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 Es war einmal ...

ein Königreich hoch im Norden, wo die Sommer nur kurz und die Winter sehr lange weilten. Aber das war nicht immer so gewesen. Es gab eine Zeit, wo die Jahreszeiten im Gleichgewicht waren. Wenn der Frühling kam, wärmten die Strahlen der Sonne das Land und alles begann zu grünen und zu blühen. Es gab keine Not, denn die Felder und Wiesen waren fruchtbar und die Natur schenkte ihre Schätze in ganzer Üppigkeit. Doch all dies war nur noch eine wehmütige Erinnerung und fast verweht von den kalten Winden des zu früh einbrechenden Winters. Nicht wenige Menschen glaubten, die Königin trage Schuld daran.

Sie war dereinst von jenseits der Berge gekommen und in ihrer Jugend so wunderschön gewesen, dass der König sie schon beim ersten Anblick als seine Gattin erwählt hatte. Sein Glück schien ohne Gleichen, auch, weil die Königin schon bald ein Kind erwartete. Doch es starb noch vor der Geburt, was seine Mutter zutiefst betrübte und veränderte. Ihr Lachen war dahin und auch als sie ein zweites Kind erwartete, wurde es doch nicht mehr so strahlend wie zuvor. Sie blieb hinter den Mauern des Palastes, ja sogar in ihren Gemächern, aber auch dieses Kind erblickte nicht das Licht der Welt.

So kam es, dass erst das Dritte endlich lebte, wuchs und lachte. Es war ein gesunder, lebensfroher, perfekter Prinz mit silberglänzenden schneeweißen Locken und goldschimmernden Augen, der seinen Eltern nichts als Freude bereitete. Bis zu dem Tag – er war gerade ein Knabe von sechs Jahren – als er vom Pferd fiel. Es war kein ernster Sturz, doch einer mit schwerwiegenden Folgen für den jungen Prinzen. Er hatte noch gejauchzt, sich den Schmutz von den Beinkleidern geklopft und nach seinem Schimmel gerufen, um sich zurück in den Sattel zu schwingen, doch seine Mutter am Fenster, die es gesehen hatte, war bereits vor Schreck erblasst. Sie stieß einen Schrei aus, der selbst ihren Gatten, den mächtigen König, zusammenfahren ließ. Und so gewährte er ihr jeden Wunsch. Nie wieder sollte der Prinz das Schloss verlassen. Es war zu gefährlich. Er dürfe niemals mehr zu den Pferden, in den Garten, hinaus ins Freie. Nein! Im höchsten Turmgemach, oben zwischen den Krähen in den Wolken sollte er bleiben. In Sicherheit. Bis er dereinst der neue König sein würde.

Zuerst war der Junge gern bereit, alles zu tun, wenn nur seine Mutter und sein Vater wieder froh würden. Er blieb in seinem Turmzimmer, stieg nicht einmal auf eine Bank, um aus dem Fenster zu schauen, und nutzte die Tage, um alles zu lernen, was ein zukünftiger König wissen musste. Doch das Lächeln seiner Eltern kam nicht zurück und die Jahreszeiten zogen über das Land, eine nach der anderen. So kam es, dass der Prinz irgendwann groß genug gewachsen war, um ohne Bank aus dem Fenster sehen zu können. Und was er sah, kam ihm seltsam fremd vor. Es war, als hätten die Wälder und Fluren, die Gärten und Blumen ihre Kraft und Farbe verloren und als läge eine Starre über allem, was zuvor so lebendig war. Dem wollte der Prinz auf den Grund gehen. Daher verließ er sein Gemach und eilte die Treppen des Turms hinab, bis er in den Garten gelangte. Neugierig sah er sich um und genoss die schwachen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. So fanden ihn die Wachen, die ihn sogar binden mussten, um ihn wieder nach oben zu bringen. Dort rief er verzweifelt nach dem Königspaar und als sie kamen, erschrak er.

„Wie kannst du es wagen, den Turm zu verlassen, der dir Sicherheit bietet?", herrschte ihn die Mutter an.

„Was tust du? Willst du das Herz deiner Mutter brechen?", fügte der Vater barsch hinzu.

„Verzeiht", sprach der Prinz voller Reue und fühlte, wie etwas in seinem Herzen zersprang. So fügte er sich abermals in sein Schicksal. Zumindest musste es seinen Eltern so erscheinen.

Und wieder verflogen die Jahreszeiten wie Blüten und Schneeflocken im Wind, während der Prinz oben im Turm weilte. Für die Einwohner des Landes war er nun nicht mehr als ein Geist oder ein Gerücht. Sie wussten, dass er irgendwo in einsamer Höhe leben sollte, doch konnten sie sich nicht vorstellen, wie der König und die Königin ihm das antaten und sie ihren Sohn wegsperrten. Nur hin und wieder behauptete jemand, ihn gesehen zu haben. Oben am Fenster. Bleich und schön wie das Mondlicht, traurig wie eine sternenlose Nacht und mit langem Haar, so weiß wie Schnee, welches ihm den Namen Schneeprinz gab.

Einmal hörte man ihn sogar mit seinen einzigen Freunden, den Krähen, weinen. Das war, als der König starb, weil sein Herz zu schwer geworden war, um im langen Winter weiter zu schlagen. Aber dennoch musste der Prinz im Turm verbleiben. Die Königin, so hieß es, fand er sei zu jung, um zu herrschen und noch müsste sie ihn schützen und für ihn das Reich regieren. Jeden Morgen kam sie zum Turmzimmer, um sich zu vergewissern, dass es ihm an nichts fehlte, aber was ihm fehlte, das erkannte sie nicht. Stattdessen ließ sie die Wachen verdoppeln. So verlor der Prinz jede Hoffnung darauf, dass sie ein Einsehen hätte und begann heimlich damit, ein Seil zu fertigen, das irgendwann stark und lang genug wäre, um ihm die Flucht zu ermöglichen. Niemandem fiel auf, dass er sein silberweißes Haar dafür verwendete. Es wuchs beständig und jedes einzelne war fein wie ein Spinnwebfaden und ebenso stark. Er riss es aus und flocht es zusammen, so wuchs das Seil. Die Königin bemerkte dies nicht, denn sie hatte längst verlernt, ihren Sohn wirklich anzusehen.

Dann, eines Nachts am Ende des Winters, wollte es der Prinz wagen. Am Turmfenster hingen keine Eiszapfen mehr und der Mond hatte sich hinter den Wolken verborgen, sodass sein Licht nicht auf dem Seil und dem Haar des Prinzen reflektieren könnte. Vorsichtig stieg er in das Fenster und schaute herab. Die Höhe ließ ihn schwindeln, doch dann fielen ihm seine Krähen ein, die stets furchtlos um die Turmspitze kreisten. Er wollte mutig sein wie sie, und so wagte er es. Langsam, Stück für Stück ließ er sich herab. Am Boden angekommen, galt sein erster Gedanke dem Schimmel, den er wiedersehen wollte. Mit ihm könnte er davonreiten. Doch in den königlichen Ställen war kein Schimmel zu finden, so sehr der Prinz auch suchte.

Gerade hatte er beschlossen, ein anderes Pferd zu nehmen, als er merkte, dass ihn jemand beobachtete.

„Du bist der Schneeprinz. Wie kommst du hierher?", sprach dieser ihn an.

Der Prinz fuhr herum, doch statt einer Wache, stand dort ein ärmlich in Lumpen gekleideter Bursche, etwa in gleichem Alter wie er selbst, der aussah, als hätte er im Stroh geschlafen.

„Auf beiden Füßen, wie du siehst. Ich suche meinen Schimmel."

„Der ist schon lange tot. Auf Befehl der Königin", erklärte der Bursche und als er sah, wie diese Worte den Prinzen schmerzten, fügte er hinzu, das Tier habe nicht gelitten. „Es ging ganz schnell."

„Das ist grausam. Den Schimmel traf keine Schuld."

„Sie ist die Königin und wir alle gehorchen ihrem Befehl, sonst wird es bitter. Sobald sie merkt, dass du den Turm verlassen hast, wird sie die Wachen bestrafen und wer weiß, wozu sie noch fähig ist!"

Mit einem tiefen Seufzer erkannte der Prinz die Wahrheit in diesen Worten. Längst hatte seine Mutter Grenzen überschritten und wer sollte sie in ihrem Zorn aufhalten? Als hätte der Stallbursche diese Gedanken lesen können, fuhr er fort:

„Du bist der Einzige, der diesem Land helfen kann, wenn du erst der König bist."

„Weißt du, wie es ist, in diesem Turm zu sitzen? Ich kann nichts bewirken und musste zusehen, wie der Sommer immer kürzer, die Winter immer länger wurden und alles Schöne zu früh verwelkte."

„Wenn du fortgehst, schwindet jede Hoffnung. Darum, bitte, geh nicht."

Mit seinen goldschimmernden Augen sah der Prinz den Stallburschen an. Dieser verlangte viel, denn schließlich wollte sich der Prinz heute Nacht von seinem Schimmel in die Freiheit tragen lassen. Doch was konnte sie ihm bedeuten, wenn alle Menschen hier leiden mussten? So hatte er ein Einsehen.

„Ich will tun, was notwendig ist", versprach er, „aber ich fürchte, oben in dem leeren Turm den Verstand zu verlieren."

„Das wird nicht geschehen", bekräftigte der andere. „Es ist deine Bestimmung, Schneeprinz, einst König zu sein und ich werde dir helfen."

Gerührt von diesem Versprechen lächelte der Prinz und beschloss, dem Burschen zum Abschied etwas zu schenken. So zog er sich drei einzelne seiner langen Haare aus und übergab sie ihm.

„Hier, nimm diese von mir und vergiss mich nicht."

„Wie könnte ich, du bist das Traurigste, aber auch das Schönste, was ich je gesehen habe."

So verabschiedeten sich die beiden und schweren Herzens kehrte der Prinz zurück zum Turm, wo er an dem Seil emporkletterte bis zu seinem trostlosen Gemach. Dort beobachteten nur die Krähen, wie er zurückkehrte, das Seil einzog, es verbarg und sich schließlich erschöpft zu Boden fallen ließ, um auf dem kalten Stein zu schlafen bis zum nächsten Morgen.

Die Schritte seiner Mutter auf der Treppe weckten ihn und als sie die Tür öffnen ließ, war er gerade noch rechtzeitig aufgestanden.

„Dein Bett ist vollkommen unberührt", bemerkte sie sogleich.

„Ich habe die Nacht am Tisch gelesen und gelernt, Königin."

Misstrauisch schaute sie erst ihn genau an, dann im Zimmer umher.

„Da liegen drei Strohhalme am Fenster. Wie kommen die dorthin?"

„Die Krähen haben sie gebracht. Sie bauen hier oben ihre Nester."

„Ich befehle den Wachen, sie zu verscheuchen."

„Bitte, tut das nicht. Sie sind meine einzigen Freunde."

Trotz dieser Lüge blickte der Prinz seiner Mutter ins Gesicht, worauf sie ihm Glauben schenkte und ihm versprach, die Vögel in Frieden zu lassen. Dann ging sie. Er atmete erleichtert auf.

Die kommenden Tage und vor allem die Nächte erschienen dem Prinzen nun endloser als je zuvor, obwohl die letzten im Frühjahr allmählich kürzer wurden. Doch er hatte die Freiheit gespürt und umso mehr sehnte er sich nun nach ihr. Wenn es dunkel wurde und der Mond aufging, dann schien es ihm, als wäre sie zum Greifen nah. Er müsste nur sein Seil nehmen! Doch wenn er dann ans Fenster trat, sah er in der Ferne, unten im Stall, eine Laterne im Fenster und er wusste, die stellte der Stallbursche auf, um ihm Mut zu machen und ihn an sein Versprechen zu erinnern. „Ich werde dir helfen", hatte er gesagt und für eine Weile war das Licht auch wirklich eine Hilfe. Doch es kam der Tag, als dies nicht mehr genügte. Erneut seilte sich der Prinz von der Höhe des Turms ab und lief zum Stall. Dort fand er den Burschen bei der Laterne. Statt seiner Lumpen trug er bessere Kleider und als er den Prinzen erblickte, da lächelte er für einen Augenblick, bevor ihn die Furcht packte.

„Was tust du hier? Wenn sie entdecken, dass du fort bist, dann wird sich die Königin rächen ..."

„Ich gehe nicht fort. Ich wollte zu dir", beruhigte der Prinz mit sanfter Stimme. „Am Morgen kehre ich zurück. Aber ich kann nicht länger immer nur allein sein."

Diese Worte bewegten den Jungen sehr, vor allem, weil der Prinz seinetwegen gekommen war. Auch konnte er sich endlich für dessen kostbares Geschenk bedanken, denn die drei Haare waren aus purem Silber gewesen und zwei davon hatte er gegen ein gutes Wams und warme Schuhe getauscht. Das Dritte trug er wie einen Schatz nah an seinem Herzen und würde es um nichts in der Welt hergeben. Doch das verriet er nicht.

Die ganze Nacht blieb der Prinz bei dem Burschen. Dieser erzählte vom Leben der Menschen im Königreich und auch von seinem eigenen mühevollen Dasein im Dienst des Stallmeisters. Der Prinz hörte gebannt zu und redete schließlich von den Krähen und den Winden oben an der Turmspitze und davon, wie er all das vermisste, was ihm die Königin verboten hatte. Das Reiten, Gras unter den Füßen, Sonnenstrahlen und den Gesang von fröhlichen Menschen. Bevor sich das Morgengrauen zeigte, musste er wieder fort. So bedankte er sich für das Kerzenlicht und versprach wiederzukommen. Der Stallbursche sah ihm noch nach und erst, als er sicher war, dass der Prinz wohlbehalten in seinem Gemach angekommen war, legte er sich müde zum Schlafen ins Stroh.

Von dem Tage an wurden die beiden unzertrennlich. Sobald es dunkel genug war und wenn er wusste, dass alle mit Ausnahme einiger Wachen im Schloss schliefen, stahl sich der Prinz durch das Fenster fort und verbrachte die Nacht bei dem Burschen. Sie erzählten, sie träumten von besseren Zeiten und irgendwann brauchten sie keine Worte mehr, denn sie hielten einander bei den Händen, wärmten sich gegenseitig im Stroh und endlich küssten sie sich. Keiner von ihnen verstand, was mit ihnen geschah, doch keiner von beiden zweifelte auch nur für den Bruchteil eines Augenblicks daran, dass es so sein musste.

Am Morgen, wenn die Königin den Prinzen im Turm aufsuchte und fragte, woher ein verräterischer Strohhalm komme, warum er so übernächtigt aussehe oder gar, ob es sein könne, dass er nach Pferd rieche, dann fielen ihm stets Ausreden ein, mit denen er die Krähen oder den Wind beschuldigte. Die schwarzen Vögel und selbst der Wind trugen es ihm nicht nach, denn sie freuten sich über sein verborgenes verbotenes Glück.

Es dauerte allerdings nicht lange, da vermutete die Königin, dass etwas vor sich ging und so beschloss sie, die Angelegenheit zu prüfen. Viel früher als gewohnt, noch vor Tagesanbruch, suchte sie das Turmzimmer auf und zu ihrem Entsetzen war es leer. Außer sich vor Angst und Wut eilte sie zum Fenster, wo sie sogleich das Seil fand. Wie konnte ihr Sohn es nur wagen, sich derart in Gefahr zu bringen und sie so gemein zu hintergehen? Ihre Gedanken begannen zu rasen. Sie musste verhindern, dass es wieder geschah, der Prinz sollte büßen, was er ihr mit diesem Vertrauensbruch angetan hatte. Nie wieder würde sie ihm Glauben schenken. Nie wieder hören, was er zu sagen hatte. Als sie sich fing, beschloss sie, zu warten, bis er zurückkam, auch wenn das Herz in ihrer Brust drohte zu zerspringen.

Bald darauf hörte sie, wie der Prinz an der Mauer des Turms emporkletterte. Das silberfarbene Seil sang leise im Wind und die Schwingen der Krähen rauschten um ihn herum. Er selbst wirkte kaum außer Atem, als er sich durch das Fenster hob. Doch im nächsten Moment erstarrte er beim Anblick der Königin.

„Was tust du hier?", fragte er nur. Die Antwort kannte er. Doch hatte er keine Vorstellung von dem, was ihm nun bevorstehen sollte.

„Was ich hier tue?", herrschte sie ihn vorwurfsvoll an. „Hast du geglaubt, du könntest deine liebende Mutter so täuschen und du kämst damit davon?"

„Meine liebende Mutter!", erwiderte der Prinz voller Hohn, denn Liebe, das hatte er inzwischen erfahren, war grundlegend anders als das, was sie darunter verstand. „Was erwartest du von mir? Dass ich für immer in diesem Turm hause? Du kannst mich hier nicht halten."

„Das werden wir sehen!", drohte sie und rief die Wachen herbei. „Da, seht! So beschützt ihr Narren meinen Sohn! In den Tod hätte er stürzen können. Aber das wird nicht geschehen. Ihr werdet das Fenster zumauern. Nie wieder soll er hindurchblicken oder hindurch gelangen!"

Im nächsten Augenblick packten die Männer den Prinzen, zerrten ihn hinein und hielten ihn fest. Einem von ihnen befahl die Königin das Seil durchzuschneiden und vom Turm zu werfen, während sich der Prinz mit aller Kraft wehrte und wand. Er schrie und draußen ertönte vielfaches Krächzen und Brausen. Noch mehr Männer kamen und brachten Steine herbei und Mörtel. Da begriff der Prinz, dass es seiner Mutter ernst war. Er begann zu flehen und zu betteln, doch sie ordnete an, das Fenster zu verschließen. Als dies begann, riss er sich endlich los und sprang in die Fensteröffnung. Der Blick in die Tiefe ließ ihn schaudern. Weit unten lag sein Seil. In der Ferne schimmerte ein Kerzenlicht.

„Halt!", rief er zu den Männern, die bereits auf ihn zu stürzten. „Oder ich werfe mich hinab!"

Erschrocken hielten die Wachen inne und schauten für einen Befehl zur Königin, welche ein markerschütterndes Lachen ausstieß.

„Das wagst du nicht. Es wäre dein Verderben und das des ganzen Reiches!"

Der Prinz jedoch ließ sich nicht beirren. Lieber wollte er am Fuße des Turms zerschellen, als in ihm langsam zugrunde gehen. Und ohne ein weiteres Wort, ohne Zögern, ließ er sich fallen. Mit einem schrillen Aufschrei hastete die Königin zum Fenster, doch noch bevor sie es erreichte, fiel sie zu Boden, wo sie mehrmals wie besessen zuckte, sich ein letztes Mal aufbäumte und leblos liegenblieb. Dann, mit einem Mal mischte sich ein dumpfes Dröhnen zum Kreischen der Krähen und das Heulen des Windes wurde lauter und lauter. Der Turm erbebte, so stark, dass die Wachen um ihr Leben rannten. Hinab, nur schnell hinab, bevor alles über ihnen zusammenbrechen würde!

Draußen fielen bereits die Ziegel vom Dach und die ersten Stücke brachen aus der Mauer, bevor es aussah, als würde der ganze Bau schwanken. In ihrem Entsetzen flohen alle Männer der Königin so schnell sie ihre Füße trugen, auf dass sie sich vom Turm entfernten. Nur einer nicht. Der Stallbursche, der von Weitem zugesehen hatte, wie sich der Prinz aus dem Fenster warf, rannte darauf zu. Es durfte nicht so enden! Vor seinen Augen fiel der Turm in sich zusammen, eine gewaltige Wolke aus Staub und Dreck wirbelte empor und verdunkelte die aufgehende Sonne, bis es wieder ruhig wurde und nur noch das Krächzen der Vögel zu hören war.

Und dann geschah es. Inmitten des graubraunen Gewölks blitzte etwas auf. Einmal, ein weiteres Mal ... Der Bursche rannte noch immer, Tränen liefen über seine Wangen, er keuchte, doch plötzlich erblickte er das Wunder. Eine Schar von rabenschwarzen Vögeln kreiste langsam aus den Lüften herab. Ihre Schwingen schlugen und mit ihren Krallenfüßen hielten sie den Schneeprinzen an seinem hellglänzenden Haar und seinen Kleidern. Sie hatten ihn aufgefangen und setzten ihn nun wohlbehalten auf dem Boden ab. Als der Bursche ihn erreichte, um ihn in seine Arme zu nehmen, hustete er und blinzelte. Er schien für einen Augenblick verwirrt, doch dann bezeugte sein Lächeln, dass er seinen Liebsten erkannte.

„Was ist geschehen? Was tust du hier?", fragte er den Burschen.

„Du lebst und bist frei, mein Schneekönig."

„Ich bin frei ...", wiederholte der Prinz und erst da verstand er, was das bedeutete: Die Königin war tot, zermalmt, der Turm zerstört, das Reich sein und der Stallbursche war es auch.

Die Krähen verkündeten nun als Erste ihren Jubel in lauten Tönen. Nach und nach fielen der neue König und sein Bursche mit ein, bis schließlich das ganze Reich erfüllt war von den Stimmen und dem Lachen seiner Einwohner. Ein warmer Wind blies dazu und brachte einen prächtigen Frühling, der übergehen sollte in einen langen, warmen Sommer.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. 






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