Kapitel 2 - Abflug

Bevor Maila zu Throk hinauf gelaufen war, hatte sie wie von selbst den Weg zu ihren besten Freunden gefunden, um ihnen alles zu erzählen. Sie alle hatten sie scherzhaft für verrückt erklärt, so spontan eine solche Entscheidung zu treffen, wo sie doch sonst so verkopft war. Doch nachdem sie sich beruhigt hatten, freuten sie sich natürlich für sie, auch wenn Maila bemerkt hatte, wie traurig sie waren. Ihr ging es allerdings nicht anders, sie zurückzulassen war schwer, noch schwerer bei ihrer Familie. Jedoch tröstete sie sich damit, dass ihre Zeit ohnehin begrenzt gewesen wäre. Sie hätten nicht mehr viel länger als zwei Monde zusammen auf dieser Insel verbringen können, denn sobald es wärmer wurde brachen die jungen Beschützer auf ihren Außeneinsatz auf. Sie hatte also bereits Zeit gehabt sich an den Gedanken zu gewöhnen, sich zu trennen, auch wenn nun sie es war, die die anderen verließ.

Seufzend schüttelte sie die Gedanken ab und schlug den Weg in den Wald ein. Der unberührte Schnee der vergangenen Nacht knirschte unter ihren Füßen und ihr Atem hing in feinen Wolken in der Luft.

Hier im Schutz der Bäume würde sie nicht so vielen anderen Beschützern begegnen, was ihr die Gelegenheit gab ihre Gedanken ein wenig zu sortieren. Durch die Dorfmitte zu laufen würde sie sowieso nur traurig machen. Es war ihr zwar immer so vorgekommen, als würde man sie nur wegen ihrer Mutter kennen und respektieren, aber dennoch verspürte sie ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Ihr Stamm legte viel Wert auf Vertrauen und Tradition, sie arbeiteten als eine Einheit. Sie, gerade als Tochter der Anführerin, wurde oft von anderen angehalten, um ein paar Worte zu wechseln, als wäre es eine unausgesprochene Regel. Es kostete sie viel Zeit. Sie stand auch nicht gerne im Zentrum der Aufmerksamkeit, auch wenn sie wohl hatte lernen müssen damit umzugehen.

Mit jedem Schritt mit dem sie ihrem Ziel näher kam, stieg auch die Aufregung und ihre Neugier wieder und alles andere rückte in den Hintergrund. Bald schon erreichte sie ihr Ziel, wo sie kurz Sturmpfeil über die Schnauze strich, bevor sie anklopfte. Kaum, dass sie ihre Hand zurückzog, öffnete Astrid ihr die Tür.

Sie hatte ihre Flugmaske in der Hand, vermutlich hatte sie gerade wieder aufbrechen wollen. Immerhin neigte der Tag sich dem Abend und Hicks würde bald zurückkehren. "Wolltest du gerade gehen?" fragte sie also und Astrid blinzelte überrascht. "Brauchst du mich denn?" - "Ich wollte dich etwas fragen, ja", ihr Blick viel auf Throk und lächelte ihm zu, "und mich verabschieden natürlich." Seine braunen Augen leuchteten traurig auf, er wusste also schon, warum die Reiter hier waren. Maila wandte sich schnell wieder Astrid zu. "Ich will dich aber nicht aufhalten, also -" Astrid schüttelte schnell den Kopf. "Nein, nein! Kein Problem, Maila, ich wollte nur meinerseits Throk nicht aufhalten!"

"Nun, dann setzt euch doch," sagte dieser dann, "Astrid, willst du in dem Fall doch noch etwas trinken haben?" Geschlagen nickte die Reiterin und setzte sich wieder, während Throk zu seiner Kochstelle lief. Maila selbst setzte sich ebenfalls an den großen Tisch in der Mitte des Raumes. Sie würde es vermissen hier zu sein, Throk war immer so etwas wie ihr großer Bruder gewesen. Er war um einiges älter als sie, doch hatte er sie beschützt, begleitet und unterstützt, seit sie die Insel betreten hatte.

"So, was wolltest du also wissen?" fragte Astrid sie irgendwann, was ihre Konzentration wieder zurückholte. "Okay also..." Sie überlegte kurz. Wo sollte sie anfangen? Doch sie wusste es gleich: "Die Drachen! Ich wollte fragen welche wir bekommen und woher und-" Bevor sie weiter sprechen konnte fing die Reiterin an zu lachen. "Das fragen die Schüler alle! Natürlich verständlich! Aber ich kann dir leider nur sagen, dass ich es selbst nicht weiß - nicht mal Hicks weiß es."

"Aber wie...?" Ein fragender Blick genügte, Astrid nickte bereits eilig. "Wir werden zur Brutinsel segeln, wo vor etwa ein paar Tagen die Drachen ausgezogen sind. Sie brüten dort, ziehen ihre Jungdrachen auf bis sie fliegen können und verlassen die Insel dann gemeinsam wieder", Maila nickte aufmerksam und Astrid fuhr fort, "Viele Dracheneier schlüpfen allerdings nur unter bestimmten Umständen, werden sie zurückgelassen oder gehen verloren, dann bleiben sie oft unberührt zurück. Deshalb sammeln wir sie ein, brüten sie selbst aus und teilen die Jungdrachen einem Reiter zu. Ihr sucht euch euren Drachen selbst, das ist sowieso sehr wichtig! Nicht jeder Drache passt zu jedem Wikinger. Wir setzten euch auf der Insel ab und dann segeln wir mit denen, die einen Partner gefunden haben weiter zur Schule."

Maila nickte erneut, diesmal aber tief in Gedanken versunken. Die einen Partner gefunden haben... Konnte das heißen, dass sie die Schule doch noch verlassen kann?! Und wenn sie nicht den passenden Partner für sich fand? Daran hatte sie gar nicht gedacht! Einen prinzipiell Jungdrachen aufzuziehen hatte sie auch nicht als Problem gesehen, immerhin hatte sie das oft genug im Dorf beobachten können. Doch Astrid hatte recht, Drachen waren sehr unterschiedlich, sie konnte nur hoffen, dass die Götter ihr den richtigen Partner zuteilten. Sofern sie ihn überhaupt finden würde...

"Mach dir keine Sorgen, Maila!" Throk kam soeben mit drei Bechern zu ihnen und zwinkerte ihr aufmunternd zu. "Throk hat Recht, denk nicht zu viel darüber nach, selbst falls du kein Ei finden solltest, bedeutet das nur, dass dein Seelenverwandter - wie Hicks es immer so schön nennt - bereits dort draußen ist und ihr euch zu einer anderen Zeit treffen werdet. Es gibt allerdings in der Regel mehr als genügend Dracheneier für jeden von euch, es ist eure erste Prüfung eines zu finden, eine machbare Aufgabe. Besonders für jemanden wie dich, der eine vollständige Beschützerausbildung hinter sich hat," versuchte Astrid sie aufzumuntern, woraufhin ihr ein gewaltiges Gewicht von den Schultern genommen wurde. Auch wenn eine gewisse Unsicherheit zurück blieb. Was würde sie tun, wenn sie zurück musste? Sie hatte nie wirklich eine Wahl gehabt, ihr Weg schien immer vorherbestimmt gewesen zu sein. Doch jetzt, da sich die Option der Schule auftat...

Schnell schüttelte sie die Gedanken wieder ab. Sie konnte sich zu einer anderen Zeit darüber den Kopf zerbrechen. Gerade machte Throk sich nämlich darüber lustig, dass sie ihre Beschützerprüfung noch gar nicht absolviert hatte.

"Noch nicht!" warf er mit einem herausfordernden Grinsen in das Gespräch ein, "Noch ist sie Hüterling!" neckte er sie, woraufhin sie ihm unter dem Tisch ans Bein trat und, ebenfalls grinsend, den Kopf hob. "Wie redest du mit deiner Prinzessin, Beschützer?!", forderte sie in verzerrter Stimme. Allerdings fing sie im nächsten Moment schon an zu lachen, was die beiden älteren erwiderten.

"Verzeiht Majestät", erklärte er spöttisch grinsend, "Aber solange ich im Axtwerfen besser bin als Ihr werde ich es mir nicht nehmen lassen, Eure Ausbildung als unvollendet anzusehen!" Sie keuchte empört auf. "Selbst am Ende des Inselreiches weiß man noch, dass du ein Betrüger bist!" und auch Astrid mischte sich ein. "Na das werden wir sehen, sobald wir wieder einmal herkommen!" Sie zwinkerte ihr zu, woraufhin Maila grinsend nickte und triumphierend die Arme vor der Brust verschränkte.

Throk keuchte verraten, doch verrieten seine leuchtenden Augen ihn. "Na dann habe ich doch einen Grund mich zu freuen, bis du wieder kommst! Dann werde ich dich - wieder - besiegen!" - "Wenn ich einen Nadder bekomme, dann kannst du dich schon mal warm anziehen!" drohte sie grinsend. "Und wenn nicht?" schoss er zurück, doch Astrid hatte nur darauf gewartet. "Dafür haben wir ja Sturmpfeil."

"Drachen wären sowieso geschummelt und außerdem! Astrid, warum hälst du eigentlich zu ihr?!" Doch Astrid konnte nicht mehr antworten, da Sturmpfeil in diesem Moment die Tür aufstieß und aufgeregt krächzte. Ihre Reiterin bleib ruhig, erhob sich allerdings. "Ich schätze das kann nur bedeuten, dass Hicks bald hier sein wird. Maila wir sehen uns nachher, ja?" Sie grinste ihr zu, verabschiedete sich von Throk und klappte ihre Sturmmaske nach unten, bevor sie zur Tür lief. "Oh und alles weitere klären wir dann einfach später!" Und damit waren sie und Sturmpfeil verschwunden.

"So... ich schätze dann sollte ich auch zurück gehen und mich fertig machen, du weißt schon..." murmelte sie, auf einmal war ihre Heiterkeit verschwunden, als wäre sie entwichen, als Astrid die Tür öffnete. Sie würde schon bald aufbrechen, dieser Gedanke erschien ihr immer noch so unwirklich. Doch gleichzeitig so wunderbar, so aufregend... Aber er machte sie auch traurig.

"Na dann wünsche dir ganz viel Glück, ich denke es ist eine große Ehre für dich. Du wirst sicher auch viel Spaß haben und einiges über dich selbst lernen", er lächelte ihr aufmunternd zu und schloss sie herzlich in die Arme. Ein Schwung der Traurigkeit überkam sie und sie seufzte tief. "Ich weiß... trotzdem werde ich euch vermissen, schätze ich." Er lachte leise und sie spürte die Vibration in seiner Brust. "Das ist doch normal, Kleine! Aber du hast bald einen Drachen, du kannst jederzeit herkommen", erklärte er zuversichtlich und sie lächelte sacht.

~*~

Später stand Maila mit ihrer Mutter vor ihrem Haus, während beide nachdenklich in den Himmel hinauf sahen. Es war Nacht geworden und hatte wieder begonnen zu schneien, leise trudelten die weißen Flocken zu Boden und überzogen ihr Gepäck mit einer dünnen Schneeschicht. Auch ihre Haare waren inzwischen beinahe vollständig weiß, von dem dunklen braun nicht mehr viel zu sehen.

Maila fröstelte und sah suchend den Weg hinauf, wo tatsächlich wenig später Astrid und Sturmpfeil auftauchten. Lächelnd kam sie auf sie zu. "Und, hast du zumindest ein wenig schlafen können?" - "Nicht wirklich..." gähnte sie und grinste zurück. Die wenigen Stunden die sie schlafen wollte, nachdem sie sich noch ein weiteres mal von allen verabschiedet hatte, hatte sie wachgelegen. Wie hätte sie auch Ruhe finden können bei den tausend Gedanken, die heftiger in ihrem Kopf wüteten als ein Rudel Schrecklicher Schrecken?!

Nach einer Weile wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sich in der Ferne ein dunkler Schatten gegen den Mond abzeichnete. "Na das ist wohl unser Stichwort. Dann mal los! Bei wem möchtest du denn mitfliegen, Maila?" - "Ist mir ehrlich gesagt egal", erklärte sie, auch wenn sie etwas nervös wurde bei dem Gedanken auf Ohnezahn mitzufliegen. Zwar kannte sie die beiden Reiter schon so lange, doch ihre kindliche Bewunderung war nie gänzlich abgeklungen. Ob Astrid ihr das nun angemerkt hatte wusste sie nicht, jedoch begann sie ihr Gepäck auf Sturmpfeil zu befestigen.

Auch ihre Mutter kam mit Flynn auf dem Arm aus dem Haus, als sie ihr Gespräch gehört hatte. Ihr jüngerer Bruder rieb sich mit seiner kleinen Hand über die müden Augen und lehnte seinen Kopf an Mala, während sie selbst Hicks zuwank. Maila lächelte traurig, sie würde ihre Familie trotz allem vermissen.

Ihre Mutter bemerkte ihren Blick und setzte Flynn für einen Moment ab, um sie fest in die Arme zu schließen. "Pass auf dich auf, meine Prinzessin" - "Mutter...!" Beide lachten leise und Maila atmete tief durch. Noch immer war diese ganze Sache so unwirklich. "Du kannst jeder Zeit zu uns zurückkommen, vergiss das nicht. Ich werde dich sehr vermissen meine Große..." Mala hielt sie etwas von sich und musterte sie voller Stolz. Maila nickte. "Danke, Mutter... ich komme euch bald besuchen und davor schreibe ich dir", sie lächelte und hob ihren Bruder hoch, um ihm durch die blonden Haare zu wuscheln. "Sei brav, wenn ich nicht da bin, verstanden?" Sie sah ihn prüfend an und er kicherte grinsend. Seine grünen Augen funkelten hinterlistig, kaum als sie das gesagt hatte. Das hatte er von seinem Vater. Maila merkte wie ihr Brustkorb erzitterte und sie blinzelte eilig. Sie würde sie vermissen.

In diesem Moment landete Hicks hinter ihnen und sprang in einer flüssigen Bewegung von Ohnezahn, der sich schüttelte und zu Sturmpfeil trottete. "Seid ihr bereit?" fragte er motiviert und auf einmal lagen alle Blicke auf ihr.

Sie würde also wirklich zur Schule gehen, so schnell war es gegangen und so viel erwartete sie noch. Zuversicht und Vorfreude machte sich in ihr breit und verdrängten die Trauer. Lächelnd nickte sie, gab Flynn an ihre Mutter weiter und bekam gegen ihren Willen noch einen Abschiedskuss.

So lief sie zu Sturmpfeil, wo Astrid sie geschickt hinaufzog, bevor auch sie ihrer Mutter zuwank, die immer noch im Türrahmen stand und stolz zurück lächelte. Hicks nickte allen prüfend zu und schon stießen die Drachen sich mit kräftigen Flügelschlägen vom Boden ab. Es war so unwirklich, doch auch so zauberhaft - Ihre Reise hatte begonnen.

- 2052 Wörter - School of Dragons - Honigmuesli - 05.04.2019 -

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