Big Girls Cry

Sie sah ihr Gesicht im Spiegel. Noch saß das Make Up perfekt, es hatte die ganze Zeit über standgehalten. Nur aus ihrer Frisur hatten sich ein paar Strähnchen gelöst, die ihr wild vor dem Gesicht herum baumelten. So verdeckten sie ihre Müdigkeit, dass sich unter ihren Augen bereits dunkle Ringe abzeichneten. Es war viel Zeit vergangen. Sehr viel Zeit. Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Mundwinkel waren schwer. Ihr ganzer Körper sehnte sich nach Schlaf, damit er endlich zur Ruhe kommen konnte. Aber so, wie sie sich jetzt ansah, wollte sie nicht schlafen gehen.

So, wie sie ihr Gesicht im Spiegel erblickte, wollte sie den Spiegel am liebsten zerschlagen. Diese Maske hatte sich auf ihr wahres Gesicht eingebrannt. Das Mädchen im Spiegel war ihr fremd. Sie drehte den Wasserhahn auf, formte mit den Händen ein Becken und ließ das Wasser hineinlaufen. Als es voll war, goss sie sich das Wasser über ihr Gesicht. Dass sie ihr Kleid damit nassmachte, war ihr egal. Sie wartete einen Moment, bevor sie wieder in den Spiegel sah. Das Make Up saß immer noch, übersät von vielen Wassertropfen, die ihm aber nichts anhaben konnten, so schien es.

Sie versuchte es noch einmal, fuhr mit dem Finger über ihre Augen, verteilte das Wasser, aber nichts geschah. Ihr Gesicht blieb. Die Maske blieb. Panisch öffnete sie den Schrank, der über dem Waschbecken hing. Sie suchte nach einer Flasche, tropfte sich etwas von der Flüssigkeit auf die Hand, verteilte sie im Gesicht. Wusch es noch einmal. Nichts. Sie konnte nicht mehr gegen die Tränen ankämpfen, sie rollten jetzt über ihr schönes Gesicht. Im Spiegel sah sie ihnen dabei zu, wie sie zum Kinn liefen und dann auf das Kleid tropften. Es wurden immer mehr. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie dunkle Spuren auf ihrem Gesicht hinterließen, wenn sie die Farbe mitnahmen. Nichts davon passierte.

Verzweifelt begann sie zu zittern. Es konnte nicht sein. Sie durchwühlte den Schrank, stieß dabei Flaschen zur Seite, die polternd aus dem Fach rutschen und nach unten fielen. Eine Glasflasche fiel genau ins Waschbecken, wo es einen dunklen Riss im weißen Porzellan hinterließ. Alles, womit sie versuchte, die Maske von ihrem Gesicht zu reißen, schlug fehl. Alles brachte nichts. Die Tücher waren nach wie vor blendend weiß, sie konnte damit noch so oft über ihr Gesicht fahren. Sie wollte diese Rolle nicht mehr spielen. Es war doch nur ein Kostüm, das sie trug. Ihre Rolle war fertiggespielt, zumindest für den Moment.

Sie konnte doch nicht für immer so bleiben! Ihre Beine gaben nach und sie sank auf den Boden, blieb auf dem Läufer liegen. Mühsam rappelte sie sich auf, sodass sie sich an die Badewanne anlehnen konnte. Sie zog die Knie an den Körper und legte die Hände vor das Gesicht. Die Tränen rannen ununterbrochen. Es gab für sie kein Zurück mehr. Sie wollte nur noch heulen, dass die Farben verliefen und sie schrecklich aussah. Hässlich. Nichts wünschte sie sich mehr. Sie gehörte jetzt zu ihnen. Gehörte das auch dazu? Die Maske? Das Kostüm? Ihre Rolle, die sie gespielt hatte? Von der sie geglaubt hatte, sie gut zu spielen?

Sie hatte versagt und jetzt war es zu spät. Es war nicht mehr rückgängig zu machen. Die Maske würde bleiben. Sie hatte sich wirklich auf ihr Gesicht verbrannt, sich auf ihm eingenistet. Es interessierte sie nicht, dass sie schön aussah und alle ihr hinterherblicken würden. Wenn man sie ansah, sollte man ihr verquollenes Gesicht sehen, vom Heulen rot, schwarze Spuren auf der Haut, die Haare zerzaust und kringelig. Doch die perfekte Maske blieb. Das war nun sie. Sie war nun perfekt. Perfekt war die Maske, die wie angegossen auf ihre Rolle abgestimmt war. Sie wollte diese Rolle nicht für immer spielen. Aber jetzt musste sie es. So nahm wie Hände wieder vom Gesicht.

Trotz, dass sie von Tränen nass waren, hatte das Make Up nicht abgefärbt, trotz allen Mitteln, die sie angewendet hatte. Die Maske blieb. Sie war zum perfekten Abbild ihrer selbst geworden. Sie stand auf, hielt sich am Rand der Badewanne fest und wendete das Gesicht wieder dem Spiegel zu. Sie würde sich an diesen Anblick gewöhnen müssen, dass sie von nun an, jedes Mal, wenn sie ihr Gesicht in einem Spiegel sah, perfekt aussah und nichts diese Ansicht trüben konnte.

Der Maske konnte nichts etwas anhaben. Verzweifelt schlug sie mit der Faust auf dieses Abbild ein. Sie spürte, wie sich die Splitter des gebrochenen Glases in ihre Haut bohrten und das Blut aus ihnen tropfte. Angewidert zog sie ihre Hand zurück. Der Spiegel hatte unzählige Risse, die sich wie ein Spinnennetz über die ganze Fläche ausbreiteten. Ein Stück Glas steckte noch ein einem Finger. Sie betrachtete ihre Hand, wie das Blut an ihr herunterlief.

Was hatte sie getan?

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