Schieß!

https://youtu.be/-EfhcugNb_w

„Schieß!", flehte sie die junge Frau an, die sie mit großen Augen anstarrte.
„Warum?", flüsterte diese, schaute von der Waffe hoch in die braunen Augen eines Menschen, der nur noch ein Schatten seiner selbst war.
„Weil ich zu schwach bin, es selber zu tun."
Fest umklammert, sodass weiß die Knöchel der Hand hervortraten, suchten sich Bäche aus Tränen ihren Weg über die eingefallenen Wangen.
Die junge Frau konnte nicht glauben, welche Gestalt dort vor ihr auf dem Boden hockte, welches lachende Wesen diese ein mal gewesen sein sollte.
Nichts war geblieben. Fort waren die strahlenden Augen, angst erfüllt, starr blickten sie nun in die ihren.
Fort war die liebliche Stimme, gewichen einer, die seit Jahren schon schweigen musste.
Fort war alles. Alles von ihr, das sie jemals war!
Um so länger die junge Frau bewegungslos vor Angst, die zusammen gekauerte Gestalt beobachtete, um so wütender wurde sie.
Während ihr die eiskalten Tränen in die Augen traten, spürte sie diese Wut in ihren Venen rasen!
„Und deswegen willst du mir das antun? Du willst, dass ich mein Leben lang mit den Erinnerungen lebe, meine Schwester um gebracht zu haben? Sei stark, es selber durchzuziehen. Wenn du zu schwach bist, es zu beenden, bist du innerlich stark genug zu leben!"
Sie war wütend! Wütend auf alles, auf diese Welt, auf sich, weil sie es nicht vorher bemerkt hatte, wütend auf ihre Schwester, weil sie nie etwas gesagt hatte!
Aber eigentlich war sie geschockt, geschockt zu wissen, das sie ihre 16-Jährige Schwester alleine gelassen hatte, alleine gegen die Welt!
„Aber, ich kann nicht mehr -", es war nicht mal mehr ein Flüstern.
„Dann ändere es! Du willst leben, tief in deinem Herzen, willst du wieder so sein wie früher!
Willst du wieder meine wundervolle kleine süße, verrückte Schwester sein. Du bist das immer noch. Wirst es immer für mich sein. Zeig doch endlich verdammt noch mal jedem, wer du bist. Wer hinter dem Mädchen steckt, das gebrochen an die Wand starrt. Zeig, wer du hier drin bist, in deinem Herzen."
Die junge Frau sank auf die Knie, all ihrer Kraft beraubt.
„Aber das bin ich nicht mehr, sie haben mich kaputt gemacht."
„Nein, das warst du selber. Weil du geglaubt hast, was sie sagten, weil du dachtest, du brauchst sie, weil du dich selbst verleugnet hast. Weil du die ganze Zeit über versteckt hast, wer du bist. Du hast nicht mehr gekämpft, hast aufgegeben, bist in dir selber Versunken.
Sie haben angefangen, aber du hast nichts getan, um sie aufzuhalten. Du hast dich selbst kaputt gemacht.
„Wa-rum-ich wol-lte doch nur – das sie- m-mich mögen?"
„Ich mag dich. Ich liebe dich. Ich brauche dich! Du bist meine kleine, wichtige Schwester, die ich um keinen Preis verlieren will!"
Vorsichtig, aus Angst die zitternde, dünne Gestalt zu zerbrechen, hob sie ihren Arm.
Sanft legte sie sie auf die verkrampfte eiskalte Hand, die immer noch verzweifelt die Waffe umklammerte, als würde gerade das ihr Leben retten.
Ohne ihr weh zu tun, löste sie die Finger, nahm die Waffen, die schwerer als hundert Leben in ihrer Hand wog und schob sie geräuschlos weg.
Das Mädchen hob kurz ihren Blick, verfolgte die Waffe, wie sie sich immer weiter entfernte und blickte dann zum ersten mal in die Augen ihrer Schwester.
Und das, was diese in ihnen sah, war alles, was sie im Moment brauchte.
Es war eine kleine Regung, nur ein kurzer Moment, bevor das schluchzende Mädchen sich in ihre Arme warf.
Es war Hoffnung.
Sie würde niemals wieder zu lassen, dass ihre Schwester alleine war.

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