❰ EPISODE 9 ❱

"Herr Choi, Ihr nächster Termin ist in einer halben Stunde. Es handelt sich um eine Besprechung über eine mögliche Kollaboration.", berichtete die junge Dame im weißen Anzug mit schwarzen Rock, der bis über ihre Knie reichte.

Ihre schwarzen Haare waren zusammengebunden und hochgesteckt. Die runden Brillengläser und das schwarze Brillengestell ließen sie umso professioneller und qualifizierter wirken, als sie es sonst schon tat.

Erneut bestaunt Seungcheol das Können seiner Sekretärin. Wie sie den Überblick über all seine Termine behielt und immer wusste, wie sie ihm weiterhelfen konnte, obwohl sie selbst genügend unbearbeitete Aufgaben hatte. An einer Gehaltserhöhung war nicht zu zweifeln, sie verdiente es mehr als jeder andere.

"Vielen Dank, Frau Kim. Sie sind für heute entlassen, machen Sie sich bitte einen schönen Nachmittag. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe.", lächelte der Braunhaarige, während er die letzten Dokumente unterschrieb und sortierte.

Mit einer Verbeugung erwiderte sie das Lächeln und verabschiedete sich dann von ihrem Chef. Sie wusste, er tat es, weil heute ihr Sohn Geburtstag hatte. Und so war er auch in dem Unternehmen beliebt, als Vorstandsvorsitzender, dessen Gutherzigkeit von allen Anwesenden geschätzt wurde.

Nachdem sein Vater festgenommen wurde, herrschte Chaos in der Firma. Es war eine natürliche Reaktion, Ungläubigkeit, auch Seungcheol leugnete es für eine lange Zeit. Doch da KBC Corporation nicht einfach ungeregelt weitermachen konnte, versammelte sich der Vorstand und halt eine Sitzung über den nächsten Vorstandsvorsitzenden.

Seungcheol erinnerte sich genau daran, wie er nervös draußen saß, während die Älteren in dem Raum ihre Vorschläge gaben. Aufgeregt wippte er seine Beine und kaute auf seiner Unterlippe, sein Bruder drückte ihm einen Kugelschreiber in die Hand, auf dem er herumclicken konnte. Er versicherte dem Braunhaarigen, dass er sich keine Sorgen machen sollte und dass sie alle auf ihn zählten.

Nun, so war es auch keine große Überraschung, als Seungcheol zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde. Sie alle waren überzeugt davon, dass er die meisten Beiträge geliefert hatte und er stets mit voller Begeisterung sich der Arbeit im Geschäft widmete. Somit wählte die absolute Mehrheit den Braunhaarigen als neuen Geschäftsführer.

Einige stimmten dagegen, sie weigerten sich, dieses Ergebnis nachzuvollziehen, denn letztendlich war Seungcheol immer noch der Sohn eines Betrügers. Dass Jeonghan all die Schandtaten seines Vaters enthüllte und dass sie damals ein Pärchen gewesen waren, wusste zu seinem Glück niemand. Aber er versicherte ihnen, er gab ihnen sein Wort, das beste für das Unternehmen zu tun, ohne Fehler wie zuvor zu begehen.

Es gab eine einzige Person, die von allem Bescheid wusste; Park Sechan, der Sekretär seines Vaters. Anfangs fürchtete der junge Mann wirklich, Sekretär Park würde alles aufdecken. Zu seiner Überraschung reichte dieser allerdings eine Kündigung ein und schenkte dem neuen Vorstandsvorsitzenden ein verständnisvolles Lächeln.

"Ich möchte Ihnen keinesfalls irgendwelche Probleme bereiten. Es war eine Ehre für Sie und Ihren Vater zu arbeiten.", mit einer tiefen Verbeugung bedankte er sich bei dem jungen Geschäftsführer und nahm schweren Herzens sein Namensschild ab.

Mit dieser Geste ließ er alles, was bisher geschah, in der Vergangenheit. Vorsichtig legte er es auf Seungcheols Schreibtisch ab und schenkte ihm noch einmal das nette Lächeln, welches der Braunhaarige seit Kindestagen immer wieder sah. Nostalgisch, er hatte das Gefühl, ein Kapitel seines Lebens beendet zu haben, um ein neues, hoffentlich besseres, anzufangen.

"Und noch etwas.", kurz bevor Park Sechan das Büro verließ, drehte er sich das letzte Mal zu Seungcheol mit einem schuldigen Blick um, "Bitte richten Sie dem jungen Mann aus, dass es mir leid tut. Und dass ich tief in der Schuld Ihres Vaters stehe."

Die Worte ließen ihn erstarren. Langsam verknüpften sich die Ereignisse in den Gedanken des Braunhaarigen. Nun machte es Sinn, das endlose Vertrauen seines Vaters in seinen damaligen besten Freund. Es fing damit an, dass dieser auf seine Kinder aufgepasst hatte und als diese alt genug wurden, um sich selbst zu versorgen, bot der ehemalige Geschäftsführer seinem Freund den Job als seinen Assistent an.

Dass Park Sechan früher sein Babysitter war, hatte Seungcheol längst aus seinem Kopf verbannt, denn immer wieder forderte sein Vater von ihm, niemandem von ihrer Freundschaft zu erzählen.

Aber an ein Ereignis erinnerte er sich, auch wenn die Erinnerung verschwommen war. Eines Abends klopfte jemand gegen die Tür von Seungcheols zuhause. Das Gewitter, welches das kleine Kind damals so erschrak, in Kombination mit dem unerwarteten, wiederholten Klopfen ließ das Kleinkind in Tränen ausbrechen und rannte soforr zu seinen restlichen Brüdern.

Seungcheol kann sich nur noch vage daran erinnern, wie sein Vater die Tür öffnete und ein völlig durchnässter Mann eintrat. Sein Ausdruck war völlig verängstigt, dunkle Augenringe und blasse Haut zierten das Gesicht des älteren Mannes. Das letzte, an das er sich erinnern konnte, war wie sein Vater dem Mann auf die Schulter klopfte, um ihn zu beruhigen. "Ich werde mich darum kümmern, Sechan. Keone Sorge.", waren seine letzten Worte.

Damals war er zu jung, um zu verstehen, was vor sich ging. Als kleiner Junge spielte er doch lieber mit den Kuscheltieren und redete mit sich selbst. Doch nun als Erwachsener machte alles Sinn und jedes Puzzleteil schien sich miteinander zu verknüpfen. Mit jedem neuen Lebensjahr wurde man reifer und musste sich der Realität stellen.

Mit einem Seufzen schüttelte Seungcheol seine Gedanken davon. Seine Gedanken waren schon wieder in der Vergangenheit stecken geblieben, obwohl er dies so gut wie möglich verhindern wollte. Er wollte in die Zukunft blicken und das Geschehene hinter sich lassen, nicht zurückblicken und weitergehen.

"Herr Choi. Einen schönen Tag noch. Vergessen Sie Ihren Termin nicht.", riss eine weibliche Stimme ihn wieder aus seinen Tagträumereien bevor sie das Büro verließ, ohne auf irgendeine weitere Rückmeldung von ihm zu warten. Nun, er blieb ohnehin stumm.

Wieder widmete er sich dem Papierkram. Ein Stapel voller Papiere, die darauf warteten unterschrieben zu werden. Kleine Klebezettel, die ihn darauf hinwiesen, an einem bestimmten Tag um eine bestimmte Uhrzeit eine Person anzurufen, deren Nummer unter all den Daten stand. Stifte, welche auf seinem Tisch wild umher lagen. Etliche ungelesene Verträge, eine schon kalt gewordene Tasse schwarzer Kaffee von heute morgen, der Braunhaarige konnte vor lauter Gegenständen die eigentliche Farbe seines Holztisches nicht mehr erkennen.

Seufzend lehnte er sich nach hinten und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. "Nur für einen kurzen Moment", murmelte er vor sich hin, bevor er seine Augen schloss. Die Müdigkeit erlangte erneut die Kontrolle über seinen Körper und in weniger Zeit befand er sich schon in seinen fantasievollen Träumen.

Seungcheol war nicht der Typ, der auf der Arbeit einschlief, heute aber war eine Ausnahme. Die ganze Nacht quälte ihn das Gewitter und sobald er ein Auge zu bekam, träumte er von einem Ereignis, von dem er am liebsten nie wieder hörte. Dieses eine Ereignis, welches vor über vier Jahren an einem friedlichen Dienstag sein Leben veränderte.

Bis heute schien der Blondhaarige immer noch in einigen seiner Träume zu erscheinen. Jedes Mal pochte sein Herz gegen seine Brust, sein Herzschlag nahm zu und er wachte verschwitzt auf. Sogar nach all diesen Jahren schien Jeonghan noch einen Effekt auf ihn zu haben. Er hasste es. Und doch vermisste er dieses Gefühl der Liebe, er vermisste das weiche Lippenpaar auf seinen eigenen und das Kribbeln, das sie erzeugten.

Ein schriller Weckerton unterbrach seinen Schlaf und ließ seine Traumwelt in Sekunden zusammenfallen. Schnell riss er seine Augen auf und setzte sich in eine aufrechte Haltung, nachdem er sich kurz umsah, um überhaupt wieder seine Umgebung wahrnehmen zu können. Ah, er war auf der Arbeit eingeschlafen. Vielleicht war er ein doch nicht so vorbildlicher Chef.

Er blickte auf den leuchtenden Bildschirm seines Handys und schaltete den Wecker aus. "Verabredung Kooperation" wurde der Termin simpel in seinem Kalender markiert. Stichwörter reichten, niemand machte sich die Mühe, derartige Termine explizit auszuschreiben. Es brauchte weniger Zeit und man konnte es sofort verstehen. Für einen beschäftigen Geschäftsführer wie ihn war es nur das Richtige.

Mit aller Kraft schwang er sich aus dem bequemen, schwarzen Ledersessel und packte die wichtigsten Dokumente in seine Aktentasche. Wieder erwachte dieses nostalgische, prickelnde Gefühl in ihm bei dem Anblick seiner dunkelbraunen Ledertasche, welche trotz jahrelangen Nutzens in einem staunenswerten Zustand war.

In Kindheitstagen schaute der kleine Junge immer fasziniert zu, wie sein Vater abends seine Dokumente sortierte und sie anschließend in dieselbe Aktentasche packte, die Seungcheol nun benutzte. Sie war einer der bedeutendsten Gegenstände, welche er besaß, denn schon damals versprach sein Vater, ihm später die Tasche zu schenken. Es war Seungcheols kostbarster Besitz.

Der Braunhaarige erinnerte sich genau, wie glücklich er war, als er sie bekam. Das Gefühl des braunen Leders unter seinen Fingerspitzen mit dem Wissen, dass sein Vater es ihm, ausgerechnet ihm von vier Söhnen, schenkte, ließ vor Freude sein Herz aufspringen. Und als er sie zum ersten Mal öffnete, stockte sein Atem.

Sein Vater hinterließ ihm seine Notizen, die er durch jahrelange Erfahrung gesammelt hatte. Ein Buch voller Lebendigkeit, die Seiten waren bis auf zum Ende beschrieben, ein Chaos von Wörtern und Zeichnungen füllten die vorher leeren Seiten.

Viele Dinge haben sich geändert. Doch viele Dinge sind auch gleich geblieben. Die Aktentasche war im Besitz des Geschäftsführers, nur dass dieser nun ein anderer war. Ihre Bedeutung jedoch blieb gleich. Eventuell hatte sie etwas zugenommen, selbst in seinem schlimmsten Alptraum würde Seungcheol diese Tasche nicht weggeben. Ganz zu schweigen von ihrem Inhalt, er vergötterte das Buch mehr als alles andere.

Dabei ging es nicht unbedingt um die Strategien, die sein Vater aufgeschrieben hatte. Das, was das Herz des Braunhaarigen damals aufblühen ließ, war die letzte Seite des Notizbuches.

"An meinen Sohn, Choi Seungcheol."

In jenem Moment vergaß er alles, was passierte und seine Welt erschütterte. Diese aufgeschriebenen Worte auf der letzten Seite des Buches brachten den Sohn zum strahlen, einfache Worte, die für ihn die Welt bedeuteten. Sein Vater hatte es für ihn geschrieben. Er hatte Hoffnung in seinen Sohn.

Dieses Wissen schien den Braunhaarigen für die nächsten Jahre als junger und auch neuer Geschäftsführer zu motivieren. An manchen Tagen bekam er kaum Pausen, er schlief wenig, wenn überhaupt, durchgängiger Stress und Angst vor Versagen.

Aber er hatte es geschafft. Nach der Pressekonferenz, die kurz nach der Festnahme seines Vaters stattfand, tat er sein Bestes, um das Unternehmen wieder an die Spitze des Marktes zu bringen und den beschmutzten Namen wieder zu säubern. Mit Erfolg, innerhalb weniger Jahre waren sie wieder eine der führenden Firmen. Die Anzahl negativer Kommentare sank, verschwand aber nie, was für den Braunhaarigen trotz alledem verständlich war. Denn schließlich blieben kriminelle Taten eben kriminelle Taten.

Nachdem er das Büro verlassen hatte, machte er sich auf den Weg zu seinem Auto in den Tiefgaragen. Seine Angst vor diesem Ort hatte über die Jahre hinweg überwunden. Die einzige Sache, die ihm immer noch fremd erschien, war sein Wagen. Sein neuer Wagen, um genau zu sein.

Vielleicht hing Seungcheol doch mehr an dem alten Auto als er dachte. Nachdem er es Jeonghan überließ, kaufte er sich ein neues. Ein modernes Auto, der Traum eines jeden Mannes. Zwar blieb seine Wahl für ein schwarzes Auto dieselbe, jedoch gab es einfach zu viele Veränderungen, welche seinen neuen Wagen so fremd fühlen ließen.

So komisch es auch klang, er liebte den Geruch seines alten Autos. Es duftete nach Jeonghans Parfüm, gemischt mit dem Geruch von Kaffee, der aus dem kleinen Sack mit Kaffeebohnen kam. Eine leichte Note von dem Duft der Blumen, die der Blondhaarige ab und zu mit nach Hause gebracht hatte. Es kam dem Gefühl von zuhause so nahe und ließ ihn jedes Mal wohlfühlen.

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