California Dreamin'

Es war dunkel, schon mitten in der Nacht. Draußen auf der Straße brannten die Laternen, im gelben Licht sah man die Regentropfen fallen. Dicht und schnell prasselten sie auf den Erdboden nieder. Der Wind verwirbelte sie und machte das Wetter unangenehm für jeden, der jetzt noch draußen sein musste. Das Mädchen saß an ihrem Schreibtisch und kümmerte sich nicht um das Wetter draußen vor dem Fenster.

Den Kopf auf die Hand aufgestützt, saß sie über einem Buch, den Finger auf der Zeile, um vor Müdigkeit nicht zu verrutschen. Grüne und gelbe Markierungen sprangen ihr nach jedem dritten Wort entgegen und doch wusste sie nicht mehr, warum sie sie eigentlich markiert hatte. Mitten in der Nacht sollte sie eigentlich schlafen, aber sie zwang sich, wach zu bleiben, bis sie den Text verstanden hatte. Sie musste es wissen, irgendwie mussten die Informationen, die ihr aus dem Buch entgegensprangen, in ihren Kopf, aber der verweigerte sich ihrer völlig. Nachdem sie, trotz des Fingers, mehrmals die Zeile verloren hatte, klappte sie das Buch zu und warf es mit einem wütenden Aufschrei weg.

Es landete auf dem Teppich, wo es liegenblieb, der Umschlag nach oben, einige Seiten beim Aufschlag geknickt. Sie kümmerte sich nicht darum. Ihr Blick wanderte verzweifelt zu den Plakaten, die über ihrem Schreibtisch hingen. Wie kindisch, in ihrem Alter immer noch Plakate von Stars in ihrem Zimmer hängen zu haben. Aber sie hielt daran fest, sie gaben ihr die Kraft, die ihr so oft verloren ging. Nur jetzt wollten sie das beklemmende Gefühl nicht verschwinden lassen, das langsam, aber unaufhaltsam in ihr aufstieg und ihr das Wasser in die Augen trieb. Es kostete sie viel Mühe, die Tränen zurückzuhalten und sie schaffte es nicht mehr. Wann hatte sie das letzte Mal geweint?

Flennend blickte sie zu der Hollywood-Schauspielerin auf, die in ihrem Kostüm vor einem einfach beleuchteten Hintergrund stand, perfekt geschminkt in die Kamera lächelnd. Sie war berühmt. Hoch angesehen. Perfekt, aus der Sicht des Mädchens. Sie bemühte sich doch so sehr, wie sie zu sein! Es war schwierig, etwas nachzueifern, bei dem von vornherein klar war, dass sie es nicht erreichen konnte. Die Traumfabrik in Kalifornien, wie sollte sie jemals dort hinkommen? In einem Anflug von Verzweiflung fegte sie die losen Stifte, Federmappen, Blöcke, Blätter und Bücher herunter, die in einem wilden Durcheinander auf den Boden fielen.

Sie verbarg das Gesicht mit beiden Händen, zog sich die Ärmel des Pyjamas darüber, wischte sich damit über die Augen. Hier wollte sie nicht bleiben. Ihr Traum war woanders, dort, wo man sie irgendwann genauso bewundern würde, wie die Stars auf den Plakaten. Eines Tages wollte sie von dort aus in zahlreiche Zimmer blicken, in die Augen von ihren Fans, deren Idol sie war. Ja, das wollte sie sein, aber sie schaffte es nicht. Wie lange hielt sie es noch durch? In den Augen der anderen war sie doch genauso wie die Schauspielerin an der Wand, aber das war ein einziges Trugbild.

Das war alles, was sie konnte, eine schlechte Kopie von anderen sein. Sie wollte keine schlechte Kopie sein, dafür wollte sie nicht bewundert werden, sondern für das, was sie selbst ausmachte. Nur, was konnte sie denn wirklich? Was gab es, für was man sie bewundern würde? Es konnte doch nicht so schwer sein! Sie hatte sich schon seit sie klein war in den großen Filmstudios gesehen, auf Bällen und Galen, stets im Rampenlicht. Wo sie war, war der Mittelpunkt. Für die anderen konnte sie diese Rolle spielen, von den Personen, auf die es wirklich ankam, würde sie nie und nimmer Beachtung kriegen.

Soweit käme es nie, wenn sie nicht einmal durchhielt, die schlechte Kopie zu sein. Eigentlich war es doch schon vorbei mit ihr. Sie konnte nicht mehr zurück, aber voran kam sie auch nicht wirklich. Ihr Blick zwischen den Händen hindurch fiel auf ihr Tagebuch, das sie vorhin nicht erwischt hatte. Dafür wischte sie es jetzt einzeln vom Tisch. Es fiel zwischen ein Lehrbuch und Fineliner, die losen Fotos fielen heraus. Im nächsten Moment tat es ihr leid. Sie kniete sich hin, zwischen die Materialien und sammelte die Fotos wieder ein. Sie zeigten sie einzeln, mit ihren Freundinnen oder Stars, die sie aus den Zeitungen und Magazinen ausgeschnitten hatte.

Dieses Büchlein gehörte ihr, es war das vierte, was sie bereits vollgeschrieben hatte. Noch nie hatte sie es jemandem gezeigt, genauso wenig wie ihr Zimmer. Hier konnte sie ihre Träume träumen, ohne, dass Gefahr lief, jemand lachte sie deswegen aus. Sie hielt ein Foto eines Tanzballs der Schule aus dem letzten Jahr neben das einer Schauspielerin. Die Kleider hatten verblüffende Ähnlichkeit, aber im Gegensatz zu der Prominenten strahlte sie nichts aus, nur, dass sie ein Trampel war, der mit aller Kraft und Mühe versuchte, etwas zu kopieren. Mehr als das gelang ihr aber auch nicht. Trotzdem fühlte sie sich in diesen Momenten ihren Vorbildern etwas näher. Das hier war ihre Welt, wo sie ihre Träume ungestört träumen konnte und sich ihr perfektes Leben vorstelle, wie es sein sollte, aber nie sein würde.

Sie sammelte die Fotos wieder auf und legte sie in das Tagebuch. Vorsichtig strich sie über den Einband, der all das barg, was ihr etwas bedeutete. Sie drückte es an die Brust und umklammerte es, damit sie es auch nicht verlieren konnte. Sie legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Still sendete sie ihre Gebete aus. Aber ihr Glauben, dass die Wende irgendwann noch kommen würde, war erschöpft und kurz vor dem Ende.

***

Was sagt ihr zu diesem Kapitel? Wird inzwischen etwas klarer, was sie zu bedeuten haben?^^

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