-24- UNTER DRUCK
Wir haben unsere vier Kandidaten gefunden. Frau Nels hat es so eben verkündet. Ich schließe mich dem Applaus der anderen an und warte, bis Philine, Ria und Bennett von dem kleinen Podest steigen. Um nicht jedes Mal alle in die Aula zu lotsen, hat man für den Wahlkampf in der Eingangshalle eine kleine Bühne mit einem Rednerpult aufgebaut. Alle Interessierten können so beim Wahlkampf dabei sein und wen es eben nicht interessiert, der geht nach draußen auf den Schulhof.
Heute war die Eingangshalle jedoch brechend voll, weil alle anscheinend wissen wollten, wen sie wählen können. Sonst kam mir die Halle sehr groß vor, aber wenn sich gefühlt alle Schüler der Schule darin aufhalten, ist man doch froh, neben einer der übergroßen künstlichen Topfpflanzen zu stehen. So ist die Deko wenigstens einmal nützlich. Ich habe derweil auch auf sämtliche Taschen und Rucksäcke derer aufgepasst, die sich heute offiziell als Kandidaten haben aufstellen lassen.
Es ist tatsächlich bei den vier geblieben. Selbstverständlich war Eleonora die erste, die „hier" geschrien hat, aber Philine, Ria und Bennett haben nicht lange auf ihre Kandidatur warten lassen. Eleonora schien das nicht zu gefallen, denn obwohl sie versuchte, möglichst freundlich und offenherzig zu wirken, merkte man ihr die Enttäuschung darüber an, dass ihr Weg an die Spitze doch nicht so einfach war. Vor allem ihr Blick zu Ria war göttlich, als diese ans Rednerpult trat und ihr Eleonora vom Rand der Bühne aus zuhören musste.
Die grünen Giftpfeile blieben aus, aber ich war mir sicher, dass nicht mehr viel gefehlt hätte. „Waren wir gut oder waren wir gut?", fragte Philine triumphierend, als sie sich zu mir durchgekämpft hatten. „Ihr wart sehr gut", antwortete ich. „Aber noch ist die Wahl nicht gewonnen."
„Eleonora hätte uns am liebsten alle höchstpersönlich in den Bühnenboden gestampft", fand Bennett. „Es scheint ihr überhaupt nicht zu gefallen, gleich drei Konkurrenten irgendwie ausstechen zu müssen." „Im Gegensatz zu ihr konntet ihr mich aber davon überzeugen, dass ich euch wähle", sagte ich. „Eleonora kam ziemlich schwammig herüber."
„Du hättest mal die Jüngeren sehen sollen", meinte Philine. „Vor allem die kleinen Mädchen aus der fünften bis siebten Klasse." „Die hingen förmlich an Eleonoras Lippen. Da wird sich garantiert ein großer Fanclub gründen", ergänzte Bennett. „Die tun gerade so als wäre Eleonora eine Taylor Swift oder wen man sonst noch so anhimmeln könnte."
„Auf jeden Fall sind wir vier nun als Kandidaten aufgestellt", fasste Ria zusammen. „Der Wahlkampf hat damit offiziell begonnen. Jeden Dienstag wird es in der ersten großen Pause eine kurze Veranstaltung hier in der Halle geben, wo wir für uns Werbung machen können. Das ganze vier Wochen lang, bis zur ersten Wahlrunde."
„Da haben wir uns aber was vorgenommen", seufzt Bennett. „Das wird garantiert nicht einfach." Jemand räusperte sich neben uns. Eleonora stand auf einmal da, die linke Hand in die Hüfte gestemmt und mit abschätzigem Gesichtsausdruck. „Ich möchte nur fair sein", sagte sie. „Deswegen wünsche ich euch hiermit viel Erfolg in eurem Wahlkampf." Sie gab Bennett, Philine und Ria nacheinander die Hand. Bei Ria befürchtete ich schon wieder die Giftpfeile, aber sie beschränkte sich auf einen grimmigen Blick.
„Nun, probieren könnt ihr es ja", verkündete sie, während sie uns schon wieder den Rücken zukehrte. „Glaubt mir aber, es wird vergebens sein." Sie hakte sich bei Viviana und Seraphina ein, die sich schon positioniert hatten, damit Eleonora einen Abgang wie im Drehbuch dahinlegen konnte. Philine lächelte. „Challenge accepted, Schätzchen!"
Der erste Dienstag des Wahlkampfes rückte schnell näher. Am Wochenende hatten wir uns bei Bennett getroffen, um Wahlplakate zu entwerfen. Seine Eltern besaßen einen Drucker, mit dem man auch größere Blätter als nur Normalformat bedrucken konnte. Wir verbrachten fast zwei Tage damit, um auffallende Plakate zu gestalten.
Sie sollten schließlich auch die anderen dazu bewegen, Bennett, Ria oder Philine zu wählen. Dabei achteten wir aber darauf, dass sich die Plakate nicht zu sehr ähnelten. Philine hatte sich schließlich auf die Fahnen geschrieben, das Nachhilfeprojekt auszuweiten, um bessere Chancen für jeden zu haben. Ria stand schließlich für eine Erweiterung und Verbesserung des AG-Angebots, um dem Schulalltag damit mehr Farbe zu verleihen.
Bennett wollte für einen besseren Dialog zwischen Schülern und Lehrern werben, damit die Schülerschaft öfter in Entscheidungen mit einbezogen wurde und Probleme besser gelöst werden konnten. Am Sonntagabend war ich stolz auf das, was wir geschafft hatten. Die Wahlplakate lagen ordentlich gestapelt auf dem Glastisch, gleich morgen würden wir sie in der Schule verteilen. Um ehrlich zu sein, hatten wir alle drei Themen ziemlich gut aufbereitet und alle drei Kandidaten überzeugten.
Wenn das die anderen auch so sahen, waren wir unserem Ziel schon deutlich nähergekommen. Am Montagmorgen brach der Stolz über unsere Werke etwas ein, als wir Eleonoras Werbung sahen. Auch sie hatte natürlich Plakate entworfen oder vielleicht entwerfen lassen. Jedenfalls grinste uns eine strahlende Eleonora von einem riesigen Hochglanzplakat an. Daneben ein einfacher Slogan, der sich gut einprägte: „Zusammen sind wir stark. Eleonora"
Wir verteilten unsere Plakate so, dass sie nicht gerade von einem von Eleonora in den Schatten gestellt wurden, was sich als schwierig erwies, da die Hochglanzplakate wahrscheinlich als neue Tapete dienten. In der großen Pause verteilten Seraphina, Viviana und Adelina sogar Fähnchen mit dem Plakat in Kleinformat aus.
„Das ist die nächste Stufe", knurrte Philine leise, die neben mir stand und mit ansah, wie jedem zweiten, der an den drei Mädchen vorbeiging, eine der Fahnen aufgezwungen wurde. Ich sah sie verunsichert an. „Übertreib es nicht", warnte ich sie. „Wir werden morgen abwarten, wie die Situation aussieht, wenn die Wahlprogramme erst verkündet wurden. Bisher besteht Eleonoras zu einem Viertel aus ihrem Namen." „Frau Nels hat alle unsere Plakate gelobt", mischte sich Bennett ein. „Auch, wenn selbst sie findet, dass Eleonora etwas dick aufgetragen hätte, aber so wäre sie nun mal."
„Frau Nels fällt nach wie vor auf sie herein", fand Philine. „Möglicherweise interpretiert sie es sogar so, dass ihr der Posten der Schülersprecherin so sehr am Herzen liegt. Was ihre Werte gegenüber den unseren steigen lässt." „Warte nur ab", meinte Ria. „Wir können uns immerhin noch steigern. Eleonora lässt sich nicht mehr viel Luft nach oben." Amon stieß mich an. „Worauf haben wir uns da nur eingelassen?", raunte er mir zu. Ich zuckte mit den Schultern. „Aktuell weiß ich es noch nicht", antwortete ich.
Dass Eleonora wirklich so eine Art Taylor Swift darstellte, wurde mir am nächsten Morgen klar, als auf einmal viele hohe Stimmen anfingen, begeistert zu kreischen, sobald Eleonora ans Pult trat. Aus der Menge konnte ich sogar einige der Fähnchen schwenken sehen. Eleonora lachte und hob beschwichtigend die Hände.
„Meine Lieben", begann sie ihre Rede. „Ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden. Es bringt uns nichts, wenn wir über inhaltslose Dinge sprechen. Ich habe mir das Motto gesetzt ‚Zusammensind wir stark.' und damit ist alles, wofür ich stehe, zusammengefasst. Gemeinsam können wir alles erreichen, was wir wollen. Das schließt sämtliche Dinge ein, die ihr euch als Schüler wünscht. Ihr müsstet sie nur mit mir teilen und ich bin mir sicher, dass es nichts gibt, das unmöglich ist! Zusammen, das sind wir alle eingeschlossen, egal, zu welcher Klassenstufe ihr gehört, sind wir eine große Gemeinschaft, die nichts aufhalten kann. Alles, was ihr dafür tun müsst, ist, mich in drei Wochen zu wählen. Ich hoffe doch, dass euch bewusst ist, wir mächtig wir sein können, wenn wir nur zusammenstehen. Es wäre mir eine Freude, an der Front dieser Gemeinschaft zu stehen. Ich danke euch!"
Das Kreischen schwoll wieder an, aber es wurde vom Klingeln ziemlich schnell beendet. Die Pause war vorbei und damit auch der erste Wahlkampf. Jemand schubste mich unsanft zur Seite. Es war Viviana, die Eleonora eine Wasserflasche auf die Bühne reichte. Frau Nels hatte uns Wahlhelfer an die Bühne geholt, um unsere Kandidaten unterstützen zukönnen. „Und? Wie war ich?", fragte Eleonora, nachdem sie getrunken hatte und Viviana die Flasche zurückgab. „Umwerfend", antwortete Viviana ehrfürchtig. „Wenn sie dich nicht wählen, dann weiß ich auch nicht."
„Was sind denn nun deine Ziele?", fragte ich Eleonora neugierig. Um ehrlich zu sein, war ihre Rede eigentlich die inhaltsloseste gewesen. Ein paar Floskeln, a la „Macht mich zu eurer Anführerin, denn dann lese ich euch jeden Wunsch von den Augen ab." und das war es. Ria hatte sich des Öfteren verhaspelt, aber auch sie hatte ihre Ziele gut rübergebracht und, genau wie Bennett und Philine, zustimmenden Applaus geändert.
„Das hast du doch gerade gehört", fauchte Adelina. „Ich konnte da keine konkreten Ziele heraushören", erwiderte ich. „Oder ist es an mir vorbeigegangen, dass du Mindestschminke für alle forderst?" Eleonora lachte gekünstelt. „Natürlich nicht", antwortete sie. „Ich will flexibel sein. Wenn ich mir sicher bin, was sie wollen, dann werde ich ihnen das versprechen. Somit kann ich mich viel besser auf meine Wähler einlassen."
Ich nickte vage. „Und das funktioniert?", zweifelte ich. Ich sage euch das, was ihr hören wollt, damit ihr mich wählt? Kannte man das nicht von anderer Stelle schon? „Was die Menge an Zustimmung gezeigt hat, war ja eindeutig", antwortete Viviana knapp. „Die sind doch alle gekauft", erklärte Philine sarkastisch.
Sie hatte ihre Karteikarte in der Hand und sah nach oben zu Eleonora, die immer noch auf der Bühne stand. Nun begab sie sich in die Hocke, sodass die mit Philine auf Augenhöhe war. „Ich würde vorsichtig sein, Gerüchte in die Welt zu setzen", raunte sie ihr zu. „Das kann ganz schön schnell zurückschlagen."
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