46 - Haselpfotes Streifzüge
Haselpfote balancierte konzentriert über einen Stapel aus vermoderten Birkenstämmen, die mit Gras überwuchert unter einer Rubinie lagen. Ein falscher Schritt, und sie wäre in dem Zweiggewirr darunter eingebrochen - allerdings hatte sie das jetzt so oft geübt, dass sie es sogar mit Leichtigkeit über den rutschigen Moosfleck und den Aststumpf schaffte, an dem sie sich nicht weit zuvor noch böse gestoßen hatte.
Überaus stolz sprang die kleine Kätzin herunter und stapfte durch das taunasse Gras zurück zur Höhle. Ein ganzer Tag war vergangen, seit sie mit Sonnenjäger zum WeidenClan aufgebrochen waren, was an der Unruhe von Krähenpfote und Wieselpfote deutlich spürbar war.
Selbst Federpfote hielt sich mit ihren mehr oder weniger gehässigen Kommentaren zurück, soange man sie nicht störte. Denn da reagierte sie gereizter als ein Wildschwein mit Jungen, oder, was Haselpfote lieber dachte, eine Löwenmutter. Das erinnerte sie immer an Kleintatze.
Haselpfote war es sehr schnell zu langweilig geworden, wartend in der Höhle auszuharren, lieber streifte sie durch das neue Territorium, wann immer das Wetter es erlaubte.
Dieses war in der Tat sehr wohlgesonnen, der Blattfall brachte frische Luft, warme Sonnenstrahlen und angenehmen Wind mit sich, vor allem aber lange anhaltenden, dichten Nebel, der sich jede Nacht über den Zweibeinerort, den Wald und den Fluss senkte und hartnäckig bis Sonnenhoch dort ausharrte.
Als die Höhle in ihr Blickfeld kam und sie kein Anzeichen der Clans sehen konnte, beschloss die Schülerin, ein wenig auf Jagd zu gehen. Die kalte Luft schmerzte ein bisschen in ihrer Nase, ihre Pfotenballen fühlten sich langsam arg taub an und ihr Atem schwebte in kleinen Wölkchen durch die Luft, und trotzdem stapfte sie optimistisch den Waldrand entlang, in der Hoffnung, etwas Leckeres zu wittern.
Sie wurde nicht enttäuscht, schon nach wenigen Schritten roch sie den appetitlichen Duft einer Wühlmaus. Auf leisen Pfoten schlich die kleine gelbbraune Kätzin weiter, bis sie ihre Beute sehen konnte. Die kugelige, braune Maus saß auf einer Wurzel, die Ohren gespitzt. Als Haselpfote einen weiteren lautlosen Schritt machte, zuckte das kleine Tier zusammen und huschte davon.
Enttäuscht stapfte Haselpfote auf. Ihre Glieder waren bereits träge vor Kälte, sie schüttelte sich, um sie wieder aufzuwärmen. Auf eine Verfolgungsjagd hatte sie keine Lust - es musste in diesem Wald doch noch etwas anderes geben, das sich fangen lassen würde!
Tiefer im Wald wurde sie schließlich fündig, ein Eichhörnchen saß unter einer kahlen, jungen Birke auf dem Boden und scharrte in der harten Erde. Haselpfote spitzte die Ohren, senkte den Schweif und schlich sich Pfote für Pfote an das rotbraune Tier heran.
Doch was war das? Als wäre sie mit lautem Getöse auf einen Ast getreten, schreckte das Eichhörnchen auf und jagte den Stamm der Birke hinauf. Dabei hätte Haselpfote schwören können, dass nicht der leiseste Windhauch zu hören gewesen war.
Entschlossen grub Haselpfote ihre kleinen Krallen in die schwarzweiße Borke und kletterte ihrer Beute hinterher, so schnell sie konnte. Als wolle jene sie verspotten, blieb das Eichhörnchen auf einem niedrigen Ast sitzen und zauberte aus einem kleinen Loch im Baum eine Haselnuss hervor, die es zwischen seinen kleinen Pfötchen hin- und herdrehte. Fasziniert hielt Haselpfote inne.
Erst, als eines der kleinen, spitzen Blätter an ihr vorbeischwebte, erinnerte sie sich wieder daran, dass sie ja jagen wollte. Vorsichtig, dicht an den Ast gepresst, kroch sie weiter.
Das rotbraune Tier zuckte mit seinem buschigem Schweif, dann fuhr es herum. Einen Moment starrten sich die beiden Tiere an, Jäger und Beute, dann ließ das Eichhörnchen die Nuss fallen und sprang in die Linde, die ihre alten Äste neben der Birke ausstrecke. Noch ehe Haselpfote den Blick von dem Ast gelöst hatte, war es schon unauffindbar im Gewirr der Zweige verschwunden.
Frustriert kletterte Haselpfote wieder hinunter, rückwärts, wie Kleintatze es ihr einmal gezeigt hatte. Sie dachte daran, als sie das erste Mal auf einen Baum geklettert war - am Moor, mit Plätscherpfote und Frostpfote. Hier lauerte aber kein Fuchs, also konnte sie sich ganz der Aufgabe widmen, nicht herunterzufallen.
Als ihr Schweif den Boden berührte, ließ sie sich fallen. Dann schlich sie wie ein hungriger Wolf weiter, das dichte Fell gegen die Kälte gesträubt. Der Wind pfiff durch die Bäume und wirbelte Blätter herum, aber sie hatte keine Lust, ihnen nachzujagen. Sie wollte Beute fangen, keine spröden Blätter!
Kleintatze wäre schockiert gewesen, dachte die Schülerin und schnurrte leise.
Haselpfote ignorierte die vibrierende Luft und den gelblich-grauen Himmel, an dem sich die Wolken zu einer undurchdringlichen, bedrohlichen Wand zusammengefunden hatten. Ihre Sinne waren geschärft, und als sie das leise Scharren von Kaninchenkrallen hörte, wäre sie beinahe zusammengezuckt.
Instinktiv verfiel sie in Lauerstellung, setzte ihre weichen Pfotenballen nur auf Moos und Gras. Lautlos, wie ein Schatten, schlich sie weiter, folgte dem Geruch nach Beute.
Eiskalter Wind schlug ihr ins Gesicht, als sie den Waldrand betrat und ihre Pfoten wieder auf die taunasse Wiese setzte. Ein Regentropfen fiel auf ihre Stirn, aber sie missachtete ihn. Alles, was zählte, war das Wildkaninchen, das eine Katzenlänge vor ihr im Gras kauerte, die Ohren wachsam aufgerichtet.
Es fuhr sich in einem gleichmäßigem Rythmus mit den Pfoten über das Gesicht, fast so, wie Haselpfote es selbst machte. Aber die Ruhe trog - der ganze Körper des Tiers war angespannt, und als Haselpfote ihre Deckung aufgab und sprang, sauste es los, noch ehe ihre Pfoten wieder festen Boden erreichten.
Doch Haselpfote war nicht dumm. Rasend wie ein zorniger Gepard setzte sie ihrer Beute nach, so weit ihre kalten Pfoten sie trugen. Das hatte schließlich schon einmal funktioniert.
Irgendetwas musste sie aber anders gemacht haben, denn das Kaninchen war schnell außer Sicht, und als bei jedem Atemzug ein schmerzhafter Blitz durch ihren Brustkorb jagte, verlangsamte die Schülerin ihre Geschwindigkeit und blieb schließlich hechelnd stehen. Die Kälte war verflogen, in ihren Adern brannte Enttäuschung wie Feuer.
Als sie ein raues Krächzen hörte, sah die kleine Kätzin überrascht auf. Eine Katzenlänge vor sich konnte sie den Fluss rauschen hören, viel näher aber klägliche Laute, die sie einfach nicht zuorndnen konnte. Neugierig folgte Haselpfote ihrem Gehör, bis sie einen kleinen Felsen erreichte, in dessen Windschatten sich fünf kleine Tiere, Vögel, zusammengekauert hatten. Ihre Federn waren gesträubt, blaugrau und weiß, und sie hatten sich dick aufgeplustert, um einander zu wärmen.
Sie müssen in eins der Unwetter geraten sein, dachte Haselpfote mitleidig. Dann bemerkte sie die gegabelten Schwänze der frierenden Tiere.
Schwalben.
Das konnte doch kein Zufall sein! Haselpfotes Gedanken rasten. Sollte sie etwa ihre Beute gefunden haben? Doch mit jedem Blick sah sie in den Schwalben weniger Beute, viel mehr waren es einfach bemitleidenswerte Tiere, die von einem Unwetter überrascht wurden.
Ein Regentropfen fiel auf ihr Ohr, als sie ihre Entscheidung traf. Vorsichtig näherte sie sich der Gruppe und hob eine der Schwalben hoch. Die anderen kreischten schrill und panisch, schienen aber zu entkräftet, um wegzufliegen. Die Schwalbe in Haselpfotes Maul war vor Angst wie erstarrt, Federn fielen zu Boden.
Die bissige Kälte löste sich langsam wieder aus Haselpfotes Gliedern, als sie sich in Bewegung setzte. Mit der Schwalbe im Maul tappte sie über die Wiese. Sie musste ein wenig suchen, aber schließlich fand sie die Höhle - nicht die, wo die anderen Schüler warteten, sondern eine kleinere, die sie auf ihren Streifzügen gefunden hatte. Sie setzte sie Schwalbe auf das weiche Moos, das den Boden bedeckte. Die Höhle war wirklich winzig, etwa so lang und breit wie eine ausgewachsene Katze. Um hineinzukommen, musste man sich ducken.
Während die Sonne hinter der Wolkendecke gen Westen wanderte, wanderte die Schülerin nun über die Wiese und schaffte die Schwalben zu der Höhle, wo sie es, so hoffte sie, wärmer hatten als draußen. Zumindest, wenn sie sie nicht zu Tode erschreckt hatte, das konnte ja auch mal vorkommen.
Als sie alle der Vögel hinübergetragen hatte und nun wieder ins Freie trat, bemerkte sie zum ersten Mal die tiefgrauen Wolkenfetzen, die über den Himmel glitten. Sturmböen warfen ganze Bäume voll Blätter über die Wiese, während der Laubwald kahler und kahler wurde. Feiner, klammer Nieselregen benetzte das Fell der kleinen Kätzin.
Haselpftoe beschloss, dass dieses Gebiet doch arg unwettergefährtet war und sie wohl besser zu Wieselpfote und den anderen zurückkehren sollte. Unbekümmert machte sie sich auf den Weg durch das klatschnasse, hochgeschossene Gras.
Doch je weiter stapfte, desto weniger konnte sie sehen. Der Himmel hatte sich verdunkelt, irgendwann musste die Sonne untergegangen sein. Dichte, gelbgraue Nebelschwaden stiegen vom Boden auf und nahmen ihr die Sicht, gemeinsam mit dem hohen, halb totem Gras. Ihr Atem verwandelte sich in Wölkchen, während die Luft immer weiter abkühlte.
Frierend schüttelte Haselpfote sich das Regenwasser aus dem Fell. Sie irrlichterte nun schon seit einer ganzen Weile durch die Wiese und fand die Höhle einfach nicht wieder. Überhaupt - da war nichts, kein Fluss, kein Wald, einfach nichts, woran sie sich hätte orientieren können.
Eigentlich liebte sie den Nebel sehr, fast so sehr wie den Schnee. Der kündigte sich bereits an, die gefürchtete Blattleere, dieses Mal mit wunderschön glitzerndem Rauhreif, der jedes Blatt bedeckte, sei es auch noch so klein.
So klein, wie Haselpfote sich gerade vorkam.
Als sie für einen Moment innehielt, erschrak sie heftig über die nun herrschende Stille. Keine Vögel zwitscherten, der Fluss war verstummt, nur die Nebelschwaden stiegen so lautlos wie Jäger um sie herum vom Boden auf.
Als die Schülerin ernüchtert weiterschritt, zerbrach der Rauhreif unter ihren Pfoten in glitzernde Kristalle, funkelnd im fahlen Restlicht, so fern wie die Sterne. Haselpfote hob den Kopf. Sie konnte die silbernen Punkte schimmern sehen, winzig klein und unendlich weit weg. Und sie verstand, warum der WeidenClan glaubte, der SternenClan sei fort.
Es war einfach ein Ort fern von den Sternen.
Bisweilen hatte Haselpfote an ihre Geschwister gedacht, an die Katzen, mit denen sie Bau und Lager geteilt hatte. Efeusturm, die sie sich ihre Jungenzeit über als Mentorin gewünscht hatte, ihre Freundin Rosenpfote, ihre Eltern, Kleintatze und natürlich Ahornpfote.
Gerade zu jener Zeit, als sie nun im Nebel umherirrte, kreisten ihre Gedanken immer wieder um den Schüler. Sie glaubte, Kleintatzes Worte zu hören - dass sein Opfer nicht umsonst gewesen sein sollte.
Haselpfote bog den Rücken durch. Sie waren bis hierher gekommen. Jetzt im Nebel aufzgeben war keine Option. Diese ganzen Strapazen durften nicht umsonst sein, und Ahornpfotes "Opfer" (nannte man es denn ein Opfer, wenn die Katze nicht starb? Haselpfote war es dann auch wieder egal, ihrentwegen musste Ahornpfote kein Opfer bringen. Er durfte ruhig weiterleben.) erst recht nicht.
Ihr Nackenfell kribbelte, mit einem Mal fühlte sie sich beobachtet. Sie fuhr herum und zuckte zurück. Vor ihr schwebte die Gestalt einer hübschen, weißen Kätzin im Nebel, deren blaue Augen traurig schimmerten.
Neben ihr formte sie die Silhouette eines winzigen, halb verblassten Kätzchens mit grauem Fell, das verwahrlost und ängstlich aussah. Aus Haselpfotes Körper wich die Anspannung. Sie sah den Nebel um ihre Pfoten, spürte die Schwäche dieser Katzen. Ihre Fantasie spielte ihr einen Streich.
Die gelbbraune Kätzin wollte sich umdrehen und gehen, aber es gelang nicht. Als wären ihre Pfoten festgefroren, stieg Kälte in ihr auf, durchdrang ihr dichtes Fell und packte sie mit mächtigen Klauen. Sie sträubte das Fell, während ihr Sichtfeld sich verengte.
Was ist das? Das ist mir ja noch nie passiert!
Dunkle Schatten legten sich über den Nebel, wanderten über die milchigen Wolkenschwaden. Hüllten die einsame Kätzin ein, bis sie zusammenbrach.
Haselpfote konnte den Blick nicht von den beiden Katzen lösen. Die weiße Kätzin senkte den Blick, dann fragte sie: "Du kennst die Geschichten über unseren Clan, nicht wahr? Der WeidenClan." Ihre Stimme war voller Sehnsucht. "Ich war nie ein wirkliches Mitglied des Clans, auch wenn es mir alle weismachen wollten. Und zwei meiner Jungen sind das auch nie geworden."
Sie sah zu dem kleinen grauen Kätzchen hinunter, dann hob sie den Blick und sah die Schülerin eindringlich an. "Haselpfote, sie verschwindet. Wolkenstern wird sterben, und dann glaubt niemand mehr an ihre Existenz, weil er alles verheimlicht hat. SternenClan-Katze verschwinden, wenn niemand mehr an sie glaubt. Das weißt du, nicht wahr?"
Haselpfote lief ein Schauer über das Fell. Sie wollte etwas sagen, sich verteidigen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht.
"Du musst es ihr sagen. Sag es ihrer Schwester." Wieder glitt der Blick der schneeweißen Kätzin über das Fell ihres Jungen.
Haselpfote starrte sie an, während sich in ihrem Kopf langsam eine Erkenntnis formte. Der WeidenClan. Eine schneeweiße Kätzin, die nie nie richtig dazugehört hatte. Wolkenstern.
"Du bist Schneezauber, oder?" krächzte sie, komplett überfordert.
Die Weiße legte den Kopf schräg, und ihr sanfter Blick sagte bereits alles.
"Aber...wer ist dann sie?" Mühsam hob Haselpfote eine Pfote, um auf das graue Junge zu zeigen. "Ich dachte, Wolkenstern hatte nur eine Tochter?
"Genau das hat er ja auch allen weißgemacht. Das ist Graujunges, sie ist, genau wie ich, an Grünem Husten gestorben."
"Und ich soll Schwarzpfote also von dir und Graujunges erzählen?" Haselpfotes Stimme wurde fester.
"Ja."
"Und wenn sie mir nicht glaubt?"
"Ein Versuch ist es wert." Schneezauber legte unglücklich die Ohren an.
"Du hast gesagt, zwei deiner drei Jungen sind nie Clanmitglieder geworden. Hat Schwarzpfote noch mehr Geschwister?" fragte die Schülerin neugierig.
"Ja, Weißpfote. Er ist aber schon ewig verschwunden." gab die Kätzin zu. Sie seufzte. "Eigentlich ist nicht einmal Schwarzpfote jemals ein richtiges Clanmitglied gewesen. Ich glaube...ich habe ihnen nur Unglück gebracht."
Haselpfote dachte an Wolkenstern. "Wolkenstern vermisst dich."
Schneezauber betrachtete ihre Pfoten. "Ich weiß."
"Aber du hast es doch immerhin in den SternenClan geschafft, oder? Und Wolkenstern glaubt noch an euch." versuchte die Schülerin, sie aufmuntern.
Das Gesicht der weißen Kätzin hellte sich auf. "Wirklich? Er hat seinen Glauben nicht aufgegeben, obwohl Sonnenjäger und Lindenstern ihren Irrglauben schon im Clan verbreitet haben?"
Haselpfote nickte und war stolz auf ihr Wissen. Sie sah das Leuchten in Schneezaubers Augen. Selbst das kleine Junge, Graunjunges, sah nicht mehr so verwahrlost aus, während es sich an seine Mutter schmiegte.
"Ich glaube, ich werde ihn jetzt noch besuchen." murmelte die Kätzin nun. "Haselpfote, hüte dich vor dem Nebel. Euch läuft die Zeit davon."
Dann verschwand sie und ließ Haselpfote mit ihrer Verwirrung allein.
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