-8- SCHEIN UND SEIN
Mit gemischten Gefühlen dachte ich über die Party nach, auch dann, als ich eigentlich Aufgaben für Chemie überlegen sollte. Reaktionsgleichungen aufstellen, um damit rechnen zu können, war an sich kein Problem, nur heute schien der Wurm drin zu sein. Ein paar Milliliter Wasser waren auf jeden Fall zu wenig, um eine solche Masse von Buten zu verbrennen. Nach fünf weiteren Versuchen hatte ich für ein und dieselbe Aufgabe sechs Gleichungen und sechs Lösungen. Quantitativ lief es heute ziemlich gut, nur qualitativ eben nicht.
Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu dem ab, was heute in der Schule passiert war. Eleonoras Verkündung, dass die Party in genau dem Haus stattfindet, wo es den Toten gegeben hatte, dass Ria und Dion ausgerechnet ein bescheuertes Disney-Traumpaare-Motto auswählen mussten und dass Philine plötzlich wiederauftauchte und mich daran erinnerte, dass ich auf Ria aufpassen sollte.
Eigentlich wollte ich Philine immer noch böse sein, dafür, dass sie mich so angelogen und sich über mich lustig gemacht hatte. Inzwischen war es verflogen und die Wut hatte eher der Angst um Ria Platz gemacht. Sollte ich mich wirklich sorgen oder lag es an der Geschichte mit dem Toten? Irgendwas redete mir ein, dass ja ein Fluch über dem Haus hängen könnte, der immer dann zuschlägt, wenn Jugendliche darin eine Party feiern. Die von damals hatten es schlicht und einfach übertrieben, so sah es aus.
Wenn wir Acht gaben, würde sich dieser Fall nicht wiederholen. Wir waren eh schon alle gewarnt und ich glaubte, keiner wünschte sich, dass so etwas nochmal geschah. Also hatte Philine es doch wieder geschafft, dass ich mir unnötige Gedanken machte. Jetzt war nur noch das Disney-Traumpaare-Motto, das mir Sorgen bereitete. Das lustigste daran war ja, dass ich noch daran dachte, bevor Ria und Dion es verkündeten. Ich fragte mich, wie, um Himmels Willen, sie auf dieses Motto gekommen waren. Hoffentlich mussten wir dann nicht mit Mickey Mouse-Ohren durch die Kante hüpfen.
Jedoch hieß es, dass es nur dazu da war, um dem Abend einen Rahmen zu geben. Man musste einfach nur als Disney-Traumpaar kommen, um Einlass zu erhalten, aber das stellte für einige wahrscheinlich schon eine große Hürde dar. Ich zählte mich auch zu diesen Einigen. Hätte man sonst ein solches Motto bekannt gegeben, hätte ich Ria gefragt und es wäre alles glattgegangen. Ich bin mir sicher, dass Ria sich nicht geweigert hätte, aber nun war ich mir da nicht mehr so sicher. Es gab ja immerhin noch Dion und vor allem der spielte in den letzten Wochen bei ihr die erste Geige. Sollte ich sie trotzdem fragen?
Irgendwie wünschte ich mir, dass wir zusammen zu dieser Party gehen konnten. Selbst, wenn es nur ein albernes Motto war, das dazu diente, dass man überhaupt eines hatte es nur dem Spaß galt, würde ich mich freuen, Ria an meiner Seite zu wissen. Mir fiel in diesem Moment nichts ein, was dagegensprach, sie einfach mal zu fragen. Philine hatte in der Hinsicht recht, dass ich nicht immer im Selbstmitleid versinken durfte.
Das war das einzige, was ich ihr von unserem Gespräch in dem Vorbereitungsraum wirklich glauben konnte. Wenn es schon so auffällig war, dass es jemand mitbekam, der mich tagelang beobachtete und kaum mit mir zu tun hatte, dann kam ich zu dem Entschluss, dass es aufhören musste. Und ich würde Ria fragen.
Die nächste Gelegenheit ergab sich auch schon ein paar Tage später. Ich erwischte Ria tatsächlich einmal alleine, ohne, dass Eleonora, eine ihrer Freundinnen oder Dion in ihrer Nähe waren. Sie hing Plakate in der Schule auf, um alle auf die Party aufmerksam zu machen. „Brauchst du Hilfe?", sprach ich sie direkt an. Sie pinnte gerade einen der orangenen Zettel auf die Informationstafel im zweiten Stock, direkt gegenüber vom Treppenaufgang. So würde er auf jeden Fall auffallen.
„Bisher habe ich es auch alleine hinbekommen", lachte Ria, aber in dem Moment rutschte ihr der Stapel mit den Plakaten herunter. „Sieht man", erwiderte ich und las die anderen auf. „Wo willst du die denn noch alle hinhängen?", fragte ich, während sich am Boden kniete und die Zettel wieder stapelte.
„Wo noch Platz ist", antwortete Ria. „Eleonora möchte, dass so viele auf die Party aufmerksam werden, wie nur möglich." Ich betrachtete die Plakate näher. Wer auch immer es entworfen hatte, es war auf jeden Fall ein Blickfang. Nur mit den Disneyfiguren im unteren Teil hatte man es etwas übertrieben. „Wie seid ihr eigentlich auf dieses Motto gekommen?", wollte ich wissen. Ria lachte wieder. „Das war eigentlich nur Zufall", antwortete sie. „Wir waren bei Eleonora, haben überlegt, wie wir die Party gestalten können. Da war alles noch relativ im Anfangsstadium. Durch Zufall haben wir dann in einer Kiste alte Spielsachen und Bücher von ihr gefunden. Allesamt von diesen Disneyfiguren und da haben wir uns gedacht, dass es doch witzig wäre, eine Party nach dem Motto zu veranstalten."
„Ob das wirklich so witzig ist?", zweifelte ich und betrachtete die Figuren, die mich breit angrinsten. Die meisten kannte ich sogar. „Es geht ja vorrangig nur um den Spaß. Ich meine, wer hat denn in seiner Kindheit nicht die Filme gesehen?", antwortete Ria. „Jeder braucht sich nur ein bisschen zu verkleiden. Damit ist es auch schon getan. Dass der Rest der Party disneymäßig wird, dafür sorgen Eleonora und wir schon." „Wie stellt ihr euch das vor?", fragte ich interessiert. „Wir dekorieren das Haus entsprechend und Eleonora hat auch schon bei einem Catering-Service das entsprechende Essen in Auftrag gegeben", antwortete Ria. „Dann wollt ihr das ja wirklich durchziehen", staunte ich. „Wenn schon, dann richtig", fand Ria. „Halbe Sachen machen wir nicht. Vor allem Eleonora nicht."
Sie lachte kurz auf und nahm mir den Stapel mit den Zetteln wieder ab. „Und ich auch nicht. Ich kann mir vorstellen, dass das wirklich lustig werden könnte. Du wohl nicht?" „Nein, nicht wirklich", antwortete ich. „Ihr habt doch gesagt, dass man nur als Paar Einlass erhält, richtig?" Sie nickte, sagte aber nichts, sah mich stattdessen nur an, als sollte ich weitersprechen. Anscheinend verstand sie noch nicht, worauf ich hinauswollte. „Ich wollte dich eigentlich fragen, ob wir beide vielleicht zusammen hingehen können", sagte ich und kratzte mich verlegen am Kopf. Das war nicht gerade überzeugend gewesen. „Schön, dass du fragst", freute sich Ria und in mir regte sich Hoffnung, dass sie meine Einladung, wenn man es denn so nennen konnte, annehmen würde.
„Aber gehe schon mit Dion hin", sprach sie weiter und ab diesem Moment brauchte sie eigentlich nichts weiter zu sagen. „Außerdem sehen wir uns doch so oder so auf der Party. Ich bin doch nicht aus der Welt. Höchstwahrscheinlich werde ich schon vor Beginn der Party dort sein, um die letzten Vorbereitungen mit den anderen zu treffen." „Wenn du das sagst", meinte ich und wollte nur noch weg. „Du findest bis zur Party bestimmt noch eine. Ist ja wirklich nur, um ins Haus zu kommen. Des Mottos wegen, verstehst du? Das muss doch keine tiefere Bedeutung haben", erklärte Ria. „Ich weiß", gab ich zu. „Hätte ja trotzdem sein können."
„Ich freue mich trotzdem, dass du daran gedacht hast", meinte sie, drehte sich rum und ließ mich stehen. Ich freue mich trotzdem, dass du daran gedacht hast. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Es klang wie im Deutschunterricht: „Dein Aufsatz hat mir wirklich sehr gut gefallen, aber leider hast du das Thema komplett verfehlt."
Das Thema hatte ich hier auch verfehlt, vor allem das Ziel aber. Gut, davon hätte ich von Anfang an rechnen müssen, dass es auf Fragen nicht nur positive Antworten gibt. Allerdings hatte ich jetzt noch weniger Lust auf die Party. Die Disneyfiguren grinsten mir immer noch von dem Plakat entgegen. Ich warf ihnen einen grimmigen Blick zu und machte kehrt. Kurz atmete ich durch und versuchte, auf Rias Worte keinen Wert mehr zu legen, ihnen nicht einmal die Chance zu geben, dass sie eine Bedeutung für mich haben konnten. Ich schwor mir, mir gar nichts daraus zu machen. Kurz überlegte ich, wo ich jetzt hinmusste.
Die Pause dauerte zwar noch zehn Minuten, aber vielleicht war ja schon jemand anderes am Astronomie-Raum. Ich ging am Flur vorbei, wo der Geschichtsraum lag und plötzlich trat Philine aus ihm heraus. „Du schon wieder", stöhnte ich. „Haben sie dich immer noch nicht zurück in die Anstalt geholt?" „Ich kenne dich auch freundlicher", erwiderte Philine. „Ich soll zu jemandem freundlich sein, der mir so eine Geschichte erzählt?", fragte ich. „Sorry, aber das ist einfach nur albern. Wenn du das mit jedem so machst, nimmt dich irgendwann keiner mehr ernst." „Woher willst du das denn wissen?", fragte sie beleidigt.
„Du bist anscheinend die einzige, die es glaubt. Wahrscheinlich hast du es dir schon oft genug selbst erzählt, damit du es endlich glaubst", antwortete ich. „Für so jemanden hältst du mich also?" Philine musterte mich und sie schien verletzt. Ich zwang mich jedoch, mich nicht sofort bei ihr zu entschuldigen. „Ich habe versucht, dir zu helfen." „Wie soll mir denn eine Fantasy-Geschichte helfen?", wollte ich wissen. „Erkläre es mir, vielleicht steige ich dann durch." „Lass dich doch einfach darauf ein, was ich dir erzählt habe", fauchte sie mich an. „Du willst es doch gar nicht verstehen, oder?"
„Nein, ehrlich gesagt", fauchte ich zurück. „Dann mach doch, was du denkst", sagte sie. „Das hatte ich eh vor", erwiderte ich. „Daran kann auch eine ausgedachte Geschichte etwas ändern. So gut war sie ja noch nicht einmal." „Verpiss dich einfach, Alessandro", meinte sie leise. „Liebend gerne doch", sagte ich.
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