36 - Paul

Wieselpfote, mit seinem weißem Pelz gut sichtbar, übernahm wieder die Führung, während Haselpfote begann, den grüngelb leuchtenden Glühwürmchen hinterherzujagen. Krähenpfote übte sich nebenbei darin, sein weißes Brustfell in der Nachtschwärze zu tarnen, und Federpfote markierte einen Ahorn mit ihren Krallen.

Sie folgten einem unkrautbewachsenem Weg, als plötzlich grelles Licht anging. Die vier Katzen erstarrten, aber als kein Zweibeiner kam und auch sonst nichts passierte, liefen sie nervös weiter. Sie überquerten gerade einen Hof zwischen drei alten Zweibeinerbauen, als lautes Vogelgeschrei die Stille zerschnitt. Mehrere Vögel sausten herab, und als Haselpfote eine vor dem Mondlicht fliegen sah, erahnte sie gegabelte Schwanzfedern.

"Das sind Schwalben!" Wieselpfote duckte sich weg, während einer der Vögel dicht über ihm hinwegsauste. Offenbar sahen die Tiere die Schüler als Bedrohung, denn immer wieder stürzten sie herab. Ein besonders vorwitziger hackte Krähenpfote sogar mit dem Schnabel, woraufhin der schwarze Kater ihn aus der Luft riss und tötete.

Beinahe sofort verschwanden die Vögel wieder im Nachthimmel und Ruhe kehrte ein. Krähenpfote ließ die tote Schwalbe vor einem der Zweibeinerbaue liegen, was als Abschreckung offenbar gut zu funktionieren schien, oder die Vögel hatten sich einfach darn erinnert, dass sie eigentlich nicht nachtaktiv waren.

Federpfote witterte, offensichtlich beunruhigt. "Sollten wir nicht besser einen Platz zum Schlafen suchen, bevor einer von uns noch vor Müdigkeit umkippt?" schlug sie vor, während ein vogelartiges Tier durch das Mondlicht flog, ein dunkler Umriss im Nachthimmel. Haselpfote erkannte seine Form wieder, ein solches Tier hatte Wolkenschleier gefangen, am Tag ihres ersten Jagdtrainings, der Monde her zu sein schien.

Als sie ihre Aufmerksamkeit kurz auf ihre müden Glieder lenkte, musste sie der Heilerschülerin zustimmen. Doch Wieselpfote sah das offenbar anders, obwohl er sich nur noch ungelenk und steif bewegte, um seine Wunden zu entlasten.

"Wir können hier nicht schlafen! Das ist Zweibeinergebiet." betonte er. "Wir müssen weiter."

Krähenpfote legte genervt die Ohren an, widersprach aber nicht. Unbegeistert trotteten die vier Katzen einen weiteren Weg hinunter, um den Zweibeinerhof zu verlassen, als Federpfote urplötzlich anhielt. "Da vorn ist jemand!" zischte sie.

Haselpfote strengte die Augen an. Tatsächlich; auf dem Weg einige Katzenlängen vor ihnen lag bequem ein Kater, und zwar jener, den sie bereits beoachtet hatten. Als er sie sah, erhob er sich und sah ihnen wartend entgegen. Krähenpfote wagte es schließlich, etwas zu sagen.

"Wer bist du?"

"Das könnte ich euch fragen. Ihr seid auf meinem Territorium." erwiderte der Kater ohne jede Scheu. Er war ein wenig pummelig, aber ansonsten sah er nicht wie die Hauskätzchen aus, die sich Haselpfote nach Kleintatzes Erzählungen vorgestellt hatte. Er hatte sogar zwei Kerben in den Ohren, eine auf jeder Seite, und eine feine Narbe auf dem weißem Fell über der Nase.

"Wir sind Clankatzen aus dem Wald und auf Reise." informierte Federpfote ihn kühl. Haselpfote fügte aufgeregt hinzu: "Und wir wurden von einem Einzelläufer zu sogenannten Dorfkatzen geschickt, kennst du die? Oder einen Schatten des Donners? Oder-" Sie unterbrach sich, als Wieselpfote sie anrempelte. Stimmt, wir sollten einem Hauskätzchen nicht so viel verraten.

"Wie heißt ihr?" wollte der Kater wissen. Haselpfote konnte den anderen ansehen, dass sie sich dagegen sträubten, ihre Namen preiszugeben. Etwas, das sie nicht verstand. "Ich bin Haselpfote." informierte sie ihren Gegenüber bereitwillig. "Und wie heißt du?"

"Paul. Haben bei euch alle so komische Namen?" antwortete der Kater neugierig.

"Das könnte ich dich fragen! Paul, was soll das denn für ein Name sein?" entgegnete Haselpfote munter. "Das sind übrigens Wieselpfote, Krähenpfote und Federpfote."

Paul musterte die jungen Katzen. Als sein Blick auf das zerzauste Fell an Kähenpfotes Schulter fiel, sträubte er die Schnurrhaare. "Oh, seid ihr den Schwalben begegnet? Ich habe sie rufen gehört, ungewöhnlich nachts. Aber wenn gleich vier Katzen statt zwei durch ihr Gebiet laufen, können sie sich ja nicht entgehen lassen, sie zu drangsalieren."

"Haben wir bemerkt!" beschwerte sich Wieselpfote.

Paul musterte seine verkrusteten Wunden, über denen der Kräuterbrei schon abgebröckelt war. "Wenn ihr wollt, kann ich euch zu einem Schlafplatz bringen." bot er an. "Und morgen kann ich euch mit den Dorfkatzen bekannt machen."

"Ach, die gibt es wirklich?" wollte Federpfote wissen, sichtlich bemüht, ihr Misstrauen aufrecht zu erhalten.

"Natürlich. Wir nennen sie Dorfpfoten, ich bin selbst eine." antwortete der Kater sofort.

"Wo können wir schlafen?" fragte Krähenpfote müde.

"Kommt!" forderte der Gestreifte die jüngeren auf, und sie folgten ihm ohne Widerstand.

Paul führte sie zu dem am ältesten aussehendem Gebäude. Als sie es betraten, bemerkte Haselpfote Federpfotes gesträubtes Fell. Kein Wunder - überall scharrten gesichtslose Tiere in ihren Käfigen, die blökenden Tiere von der Wiese waren hier, und das Mondlicht offenbarte riesige Spinnenweben, die von den Holzbalken der Decke hingen.

Ihnen stiegen sie entgegen, als sie Paul auf einer steile sogenannte "Treppe" folgten. Der folgende Raum gefiel Haselpfote deutlich besser. Klar, er war voller Heu. Sie nieste. Auch Kähenpfotes Interesse war geweckt, mit gespitzten Ohren lauschte der Kater den umherhuschenden Mäusen, die verborgen blieben. Federpfote untersuchte derweil eine ziemlich staubige Spinnenwebe auf Spinnen, bevor sie Wieselpfote erneut damit verband.

"Hier könnt ihr schlafen. Lasst euch von dem Mensch nicht stören, der die Schafe, Kaninchen und Hühner unten füttert, der kommt nicht hoch. Ihr könnt euch morgen auch euer Essen hier jagen und dann gehen wir, wenn die Sonne aufgegangen ist, ins Dorf." informierte sie Paul fröhlich.

Menschen? dachte Haselpfote. Schafe? Hühner? Dorf?

"Kaninchen?" fragte Krähenpfote interessiert. "Kann man die auch essen?"

"Nein, die sind in den Käfigen. Die Menschen essen sie selbst." antwortete Paul amüsiert. "Aber hier gibt es jede Menge Mäuse, vielleicht fangt ihr sogar eins von den Rotkehlchen, die hier ihre Nester gebaut haben. Und Ratten gibt es auch, besonders dort unten bei den Hühner." Er leckte sich gedankenverloren über das Maul.

Wieselpfote gähnte. "Danke, echt." Er stieg ins raschelnde Heu und begann, sich im Kreis zu drehen, bis er sich fallen ließ und den Schweif um sich herumringelte.

Paul nickte den vieren noch einmal respektvoll zu, dann rief er: "Gute Nacht!" und tappte die Treppe hinunter. Nun waren die vier Schüler allein in der Zweibeinerscheune.

Federpfote rollte sich im Heu zusammen, während Wieselpfote neben ihr schon leise schnarchte. Krähenpfote schien kurz zwischen "essen" und "schlafen" zu schwanken, dann entschied er sich offenbar für "schlafen" und ließ sich ins Heu fallen. Schon war er eingenickt.

Haselpfote lauschte den leisen Atemzügen. Obwohl ihre Pfoten nach Schlaf schrien, fühlte sie sich hellwach. Sie hörte eine ganze Menge an Tieren: Die Grillen, hohe, schrille, hohe Töne, die sie nicht zuordnen konnte, das Rascheln der Mäuse, die Geräusche, die die Zweibeinertiere unter ihnen machten...

Sie lief zur Treppe und sprang auf das schmale Sims vor dem verdreckten Fenster. Mit einer Pfote schob sie sorgfältig ein paar Spinnenweben beiseite, bevor sie hinausehen konnte.

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