Kapitel 33 - Die Sif

Nach einem langen Flug ohne viele Worte tauchte schließlich eine Bootsgruppe am morgendlichen Horizont auf. Noch immer war es kühl und etwas wolkenverhangen, die drei Schiffe zeichneten sich nur schwach gegen den Himmel ab. Doch in der Mitte erkannte Maila ein riesiges, ihr nur zu gut bekanntes Schlachtschiff. Die Sif.

Sie freute sich nicht sonderlich auf eine zweite Begegnung mit der schwimmenden Festung, ihre Gedanken hingen noch immer bei der Schule, die inzwischen hunderte Seemeilen hinter ihr lag. "Verhalte dich ruhig und lass mich sprechen, sie sollen denken, dass du mir zwar zur Flucht verholfen hast, aber wir noch immer meinem alten Plan folgen", raunte Viggo ihr zu, als sie sich bis auf wenige Fuß genähert hatten und Maila nickte wortlos. Sie war erschöpft von all diesen Plänen und den Geheimnissen, doch sie wusste, dass ihr eine Menge davon bevorstand. Der Schmerz ihres letzten - misslungenen - Planes lastete auch nach Stunden so schwer auf ihr, dass ihr übel war.

Sie hatte das Gefühl, dass die Bilder der Schule sie verfolgten, ständig bildete sie sich ein Flügelschläge oder die Rufe ihrer Freunde hinter sich zu hören. Außerdem löste ihr schlechtes Gewissen dieses seltsame Gefühl in ihrem Bauch aus, das sie jederzeit daran erinnerte was sie getan hatte. Es hätte alles so gut laufen können, doch jetzt war sie hier und Hicks ging von einem bevorstehenden Krieg aus. Dabei hatte sie doch immer nur Frieden gewollt...

Aber auch die Geschütze sprachen eine andere Sprache, als sie sich bedrohlich in ihre Richtung drehten. Maila verdrängte alle Gedanken an die Schule hartnäckig und atmete tief durch. Viggo bemeekte das und wies sie an, geradewegs auf das Schiff zuzuhalten. Es machte sie nervös genau in die Reichweite der Geschosse zu fliegen, doch da kam hastig Bewegung in das Schiff und die Geschütze wurden wieder gesenkt.

Sie setzten auf dem Vorderdeck auf und schon kamen ihnen mehrere Jäger entgegen, die sie schweigend umringten und Maila skeptische Blick zuwarfen. Viggo allerdings ließ sich davon nicht stören, sprang ab und nickte einer Gruppe dieser Männer zu. "Geht und holt mir Gerhard", befahl er und drehte sich dann zu den anderen, "wir drehen unverzüglich nach Südosten ab, die Reiter werden uns sicherlich in Kürze beiwohnen." Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu und die Wachen liefen augenblicklich davon, um den Befehl auszuführen. Maila beobachte alles nur mit großen Augen. Dafür, dass das nicht seine Truppen waren, waren sie überaus folgsam. Dennoch bemerkte sie eine gewisse Skepsis in ihren Blicken, was der zweite General allerdings aktiv übersah, er ging vor Mondblüte auf die Knie und legte ihr eine Hand auf die Nüstern.

"Ich danke dir. Du bist ein äußerst kluger und loyaler Drache und ohne dich wären wir nicht hier, meine Tochter tut gut an dir", flüsterte er und sie schloss für einen Moment die Augen. Er lächelte, richtete sich auf und sah Maila selbst an, die noch perplex blinzelte. "Dir danke ich auch, ich weiß welches Opfer du bringst, hier zu sein. Aber sei unbesorgt, ich werde mich darum kümmern", versprach er und sie nickte lächelnd. Seine Worte schienen ihr ein beklemmendes Gewicht von der Brust zu nehmen und sie atmete befreit durch. Es verwunderte sie immer wieder, wie schnell er sein Gesicht wechseln konnte, doch schaffte er es ein weiteres Mal, ihr Hoffnung in diesem finsteren Spiel zu verleihen.

"Kaum wieder hier fühlt er sich gleich wie zuhause!" ertönte eine Stimme hinter ihnen und Viggo warf ihr einen warnenden Blick zu, bevor er sich herumdrehte. Neo stand unterhalb der Erhöhung, auf der sie gelandet waren, und war sichtlich verärgert. "Und Besuch hast du uns auch mitgebracht!" rief er mit verschränkten Armen und Maila sah ihn verwundert an. Der erste General der Sif war ein großer Mann, mit wirrem blonden Haar und unzähligen Kampfnarben. Er war blass und hager, das auffälligste allerdings waren seine grauen Augen, die rastlos umher wanderten und zu jeder Zeit in Bewegung zu sein schienen. Maila musterte ihn eine Weile und hätte beinahe den Kopf geschüttelt. Irgendwas stimmte an ihm nicht.

"Neo", stellte Viggo nur unbeeindruckt fest und er nickte zustimmend. "In der Tat. Und ich frage dich, Grimborn, was genau du dir dabei denkst eine Reiterin hierherzuführen. Und meine Befehle außer Kraft zu setzten... Diese süße kleine Beschützerin hier hat sogar den Angriff gestern geführt", warf er ihm vor und Viggo seufzte. "Abgesehen davon, dass dem nicht so ist - Denkst du wirklich, ich würde einen Feind hierher führen? Sie hat mich hergebracht", zischte er und trat einen Schritt beiseite, "Das hier ist Maila, eine von Hicks Schülerinnen, die sich auf unsere Seite gestellt hat. Dennoch bleiben die Reiter weiterhin in dem Wissen, dass sie entführt wurde!" Das sagte er laut genug, dass alle umstehenden Truppen es hören konnten.

"Trotzdem darfst du nicht von mir erteilite Befehle-" "Neo", unterbrach Viggo ihn erneut. Er versuchte sich neutral und geduldig anzuhören, ließ aber deutlich den gereizten Unterton mitschwingen. "Laut deiner Definition meines zweiten Generalranges bin ich uneingeschränkt in der Lage meine Pläne auszuführen. Und dass die Reiter uns nicht entdecken oder unser Vorhaben erkennen ist durchaus Teil davon. Du kannst noch immer Einspruch erheben, doch es eilt und ich wusste nicht wie schnell ich dich finde", versuchte er ihn schließlich doch zu beruhigen, doch erfolglos. "Seit du dich gefangen genommen lassen hast, erwartest du aber von mir, dass ich deinen undurchsichtigen Schritten wortlos zustimme und ich bin immer noch der Anführer hier", fauchte Neo zurück und setzte schon zu mehr an, als ein weiterer Mann zu ihnen stieß. Er hatte tief schwarze Haare und eine lange Narbe von seinem rechten Auge bis zu seinem Ohr, die eindeutig von einem Drachen stammte. Seine dunklen Augen hatten den Angriff wohl überstanden, denn sie sprangen wissend von Viggo zu Maila und wieder zurück.

"Ah, Gerhard. Danke, dass du so schnell gekommen bist. Ich muss mit dir über den Nachtschatten sprechen, es ist wichtig für nächste Phase des Plans", begrüßte Viggo ihn und Maila lächelte ihm zu. Sie bemerkte was ihr Vatwr da tat, Neo allerdings schien das nicht zu gefallen, denn er kam zwei Schritte auf sie zu und wollte wohl weiter sein Missfallen ausdrücken, besan dich dann aber eines besseren. Oder er hatte doch noch Viggos Worte verstanden. Er funkelte Viggo an und zischte: "Ich gebe euch eine Stunde Zeit und dann wirst du mir deinen Plan erklären!"

Viggo nickte nur kühl, doch sobald er Gerhard und Maila ins Unterdeck geführt hatte, wirkte er gestresst. "Wir müssen sofort einen Plan entwickeln und wir haben wenig Zeit. Alle Erklärungen müssen wir wohl nach hinten verschieben... Es tut mir leid, dass du hier so einfach reingeworfen wirst", sagte er zu Maila und lächelte kurz aufmunternd, "Wir treffen uns gleich im Kartenzimmer, Gerhard, zeig Maila und ihrem Nachtschatten doch bitte ihr Zimmer", bat er, gerade als sie vor einer schweren Tür am Ende des Ganges angekommen waren. Er zwinkerte seinem langjährigen Freund zu und verschwand dann in seinen eigenen Räumen.

Die junge Beschützerin konnte nicht mehr nachfragen, bevor Gerhard eilig nickte und die beiden noch um eine letzte Ecke zu einer zweiten Tür führte. Er legte eine Hand auf den Türgriff, zögerte aber. "Du musst wissen, das Viggo immer vorgesehen hatte seine Tochter eines Tages auf dieses Schiff zu holen, allerdings wohl unter anderen Umständen", lächelte er und entsperrte mehrere Schlösser. Maila aber verwunderte das alles immer mehr. Das wirkte fast so, als würde sie hier eingesperrt werden, doch bevor sie darüber nachdenken konnte, redete er bereits weiter. "Das Zimmer war also ursprünglich für dich gedacht aber - nun ja, du wirst es gleich sehen, erschrick nicht, es ist kaum mehr bewohnbar. Diese Tür wird auch nicht mehr verwendet, aber mit euch beiden... ihr werdet sehen", wank er ab und Maila sah Mondblüte fragend an. Sie schien jedoch genauso ratlos zu sein und so mussten sie sich gedulden, bis Gerhard ihr schließlich zunickte und die Tür öffnete.

Das erste was sie sah war jedoch nicht der Zustand des Zimmers, die Krallenspuren auf der Treppe vor ihr, das vergitterte Fenster gegenüber oder die umgestoßenen Möbel, sondern der Skrill. Er stand mitten im Raum, sah ihnen wachsam entgegen und Maila zuckte zurück. Warum in Thors Namen -?

Doch all ihr Fragen verschwanden in dem Moment, in dem Ohnezahn unter der Treppe hervorsprang. Mit leuchtenden Augen sah er die Treppe hinauf und Maila grinste breit, während eine Welle aus Freude und unendlicher Erleichterung über sie hereinbrach. Mondblüte drängte sich da auch schon an ihr vorbei und sprang zu ihm herunter, woraufhin sie sich aufgeregt im Kreis drehten und die Köpfe aneinander rieben. Die junge Schülerin brauchte nicht viel länger, bis sie unten ankam und Ohnezahn über den Kopf strich. Noch immer lächelte sie breit und auch der Nachtschatten umrundete sie freudig. Sie war gar nicht in der Lage etwas zu sagen, so überflutet war sie.

"Ich hoffe, nun da ihr hier seid, dass wir ihm etwas mehr Freiheiten einräumen können", erklärte Gerhard, der soeben hinter ihnen aufgetaucht war, "Bisher war es leider nicht möglich ihn hier rauszuholen. Er und Blitzschlag haben sich harte Kämpfe geliefert." - "Bist du verletzt, Großer?" murmelte Maila besorgt, die erst jetzt den Zustand des Zimmers erkannte. Der Drache aber schüttelte nur den Kopf und ihre Erleichterung kehrte augenblicklich zurück. "Ich muss dir so viel erzählen, Ohnezahn", lächelte sie und er stupste sie summend an. Dass es ihm gut ging kam ihr nun doch wie ein kleiner Gewinn vor, auch wenn vor wenigen Minuten noch alles so düster schien.

Jetzt drehte sie sich auch zu dem Skrill herum, der sie friedlich beobachtete. Sie senkte den Kopf und er erwiderte die Geste gutmütig, woraufhin sich auch Ohnezahn zu entschuldigen schien. Die beiden Drachen hatten die hölzernen Wände, sowie den Rest des Zimmers schrecklich zugerichtet. Überall fand sie Überreste von ihren Kämpfen, egal ob Krallen- oder Feuerspuren, oder auch zerbrochene Regale und Schränke. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie der Raum zuvor ausgesehen hatte, auch wenn ihr der Aufbau gut gefiel. Unter der Treppe, über die sie heruntergekommen waren, befand sich eine Erhöhung, groß genug für ein Bett und gegenüber, direkt unter dem hohen Fenster, gab es eine weitere mit einer großen Steinplatte. Außerdem entdeckte sie zwei weitere Türen, durch eine von ihnen würde Gerhard sie wenig später noch führen.

Bei dem dahinterliegenden Raum handelte es sich um das Kartenzimmer, die Wände waren bis auf ein kleines Fenster lückenlos mit Regalen bestellt, die unzählige Bücher und Schriftrollen, Kisten und Schubladen enthielten. Es erinnerte Maila beinahe an die kleine Werkstatt in der Schule, nur das dieser Raum um einiges größer war. Ein Drache hätte mühelos über dem großen Schreibtisch fliegen können.

Auch Viggo stieß wenig später zu ihnen und sah ihr breites Lächeln mit Freude. Nur Ohnezahn, der ihr gefolgt war, knurrte leise und Maila legte ihm beruhigend eine Hand auf den Kopf. "Ich habe dir wirklich noch viel zu erzählen - und selbst mindestens genauso viele Fragen -" "-aber das muss warten", ergänzte der ehemalige Drachenjäger und so beschränkte Ohnezahn sich auf skeptische Blicke, während die drei Wikinger sich um den schweren Tisch versammelten.

Mit Unbehagen überflog Viggo die zerstreuten Zettel und Karten und setzte sich schließlich ihr gegenüber neben ein verstaubtes Spielfeld. "Was ist hier passiert?! - okay, nein, sag es nicht, ich weiß es", knurrte er und begann gereizt seine Notizen zu sortieren. Maila allerdings sah fragend zu Gerhard, der im Vergleich zu ihrem Vater Zeit für eine Erklärung fand. Neo, formte er stillschweigend mit den Lippen und sie nickte dankbar.

"Also", begann Viggo schließlich und verstaute einen großen Teil der Zettel in einer Schublade, "Meinen alten Plan haben diese Umstände natürlich zunichte gemacht und wir brauchen jetzt einen genialen Einfall, um Neos jetziges Wissen mit einem neuen Plan zu vereinen, in nicht einmal einer Stunde muss ich ihm etwas zufriedenstellendes vorlegen können", gab er das Ziel bekannt und Maila setzte sich ebenfalls. "Es tut mir leid ständig fragen zu müssen, aber was weiß Neo - ich kenne den alten Plan zwar auch nicht ...", sie musste ihren Satz nicht vollenden, Viggo nickte bereits. "Ich wollte die Reiter doch mit ihren eigenen Waffen - genauer gesagt, Drachen - schlagen. Bei den Sinkenden Klippen, dort steht unser Hauptsitz, wären sie gefangen genommen worden. Das weiß Neo. Es ist nur ein Bruchteil des genauen Planes, aber für uns ist das umso besser. Dieses Grundgerüst müssen wir beibehalten."

"Na aber dann ist es doch ganz einfach", erklärte Maila und sah zwischen den beiden hin und her, "Wir dürfen nur nicht zu kompliziert denken, ihr lockt sie augenscheinlich in diesen Hinterhalt. Aber jetzt könnt ihr auf Ohnezahn zählen, dass er die Drachen kontrolliert und ich kann mit Hicks reden, wenn es soweit ist. Nicht einmal dieser fremde Jägerkopf kann ein Problem werden, weil alles nach dem alten Plan verläuft. Erst im letzten Moment wird sich das Blatt wenden - das kann er unmöglich herausfinden, oder?!" Nachdem sie geendet hatte, schwiegen die beiden Freunde jedoch und Maila sah verunsichert auf.

Doch Gerhard begann zu grinsen und schließlich zu lachen, während Viggo nur lächelnd den Kopf schüttelte, den Blick auf eine große Karte gerichtet. Etwas irritiert und hilfesuchend sah sie zu Mondblüte. "Keine Sorge", lächelte Gerhard, "Ich sehe nur deinen Vater in dir. Unglaublich." Er sah grinsend zwischen den beiden hin und her, während Viggo selbst ihr stolz zunickte. "Es fehlen nur noch eine Menge Details, doch du hast völlig recht. Simpel aber genial."

Das wiederum traf sie vollkommen unerwartet und sie lächelte verlegen. Noch nie hatte sie so eine extreme, vor allem positive, Reaktion von ihm gesehen und es machte sie seltsam glücklich. Das hatte sie auch nötig nach all dem, was sie bereits hier gesehen hatte und was ihr vermutlich auch noch bevorstand.

"Dann bleibt jetzt noch eine Frage, bevor wir uns genaueres überlegen können", murmelte ihr Vater, nachdem er ihre Idee aufgeschrieben hatte. Er sah kurz zu Gerhard, bevor er seiner Tochter eindringlich in die Augen blickte. "Ich weiß, dass du ursprünglich nicht herkommen wolltest und ich verstehe das. Der Plan richtet sich gegen deine Freunde und ich möchte nicht, dass du dir das antun musst. Du bist jung. Und du gehörst nicht in diese Welt... Hast keinerlei Verpflichtungen uns gegenüber und außerdem bereits genug für mich getan", er legte eine Hand auf seine Notizen und mied ihren Blick für einen Augenblick, "den Rest könnten wir auch alleine schaffen, du kannst  zurück - jetzt gleich...wenn du denn willst", fügte er hinzu und sie senkte nachdenklich den Kopf. Ihr Herz schlug auf einmal aufgeregt über diese Chance und ihr Blick fiel auf den kleinen Fleck der Karte, der die Schulinsel darstellte, als könnte sie sie selbst auf dem hellen Pergament ausmachen.

Sie könnte zurück gehen, jetzt gleich. Sie könnte zu ihrem eigentlichen Plan zurückkehren. Viggo den Rest überlassen und Hicks besänftigen. Gemeinsam mit Mondblüte würde sie zu ihren Freunden zurückkehren und darauf warten, dass sich alles auflöste. Doch dann sah sie in Ohnezahns grüne Augen, erkannte seine Einsamkeit und das schwache Funkeln seiner Hoffnung. Sie dachte an den zerstörten Raum zurück und an Neo mit seiner seltsamen Art... keinerleie Verpflichtungen... Sie stockte, ihr Blick streifte ihre Notizen und Viggos abwartenden Blick. Eigentlich... Sie seufzte. Es würde ohnehin nicht länger als ein paar Monde dauern. Und dann könnte sie noch immer zurück, gemeinsam mit Ohnezahn. Denn das schuldete sie ihm...

"Ich bleibe."

- 2549 Wörter - School of Dragons - Honigmuesli - 13.09.2019 -

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