37 - Katz und Maus

Irgendwann riss etwas Haselpfote aus ihrem Schlaf. Sie wäre beinahe vom Sims gefallen, als sie sich mit gespitzten Ohren umsah, aber nichts erkennen konnte. Vielleicht hatte sie geträumt, sie musste eingenickt sein, als sie nach draußen geschaut hatte.

Sie sprang auf den Boden, ohne noch einmal nach draußen zu sehen, und suchte sich schlaftrunken zwischen ihren Reisegefährten einen Platz im Heu. Erst bearbeitete sie ihn mit den Pfoten, dann drehte sie sich so lange, bis sie eine perfekte Schlafposition finden konnte, und ließ sich schließlich mit einem Seufzen in die duftenden, leicht piksigen Halme fallen.

Müde legte sie den Kopf auf die Pfoten und sah zu, wie sich ihr Sichtfeld immer mehr verdunkelte und ihr Atem ruhiger wurde, bis ihr die Augen zufielen und sie sich im Reich der Träume verlor.


Stimmen weckten sie aus ihrem tiefen Schlaf. Sie konnte sich nicht erinnern, etwas geträumt zu haben, aber es fühlte sich genauso an wie immer, als sie sich müde aufsetzte und sich nach ihren Reisegefährten umsah. Mittlerweile hatten sich ihre Gedanken damit abgefunden, dass sie nicht im Schülerbau aufwachte, sondern woanders. 

Dass sie nie wieder im Schülerbau aufwachen würde.

Federpfote saß vor dem Fenster. Es sah fast lustig aus, wie sie sich zusammenkauerte, um nicht von den Spinnenweben gestreift zu werden. Ihre Augen funkelten im einfallenden Morgenlicht - und vor Zorn.

"Wie kann er es wagen?" schimpfte sie. "Dieses dumme Hauskätzchen! Wir hätten ihm nie vertrauen sollen!" Sie fuhr herum, elegant wie immer, und erdolchte Haselpfote mit ihrem Blick. "Du!" fauchte sie. "Du bist schuld!"

"Was?" machte Haselpfote wenig einfallsreich, während Wieselpfote zu der aufgebrachten Kätzin trat und ihr beruhigend über das Fell strich. "Jetzt beruhige dich doch mal, Federpfote." schnurrte er. "Was genau ist denn überhaupt los?"

"Schaut doch selber!" knurrte die cremefarbene Kätzin, löste sich von Wieselpfote und sprang vom Fenstersims. Im Vorbeigehen warf sie mit giftigen Blicken um sich.

Haselpfote schüttelte sich, um wach zu werden, und quetschte sich dann zwischen Wieselpfote und dem Fensterrahmen auf das Sims. Von Krähenpfote war keine Spur zu sehen, dafür erkannte sie, was Federpfote gemeint hatte. 

Paul stand auf dem Weg, dem sie gestern gefolgt waren, und schmiegte sich offenbar laut schnurrend an eine Zweibeinerin. Er schien richtig in Trance zu sein und warf sich vor die Füße der Zweibeinerin.

Wieselpfote sträubte verächtlich die Schnurrhaare. "Wir warten noch." meinte er schließlich. "Zumindest, wenn Krähenpfote von seinem Was-auch-immer zurück ist. Dieser Hauskater hat gesagt, er kann uns zu den Dorfkatzen bringen, und ich denke, das wird er auch noch tun." Haselpfote hörte, wie er die Krallen in das alte Holz grub, und fragte sich, ob sie die einzige war, die sich den Namen "Paul" merken konnte.

Sie beschloss, sich ins Heu zu legen und ein wenig herumzuträumen. Sie dachte an den Clan - war nicht schon der fünfte Tag? - und an ihre Familie, und sie vermisste Wunschrose und das warme Fell ihrer Geschwister an ihren Flanken. Und Kleintatzes Geschichten. Ob die Älteste die Reise gut überstehen würde?

Dann musterte sie Wieselpfote, der noch immer am Fenster saß. Der Ärmste hatte keine alte Freundin, die tolle Geschichten erzählte, und Eltern hatte er auch nicht mehr. Nur noch seine Geschwister. Ihre Gedanken schweiften ab zu Ahornpfote...


Das Geräuch von Pfoten auf der Treppe riss Haselpfote aus ihren Gedanken. Sie sah hoch und begegnete Krähenpfotes amüsierten Blick. "Paul hat gesagt, wir können noch jagen und in Ruhe fressen, er holt uns dann ab."

"Na, da bin ich ja gespannt." murmelte Federpfote misstrauisch. Haselpfote schüttelte sich das Heu aus dem Fell und begann, hungrig nach Mäusen zu suchen.

Sie wurde schnell fündig und erbeutete eine wohlgenährte, träge Maus, die versucht hatte, sich unter einen Holzstapel zu flüchten. Haselpfote trug sie zu ihrer Heukuhle, um sie gemütlich zu verzehren.

Auch die anderen waren mit Jagen und Essen beschäftigt, und Haselpfote genoss die friedliche Ruhe, die für diesen Moment herrschte. Dann meinte Krähenpfote plötzlich: "Habt ihr das Geschrei heute Nacht auch gehört?"

Wieselpfote hustete, Haselpfote sah überrascht auf. Federpfote sprang auf die Pfoten. "Ja! Ich dachte, ich hätte es mir einge-" sie unterbrach sich eilig, als hätte sie beinahe etwas peinliches gesagt. "Was war da los?"

"Wovon redet ihr?" Paul war auf leisen Pfoten die Treppe hinaufgekommen und lugte nun um die Ecke. "Ich hoffe, ich störe nicht?"

Federpfote schnappte nach ihm. Eilig bequemte Wieselpfote sich auf die Pfoten, um die wütende Heilerschülerin zurückzuhalten. "Nein, du störst nicht."

"Es ging gerade nur um irgendeinen Katzenkampf." Krähenpfote sah den Hauskater abwartend an. Der zuckte mit einem Ohr. "Kommt mir bekannt vor."

"Ach?" Federpfote reckte den Hals, dann sträubte sie schadenfroh die Schnurrhaare. "Du warst das! Hast dir wohl einen Kratzer eingefangen, was?"

Haselpfote erhob sich ebenfalls. Ihre Neugier war geweckt. "Mit wem hast du denn gekämpft?"

Paul neigte den Kopf, das eine Ohr leicht angelegt. Nun sah Haselpfote selbst das getrocknete Blut auf der Wunde, die er davongetragen hatte. Außerdem zeichnete eine feine Narbe seine Nase. Die Schülerin staunte - solche Narben hatte sie bei ihren wilden Clangenossen nicht gesehen.

"Der schwarze Kater war wieder mal da." knurrte Paul. "Er akzeptiert einfach nicht, dass das hier unser Territorium ist!" Er riss den Kopf herum und fauchte etwas die Treppe hinunter.

Verständnislos lugte Haselpfote zur Treppe, konnte aber nichts erkennen. "Moment, hast du schwarzer Kater gesagt?" wollte Wieselpfote da wissen.

"Ja!" fauchte Paul missbilligend. "Er treibt sich ständig hier herum, und einen Namen hat er auch nicht."

"Hatte er ein eingerissenes Ohr?"

"Ja, aber das hat fast jeder von uns." antwortete Paul nachdenklich. Tatsächlich wieß sein eigenes Ohr einige Kerben auf.

"Vielleicht war es Schlitzohr?" Wieselpfote wandte sich an Haselpfote. "Du müsstest es doch wissen, du kennst ihn am besten."

"Gar nicht wahr!" protestierte die Kätzin scheu. Zum Glück erlöste Krähenpfote sie aus ihrer Peinlichkeit, indem er rief: "He, sollten wir nicht endlich weiter?"

"Genau!" Federpfote stakste aus dem pieksigen Heu, über ihrem Kopf schien eine Gewitterwolke zu hängen - und ihrer Miene nach zu urteilen mochte sie keins.

"Wie ist denn das Wetter?" Wieselpfote ließ seine Wunden von der Heilerschülerin untersuchen und prüfte sein Band.

"Keine Ahnung." gab der Hauskater zu. "Ihr solltet euch übrigens wirklich beeilen, die Zweibeiner werden bald herauskommen..."

Haselpfote konnte sich nur schwer von dem duftenden Heubergen trennen, aber schließlich liefen die fünf Katzen heu- und spinnenwebenfrei die Treppe hinunter und auf den taunassen Hof. Haselpfote hielt Wieselpfote gerade noch davon ab, hinzufallen, denn der schwarzweiße Kater reckte den Kopf und musterte misstrauisch den Himmel, der für Haselpfote aussah wie immer.

Neugierig beobachtete die kleine Kätzin die Umgebung und lauschte den frühen Gesängen der Vögel. Ein Raubvogel kreiste hoch oben im blauen Himmel, überall raschelte es. Der Hof lag im Schatten, aber sie konnte sehen, dass die Sonne bereits aufgegangen war.

"Kommst du endlich, oder willst du hierbleiben und Hauskätzchen werden?" fauchte Federpfote ungeduldig. Schnell holte die HaselClan-Schülerin zu den anderen auf, die schon vor dem Zweibeinernest standen. Unterwegs machte sie an einem viereckigem Teich Halt, der von Wasserpflanzen bedeckt war. Das kalte, frische Wasser schmeckte ihr köstlisch, sie leckte sich die Lippen, während sie zu den Wartenden stieß.

Statt immer nur feuchte Moosbälle abzulecken, sollte ich öfter aus dem Heilerteich trinken! nahm sie sich vor, aber dann fiel ihr ein, dass sie ebenjenen ja nie wiedersehen würde. Schnell verdrägte sie die unfreundlichen Gedanken und konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Zweibeinerhof.

Plötzlich ertönte fremdes Miauen. Die Katzen hoben allesamt den Kopf, und tatsächlich kauerte auf dem Vordach eine junge, hellgraue Kätzin mit schwarzen Muster, das sich nur als Mischung aus Mamorschlieren, Sprenkeln und Streifen benennen ließ. Ihre Nase war braun, ihre Pfoten weiß getupft, und sie sah aus mehrfarbigen Augen - braun, gelb, grün und blau - zu den Fremden hinunter.

"Was macht ihr denn hier?"

"Das geht dich nichts an!" fauchte Paul feindsehlig. "Lass uns in Ruhe." Die Kätzin ließ sich nicht stören, geschmeidig sprang sie aus schwindelerregender Höhe hinunter und landete anmutig auf ihren Pfoten. "Gehst du zu den Dorfpfoten?"

"Ja, aber allein! Die vier hier haben etwas mit ihnen zu besprechen."

"Prima! Warum denn das?"

"Wir sind Clankatzen und unsere Clans müssen vor Wolfshunden fliehen." informierte Wieselpfote die sympatische Kätzin kurz.

"Hunde? Ich kann super gegen Hunde kämpfen!" prahlte die Graue.

"Meddy ist doch kein Gegner!" widersprach Paul. "Der ist ein Haushund und jammert immer nur herum."

"Ist doch egal." widersprach die Jüngere trotzig. Ihr Blick fiel auf Pauls Ohr. "Oh, du hattest eine Begegnung mit Schlitzohr?"

"Also doch!" rief Wieselpfote überrascht. "Warum hast du gesagt, er hätte keinen Namen?"

"Weil wir ihn immer den schwarzen Kater nennen sollten." knurrte Paul. "Frag nicht, warum! Und Mäuschen, du bleibst hier!"

Mäuschen? Haselpfote sträubte die Schnurrhaare. Was dachten die Zweibeiner sich bloß immer? "Also lebst du nicht allein hier?"

"Nö." Paul funkelte Mäuschen verärgert an. "Eigentlich sind wir sogar zu dritt, aber Flecky ist seit über drei Monaten verschwunden. Wenn wir unten an der Straße sind, kann ich euch ein Bild zeigen."

Ein was? Haselpfote zog es vor, nicht zu fragen, nachdem sie einen Blick auf Wieselpfote geworfen hatte, der unruhig von einer Pfote auf die andere trat. Krähenpfote markierte gerade eine hochstämmige Zypresse, die neben einem Teich stand, und Federpfote zerriss gelangweilt trockenes Laub.

"Gehen wir." entschied Paul mit angelegten Ohren. "Und Mäuschen, komm uns ja nicht in die Quere!"

"Schon klar. Ich wollte ja auch nur mit Hugo und Moritz Jagen üben." Die Graue leckte sich beleidigt über eine Vorderpfote. Sie roch nach seltsam beuteähnlichem Zeugs und Zweibeinern.

Die sechs Katzen trabten den Weg hinab, plötzlich schrie Mäuschen auf. "Aus dem Weg!"  Ihr Ruf bedurfte keiner Erklärung, der Boden unter Haselpfotes Pfoten bebte, und sie hörte und roch ein Monster näherkommen.

Paul verschwand gelassen in einer Wiese, während die Clankatzen Hals über Kopf beiseitesprangen. Haselpfote landete mit einer Hinterpfote plötzlich im Wasser. Sie fuhr zusammen - und sprang zu weit, plötzlich fühlte sie wieder den Stein des Weges unter ihren Pfoten.

"Was machst du da?" rief Mäuschen, die gerade auf einem Steinpfahl balancierte. Ihre weiße Schwanzspitze peitschte hin und her wie ein leuchtendes Glühwürmchen.

Haselpfotes Fell stäubte sich, als sie das Monster auf sich zukommen sah. Wieder ergriff diese widernatürliche Starre von ihr Besitz, nur war diesmal kein Ahornpfote da, der sich vor sie werfen konnte...sie verfluchte ihr Entsetzen, und diese glühende Wut erlöste ihre Pfoten aus ihrer Starre. Sie warf sich herum und rannte den Weg hinab, während das Monster immer schneller hinter ihr herrollte.

"Haselpfote! Bleib hier! Geh zur Seite!" Wie aus unendlicher Ferne hörte sie Wieselpfotes Stimme, während sich ihre Pfoten am harten Stein aufschrammten. Sie hetzte über den kühlen Donnerweg auf die andere Seite und duckte sich dort zitternd in einem kleinem Haus aus Holz. Mit bebenden Flanken beobachtete sie, wie das Monster auf den Donnerweg fuhr und dann vorüberdröhnte.


Wenig später tauchten die Gesichter ihrer Reisegefährten in ihrem Sichtfeld auf. Wieselpfote sah besorgt, Krähenpfote eher nervös und Federpfote ziemlich genervt aus. Pauls Schweif pendelte unruhig hin und her, während die Heilerschülerin Haselpfote auf Wunden untersuchte. Dann fiel sein Blick auf etwas hinter der Schülerin.

"Das da ist Flecky." Haselpfote drehte sich um und sah nach oben, und tatsächlich klebte dort eine Art großes, weißes Blatt wie von einem Baum. Darauf prangten zwei Bilder einer schildpattfarbenen Kätzin. Instinktiv prägte sie sich das Aussehen der Hauskatze ein.

"Kommt ihr?" Mäuschen trat aufgeregt von einer Pote auf die andere. Die Kätzin schien nie still halten zu können - sympatisch, fand Haselpfote.

Die Katzen verließen das Häuschen wieder, und nun führte Paul sie dicht am Donnerweg entlang. Sie mussten hintereinander laufen. Haselpfote sah nervös über ihre Schulter.

"Keine Sorge, hier sind kaum Autos unterwegs." beruhigte Mäuschen sie. "Nächstes Mal solltest du übrigens zur Seite gehen, dann sparst du dir das Rennen." Sie schnurrte freundlich, und Haselpfote fühlte, wie sie ruhiger wurde. Autos sind hoffentlich die Monster, und dann ist die Straße der Donnerweg! Stolz auf ihre neue Erkenntnis hob sie den Kopf und begann, sich wieder umzusehen.

Es roch fremd, aber gleichzeitig nicht nur nach Zweibeinergestank, wie sie immer gedacht hatte. Winden rankten sich an einem Zaun empor, und unter einer großen, alten Buche machte Paul kurz Halt. Ein Holzzaun trennte die Katzen von dem Baumstamm.

"Hier landen meistens Tiere, wenn sie überfahren werden." Paul sah einen Herzschlag lang schweigend auf seine Pfoten, dann lief er weiter. Haselpfote folgte ihm und Mäuschen verwundert.

Schon nach wenigen Schritten roch sie fremde Katzen und sah, wie sich das Fell ihrer Clangenossen sträubte. Nur Wieselpfote war zu abgelenkt, er verfolgte jede der dunkelblauen Wolken am Himmel drohend mit den Augen.

"Was, wenn das eine Fall-" Weiter kam Federpfote nicht, denn plötzlich zerbrachen krachend die Zweige in der Hecke neben ihnen, und ein weißer Fellbausch schoss heraus.

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