27 - Ein Besuch und ein Hauskätzchen, zu dem man nicht Hauskätzchen sagen darf

Als die Drei endlich wieder zu den Kriegern aufschlossen, schwirrte Haselpfote der Kopf. So viele Informationen! Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon die Grenze erreicht hatten, bis der Wind ihr den würzigen Harzgeruch entgegentrug.

"Also gut." begann Haferstern, nachdem sie sich den beiden Schülern zugewandt hatte. Diese hatten nämlich noch keine Ahnung, weshalb sie hier waren - zumindest Haselpfote. Wieselpfotes Miene war und blieb unergründlich. Haselpfote wusste nur, dass es etwas wichtiges sein musste. Interessiert spitzte sie die Ohren. Ihre Aufmerksamkeit galt ganz allein der Anführerin.

"Ich möchte, dass wir geduldig auf eine Patrouille des AhornClans warten. Ihr habt euch freundlich und vorbildlich zu verhalten und bei der Patrouille zu bleiben. Humpeltatze, Fliederlied, ihr bleibt hier an der Grenze. Passt auch auf, dass niemand die Grenze übertretet - ich habe Frieden erbeten, aber man kann nie wissen... Haselpfote, Wieselpfote, wenn wir im Lager sind, zeigt ihr beide bitte Anstand, aber auch Stärke. Vor allem du, Wieselpfote, du bist immerhin der Ältere. Haselpfote, bitte zügele deine Neugier."

Haselpfote zuckte mit den Ohren. Haselstern wirke sehr ernst. Was auch immer sie vorhatte, es schien von sehr großer Wichtigkeit zu sein...wichtiger als die Reise, die vor ihnen lag?

Die Katzen überschritten die Grenze. Haselpfotes Fell stellte sich auf, ihre Pfoten kribbelten aufgeregt. "Was glaubst du, will Haferstern von Korallenstern?" flüsterte sie Wieselpfote zu.

Der zuckte mit den Achseln. "Keine Ahnung - vielleicht gibt es Unklarheiten über die Prophezeiung oder so."

Haselpfote wurde schon wieder abgelenkt - Ginsterkralle lief vor ihr, und sein Schweif pendelte nervös hin und her. Sie fühlte sich wieder in ihre Jungenzeit zurückversetzt - viel hatte sich ja auch nicht geändert - und ließ sich in ein perfektes Kauern fallen, um der dunklen Schweifspitze ihres Vaters mit großen Augen und flach angelegten Ohren nachzuschauen, bis sie vorsprang und versuchte, seinen Schweif am Boden festzunageln.

"Haselpfote!" schimpfte Ginsterkralle gereizt, und die Kätzin zuckte zurück. Ginsterkralle entriss ihr wütend seinen Schweif und sein Fell sträubte sich. "Benimm dich!" zischte er.

Mit angelegten Ohren starrte Haselpfote ihn trotzig an, und doch war sie die erste, die die Augen niederschlug. Missmutig trottete sie weiter hinter den Kriegern her, bis in der Ferne Stimmen ertönten.

Haferstern blieb stehen, Löwenmähne und Ginsterkralle tauschten einen Blick, den Haselpfote nicht deuten konnte. Donnerecho und Weiselpfote blieben ebenfalls stehen und warteten.

Sechs Katzen traten zwischen den Bäumen hervor, die Nadeln knisterten unter ihren Pfoten. Ein grau-braun getupfter, junger Kater baute sich vor Haferstern auf, während die anderen die Neuankömmlinge umzingelten - ein großer, pechschwarzer Kater mit ungewöhnlich großen Pfoten, ein großer, dunkelbrauner Kater mit langen Beinen - wieso waren die bloß alle so groß? -  und eine dunkelgraue Kätzin mit...Moment, war das etwa ein Halsband?

'Seid ihr jetzt schon so arm, dass ihr Hauskätzchen aufnehmen müsst?' wollte Haselpfote den Kriegern frech entgegenschleudern, als ihr Löwenmähnes Mahnung einfiel. "Wenn du eine dunkelgraue Kätzin mit abgenutztem Halsband siehst, mach ja keine Witze! Flusskehle würde dich in Fetzen reißen."

Hm. Als Fetzen musste sie zwar nicht auf die Reise gehen, aber das wäre dann doch sehr peinlich. Kleinlaut duckte sie sich unter den feindsehligen Blicken der Fremden, die nach Harz und trockenem Nadelwald rochen.

Dann bemerkte sie, dass unter den AhornClan-Katzen zwei jüngere waren - Schüler. Wie wenige der Clan doch haben musste! Sie meinte nämlich, beide zu kennen - ein stämmiger, Schwarzer mit weißem Brustfell und ein ebenso dunkler, weiß gesprenkelter Kater.

"Haferstern." grüßte der Getupfte, der sich arrogant vor Haferstern aufgebaut hatte, grollend. Er musste eindeutig das Sagen haben.

Hallo? Unmöglich! Der ist nicht mal so alt wie Wolkenschleier, oder? wunderte sich Haselpfote.

Der Großpfotige Schwarze meldete sich zu Wort. "Bussardfang, was ist, wenn sie an Wellenpfotes Verschwinden schuld sind? Der HaselClan tut doch alles, um unserem Clan zu schaden." knurrte er.

"Wellenpfotes Verschwinden?" fragte Haselpfote bestürzt. Was mochte der sympatischen Kätzin bloß zugestoßen sein? 

Der arme Frostpfote!

"Ja, Wellenpfotes Verschwinden!" fauchte der langbeinige, braune Kater. "Jetzt tut doch nicht so, als wüsstet ihr von nichts!"

"Wir wissen nichts über Wellenpfote." entgegnete Haferstern ruhig.

"Und warum seid ihr dann so nah an der Grenze, wenn nicht, um unsere Jungen und Schüler zu stehlen?" fauchte Flusskehle spöttisch.

"Wir haben nichts mit Wellenpfotes Verschwinden zu tun." erwiderte Löwenmähne. "Wir sind aus einem anderen Grund hier. Haferstern möchte Korallenstern sprechen."

"Und das kann sie nicht selbst sagen, wie?" fauchte der Getupfte, Bussardfang.

"Bussardfang, bitte." Ginsterkralle zuckte genervt mit dem Schweif. "Benimm dich nicht wie ein Junges! Deine Patroullie hat kein Recht, uns anzugreifen. Bringt uns zu eurem Anführer." Er durchbohrte den jüngeren Kater mit seinen Blicken regelrecht. Bussardfangs Fell sträubte sich. Er schnippte mit dem Schweif, und seine Patroullie umringte die HaselClan-Katzen. Dann marschierte er ohne ein weiteres Wort ziemlich eingeschnappt voran.

Haselpfote bestaunte den fremden Wald. Wie anders es doch roch! Wie anders der Wind wehte... Sie wäre beinahe in Wieselpfote hineingelaufen, als der plötzlich stehenblieb. Neugierig lugte sie an ihm vorbei. Vor ihnen erstreckte sich ein weiteres Stück Wald, bewachsen mit riesigen, uralten Bäumen, unter denen schon viel Erde weggespült wurde. Manche waren so breit, dass es Haselpfote vorkam, als könnte der ganze Clan sich drum herumstellen und würde immer noch nicht die Nase des ersten erreichen.

Die knorrigen Wurzeln ragten unter ihnen hervor und bildeten eine Art Hohlraum, bis sie wieder in der Erde verschwanden. Dieser war mit Moos, Flechten und anderen Pflanzen überwuchert. Haselpfote zählte sechs solcher Baum-Baue, und sie versuchte sich vorzustellen, wie gemütlich das sein musste. Ein siebter Baum lag umgefallen mitten im Kreis der anderen, und er hatte ein großes Loch wie der Ältestenbau in ihrem eigenem Lager.

Bussardfang hielt auf ebenjenen Bau zu. Haselpfote konnte den Blick nicht von den uralten Bäumen abwenden, unter denen mehrere Augen hervorblitzten, manche feindsehlig, andere neugierig wie sie selbst. Ein paar wenige Katzen hielten sich außerhalb der Baue im Lager auf, trugen nasses Moos, Kräuter und Beute hin und her.

"Korallenstern, Haferstern wünscht dich zu sprechen!" rief Bussardfang, als er den umgestürzten Baum erreicht hatte. Der alte, rotbraune Kater lugte aus dem Loch, als hätte er sie schon erwartet.

"Guten Tag, Korallenstern. Ich würde mit dir gerne unter vier Augen etwas besprechen."

Haselpfote war erstaunt, wie Haferstern so ruhig und höflich bleiben konnte, bei der Feindsehligkeit, die die meisten Krieger in ihrer Umgebung ausstrahlten. Sie verneigte sich sogar respektvoll vor dem älteren Anführer. Eine Weile war alles still, bis Korallenstern nachdenklich nickte und Haferstern deutete, in seinen Bau zu kommen.

Ratlos tauschte Haselpfote einen Blick mit Wieselpfote. Auch ihr Freund schien nicht so recht zu wissen, ob sie ihr folgen oder draußen bei Donnerecho, Löwenmähne und Gisnterkralle warten sollten. Doch Haferstern hatte ja gesagt, sie wolle unter vier Augen reden, also waren sie wohl nicht erwünscht.

"Denkst du, ich kann nach unserer Mission hier noch ein paar Kampftricks lernen?" fragte Haselpfote neugierig.

"Brauchen wir denn wirklich unsere Mentoren und deren Erlaubnis, um uns aus diesem Lager zu schleichen?" erwiderte Wieselpfote mit übermütig blitzenden Augen. Der junge Kater hatte seine Verschlossenenheit abgestreift, er schien auf irgendetwas unerlaubtes aus zu sein.

"Aus dem Lager...Fällt das nicht auf?" murmelte Haselpfote, obwohl sie sich dagegen sträubte, Wieselpfotes Idee abzulehnen. Sie wäre so gerne davongeschlichen und hätte etwas spaßigeres gemacht! Den Ausflug zum AhornClan hatte sie sich anders vorgestellt.

"Soll ich dir vielleicht einfach hier etwas beibringen?" wollte Wieselpfote ein wenig enttäuscht wissen.

"Au ja!" rief Haselpfote. Der schwarzweiße Kater ließ sich geschickt in eine Kauerstellung fallen und machte einen Satz auf Haselpfote zu. Diese drückte sich ab und sprang zur Seite, aber Wieselpfote erhob sich auf die Hinterbeine, den Schweif weit ausgestreckt, und schlug sie mit den Vorderpfoten aus der Luft. Haselpfote rollte über den trockenen Boden.

Sie sprang wieder auf die Pfoten und machte sich schon mit gebleckten Zähnen bereit, um sich auf Wieselpfote zu stürzen, der tänzelnd auswich, als plötzlich eine große Pfote mit eingefahrenen Krallen über ihr Ohr fuhr.

"Aua!" maunzte Haselpfote entrüstet.

"Seid ihr beiden wohl still! Wo ist nur euer Benehmen?" knurrte Ginsterkralle. "In einem fremden Lager eure Zähne und Krallen zu zeigen! Ihr seid wohl nicht bei Sinnen?"

Entrüstet setzte sich der große Kater auf und legte seinen Schweif ordentlich um seine Pfoten. Er streckte die Brust heraus, was bei diesem muskulösen Kater ziemlich einschüchternd aussah, aber als Wieselpfote ihn hinter seinem Rücken nachmachte, indem er seinen Rücken fast durchbog, musste Haselpfote leise lachen. Es sah einfach zu drollig aus!

Ginsterkralle zuckte missbilligend mit dem Schweif, und Haselpfote kauerte sich murrend hin und zog die Pfoten unter den Körper.

Die fremden Katzen hingegen verschwanden wieder, um sich an ihre Pflichten zu machen. Bussardfang redete leise mit Flusskehle, die daraufhin lautstark eine Jagdpatroullie zusammenstellte. Doch der Blick der meisten AhornClan-Katzen war stur auf die Eindringlinge gerichtet. Skeptisch musterten sie die Patroullie, als würden die drei großen Kater und die zwei Schüler sich einfallen lassen, anzugreifen oder so der Art.

Gut, Löwenmähne, Donnerecho und Ginsterkralle - seltsamerweiße der Jüngste der Drei - sahen schon eindrucksvoll aus. Aber wer wäre so dumm, mit dieser Minderheit mitten in einem vollen Lager anzugreifen? fragte sich Haselpfote.

Eine gefühlte Ewigkeit verging, während die Sonne immer tiefer sank, und Haselpfote wollte schon zu nörgeln beginnen, als sich plötzlich Stimmen aus dem Anführerbau erhoben und zu einem bedrohlichen Knurren und Fauchen wurden. Bussardfang, der die ganze Zeit angespannt mit gespitzten Ohren neben dem Eingang saß, zuckte alarmiert zusammen, und Ginsterkralle sprang auf die Pfoten.

Dann landete Haferstern neben ihnen. Ihre Miene zeigte Zorn und Missverständnis. "Wir gehen!" befahl sie bestimmt. Noch nie hatte Haselpfote ihre Anführerin so wütend erlebt. Korallenstern erschien im Eingang des Baus. Er hatte die Krallen ausgefahren und knurrte.

"Wenn du noch einmal auf die Idee kommen wirst, in mein Lager einzudringen und mich zu bitten, diese Verräter von Streunern und Einzelläufern mit in unser neues Zuhause zu nehmen, dann schwöre ich im Namen des SternenClan, werde ich dich höchstpersönlich vor den Augen aller anderen zerfetzen! Verschwindet und kommt nicht wieder!" fauchte er, und in seinen Augen loderte alter Hass.

Bussardfang  legte erschrocken die Ohren an. Offenbar kannte auch der AhornClan seinen Anführer nicht so, dennoch versammelten sich die Katzen hinter ihrem Anführer, um die Patroullie anzufauchen.

"Lauft!" drängte Haferstern, dann sprang sie hastig voran. Donnerecho und Wieselpfote folgten ihr, dann Löwenmähne und schließlich Ginsterkralle.



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