-13- WO DIE DÄMONEN HINGEHEN
Ich weiß nicht, was dieses Gefühl in mir auslöste. Ich kämpfte mich aus der Menge heraus und wollte etwas zu trinken holen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Weil in der Eingangshalle viel zu viel los war, ging ich durchs Wohnzimmer nach draußen. Als ich über die Schwelle trat, atmete ich tief durch. Die kühle Nachtluft tat gut.
Hier standen nur vereinzelte Gäste rum, die alle ihre Jacken trugen. Meine hatte ich schon vor etlichen Stunden ausgezogen. Sie lag in der Küche. Oder im Wohnzimmer. Oder sonst wo. Der Barkeeper, ein Schüler aus der Zwölften, packte schon zusammen. „Darf es was Bestimmtes sein?", fragte er und ich zuckte nur mit den Schultern. Er reichte mir etwas, was er mit „Spezialität des Abends" betitelte und vielsagend grinste.
Ich bedankte mich und nahm einen Schluck. Der Alkoholanteil war hoch, aber in diesem Moment war es gut und ich bekam das Gefühl, wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Ich stellte das Glas auf einen der Stehtische und lehnte mich auf. Die Bilder aus den letzten Minuten wurden deutlicher. Der Tanz mit Philine, wie wir uns näherkamen und wie schließlich Rias und Dions Kuss alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Gefühl war immer noch da und ich vermochte es nicht wirklich zu beschreiben. Irgendwie fühlte ich mich verraten und verletzt, auf der anderen Seite sagte ich mir, dass es mir egal sein sollte, was Ria und Dion trieben, doch das war es nicht.
Es schien nicht richtig zu sein, zumindest aus meiner Sicht. Ich trank noch einen Schluck, inzwischen war das Glas leer. „Könnt ihr mir vielleicht mithelfen?", fragte der Barkeeper. „Hier draußen hat es keinen Zweck. Wir ziehen nach drinnen um." „Klar", sagte ein Junge, der zusammen mit seinen Freunden anpackte. Auch ich half mit, die Kästen und Flaschen ins Haus zu bringen.
Wir mussten mehrmals gehen und aufpassen, dass nichts herunterfiel. Einer der Jungen stolperte und ein Glas rutsche herunter, zersprang auf dem Boden. „Scheiße!", fluchte er. Ich, der gerade nichts zu tragen hatte und wieder nach draußen ging, kniete mich hin, um die Scherben aufzulesen. Der schnelle Höhenwechsel ließ es kurz schwarz vor Augen werden und ich bemerkte ein Stechen im Kopf, das aber ein paar Sekunden später verschwunden war.
Der Junge, dem das Glas heruntergefallen war, hatte inzwischen die anderen in Sicherheit gebracht und kam mit einer Kehrschaufel zurück. Zu zweit beseitigten wir das Missgeschick und als wir die Scherben im Mülleimer entsorgten, war die ganze Bar am Rande des Wintergartens aufgebaut, in bester Nähe zur Eingangshalle, wo immer noch die Party tobte. Der Barkeeper verteilte zum Dank Spezialitäten des Abends an alle.
„Prost!", sagten die anderen im Chor und stießen die Gläser zusammen. Ich murmelte leise und etwas zeitversetzt mit. Dann fragte ich mich, wo wohl Philine war. Nachdem ich sie auf der Tanzfläche verloren hatte, war sie immer noch verschwunden. Auch von Amon und Bennett hatte ich lange nichts gehört. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es gegen ein Uhr war. Die Zeit war schnell vergangen! Also beschloss ich, sie suchen zu gehen. Einen von ihnen würde schließlich irgendwo zu finden sein. Nach der zweiten Spezialität des Abends fühlte ich mich etwas schummrig.
Ich bemühte mich dennoch, geradeaus zu laufen. Auf meinem Weg begegneten mir einige, die schon wesentlich mehr intus hatten als ich. Zwei Mädchen stützten sich auf einen Jungen, alle drei hatten sichtlich Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Die Mühe brachte nichts mehr und eines der Mädchen fiel hin, warf im Fallen ihr Glas aus der Hand, das zu meinem Leidwesen immer noch halb voll war. Ich spürte nur, wie etwas in meinen Haaren landete und schließlich an mir heruntertropfte.
„Oh... sss...scheiße", stotterte das eine Mädchen. „Tut mir vv voll leid." Während der Inhalt des Glases, dunkelrot und klebrig, sich auf meinem Hemd verteilte, bemerkte ich erst jetzt, dass ich Philines Hundeohren verloren hatte. „Geh mal nach oben", sagte der Junge. „Dort is'n Badezimmer. Kannst Schadensbeungrenz machen." Ich nahm an, dass das Wort Schadensbegrenzung heißen sollte, aber so ganz sicher war ich mir da auch nicht. Ohne ein Wort zu sagen, lief ich nach oben. Ich versuchte es, kam aber nicht wirklich voran. Inzwischen zentrierte sich die Feier in der Eingangshalle und ein Durchkommen war so gut wie unmöglich.
Als man mich sah, machten die meisten Platz. Verwundert blickten sie mir nach, wenn ich mit meiner ungewollt rotgefleckten Frisur an ihnen vorbeilief. Wer weiß, was es da noch zu sehen gab. Oben war die Luft besser, aber auch hier war viel los. Eine vereinsamte Flasche lag auf dem Flur und ich stieß wahllos irgendwelche Türen auf, in der Hoffnung, dahinter das Bad zu finden. Beim dritten Versuch klappte es schon. Im Bad war niemand. Ich machte das Licht an und sah im Spiegel das Ausmaß. Von meiner mühevoll gestylten Frisur war nicht mehr viel übrig. Ich zog ein Stück Orange heraus und vermutete, dass es Bestandteil dieses Drinks gewesen war.
Mit etwas Wasser versuchte ich, den Drink aus den Haaren zu waschen und aus dem Hemd zu entfernen. Schließlich fand ich noch einen Föhn und richtete meine Frisur damit wieder einigermaßen, aber ich bemerkte selbst, dass es mir zusehends schwerer fiel, den Föhn zu halten. Wahrscheinlich waren es zu viele Spezialitäten des Abends gewesen. Geübt war ich nicht gerade. Am Ende war aus dem Versuch, die Frisur wieder zu richten, eher ein Anschlag darauf geworden.
Es sah nicht besser aus als vorher. Also wickelte ich murrend das Stromkabel wieder um den Föhn und stopfte ihn in irgendein Fach des Schranks zurück. Die Tür schloss nicht mehr richtig, aber das war mir egal. Wenn ich Glück hatte, bekamen nicht mehr allzu viele mit, wie ich aussah.
Eigentlich wollte ich ja Philine, Amon oder Bennett suchen, also setzte ich meine Suche fort. Hier oben würde es einfacher sein, sie zu finden, sagte ich mir. Konnte ich meinen eigenen Gedanken in dieser Situation noch Glauben schenken? Ich wusste es nicht. Ich lief durch die Zimmer, wo sich kleinere Gemeinschaften gebildet hatten. Eine saß nur noch lallend herum, andere machten Flaschendrehen oder andere Trinkspiele.
Nur wenige beachteten mich. Schließlich war ich an der letzten Tür des Flures angekommen. Es war seltsam ruhig dahinter. Ich drückte die Klinke herunter und stieß die Tür auf. Ich sah ein gelbes Kleid, das zusammengeknüllt auf dem Boden lag und hörte ein Stöhnen. Eigentlich wollte ich es nicht sehen, aber dann war es zu spät. Und das war zu viel des Guten.
Das schummrige Gefühl war verschwunden, ich konnte, leider Gottes, wieder klar denken. Angewidert zog ich die Tür zu und stürmte den Flur entlang. Ich wollte nach Hause. In diesem Moment entschied ich, dass für mich die Party beendet war. „Alessandro?", hörte ich eine dumpfe Stimme aus dem Wirrwarr an Gelächter, Gerede und Musik hören, aber ich konnte es mir auch nur einbilden. Doch jemand fasste mich an der Schulter. „Bleib doch mal stehen", forderte Philine. Sie klang gereizt.
„Was ist denn los?" „Ich gehe", verkündete ich trotzig. Bennett kam angelaufen. Warum kamen sie jetzt von selbst? Fünf Minuten eher und mir wäre ein bestimmter Anblick erspart geblieben. „Warum?", fragte Philine. „Ich bin wahrscheinlich nicht der erste, der die Party verlässt", antwortete ich. „Die Antwort passt nicht ganz zur Philines Frage", erklärte Bennett. „Ich habe gesehen, wie sich Ria da oben von Dion wegflanken lässt", antwortete ich mit Nachdruck. „Quasi vor den Augen aller anderen."
Philine und Bennett nahmen Haltung an. „Ihr könnt gerne nachgucken. Rechte Seite, hinterste Tür. Wenn ihr euch beeilt, sind sie noch nicht fertig", schlug ich vor. Mit diesen Worten wandte ich mich wieder dem Gehen zu. Philine seufzte und folgte mir. Ein paar Minuten später schlenderten wir durch die Straßen. Es war kalt und wenn ich meine Jacke noch gehabt hätte, hätte ich sie Philine gegeben, die sichtlich fror. Mitte Oktober war es auch nicht mehr ganz so warm in unseren Breiten, um irgendwann am frühen Morgen nach Hause zu gehen.
„Dann haben sie es also wirklich getan", murmelte sie gedankenverloren, während die auf ihre Füße starrte. Ich tat dasselbe bei meinen und gab nur ein „Mh" von mir. „Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst." „Das ist es nicht", erwiderte ich. „Nicht?", fragte Philine erstaunt. Sie schien wirklich überrascht. Ich fühlte mich schlecht, dass ich sie vorhin fast geküsst hätte und nun für uns beide die Party beendet hatte, weil ich nicht über ein anderes Mädchen fertig wurde. „Es ist Rias Sache. Zumindest sollte es das", erklärte ich leise.
Jetzt war es Philine, die nur ein „Mh" von sich gab, das man auf jede erdenkliche Weise deuten konnte. „Es passt nur gar nicht zu Ria. Ich kenne sie jetzt schon so lange und das, was sie hier abzieht, das ist einfach so... billig", sagte ich. „Das ist nur der Anfang", meinte Philine. Nur, dass es dieses Mal nicht wie eine Drohung klang, sondern wie eine traurige Tatsache.
***
Und? Was sagt ihr zur Party des Jahres? Was mag wohl noch kommen?
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