Prolog

Die Flocken fielen. Sie tanzten im Wind, bis sie sich sanft auf der weißen Decke ihrer Vorgänger nieder ließen und die Sicht auf andere Dinge unmöglich machten. So sah auch die kleine Kätzin durch das Fenster ihrer Zweibeiner nichts anderes.

Seit dem Beginn der großen Kälte war dies ihr Lieblingsort. Zu gerne würde sie wissen, wie der Schnee sich anfühlte. Ob er genau so weich, warm und gemütlich war, wie er aussah.

Die Kleine wusste es nicht und würde es wohl nie erfahren, denn ihre Hausleute ließen sie nicht hinaus. Seit sie denken konnte, lebte sie in diesem Bau und verbrachte ihre gesamte Zeit dort.
Einst hatte sie dies bedauert. Zu Beginn ihres noch jungen Lebens hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als die Welt dort draußen zu sehen. Doch wenn man den gesamten Tag nichts weiter tun kann als nachzudenken, sammelt man sich das meiste aus dem, was man sieht zusammen. So hatte die Kätzin sich mittlerweile damit abgefunden, nie etwas anderes zu sehen als das, was die Zweibeiner sie sehen ließen.

Da öffnete sich der Eingang des Baus und unterbrach ihren nie endenden Gedankenstrom. Ihre Hausleute waren zurückgekehrt. Sofort sprang die junge Kätzin erfreut von ihrem Platz am Fenster und rannte zu ihnen. Sie wollte sich gerade schnurrend an ihre Beine schmiegen, so wie sie es immer tat, da bemerkte sie, dass etwas anders war.

Das Weibchen hielt etwas im Arm. Es sah hässlich aus, war klein und bewegte sich nicht. Ob es ein neues Spielzeug für sie war? Die Kleine hoffte es. Sie hatte so gut wie keine und etwas neues war immer gut.

Doch als sie es genauer betrachtete, hatte es die Anzeichen eines Zweibeiners. Viel Zeit zum Betrachten blieb ihr jedoch nicht, denn kaum war sie näher gekommen, fing es an zu schreien und man konnte schnell erkennen, dass es ihm nicht gut ging.

Die Zweibeiner wurden hektisch und die Tür öffnete sich wieder. Das Weibchen ging mit dem kleinen Ding hinaus, während das Männchen nach etwas kleinem griff, hinein sprach und sich dann ihr zuwandte.

"Ich wollte das nicht, ehrlich!" sprach die Kleine und Panik erfasste sie, als sie hochgenommen wurde. Doch als sie den Bau verließ, wurde diese Panik von Neugierde und einem nie gekannten Glücksgefühl erdrückt.

Dieses verschwand jedoch schnell, als Kälte ihr entgegen schlug. Draußen war es ganz und gar nicht schön und sofort sehnte die Kätzin sich wieder nach dem Zweibeinerbau. Sie begann sich zu winden, wollte aus den Fängen, die sie gefangen hielten hinaus und zurück ins Warme.

Doch es brachte nichts. Die kleine Kätzin wurde unbarmherzig weiter getragen und nach kurzer Zeit befand sie sich an einem Ort, an dem kein einziger Bau zu sehen war. Endlich wurde sie abgesetzt, doch viel zu schnell war der männliche Zweibeiner wieder verschwunden. Sie wollte ihm folgen, doch sie sank im Schnee ein, welcher all ihre Sinne trübte.

Auch dieser war nicht halb so schön, wie sie ihn sich ausgemalt hatte. Er war einfach nur kalt und hart, da war nichts von der Behaglichkeit, an die sie gedacht hatte.

Die Kleine fror entsetzlich und fing an zu wimmern. Wo waren ihre Hausleute? Und wo war sie? Suchend kämpfte sie sich durch den Schnee, immer lauter klagend.

Ihre Kräfte verließen sie schnell und die Kälte ergriff von ihr Besitz. Nun wuchs der Drang in ihr, sich einfach hinzulegen. Die Müdigkeit lullte sie ein und sie gab diesem Trieb nach.

Das Kätzchen ließ sich zu Boden fallen und schloss die Augen. Die weiße Kälte deckte sie zu, während ihr Bewusstsein immer mehr schwand und schließlich nichts mehr da war, an das sie sich hätte klammern können.


Einige Monde später huschte eine kleine, weiße Kätzin an einem ganz anderem Ort über den gepflasterten, runden Platz an einem grell beleuchtetem Zweibeinergebäude vorbei. Die Tür stand offen, aber sie wusste, was sie da drin erwarten würde. Entsetzlich brennender Gestank nach vergifteten Wasser und viele Zweibeiner, die mit ihren Monstern und großen Behältern, die sie Taschen nannten, vorfuhren, um lange im Gebäude zu verschwinden.

Sie lief leichtfüßig an den Bänken vorbei, die großen Ohren gespitzt. Eins der beiden war von hellgrauem Fell, das bis zu ihrem Auge reichte, bedeckt. Sie blieb stehen und schnupperte. Das kurze Fell hob und senkte sich über ihren mageren Flanken schnell.

Das blasse Mondlicht erhellte sie, überdeckt von den viel helleren Zweibeinerleuchten, die ordentlich an der sogenannten Straße aufgereiht standen. Sie roch alte Zweibeinerbeute und huschte zu der Baumgruppe, vor der weitere Bänke standen. Dazwischen war ein Mülleimer aufgerichtet worden, unter dem sie jetzt nach etwas zu essen suchte.

Was sie fand, war undefinierbar, schmeckte viel zu salzig und füllte ihren Magen kaum, aber es war ein Anfang. Die Straßenkätzin suchte weiter, ab und zu funkelten ihre grasgrünen Augen auf, in deren noch Reste des Kätzchenblaus zu erkennen waren.

Fünf Zweibeiner näherten sich. Der hellgraue Schweif der Kätzin zuckte nervös, der braune Fleck am Schweifansatz verschwamm zu einem Schatten. Die großen Zweibeiner gingen achtlos weiter, aber der kleinste kam auf sie zu, hockte sich hin und streckte die Hand aus, während ein älteres Exemplar sie von weitem beobachtete. Etwas beunruhigendes ging von ihm aus, deshalb wich sie zurück.

Eine dritte Zweibeinerin, noch nicht ganz ausgewachsen, schimpfte mit dem Jungen und schickte ihn weg, dann näherte sie sich vorsichtig. Sie sah friedlich aus, machte beruhigende, zirpende Geräuche und roch ein bisschen nach fremden Katzen. Die weiße Kätzin hob den Kopf und berührte ihre ausgestreckte Hand mit der Nase, dann bewegte die Zweibeinerin sich plötzlich und sie wich erschrocken zurück. Die Zweibeinerin nickte ihr besänftigend zu, dann flüsterte sie etwas, wovon die junge Katze noch nicht alles verstand: "Pass ... Straße auf, Kleine, ... gefährlich."

Die Kätzin wandte sich wieder dem Müll zu und bemerkte nicht den Blick der Zweibeinerin, die nun den anderen folgte. Die Zweibeinerin würde sie nie wiedersehen, denn gewisse andere Katzen hatten so gewisse andere Pläne mit der kleinen Straßenkätzin...


Vor einem schwarzen Tümpel mit undurchdringlicher Oberfläche stand ein hellgrauer Kater. Sein ungewöhnliches, weißes Muster erschien viel zu unpassend, er hob sich von dem dunklen Wald, der ihn umgab, stark ab, doch in seinem Blick lag kein Zögern, keine Angst.

Ihn störte der Geruch nicht, den das Verfaulen des fahlen, trockenen Grases unter seinen Pfoten und die verfallenen Bäume auslösten. Sein rechtes Auge schimmerte eisig blau wie der kalte Nordwind im spärlichen Licht, während das linke, grasgrüne, gefährlich glitzerte.

Im Wasser spiegelten sich nun Bilder, die der Kater gleichgültig verfolgte, nur seine Ohren zuckten angespannt. Das Gebüsch raschelte, eine schwarze Kätzin trat heraus, aber der Kater wusste, dass sie kommen würde, und beachtete sie nicht weiter.

"Eisherz", gurrte sie, "Was tust du da?" Sie sah neugierig über die Schulter des Katers und legte den Schweif auf seinen Rücken.

Eisherz wich ihr aus. "Das geht dich nichts an, Rabenschatten." knurrte er. Die Kätzin schnaubte. Nur ein Kater durfte sie so behandeln, sie, die Herrscherin vom Wald der Finsternis. Noch. Seit sie diese Position inne hatte, sprach nicht einmal ihr Vater - Korallendorn, Dämmersterns Stellvertreter und für seinen Verrat in der großen Schlacht bestraft - noch so richtig mit ihr, und sie genoss das.

Und hier stand nun Eisherz, der die Schlacht angezettelt hatte, der den Anführer ihres ehemaligen Clans zum Verrat gezwungen hatte. Reizend. Sie knirschte mit den Zähnen.

Allerdings hatte er ihr auf diese Stellung verholfen. Also bemühte sie sich um eine freundliche Haltung.

Dem Kater entging nichts. Er mochte Eisherz heißen, aber er war feinfühliger als die meisten anderen. Nur eben so verletzlich wie das Eis des Nordens. Er seufzte gespielt. "Wenn du es unbedingt wissen willst, ich suche nach einer Anführerin."

"Eine Anführerin?" Rabenschattens Neugier war echt. "Für welchen Clan denn?"

"Für den EisClan." Eisherz genoss das Wort und Rabenschattens Reaktion entging ihm nicht. Die schwarze Kätzin zuckte zusammen und riss die Augen auf. "Wie hast du das geschafft?"

"Tja, das wüsstest du wohl gerne." schnurrte der ehemalige Krieger. "Eure alten Freunde haben es nicht geschafft. Mein Clan existiert, und er lebt irgendwo da draußen, ohne Anführerin, aber nicht weniger schutzlos."

"Aber...Du bist tot! Willst du mir jetzt ernsthaft erzählen, dass deine Streuneranhänger es auf die Reihe bekommen haben, einen Clan zu gründen?" fragte Rabenschatten skeptisch.

"Nicht mehr und nicht weniger." Eisherz' Stimme nahm einen drohenden Unterton an. "Und ihr lasst die Pfoten von meinem Clan, verstanden?"

Rabenschatten fauchte ihn an. "Ich beherrsche den Wald, nicht du!"

"So?" Urplötzlich machte Eisherz einen Satz. Rabenschatten sprang zur Seite, und er landete geschmeidig neben ihr. Rabenschattens Krallen bohrten sich in den Boden.

"Was soll das?" rief sie. "Du kannst nicht mit mir kämpfen!"

"Kämpfen? Ich will nur herausfinden, wie stark du wirklich bist." entgegnete er, seine Stimme war rau und voller Dunkelheit. Ein spöttischer Funke glühte in seinen Augen, als er einen Schritt näher trat. "Zeig mir, ob du die Anführerin bist, die Schatten braucht."

Die Anspannung zwischen ihnen knisterte in der schwülen Waldluft, die keine war. Rabenschatten konnte das Aufeinandertreffen nicht länger ignorieren; sie hatte doch gewusst, dass es nicht mit rechten Dingen zuging, als Eisherz keinen Anspruch auf ihren Platz erhob. Aber sie war die Anführerin des Waldes und würde sich nicht von ihren eigenen Kriegern einschüchtern lassen. Sie hatte bereits genug Prüfungen durchgestanden, um zu wissen, was auf dem Spiel stand, oh ja.

"Wenn du wirklich kämpfen willst, dann wähle deinen Zeitpunkt besser aus, Eisherz!" rief sie und machte einen Sprung auf ihn zu, bereit, ihm zu zeigen, dass sie nicht nur aus Worten bestand.

Der Kater wich keinen Pfotenschritt. "Aber das ist nicht nur ein Kampf, Rabenschatten. Du musst verstehen, dass es auch darum geht, wer hier die Kontrolle hat. Führe uns, oder lass uns es wissen, wenn du nicht mehr kannst." sprach er gelassen.

Rabenschatten starrte ihm sprachlos in die Augen.

"Gut." meinte der Kater höhnisch. "Ich werde es Schatten, dem Verbannten, überbringen."

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