-28- ESKALATION


Ein stechender Geruch stieg mir in die Nase. Ich sah mich um, woher der Geruch kam. „Riecht ihr das auch?", fragte ich. Amon und Philine schnupperten. „Da brennt irgendwo was", stellte Philine fest. „Hurra, hurra, die Schule brennt", meinte Amon trocken. Wir warteten auf dem Schulhof auf Ria und Bennett, deren Ethiklehrer immer etwas überzog. Dion hatte seinen Ranzen bei unseren stehen lassen, er musste aber noch einmal schnell wohin.

„Das wird stärker", meinte Philine besorgt. Egal, wohin wir schauten, Flammen oder Rauch waren nicht sichtbar. „Ist bei den Chemikern ein Versuch misslungen?", überlegte Amon. Ich schüttelte den Kopf. „Die Labore liegen auf der anderen Seite des Gebäudes. Wenn es von dort gezogen käme, müssten es die anderen doch auch mitkriegen", erklärte ich.

Von den vorbeigehenden Schülern schien jedoch keiner etwas zu bemerken, es waren aber seltsamerweise nur sehr wenig heute draußen und das, obwohl große Pause und gutes Wetter war. Unschlüssig, was wir jetzt tun sollten, standen wir weiter herum. Plötzlich merkte ich etwas Heißes an meinem Bein.

„Das ist Dions Ranzen!", kreischte Philine erschrocken. Ich sah nach unten. Aus dem schwarzen Stoff schlugen orangene Flammen. „Scheiße!", fluchte Amon und sprintete los, um einen Feuerlöscher zu holen. Philine räumte umliegende Taschen und Ranzen, die auf dem Boden herumlagen, zur Seite. Ich versuchte, die Flammen irgendwie auszutreten, aber es brachte nicht viel. Binnen Sekunden stand Dions kompletter Ranzen in Flammen. „Wegtreten!", befahl eine Stimme.

Der weiße Schaum löschte die Flammen schnell und binnen weniger Augenblicke war das Feuer gelöscht. Erst wurde wird uns bewusst, was da gerade passiert war. Mein Herz schlug wie verrückt und mein Atem ging schnell. Philine schüttelte nur fassungslos den Kopf.

„Was war das denn?", fragte Amon, den Feuerlöscher immer noch in der Hand. Ein Lehrer kam herangeeilt. „Alles in Ordnung bei euch?", erkundigte er sich. Noch immer geschockt bejahten wir. „Das hätte böse enden können", stellte der Lehrer fest. Schweigend betrachteten wir die schwarzen Überreste von dem, was einmal Pappe, Papier und Stoff gewesen war.

„Wie kann sich denn ein Ranzen einfach so entzünden?", fragte Amon. „Ich habe keine Ahnung", antwortete ich mit matter Stimme. „Da muss ihm jemand etwas untergejubelt haben, das sich entzündet hat. Von allein kommt das ganz sicher nicht."

„Wir sollten die Polizei rufen", stellte der Lehrer fest. „Die Polizei?", wiederholte Philine. „Ihr solltet nach drinnen gehen", meinte der Lehrer nur. „Dion braucht möglicherweise eure Hilfe. Ich kümmere mich darum."

Er deutete auf den ausgebrannten Ranzen. Philine, Amon und ich tauschten einen besorgten Blick. Was war denn nur los? Der Schulhof war inzwischen ganz leer, von dem Feuer hatte kaum einer etwas mitbekommen. Alles tummelte sich in der Eingangshalle. Schnell liefen wir nach drinnen und schon von weitem konnten wir das sehen, weswegen sich auch alle anderen hier drin aufhielten.

Jemand hatte die Wand hinter der Bühne neugestaltet. „Breaking News" stand in blaugesprühten Buchstaben auf dem Putz. Darunter hefteten viele, flüchtig aufgenommene Bilder, in Schwarzweiß. „Mir wird schlecht", meinte Philine und es war nicht einfach nur dahingesagt. Auch mir drehte sich der Magen um, wenn ich die Bilder betrachtete. Sie zeigten Dion. Mit einem anderen Jungen. Wie sich die beiden küssten. Auf den Mund.



Wir kämpften uns durch die dicht beieinander stehendenSchüler. Auf der anderen Seite sah ich Ria und Bennett, die sich vor Dion gestellt hatten und ihn versuchten, von den anderen abzuschirmen. Als ob das jetzt noch etwas brachte! Ich wusste nicht, was ich in diesem Moment von der ganzen Situation halten sollte.

Was hier lief, war eindeutig falsch. Ich hörte, wie wüste Beschimpfungen in Richtung Dion geworfen worden. Schließlich hatten wir Ria, Bennett und Dion erreicht. Ria sah aufgelöst und fertig aus, Bennett hielt ein paar kleine Sechstklässler zurück, die Dion anstarrten wie ein Tier im Zoo. Egal, wie er auf sie einredete, keiner ließ sich vertreiben.

Das zweite Klingeln ertönte, was das Zeichen zum Unterricht war, aber alle hier herzlich wenig interessierte. Die Breaking News waren schließlich wesentlich wichtiger, schließlich betraf es Dion, der an unserer Schule ja kein Unbekannter war. Ich bezweifelte, dass es ihn jetzt interessierte, dass jemand seinen Ranzen in Brand gesteckt hatte.

Jemand hielt das Handy hoch und versuchte, uns zu filmen. Ich schlug der Person das Handy einfach aus der Hand, es fiel zu Boden, zwischen die unzähligen Füße. „Hey!", beschwerte sich eine Stimme aus der Meute heraus. Zwei anderen Handys erging es ebenso. Es war mir egal, dass diese Dinger teuer waren und kaputtgehen konnten. Angesichts dessen, was man Dion angetan hatte, waren kaputte Handys das kleinste Übel.

Bennett und ich kamen kaum gegen die vielen Handys an, mit denen sie versuchten, den Moment festzuhalten. Hier zeigte die Gesellschaft ihre schlechte Seite in voller Pracht. Die Schüler waren wie die Verrückten, wie ein Rudel Wölfe, dass sich hungrig auf seine wehrlose Beute stürzt. Die Sensationsgeilheit tropfte ihnen schon aus dem Maul wie den Wölfen der Speichel. An dieser Stelle verstand ich, warum einige Tierarten ihren Nachwuchs fraßen. Das hier war jenseits von Gut und Böse und wahrscheinlich wäre die Situation gänzlich eskaliert, hätte Frau Nels nicht plötzlich auf derTreppe gestanden.

„Es reicht!", rief sie. Ihre kräftige Stimme war nicht zu überhören, noch dazu schien sie ebenso wütend zu sein wie wir. „Scheiße! Die Nels!", mauschelten einige und verdrückten sich schnell. „Ihr seht zu, dass ihr in eure Klassen geht! Jedem, der jetzt noch einen blöden Kommentar ablässt und sich nicht an meine Anweisungen hält, spreche ich sofort einen Verweis aus. Dann hat es sich für Dutzende Schüler an dieser Schule erledigt. Ich schäme mich für euch, dass ihr euch die geistige Elite schimpft und euch dann an so etwas aufgeilt. Schande über jeden, der diese Aktion loben kann und mitmacht, auf Andere einzutreten. Würdelos und menschenverachtend ist das!"

Langsam schritt sie die Treppe hinunter und die Schülermenge wich erschrocken zurück, während sie sich schnell auflöste. Frau Nels war so richtig in Fahrt. Den meisten war bewusst, dass sie sich jetzt lieber verzogen. Ein Mädchen sammelte ihr Handyvom Boden auf. „Dafür wirst du bezahlen!", drohte sie mir und funkelte mich wütend an. Das Display war nicht einmal gerissen. „Ich kann auch gerne noch drauftreten!", schlug Bennett vor. „Dann lohnt es sich wenigstens."

Einige blieben bei ihr stehen und warfen Bennett und mir ebenfalls grimmige Blicke zu.„Die Polizei wird gleich hier sein. Die unterhält sich bestimmt gerne mit euch", sagte ich. „Anderenfalls verpisst ihr euch einfach!" Sie wussten nicht, ob sie mir Glauben schenken konnten oder nicht.

„Welchen Teil von ‚Verpisst euch!' habt ihr nicht verstanden?", rief Bennett und ging drohend einen Schritt auf die Schüler zu. Dann schienen sie zu begreifen, dass wir es ernst meinten und sie suchten schnell das Weite. Frau Nels hatte uns erreicht. Sie blickte wütend in der Halle umher und verscheuchte nur damit die letzten. Dann war derTrubel vorbei und wir standen allein vor den Breaking News. „Ich weiß, was passiert ist", sagte sie zu mir. In ihrer Stimme lag weder Wut noch Zorn, nur die blanke Enttäuschung. „Die Polizei trifft jeden Moment hier ein."

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