-12- WO DIE DÄMONEN HINGEHEN

In der Parkstraße war schon viel los. Aus allen Richtungen kamen die Gäste geströmt und im Vorgarten hatte sich bereits eine Schlange gebildet. „Wollen wir vielleicht auf Amon und Bennett warten?", fragte ich und blieb auf dem Bürgersteig stehen. „Bekommst du jetzt Angst?", wollte Philine wissen. Ich schüttelte den Kopf, aber wenn ich ehrlich war, war ich doch ziemlich aufgeregt. „Schon komisch, in diesem Haus Party zu machen", überlegte sie. „Warum? Immer noch wegen des Toten?", fragte ich. „Wenn Eleonora auftaucht, hat sein Geist doch längst das Weite gesucht."

Wenn es witzig gewesen wäre, hätte Philine bestimmt gelacht, aber sie tat es nicht. „Vor vier Jahren standen sie an der gleichen Stelle", sinnierte sie weiter. „Wollten Spaß haben. Laute Musik, Freunde, Alkohol, das ein oder andere Abenteuer... und am nächsten Morgen ist einer von ihnen tot. Das ist für mich unvorstellbar." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war beklemmend zu wissen, dass der Tote an dieser Stelle gefeiert hatte und das die letzte Party seines Lebens war. Wer weiß, was in seinen letzten Stunden alles passiert war. „Aber denken wir nicht weiter darüber nach", meinte sie schließlich. „Wir wollen uns doch nicht die Stimmung verderben."

Also betrachteten wir die anderen Paare, die nach und nach das Grundstück betraten. „Du kannst dich echt glücklich schätzen, mit deinen Hundeohren", meinte sie. „Andere hat es wesentlich schlimmer getroffen." Das stimmte in der Tat. Einige hatten das Motto etwas zu genau genommen und sich komplett verkleidet. Unter einem dieser Kostüme entdeckte ich Amon mit seiner Begleitung. „Können wir unauffällig tauschen?", fragte mich dieser zur Begrüßung.

„Nichts da", erwiderte Elizabeth. „Du behältst das schön an." „Aber findest du es nicht etwas übertrieben?", zweifelte Amon. „Du hättest mich ja nicht fragen brauchen", antwortete Elizabeth. Amon seufzte und in dem Moment war ich Philine echt dankbar für den Bruchteil des Kostüms. Die Schlange rückte langsam vorwärts. Ob Ria auch schon da war? Sicherlich, antwortete ich mir selbst. Sie gehörte schließlich zum Organisations-Komitee. In den letzten Wochen hatten wir kaum noch mit einander gesprochen, seit ich sie gefragt hatte, ob sie mich zur Party begleiten würde. Eleonora, Viviana und Serafina standen am Eingang.

„Hallo Philine", begrüßte Eleonora sie. „Hallo Alessandro." „Schön, dass ihr hier seid", ergänzte Viviana. „Wen sollt ihr darstellen?", fragte Serafina. Es war mir doch peinlich, als Philine es erklärte. Viviana bekam das wohl mit und stichelte: „Wenn du etwas an dir arbeitest, reicht es bald für eine magere Version von Tarzan." Ich tat so als fände ich ihren Spruch lustig. Dann rückten wir ein Stück vor und Adelina stellte uns vor einen bunten Hintergrund, sagte „Bitte recht freundlich" und schoss ein Foto von uns.

„Prima, jetzt auch noch Fotos davon", murrte ich. Philine boxte mich in den Oberarm. „Denk an Amon", erinnerte sie mich. „Den hat es viel schlimmer getroffen." Plötzlich schlug uns die Musik entgegen und wir standen in der Eingangshalle. Es waren schon viele da, die meisten immer noch in ihren Verkleidungen. Auch sonst fand man das Motto überall wieder. An der Decke waren Leinen gespannt, die im Kronleuchter zusammenliefen, daran aufgehängt Luftballons von Donald, Daisy, Mickie und Minnie. Philine zog mich zur Seite. „Wo willst du denn hin?", fragte ich.

„Zur Küche", antwortete sie knapp. „Woher weißt du denn, wo du ist?", wollte ich wissen, als sie zielstrebig in einen Flur einbog. „Instinkt", lautete die Antwort. Philine lag mit ihrem „Instink" goldrichtig. Wir standen auf einmal in der Küche und Ria und Dion gegenüber. „Oh, was führt euch hierher?", fragte Ria überrascht. Ich deutete auf Philine. „Begrüßen wir euch erstmal", bestimmte Dion. „Stimm, ich bin gerade dabei, meine gute Erziehung zu vergessen", meinte Ria und lachte. Die kurze Begrüßungsumarmung wirkte seltsam fremd und steif. Ria trug ein gelbes Kleid, mit dem sie in dieser Umgebung seltsam unpassend wirkte.

Dion trug wie immer einen Anzug, aber dieses Mal mit einer Krawatte, die denselben Farbton wie Rias Kleid hatte. „Du siehst gut aus", sagte Ria zu Philine. „Danke", meinte diese. „Mit deinem Kleid kann ich aber auch nicht mithalten." „Ich habe noch ein anderes dabei", erklärte Ria. „Für später." Was auch immer so mit „später" meinen mochte. Philine sah sich in der Küche um.

„Sucht ihr was Bestimmtes?", fragte Dion, der ihren Blick bemerkt hatte. „Trinken gibt es an den Bars. Wir haben zwei aufgebaut. Eine in der Eingangshalle und eine auf der Terrasse, falls welche nach draußen gehen werden." „Bei den vielen Menschen ist es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit", vermutete ich. Ria nickte abwesend. „Hier steht nur das Essen", erklärte Dion. „Aber wenn ihr schon einmal hier seid, könnt ihr auch beim Tragen helfen." In der Küche wuselten noch sechs andere Personen herum, die Folie von Auflaufformen abmachten, Salate in Schüsseln verteilten und Platten dekorierten. „Wir haben wirklich versucht, das Motto einzuhalten", sagte Dion. „War nicht ganz einfach, aber mit etwas Kreativität hat es doch geklappt", ergänzte Ria.

„Wir haben Gerichte aus Tausend und einer Nacht, aus dem Dschungel und natürlich auch das passende für euch", stellte Dion die Gerichte vor und kam dabei genau wie im Verkaufsfernsehen rüber. Er hob den Deckel eines Topfes an und grinste. Wahrscheinlich stellte er sich das Poster des Films vor, nur mit Philine und mir anstelle der beiden Hunde. Zumindest das Gericht wäre dasselbe. „Dann nehme ich das doch gleich mal in meine Obhut", sagte ich. „Wo kommt das hin?"

„Das Buffet wird in einem separaten Zimmer aufgebaut. Leider liegt das auf der anderen Seite der Eingangshalle und dort müssen jetzt noch sämtliche Schüsseln und Auflaufformen und Platten hin", erklärte Dion. Wir schnappten uns alle etwas davon und bahnten uns den Weg. Dion und Ria liefen vorweg. Unterwegs wären wir fast von anderen Partygästen umgerannt worden, Dions Warnrufe gingen meist in der Musik unter. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer wir zurückgelegt haben, bis schließlich das gesamte Buffet aufgebaut war. „Danke für eure Hilfe", sagte Dion und klopfte sich die Hände ab. „Ihr dürft euch zur Belohnung auch als Erste nehmen, auch wenn Eleonora es noch nicht offiziell freigegeben hat."

„Das hört sich doch hervorragend an", fand ich. Wer auch immer für die Gerichte gesorgt hatte... er hatte ganze Arbeit geleistet. Somit bedienten sich alle, die beim Aufbau mitgeholfen hatten, schon einmal im Voraus. Die Auswahl fiel wirklich schwer. Philine machte es sich einfach und nahm von jedem eine kleine Portion. „Ihr sollt bitte alle in die Eingangshalle kommen", rief ein Junge auf dem Flur. Die Musik war verstummt und die Partygäste wurden zusammengetrommelt.

Wir gingen mit unseren Tellern in die Eingangshalle und stellten uns an den Rand. Eleonora stand oben auf der Galerie, wo sich ebenfalls schon Unmengen von Menschen tummelten. Jemand reichte ihr ein Mikrofon. Mit dem Finger klopfte sie vorsichtig daran, doch das Pochen hörte man im ganzen Raum. Plötzlich fiepte es laut, sodass einige das Gesicht verzogen oder sich die Ohren zuhielten. Eleonora lächelte entschuldigend, hatte aber zumindest alle Aufmerksamkeit für sich.

„Herzlich willkommen zur diesjährigen Elfer-Party!", rief sie und egal ob Elfer oder nicht, alle jubelten Beifall. „Es ist wirklich klasse, dass so viele kommen konnten, aber noch besser ist, dass sich alle an den Dresscode gehalten haben! Wir freuen uns, so viele verschiedene Traumpaare zu sehen und hoffen natürlich, dass es diese auch noch nach der Party geben wird." Sie lachte ins Mikrofon. „Nun, bevor es ans Feiern geht, ein paar Hinweise." S

ie erzählte, dass es zwei Bars gäbe, wo es Getränke aller Art gäbe, dass wir uns auch draußen aufhalten könnten, der Garten sei groß genug und dass alle Zimmer für uns offen stünden. Am wichtigsten aber sei, dass das Buffet nun eröffnet wäre. Unter tosendem Beifall und Gejohle ging die Musik wieder an und in diesem Moment war ich froh, dass ich zu den wenigen gehörte, die bereits etwas ergattert hatten. Die nächste halbe Stunde verbrachten fast alle Gäste damit, irgendetwas vom Essen abzustauben.

Philine und ich gingen ins Wohnzimmer, das in einer Art großflächigem Wintergarten lag. Von hier aus konnte man auch in den Garten gehen, aber wir setzten uns auf eines der Sofas und aßen in Ruhe. „Wenn es so weitergeht, steigern sich viele Beliebtheitswerte", mutmaßte Philine. „Vor allem die von Ria." Mir fiel wieder ihre Warnung ein und für einen Moment vergaß ich zu kauen. „Mach wenigstens den Mund zu", ermahnte sie mich. „Das ist ziemlich perfekt geplant, oder?"

Ich nickte. „Da können sie sich feiern lassen als große Organisatoren, die es gezeigt haben, dass Partys auch ohne Tote ablaufen können." Ich hörte ihr gar nicht richtig zu. An die Warnung und die Bitte, dass ich auf Ria aufpassen soll, hatte ich lange nicht mehr gedacht. Bisher lief doch alles gut und selbst wenn, Dion war doch immer in ihrer Nähe und der würde schon auf sie aufpassen. Zumindest redete ich mir das ein, genauso, dass es mir gar nichts ausmachte, dass Dion jetzt ihr bester Freund zu sein schien und ich abgeschrieben war. „Hier steckt ihr beiden also", sagte eine bekannte Stimme. Bennett, Amon, Elizabeth und ein Mädchen, das ich nur vom Sehen her kannte, gesellten sich zu uns. „Vom Buffet ist nicht mehr viel übrig", meinte Amon niedergeschlagen.

„Das hätte dein Kostüm gesprengt", erwiderte Elizabeth gnadenlos. „Eben drum", antwortete Amon. Wir lachten. Bennett reichte mir eine Flasche. „Da wir nichts mehr zum Essen ergattern konnten, dachten wir uns, dass wir dann wenigstens nicht verdursten sollten", erklärte er. „Ich darf doch, oder?", fragte Philine und nahm mir die Flasche aus der Hand. Sie trank einen großen Schluck, bevor sie sie mir zurückgab. „Ich kann dir auch eine eigene holen, wenn du möchtest", bot Bennett an, aber Philine winkte ab.

So saßen wir eine Weile da, tranken und erzählten. Mit der Zeit kamen mehr ins Wohnzimmer, gingen durch die Glastüren nach draußen. Es wurde später und irgendwann beschlossen wir, mal nachzusehen, was sonst noch abging. Die Eingangshalle hatte sich in eine Disko verwandelt. Jemand mimte den DJ und stand auf einem Pult in einer Ecke der Halle. Der Kronleuchter wirkte wie eine Diskokugel, der das ständig wechselnde Licht in Mustern reflektierte. Ehe ich mich versah, hatten wir uns mitten unter die Tanzenden gemischt. Irgendwann kündigte der DJ ruhigere Lieder an, „für alle Traumpaare, die auch eines bleiben wollen" und die Tanzfläche leerte sich etwas. Ich wollte auch gehen, aber Philine hielt mich fest.

„Komm schon", bat sie und ich konnte nicht anders. Sie ergriff meine Hände. Ihre fühlten sich wunderbar weich an, aber da war noch etwas Anderes. Waren das Narben auf ihren Handflächen? Ich kam nicht dazu, länger darüber nachzudenken. Das Lied setzte ein und in diesem Moment gab es nichts Schöneres als mit ihr zu tanzen. Unsere Füße fanden sich von alleine und so sah ich nur ihr Gesicht vor mir, ihre dunkelgrünen Augen, das schöne Lächeln. Wir tanzten auch noch das nächste Lied und danach noch eines.

Es war eines der kitschigsten Lieder, das es wohl auf der Welt gab, aber das interessierte mich kaum. Viel wichtiger waren Philine und ich, wie wir uns eng umschlungen zur Musik bewegten. Als sich das Lied dem Ende zuneigte, kamen sich unsere Gesichter immer näher. Ich beugte mich weiter vor und freute mich schon auf den Moment, wenn sich unsere Lippen endlich berühren würden, als plötzlich ein lauter Knall ertönte und noch lauterer Jubel ausbrach. Schnell war dir Ursache gefunden.

Ria und Dion, die inmitten der Paare standen und sich innig küssten. Konfetti rieselte auf sie nieder, das bunt glänzend zu Boden fiel. Andere Mädchen kreischten begeistert und ein paar Jungs pfiffen. Das Traumpaar des Abends war wohl gefunden. Die Diskomusik setzte wieder ein und sofort füllte sich die Tanzfläche wieder. „Und das ist erst der Anfang", hörte ich Philines Stimme. Es klang wie eine Drohung. Dann verlor ich sie im Gedränge.

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