Electric Bird

Mehr. Schneller. Besser. Sie musste sich noch steigern können. Es war ihr noch nicht genug. Ihre Helferinnen liefen aufgeregt umher, aber sie war noch nicht zufrieden. Sie zupften an ihrem Kostüm herum, korrigierten ihr Make-Up und richteten die Haare. Sie verkabelten das kleine Mikrofon, dass es noch unauffälliger war.

Ungeduldig verzog sie das Gesicht. Eine der Helferinnen zupfte an einer Strähne herum, es ziepte und sie machte einen Schritt zur Seite. Damit hatte sie aber auch die anderen mit sich gezogen, eine, die die aufgenähten Federn an ihrem Rock richtete, verlor das Gleichgewicht und fiel gegen sie, was sie auf ihren hohen Schuhen fast umwarf. Wütend warf sie den beiden einen eisigen Blick zu.

Sie senkten unterwürfig den Kopf und verzogen sich schnell. Die anderen überlegten derweil, ob sie weitermachen sollten. Mit einer genervten Handbewegung signalisierte sie ihnen, dass es gefälligst weitergehen sollte. Kurz schloss sie die Augen und versuchte, sich zu beruhigen. Damit würde ihr Auftritt nie gelingen! Z

wei Helfer brachten das Geschirr, das man ihr anlegte. Es war zu weit eingestellt und musste gerichtet werden. Einer zog das Band zu fest und sie schlug mit der Hand nach ihm. Schnell entschuldigte er sich und lockerte das Band wieder etwas. Dann richteten sie die bunten Federn so, dass sie die schwarzen Träger verdeckten. Sie sah an sich herunter und war schon einigermaßen zufrieden. Hunderte bunte Federn schmückten das Kleid, schöner als jeder Vogel auf der Welt es je sein könnte.

Nun fehlte nur noch das Scheinwerferlicht, das ihre Schönheit erst recht zur Geltung bringen würde. Das Geschirr saß und sie hörte, wie von oben die Seile heruntergelassen wurden. Sie merkte, wie sie am Geschirr eingehakt wurden. Um zu überprüfen, ob sie auch richtig hielten, zog jemand kräftig daran, sodass ihre Knie einsackten. Wütend drehte sie sich um und funkelte den Helfer an. Dieser wagte gar nicht, sie anzusehen.

Sie sah wieder nach vorne und bereitete sich auf ihren Auftritt vor. Heute würde sie fliegen. Hoch würde sie über allen anderen schweben, dort sein, wo sie schon immer hingehört hätte. Sie war fertig für den Auftritt, aber noch zweifelte sie, ob sie denn auch wirklich perfekt war. Konnte man ihr denn keinen Spiegel bringen, in dem sie sich noch einmal betrachtete? Sie sah sich nach allen Seiten um, aber die Helfer waren schon wieder verschwunden oder bezogen anderweitig ihre Position für die Show.

Wie unfähig sie doch alle waren! Sie musste aufpassen, dass man ihr den Stress, den sie hier hinter der Bühne hatte, nicht ansah. In wenigen Sekunden würde der Vorhang fallen und dann musste sie glänzen, egal, mit welchen Schwierigkeiten sie vorher hatte kämpfen müssen. Es ging los. Sie reckte den Kopf nach oben und sah das Seil, das weit über ihr in der dunklen Bühnendecke verschwand.

Diese Decke war zu niedrig für sie! Sie musste höher hinaus! Mehr Abstand gehörte zwischen sie und die, die ihr alle unterlegen waren. Es hatte so und nicht anders zu sein. Aber was konnte das schon werden, wenn sie alle unfähig waren? Nicht umsonst unterlagen sie ihr deswegen. Das Licht wurde gedimmt, es ging los. Sie merkte, wie die Seile sie nach oben zogen. Nicht auf Füßen würde sie diese Bühne heute betreten. Der Erdboden unter ihr verschwand, aber allzu entfernt blieb er nicht. D

as entsprach nicht ihren Vorstellungen. Weiter! Sie versuchte, den Technikern zu zeigen, dass sie noch höher hinauswollte. Wütend griff sie nach dem Seil, als würde es sie dadurch noch höher ziehen. Erleichtert stellte sie fest, dass es noch weiterging. Als sie das nächste Mal gestoppt wurde, schien der Boden in guter Entfernung zu liegen. Damit konnte sie sich vorerst zufriedengeben. Die Scheinwerfer hinter dem Vorhang sprangen an und ließen ihn gleißend weiß leuchten.

Das war die Show, in die sie gehörte. Sie, der Mittelpunkt. Sie, die Show. Sie, die Kunst. Denn nichts Anderes verkörperte sie in diesem Moment und nichts Anderes hatte sie jemals verkörpert als die Kunst. Ohne sie gäbe es keine Show und keine Kunst, ohne sie wären alle anderen ein noch größeres Nichts als sie es eh schon waren. Am liebsten wollte sie noch höher hinaus, aber dafür war es zu spät. In wenigen Augenblicken würde der Vorhang fallen. Wie unfähig sie doch waren, dass sie nicht merkten, dass diese Höhe nicht ausreichend war!

Der weiße Vorhang rauschte an ihr vorbei und sie richtete sich in Pose, aber es war nicht der Vorhang, der fiel. Viel zu spät erschreckte sie davor, dass der Erdboden immer näherkam. Sie ließen sie fallen, diese Unfähigen! Kurz, bevor sie auf dem so ungeliebten Erdboden aufschlug, stoppte man den Fall. Schnell kamen von überall her die Helfer gelaufen und sie wusste nicht, wen sie zuerst mit ihren wütenden Blicken strafen sollte.

Dann fingen sie auch noch an, sie aus den Seilen auszuhaken! Merkten sie denn nicht, dass sie damit die Kunst kaputt machen? Zwei zwangen sie aus dem Geschirr. Sie zogen unsanft ihre Arme nach vorne, damit sie es ihr überziehen konnten. Dabei rissen sie die Federn aus ihrem Kostüm. Eine andere riss den Sender aus ihrem Kleid und klaubte das Mikrofon aus ihrem Gesicht. Ihre Finger hinterließen bestimmt Spuren! Am liebsten hätte sie vor Wut geschrien. Diese Kunstbanausen!

Bemerkten sie nicht, was sie in ihrer Unfähigkeit zerstörten? Aber dann bemerkte sie die grimmigen Mienen, die immer selbstgefälliger wurden, je mehr sie die Kunst zerstörten. Vor Empörung bekam sie keine Luft mehr. Erst recht, als sich all ihre Helfer von ihr entfernten, das Geschirr, die Karabiner-Haken, den Sender oder das Mikrofon in der einen Hand, den hoch erhobenen Mittelfinger an der anderen. Da wurde ihr klar, dass sie ohne sie heute nicht fliegen würde. Heute nicht und sonst niemals mehr. Diese Erkenntnis raubte ihr die Sinne. Wussten sie denn nicht, was sie ihr damit antaten? Panisch wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sie hatten sie im Stich gelassen. Und da fiel der Vorhang und sie stand allein im Rampenlicht.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top