-23- PROVOKATION

„Wir müssen uns etwas überlegen", fand Philine. „Und das wäre?", fragte Amon gelangweilt. „Es sind Ferien. Warum müssen wir da überhaupt etwas machen?" Wir saßen im Wintergarten bei Bennett und schlugen die Zeit irgendwie tot. Weihnachten war vorbei und irgendwie schien der geschmückte Baum in der Ecke fehl am Platz, genauso wie der Teller mit der Schokolade. Zwei Tage vor Weihnachten hatte es tatsächlich begonnen zu schneien und die Schneedecke war bis zum zweiten Feiertag liegen geblieben. N

un hatten wir den 29. Dezember und der Schnee verwandelte sich in ein graues dreckiges Etwas. Wir befanden uns gerade in diesem Raum zwischen Weihnachten und Silvester, diese Tage, an denen es sich nicht wirklich lohnt, etwas auf die Beine zu stellen. So warteten wir ab, was passieren würde.

Das Wetter draußen war wahrscheinlich am produktivsten. Zum Tauwetter kam Regen dazu, der leise und monoton gegen die Scheiben des Wintergartens prasselte. Ursprünglich wollten wir planen, was wir zu Silvester machen. Letztes Jahr hatten Amon, Bennett und ich zusammen mit anderen Freunden gefeiert und schon damals stand fest, dass wir das unbedingt wiederholen mussten. Wie es nun aussah, schmiss Eleonora aber eine große Silvesterparty und fing damit so ziemlich jeden potentiellen Gast ab.

Nur ein halbes Dutzend Menschen fühlte sich irgendwie übrig. Diese saßen genau jetzt im Wintergarten und wussten auch bloß nicht, wie sie Zeit rumkriegen sollten. Zu diesen Menschen zählten nicht nur Amon, Bennett und ich, sondern auch Philine. Ria und Dion hatten sich uns angeschlossen, nachdem Eleonora die Stacheln gegen Ria und damit auch gegen Dion ausgefahren hatte.

Elizabeth hatte auch mit herkommen wollen, seit der großen Party waren sie und Amon öfter zusammen, aber heute musste sie mit ihrer Mutter Einkäufe erledigen. Sofern es sich ergeben sollte, dass wir in dieser Runde auch Silvester feierten, müssten wir auch einkaufen gehen. Am 1. Januar geht man ja immer davon aus, dass die Versorgung der Menschheit mit Lebensmitteln und Böllern für immer eingestellt wird.

Man kann ja nie wissen und deshalb ist es wichtig, sich im Voraus mit großen Mengen von beidem einzudecken. Ich blickte mich um und zweifelte daran, dass wir heute noch produktiver wurden. Im Wintergarten standen drei Sofas, in der Mitte ein Glastisch und wir hatten uns alle darum platziert. Ria saß halb liegend neben Dion, die Füße angezogen. Dion sah ungewöhnlich aus. Er trug eine dunkle Jeans und ein Hemd, was für unsere Verhältnisse schon festmäßig aussah, für ihn aber eher schlicht war.

Ria und er hielten unauffällig Händchen und starrten auf den Teppich unter dem Glastisch. Bennett nahm das ganze Sofa auf der Stirnseite in Beschlag. Er hatte den Kopf auf die Lehne gelegt und starrte nach oben, wo die Regentropfen auf das Glas trommelten. Auf dem dritten Sofa saßen schließlich Amon, Philine und ich. Tetris-mäßig hatten wir uns dahin gebastelt, sodass keiner herunterfiel. Trotzdem saß Philine irgendwie auf meinen Füßen. „Ihr habt doch mitbekommen, dass Frau Nels die Neuwahlen des Schülerrats ausgerufen hat, oder?", startete sie einen neuen Versuch, ein Gespräch zu beginnen.

„Ja, und?", fragte Bennett ohne sich der Regentropfen zu entziehen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Eleonora sich aufstellen wird. Sie hat die halbe Schule hinter sich und damit die Wahl schon so gut wie gewonnen", prophezeite Ria. Sie hatte in den letzten Tagen vor Weihnachten ziemlich viel einstecken müssen. Eleonora stichelte, wo sie nur konnte. Ria hielt sich gut dagegen und wenn doch, dann war immer ein anderer in der Nähe, der entsprechend konterte. Unentschieden schätze ich die Situation bisher ein.

„Nicht unbedingt", widersprach Philine. Das schien nicht ganz in die Erwartungen der anderen zu passen, denn jetzt schenkten sie ihr die volle Aufmerksamkeit. „Wenn sich noch andere Kandidaten aufstellen und entsprechend Wahlkampf betrieben wird, ist es durchaus möglich, Eleonora zu besiegen", erklärte sie. „Wen meinst speziell mit ‚andere Kandidaten'?", wollte Dion wissen.

„Warum willst du Eleonora eigentlich besiegen?", fragte Ria. „Wäre es nicht besser, sie in Ruhe zu lassen? Damit reizen sie wir doch noch mehr, was für keinen von uns von Vorteil ist." „Du hast aber nicht vor, dir bis zum Abi und, wenn es schlecht läuft, auch noch darüber hinaus diese Sticheleien von ihr gefallen zu lassen?", entgegnete Philine entrüstet. „Dafür, dass ihr mal allerbeste Freundinnen for ever und for always wart, kriselt es ganz schön. Willst du das wirklich auf dir sitzen lassen?"

Ria schüttelte den Kopf und nickt gleichzeitig, was insgesamt komisch aussah. Sie wusste es nicht. „Also an deiner Stelle würde ich mich wehren und zwar nicht, indem ich den Zeigefinger schwenke, ‚Du du!' sage und sie freundlich darum bitte, mich doch in Frieden zu lassen." „Was würdest du denn an meiner Stelle tun?", fragte Ria neugierig. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich ein breites Grinsen auf Philines Gesicht ausbreitete.

„Ich würde ihr direkt gegenübertreten und mich auch als Kandidatin für den Schülersprecher aufstellen lassen", antwortete Philine. „Damit provozieren wir Eleonora und erreichen möglicherweise, dass sie allen anderen zeigt, wie falsch sie eigentlich ist. Dann würden alle sehen, wem sie wirklich so lange ihr Ansehen geschenkt haben." „Also soll Ria sich als Gegenkandidatin aufstellen?", schlussfolgerte Dion und Philine nickte bestimmt.

„Das schaffe ich doch niemals!", widersprach Ria. „Oh doch!", erwiderte Philine. „Du hast die große Party mit organisiert, die ein großer Hit war und für Aufsehen gesorgt hat. Damit stehst du in der Gunst der anderen Schüler, deinen potentiellen Wählern also, weit oben. Wenn dir jemand geschickt beim Wahlkampf hilft, dann funktioniert das." „Ich würde dir helfen", bot sich Dion sofort an. „Sofern du es willst."

Ria überlegte. „Gefallen würde mir das schon", meinte sie. „Ich meine, nicht, dass ich damit Eleonora eins auswische, aber mich für die Schüler zu engagieren, dass ich etwas bewegen und verändern könnte. An meiner alten Schule war ich auch im Schülerrat, allerdings nur als Stellvertreterin des Stellvertreters, aber die Arbeit hat mir trotzdem Spaß gemacht." „Dann hättest du doch durchaus gute Chancen", stellte ich fest. „Wir sollten auf jeden Fall den Posten des Schülersprechers und alle damit zusammenhängenden Aufgaben in den Vordergrund rücken. Eleonora eines auszuwischen, sollte nur ein positiver Nebeneffekt sein."

„Eine Gegenkandidatin finde ich aber nicht genug", mischte sich Bennett wieder ein. „Was glaubt ihr denn, was los wäre, wenn es mehrere Kandidaten gäbe und man sich nicht einfach zwischen zweien entscheiden kann? Wenn nicht einfach nur schwarz oder weiß die Frage ist?" Er ließ den Blick über die Runde schweifen. „Ich würde Philine noch als Gegenkandidatin aufstellen."

„Warum mich?", fragte diese überrascht. „Du bist den Schülern und auch ihren Eltern bekannt. Dein vielversprechendes Nachhilfeprojekt hat gezeigt, dass du dich engagierst und frische Ideen hast", erklärte Bennett. „Damit habt ihr beiden Eleonora einiges voraus, die bisher nur von gutem Aussehen Stimmen bekommen könnte. Und das ist bekanntlich relativ." „Reizen würde mich das auch", sagte Philine. „Und damit wir den Wahlkampf perfekt machen, stelle ich mich auch noch", verkündete Bennett.

„Du?", fragte Amon erstaunt. „Warum nicht?", entgegnete Dion. „Bennett ist ruhig und sachlich, er redet nicht gerne um den heißen Brei und scheut nicht davor, Missstände anzusprechen." „Du hättest auf jeden Fall auch viele Jungen auf deiner Seite", ergänzte Philine. Bennett nickte. „Ich hatte schon länger überlegt, mich aufzustellen. Einfach, um es mal zu probieren. Man kann mit seinen Aufgaben ja auch wachsen."

Wir anderen nickten zustimmend. „Dann hätten wir also drei Gegenkandidaten für Eleonora: Ria, Philine und Bennett", fasste Amon zusammen. „Da muss sie sich erst einmal was einfallen lassen, um da zu überzeugen." „Bei mehr als drei Kandidaten wird es zwei Wahlrunden geben", erklärte Philine. „In der ersten Runde bleiben nur zwei Kandidaten übrig, zwischen denen dann die endgültige Wahl entschieden wird. Wir wissen ja nicht, wer sich sonst noch so aufstellen lässt." „Wir müssen alle zusammenarbeiten", fand Dion. „Dann können wir uns absprechen, wer welche Ziele formuliert und wie sie den Wählern verkauft werden. Wenn wir das richtig gut anstellen, wird Eleonora ihre Mühe haben und darüber vielleicht stolpern, wenn es ihr mal doch nicht so einfach fällt."

„Die Idee finde ich gut", lobte Bennett. „Wir bringen einen guten Vorschlag nach dem anderen an und dann kann Eleonora zusehen, wie sie zu Potte kommt." Ich grinste in mich hinein. Eigentlich war es gemein, was wir hier vorhatten, aber Eleonora brauchte einen Dämpfer. Wenn sie auch noch Schülersprecherin werden würde, stiege sie in ungeahnte Höhen auf und dann wäre sie kaum noch zu ertragen.

„Also steht es doch fest", freute sich Philine. „Sobald Frau Nels die Schülerratswahl verkündet, schlagen wir zu." „Abgemacht!", stimmte ich zu und auch die anderen fielen mit ein. „Und jetzt lasst uns noch klären, wie wir das alte Jahr möglichst stimmungsvoll ausklingen lassen", bestimmte Philine und angelte sich ein Stück Schokolade vom Tisch.

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