch diesen Horrer gehen müssen, doch sie spürte bereits, wie ihre Gedanken begannen sich im Kreis zu drehen.

Doch zu ihrem Glück ertönte da ein lautes Horn und sie sprang ruckartig auf. "Sind wir da?!" - "Ich denke so", lächelte Viggo und erhob sich ebenfalls.

~*~

Die nördlichen Märkte befanden sich auf einer kleinen, natürlichen Insel auf der es viele unberührte Wälder und einsame Strände gab. Dennoch herrschte dort zumeist ein reges Treiben, duzende Boote drängten sich an den Anlegestellen. Eilig wurden sie jedoch losgebunden, als die mächtigen Schiffe der Jäger am Horizont erschienen.Allerdings würden nur Viggo, Arik, Gerhard, Maila, einige Jäger und die Nachtschatten, umgestiegen auf die Iduna, anlegen. Die Sif war zu groß und um einiges zu schwerfällig. Es barg ein großes Risiko solch ein Schiff in einen Hafen laufen zu lassen, es wurde immerhin nicht umsonst von Versorgungsschiffen begleitet.

So standen sie abwartend am Bug des kleinsten Schiffes und sahen auf die näherkommende Insel, während die beiden großen Schiffe hinter ihnen zurückblieben. Unter ihnen schäumte das Wasser und die Wellen schlugen heftig an die Holzwand, die See war unruhig. Das war jedoch nicht einmal ungewöhnlich, denn es wurde allmählich kühler. Es bahnte sich außerdem ein letztes Sommergewitter heran, dunkle Wolken türmten sich über ihnen auf und verdeckten die Sonne immer wieder.

"Ich möchte dich mit auf die Insel nehmen", durchbrach ihr Vater schließlich die Stille und Maila sah, aus ihren Gedanken aufgeschreckt, auf. "Hicks hat sicherlich Leute auf die Insel geschickt, falls die Inselgarde noch hinter uns her ist", wandte sie ein und er nickte zustimmend. "Deswegen nehme ich dich ja mit - Ich habe außerdem Blitzschlag in die Sturmwolken hinaufgeschickt, Drachen werden keine Chance haben sich der Insel zu nähern. Aber ich schätze deine zweite Meinung, wenn wir wirklich auf den Spuren des Jägerkopfes sind, dürfen wir uns nichts entgehen lassen", erklärte er und sie nickte nachdenklich. Sie waren im Gebiet der Beschützer, es wäre durchaus möglich, dass Mala Krieger hergeschickt hatte. So wie Maila sie kannte hatte sie nur darauf gewartet alle verfügbaren Kräfte losschicken, sobald sich eine Gelegenheit bot. Und hier war sie.

"Ich glaube ganz ehrlich gesagt nicht, dass es eine gute Idee ist offen -" sprach sie weiter und Viggo nickte eilig, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Seine dunklen Augen funkelten geheimnisvoll, er hatte einen Plan. "Ihr beide", erklärte er und deutete auch auf Arik, der sich überrascht zu ihnen herumdrehte, "habt bei dem Angriff eine überaus nützliche, neue - wenn auch unerwartete - Komponente ins Spiel gebracht." Verwirrt sahen die beiden jungen Wikinger sich an, doch Viggo löste lächelnd seinen Umhang und legte ihn Maila auf die Schultern. Nun verstand auch ihr Cousin und zog ihr lachend die Kapuze über den Kopf.

"Der Drachenbezwinger wird eine interessante Rolle spielen", verkündete Viggo und Maila lachte überrascht auf, wenn auch nicht völlig überzeugt. "ist das euer ernst?" Sie wusste noch nicht so recht, was sie davon halten sollte, jedoch sollte es sich bereits wenig später als Vorteil herausstellen.

An Viggos Seite, flankiert von den beiden Nachtschatten, verließ die junge Beschützerin das Schiff und schritt selbstbewusst in das Dorf hinunter. Tief im Schatten der Kapuze und ein weiteres Tuch bis unter die Augen gezogen, beobachtete sie die umstehenden Händler und entdeckte auch schon sehr bald bekannte Gesichter. Sie hatte recht behalten - die Beschützer waren hier. Ihre wachsamen, hasserfüllten Blicke schmerzten ihr, doch sie blendete es so gut wie möglich aus und hielt den Rücken gerade.

Während Viggo mit den Händlern sprach und Bestellungen in Auftrag gab, die die Jäger später übernehmen würden, beobachtete sie alles um sie herum. Sie spürte, wie sie alle Blicke auf sich zog, blieb jedoch ruhig. Der Ruf eilte dem Drachenbezwinger wohl schon voraus. Der Name gefiel ihr zugegebenermaßen nicht, doch seine Rolle war überaus nützlich. Unbemerkt, im Schatten der Kapuze, wanderten ihre Augen herum und sammelten jegliche Informationen. Außerdem würden sie so die Reiter für eine Weile auf Abstand halten... Es war eine zweischneidige Klinge, sie werden im gesamten Inselreich gefürchtet werden und die Reiter würden nur stärker zurückkehren. Doch sie hoffte, dass das nicht mehr nötig sein würde. Dass alles bald vorbei sein würde.

Für den Moment folgte sie allerdings schweigend Viggo durch die Gassen, die Mala ihr als Kind zu Betreten verboten hatte. Sie sagte, nur Drachenjäger trieben sich dort herum und sie hatte wohl Recht, sie begegneten nur wenigen, düster aussehenden Personen mit ihren Wachen. Sie selbst waren allerdings nicht besser, sie passten perfekt in das Bild. Auch die Läden selbst wirkten nicht so offen und freundlich, wie sie es kannte. Die Gänge zwischen den Zelten waren eng und verwoben und selbst die beiden Drachen schlichen unruhig neben ihr her. Und während sie schnellen Schrittes durch die Märkte liefen, füllten die Jäger unter Gerhards Aufsicht die Vorräte der Sif nach.

"Wohin gehen wir", raunte Maila Viggo zu, als sie einer weiteren schmalen Abzweigung folgten. Doch er blieb nur abrupt vor einem Zelteingang stehen und nickte ernst. "Ich habe einen Plan und wir brauchen zwei wichtige Dinge von diesem Besuch", unsicher sah er sich um, "du wirst es bald sehen. Von Phase eins weißt du? Gut. Wir verknüpfen sie mit Phase zwei und diese wiederum beinhaltet diesen Schneider! Während -" doch da trat auch schon ein großer, dunkelhaariger Mann nach draußen und reichte Viggo brüderlich die Hand. "Meister Grimborn!" lachte er und Maila machte unbemerkt einen Schritt zurück, um ihre Tarnung aufrecht zu erhalten. Er richtete seine volle Aufmerksam ohnehin auf Viggo, der ihn geschickt in ein anscheinend freudiges Gespräch vertiefte. Der Händler wirkte auf Maila wie die Sorte Mensch, die alles für Geld tuen würden. Graue Strähnen zogen sich durch seinen dunklen Bart, doch in seinem Blick erkannte sie seine Gerissenheit. Viggo hingegen signalisierte ihr unterbewusst, dass er ihm zwar nicht völlig vertraute, allerdings eine Geschichte mit ihm teilte und sie ging von einer guten Geschäftsbindung aus.

"Geh und hol mir Maila", riss Viggo sie aus ihren Gedanken und sie musste nur für einen Wimpernschlag aufsehen, um ihn zu verstehen. Entschieden nickte sie und war im nächsten Moment wortlos verschwunden. Eilig lief sie die dunkle Gasse entlang, bis sie wieder in die Sonne trat und sah sich um. Sie erkannte die Straße wieder, sie gehörte zum friedlichen Teil der Märkte und Maila sah im Augenwinkel bereits, wie sich drei getarnte Beschützer in Bewegung setzten. Doch sie würde sich heute nicht damit auseinander setzen und schwang sich eilig in den Sattel. "Nichts wie weg Süße!", murmelte sie und Mondblüte schnaubte zustimmend.

Erleichterung durchfuhr sie, als sie über die bunten Zelte hinweg zur Küste zurückkehrte und der vertraute Wind um sie herumwirbelte. Schon jetzt stellte dieses Spiel sich als gefährlich heraus doch es eröffnete eine Menge neuer Möglichkeiten. Sogleich bemerkte sie allerdings erneut Bewegung unter sich und indentifizierte weitere Verfolger, die ihrerseits die Nachtschatten über ihnen erkannt hatten. "Vorsichtig sein", murmelte sie Mondblüte zu, die nur nervös zu den Wolken heraufsah. Wenig später begann es tatsächlich zu Regnen und Blitze fuhren durch die Wolkenmassen. Sie war sich nicht sicher, ob tatsächlich ein Reitertrupp hier war, oder ob das Gewitter natürlich war, doch sie war überraschend froh, wenig später wieder vor dem Zelteingang zu stehen. Nun trug sie wieder ihre normale Kleidung, während Arik als Drachenbezwinger neben ihr stand. Er grinste hinterhältig amüsiert und sie erwiderte es kopfschüttelnd.

Es machte ihr sogar wirklich ein wenig Spaß mit ihm dieses kleine Schauspiel zu spielen, auch wenn Viggo eine andere Rolle von ihr erwartete. Sie musste sich als die Gefangene zeigen, die sie für das Inselreich war und sie würde etwas einfädeln. Ein Stück Information, das die Reiter bestenfalls erhalten würden.

"Grimborn, dein wundervoller Plan hat einen Hacken", lachte sie triumphierend, als sie schließlich die Zeltplane beiseite warf und in den Raum stürmte. "Überall da draußen sind Beschützer und dein Skrill hat auch mit irgendetwas zu kämpfen!"

Viggo, der mit dem fremden Kaufmann an einem Tisch in der Ecke gestanden hatte fuhr, augenscheinlich erbost, herum. Doch seine Augen funkelten. Zum ersten Mal sah sie, was ihn an diesem Leben reizte. Dieser Ausdruck war allerdings schon bald verschwunden, als er ihr einen falschen, strafenden Blick zuwarf.

"Dafür bin ich hier", stellte Arik hinter ihr drohend fest und positionierte sich wachsam bei Ohnezahn neben dem Ausgang. Maila lachte nur trotzig auf und verschränkte die Arme vor der Brust, bevor sie sich ungefragt auf einen Hocker auf der anderen Zimmerseite setzte. Viggo wandte sich seufzend wieder dem Kaufmann zu, der sie noch einen Moment interessiert beobachtete und dann wieder der Skizze seines Kunden Aufmerksamkeit schenkte. "Lässt sich das Einrichten, Jack?" fragte Viggo und der Händler nickte langsam, strich sich über den Bart. "Ich denke schon... Ich hoffe es sehr, guter Freund! Einen Moment", rief er und verschwand durch eine Tür neben Maila in einen Hinterraum.

Viggo nutzte die Gelegenheit um ihr zuversichtlich zuzunicken und sie blinzelte lächelnd. Fiel jedoch gleich wieder in ihre Rolle zurück und musterte neugierig ihre Umgebung. Das Zelt war überraschend groß und die Böden mit abgetretenen Teppichen ausgelegt. Auch die Wände waren aus Stoff, selbst wenn der Regen nicht hereinkam. Er trommelte lediglich über ihnen auf die Decke und so war es auch ohne Worte laut. Eingerichtet war der Raum kaum, nur der Tisch neben Viggo und einige Stühle, sowie eine große Kiste. Über ihnen schaukelte außerdem eine Öllampe, die flackernd Licht spendete, wo das Tageslicht es nicht hinschaffte. Vom Eingang her kam kühle Luft herein und Regentopfen fielen stetig von der Plane darüber. Gedankenverloren lauschte Maila dem Geräusch.

"Meister Grimborn!" rief Jack, noch bevor er wieder in den Raum kam, "Alles geht klar! Wir verschieben zwei andere Kunden und du sollst deine Waren übermorgen erhalten!" Er trat herein und eine, ebenfalls bejahrte, kleine Frau folgte ihm. Sie bemerkte Maila und ihre nassen Haare, lächelte ihr freundlich zu und verschwand schnell wieder, um ihr eine Decke zu holen. Die junge Beschützerin war überrascht und lächelte ebenfalls dankbar.

"Das ist meine Schwester, Marina", erklärte Jack, zwar an Viggo gewandt, doch auch Maila erhob sich jetzt und stellte sich zu ihnen. "Sie wird die Maße für die beiden nehmen und das Gewand planen, um alles weitere werden sich dann meine Arbeiter kümmern", erklärte er und Viggo nickte zufrieden. Er sah von ihr zu Arik und Maila zischte gespielt, woraufhin Arik stur ihren Arm ergriff und sie in das Nebenzelt führte. Dort ließ er sie augenblicklich wieder los, streifte seine Kapuze zurück und lächelte kurz, warf ihr allerdings einen warnenden Blick zu.

Marina war ihnen gefolgt und musterte die beiden nachdenklich. "Wollen wir mit dem jungen Mann anfangen, hm?" fragte sie freundlich und machte sich sogleich in dem Chaos aus Kisten und Stoffbergen um sie herum auf die Suche nach einem Maßband. "Den Mantel bitte ablegen, Sir!" rief sie von irgendwo hinter einer Stoffwand, die durch das Zimmer gespannt war, bevor sie aus dem nichts wieder auftauchte und eilig um Arik herumlief. Maila beobachtete interessiert, wie sie geschickt alle wichtigen Maße nahm und dann zögernd vor den beiden stehenblieb. "Ein dunkler Rotton würde zu Ihren Haaren passen, aber das Engelchen hat blaue Augen und ich habe die Drachen gesehen -" Sie zog einen tief blauen Stoff hervor und hielt ihn probeweise neben Ariks schwarzen, "Sagt euch diese Kombination zu? Ich habe auch noch braun?"

Überrascht von ihrem plötzlichen Wortschwall blinzelte Maila und nickte dann begeistert. Die alte Schneiderin gefiel ihr, sie schien so gar nicht in dieses Gebiet zu passen. Doch sie fand sich denoch zurecht. Herzlich lächelnd machte sie sich Notizen auf Viggos Skizze. "Nun gut, Schätzchen - für dich wird es wohl etwas länger dauern, wenn das wirklich gleich aussehen soll. Dein Bruder ist immerhin fast einen Kopf größer!"

"Bruder?" keuchte Maila erstaunt und fügte direkt noch so giftig wie möglich "Er ist sicher nicht mein Bruder!" an.

"Verzeiht, junge Lady", warf Marina sofort ein und gar grenzenloses Erstaunen war auf ihr Gesicht geschrieben, "Ich weiß zwar, dass Meister Grimborn nie Kinder hatte, doch seht ihr euch so ähnlich, dass ich davon ausging, Ihr wärt zumindest..." - "Schon okay", flüsterte Maila, deren Herz so schnell schlug, dass sie beinahe keinen Ton herausbrachte, "Aber ich bin Maila Eléna von den Beschützern des Flügels - Tochter von Mala, Königin der Beschützer." Marina nickte interessiert, noch immer verblüfft, doch schien sie sie erkannt zu haben.

"Deshalb kommst du mir so bekannt vor, meine Liebe, ich wusste es gleich! Ich dachte es wäre die Ähnlichkeit zu diesem jungen Mann, doch das war wohl zu viel des Guten, denke ich... Nun, Sir, wir wären fertig und ich würde mich Maila annehmen. Außer-" Doch Arik wank nur nickend ab und ließ die beiden alleine, woraufhin Marina begann auch ihre Maße zu nehmen. Gekonnt bewegte sie sich um sie herum und lächelte freundlich, wenn sie ihren Blick traf. Für eine Weile schwiegen beide, während Mailas Herz noch immer raste. Ohne einen Zweifel war diese Freu von einer Verwandtschaft zwischen ihnen ausgegangen... Sie hatte Glück, dass Marina so eine freundliche Person war, es könnte ihr ernsthafte Probleme beschaffen, sollte das erneut passieren. Doch was könnte sie auch tuen? Nun würden sie und Arik auch im selben Kostüm herumlaufen...

"Ich werde deine Schuhe erhöhen, Liebes, und oben kürzen, das sollte euch gleich groß machen, einverstanden?" unterbrach die alte Schneiderin ihre Gedanken und Maila nickte eilig. "Und deine Kapuze...", sie sah nachdenklich auf die Skizze, "Die kann ich vielleicht etwas polstern, damit sie höher aussieht." - "Oh - nein, ich denke ich werde ohnehin meine Haare hochbinden müssen. Wichtiger ist wohl, dass wir sie nicht verlieren - bei ihm bin ich mir sicher, aber vermutlich schicken sie mich auch raus", seufzte sie und Marina sah aufmerksam auf. Ihre Augen glänzten mitfühlend und sie legte den Kopf schief. "Du bist eine Drachenreiterin oder nicht? Was tuest du den bei - bei ihnen?" fragte sie leise und Maila lachte leise. Sie zuckte mit den Schultern.

"Es - es ist kompliziert. Grimborn und ich haben mehr oder weniger einen Pakt - nun, er hat meinen Drachen", flüsterte sie und Marina nickte verständnisvoll. "Der Nachtschatten, oder nicht?" - "Mondblüte, ja. Der andere ist Hicks Partner." Beide nickten erneut langsam, bis die alte Schneiderin aufsah und lächelte. "Mach dir keine Sorgen, Engel. Wenn du ein Drachenreiter - und auch noch Malas Tochter bist, dann werden sie dich schnell hier rausholen wollen. Die Beschützer schleichen schon seit Tagen auf der Insel herum, um genau zu sein. Sicherlich beobachten sie euren Kurs... Mir ist es zwar eigentlich nicht erlaubt so etwas zu sagen, aber du bist ein starkes junges Mädchen, da kann ich mir noch etwas abschauen." Sie lächelte zuversichtlich und Maila blinzelte überwältigt. "Danke...", murmelte sie leise und grinste glücklich. "Bei weiterem Kurs nach Westen kommen wir sowohl an Berk, als auch der Schule vorbei... also hoffe ich - hoffe ich, dass alles gut geht", murmelte sie und spürte ein unangenehmes Ziehen in der Brust.

"Ich glaube wir sind schon fertig, Liebes. Vielleicht sehen wir uns noch einmal, aber ich wünsche dir dennoch schon einmal viel Kraft für deine Lage. Ich habe nie geglaubt, dass Meister Grimborn ein schlechter Mensch ist, doch ich kenne auch die Geschichten über die Jäger... Folge deinem Herzen, Maila Eléna, es wird sicherlich alles gut gehen", verabschiedete sie sich und Maila atmete zitternd auf. "Ich danke Ihnen von Herzen, ich - ich weiß nicht einmal was ich noch sagen soll, aber ich denke ich finde hier irgendwie raus. Jedenfalls freut es mich, Sie kennengelernt zu haben", bedankte sie sich erneut. Marina lächelte nur herzlich und zog einen Kohlestift aus einer ihrer vielen Taschen. "Eine Sache noch", murmelte sie. Auf ein weiteres Stück Pergament zeichnete sie eine zweite, eilige Skizze und Maila riss erstaunt die Augen auf, als sie es sah.

"Wie gefällt es dir? Ich weiß nicht wofür ihr diese Rüstungen braucht und mir ist bewusst, sie sollen ähnlich aussehen, doch denke ich, dass das besser zu dir passt, oder?" - "Es -" Maila keuchte. "Es ist atemberaubend, ich liebe es", flüsterte sie, mit großen Augen auf den Nachtschattenumhang. Der Drachenbezwinger war soeben geboren.

- 4902 Wörter - School of Dragons - Honigmuesli - 08.11.2019 -

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