-14- KALT IST DIE ERINNERUNG
Ich kann mir nicht erklären, wie es möglich war, dass ich nach Hause kam und geradeaus laufen und sprechen konnte. Ich hatte Philine noch nach Hause gebracht und war dann, frei von jedem Zeitgefühl, weitergelaufen. Sobald ich über die Türschwelle trat, legte sich anscheinend ein Schalter um. Mir ging es hundsmiserabel, Kopfschmerzen und Übelkeit kamen wie aus dem nichts.
Ich fiel ins Bett und schlief bis Samstagmittag, bis meine Mutter anklopfte und vorsichtig nach mir sah. Da ich nicht wusste, ob ich schon wieder normal sprechen konnte, schwieg ich und nickte nur als Antwort auf die Frage, ob die Party denn schön gewesen sei. Dann bat sie mich, dass ich langsam aufstehen sollte. Ich quälte mich aus dem Bett. Es war schon anstrengend, mich nur aufzusetzen.
Sobald ich in der Senkrechten war, drehte sich alles und ich brauchte etliche Momente, bis ich der Meinung war, ins Bad tapsen zu können. Wobei mir gleichzeitig auch irgendwas sagte, dass mein Urteilungsvermögen immer noch ziemlich im Eimer war. Im Bad angekommen sah ich das Elend im Spiegel. Ein bleicher Alessandro blickte mir entgegen, mit dunklen Augenringen und Abdrücken von Knöpfen auf der Wange. Wer weiß, wie ich die Nacht über gelegen hatte. Ich drehte den Wasserhahn auf und ließ die Hände mit kaltem Wasser volllaufen, bevor ich sie mir ins Gesicht klatschte.
Die Einbildung, dass ich etwas klarer im Kopf wurde, war ziemlich deutlich. Zumindest wurde es dahingehend klarer, dass ich mich wieder an die Party erinnerte, von vorne bis hinten. So schlimm konnte es in Sachen Alkohol also gar nicht gewesen sein. Meine Frisur war nicht mehr vorhanden, man sah immer noch den Schaden durch den Getränkeunfall und den Abdruck von diesen blöden Hundeohren.
Was hatte mich nur geritten, da mitzumachen? Weil ich nicht als Spießer dastehen wollte, der wegen des albernen Mottos nicht auf die Party ging? Weil die Hundeohren nur das kleine Übel waren? Weil ich es Philine zuliebe getan hatte?
Ich wusste es selbst nicht mehr und hoffte, dass Adelina die Kamera verloren hatte und die Fotos für immer verloren waren. Wobei, das sagten mir meine Gedanken auch, konnte ich mich nicht beklagen. Von einigen gab es wesentlich peinlichere Fotos. Aber alles ist relativ. Ich knöpfte das Hemd auf, knüllte es zusammen und warf es in den Wäschekorb. Es war eh alles zerknittert. Alle anderen Klamotten flogen hinterher. In der Dusche wartete ich nicht darauf, dass das Wasser warm wurde.
Die Kälte vertrieb den Dunstschleier da oben und machte klaren Gedanken Platz. Ich wusch meine Haare drei Mal, um wirklich sicherzugehen, dass ich alle Spuren dort vernichtete. Am Ende sah man mir äußerlich nicht mehr wirklich an, dass ich früh am Morgen erst heimgekommen war. Den fehlenden Schlaf konnte ich auch in der nächsten Nacht noch nachholen. Dafür war ich mir jetzt wirklich jeder Sekunde bewusst, die auf der Party vergangen war. Philine, Bennet, Amon, Dion, Eleonora und Ria... sie alle schwirrten in meinen Erinnerungen rum.
Gedankenverloren starrte ich den Wasserhahn an, während ich daran dachte, dass mir die Party eigentlich gefallen hatte, bis zu dem Zeitpunkt, wo sich Dion und Ria in den Mittelpunkt drängten. Der Tanz mit Philine war schön gewesen und ich wünschte mir, wir wären viel länger auf der Tanzfläche gewesen. Sollte ich mich noch bei Philine bedanken... für den schönen Abend? Ich nahm mir vor, ihr sobald wie möglich zu schreiben. Hätte es eben besagte Personen nicht gegeben, hätte es wirklich ein schöner Abend werden können, vor allem wegen Philine.
Leider gab es aber auch noch Ria und Dion und die Bilder, die ich mit ansehen musste, die ich so gerne verdrängen und am liebsten vergessen würde. Es ging mich nichts an, was Dion und Ria da trieben, aber... Ja, das große Aber. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Auf der einen Seite redete ich mir ein, dass es mir egal sein musste, was Ria anstellte. Wahrscheinlich hatte ich in die paar Urlaube zu viel hineininterpretiert, aber auch wegen diesen war es mir eben nicht egal, was Ria anstellte.
Auf der anderen Seite gab es da aber auch noch Philine, wegen der ich mich schuldig fühlte. Nicht nur, weil sie wegen mir die Party eher verlassen hatte, ohne zu murren. Weil sie wusste, was ich für Ria empfand und mich wahrscheinlich nur aus Mitleid nur aus Mitleid begleitet hatte, dann aber diese eine Moment auf der Tanzfläche war. An dieser Stelle fand ich einen Filmriss doch ziemlich praktisch, aber leider musste ich zugeben, dass ich wieder Herr meiner Sinne war.
Der Montag kam viel zu schnell. Ich verschlief und verpasste den Bus. Zum ersten Mal seit vielen Jahren und das konnte nur ein schlechtes Omen sein. Mein Vater fuhr mich mit dem Auto, damit ich noch einigermaßen pünktlich kam. Ich verriet ihm im Nachhinein nicht, dass die beiden Geschichtsstunden ausfielen, weil Frau Nels krank war. Davon erfuhr ich selbst erst, als ich in die Schule hastete und ein paar Mitschüler in der Eingangshalle erblickte. Bevor ich zu ihnen gehen konnte, find mich Philine ab.
„Und? Gut erholt?", fragte sie und strahlte wie eh und je. „Geht einigermaßen. Und bei dir?", antwortete ich. „Ich war eigentlich ganz froh, als ich dann zu Hause war", erklärte sie. „Sie haben es anscheinend noch geschafft, die Sicherung fliegen zu lassen und dann saßen sie im Dunkeln. Was sie allerdings nicht daran erinnert hat, weiter zu feiern. Es war zwar etwas dunkel, aber nach dem, was ich gehört habe, sind die letzten gegen um sieben gegangen." „Da haben sie es ja ganz schön lange ausgehalten", meinte ich und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Ich vermied es, sie anzusehen.
„Alles in Ordnung?", fragte Philine nach. Ich nickte und zuckte gleichzeitig mit den Schultern, was immerhin alles heißen konnte. „Du hattest dir die Party bestimmt anders vorgestellt, oder?" „Irgendwie schon", antwortete ich. „Das lag aber auf keinen Fall an dir", ruderte ich einen Moment später wieder zurück. „Weißt du, es war echt toll, dass wir dahingehen konnten und dass du es mit mir ausgehalten hast und an dir liegt es nicht. Also.... D... danke." „Danke wofür?", fragte Philine verwundert. „Ich meine, warum bedankst du dich?"
Ihr schien die Situation auch unangenehm zu sein. „Ich fand den Abend doch auch schön, wegen dir, weißt du?" Hoffentlich hörte uns jetzt keiner bei unseren peinlichen Wortfindungsstörungen zu. „Tut mir leid, dass ich da wegen Ria so am Rad gedreht habe", murmelte ich schließlich. „Das war falsch." „Ich kann mir vorstellen, wie sich das anfühlt", stimmte sie zu. Klang sie verletzt? Konnte es vielleicht sein, dass... ? Meine Gedanken überschlugen sich und ich zwang mich, sie nicht weiterzudenken.
„Ich sollte versuchen, Ria nicht mehr so viel zu beachten", brachte ich schließlich hervor. „Nur, weil wir ein paar Mal Urlaub zusammen gemacht haben, muss das ja schließlich nichts bedeuten." „Die Gefahr ist noch nicht vorbei", sagte Philine und es machte einen deutlichen Anschein als hätte zumindest sie ihre Wortfindungsstörungen überwunden. „Glaub mir, da kommt noch was."
Ich glaubte ihr, dass da noch was gekommen war. Immerhin sah ich jetzt Dion und Ria inmitten der Schülergruppe. Eleonora und ihr Gefolge standen daneben und man sah ihnen nicht an, dass sie ein anstrengendes Party-Wochenende hinter sich hatten. Auch Dion und Ria strahlten um die Wette, aber so, wie die beiden zusammenstanden, brauchte man nur eins und eins zusammenzählen und jeder wusste, was Sache war. „Ihr seid so ein süßes Paar!", kreischte Adelina genau in dem Moment, dass es wohl oder übel alle mitkriegen mussten. Philine verdrehte die Augen und seufzte.
„Wir haben ein neues Traumpaar", verkündete sie, dass es wie eine Schlagzeile von einer Klatschzeitung klang. Ein paar Sekunden betrachteten wir schweigend die Szene. Schließlich küsste Dion Ria vor versammelter Mannschaft auf den Mund, was Adelina, Serafina und Viviana wieder ein hysterisches Kreischen entlockte und mir Brechreiz verursachte. Ich versuchte mir aber nichts anmerken zu lassen. Mich beschlich das Gefühl, dass sich Philine wegen mir schlecht fühlte und irgendwo konnte ich es nachvollziehen. Diese verdammte Party... „Siehst du das Kleid?", fragte sie mich unerwartet.
„Bitte was?", erwiderte ich. „Das Kleid? Was soll damit sein?" „Das ist eines von Eleonora", erklärte Philine. „Aha", gab ich von mir. Ria trug ein bodenlanges Kleid mit einem auffälligen Muster und zusammen mit Dion an ihrer Seite, wie immer in Anzug, wirkten sie deutlich fehl am Platz. „Ich bin mir sicher, dass es Eleonora schon einmal anhatte, vor etlichen Wochen", erklärte Philine. „Sie hat wahrscheinlich so viele, dass es lange dauert, bis sie eines erneut anzieht. Bis dahin haben es die anderen schon wieder vergessen und sie wird wieder bewundert."
„Und warum trägt Ria dann das Kleid?", fragte ich und verstand nicht, worauf sie hinauswollte. „Ich sage doch", antwortete Philine, „da kommt noch was!"
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