❰ EPISODE 5 ❱
Er zitterte. Langsam entfiel der Körper aus der kurzen Starre. Aufgrund dieser Taubheit in seinen Beinen stützte er sich an seinem Tisch ab. Sein Kopf schmerzte, die Sicht vor seinen Augen war verschwommen. Mingyu rief nach seinem Namen, jedoch bekam dieser keine Antwort. Seungcheol war gerade alles andere als in der Lage zu antworten. Dafür war er viel zu versunken in seinen qualvollen Gedanken.
"Einen guten Abend und herzlich Willkommen bei Arirang News um acht Uhr."
Mit der einen Hand versuchte er verzweifelt mithilfe der Fernbedienung den Sender umzuschalten. Bevor er dies allerdings tun konnte, hörte er eine vertraute, zu vertraute Stimme. Eine Schrift war unten am Bildschirm zu sehen. Er hielt inne. Auch wenn seine Lippen sich spalteten, kam kein Ton heraus. Sein Rachen war trocken, es gab genug Sauerstoff und trotzdem konnte er nicht atmen.
"Vorstandsvorsitzender der KBC Corporation jetzt unter Investigation."
Sein Vater? Warum sollte die Polizei ihr Unternehmen, geschweige denn seinen Vater investigieren? Seungcheol verstand die Welt nicht mehr. Tausende Fragen schwirrten in seinem Kopf so schnell, dass das dröhnende Pochen immer weiter zunahm. Es gab keinen Grund für all das, mit Sicherheit handelte es sich hier um einen Fehler. Es war sein Vater, er kannte seinen Vater doch am besten, wodurch er sich auch sicher war, dass es keine Motive gab.
"Vorstandsvorsitzender Choi Yoontae wird aufgrund einem Verdacht auf Aktienbetrug und illegalen Geschäften vorzeitig festgenommen. Die Polizei wird weiterhin ermitteln."
Es waren Worte, die Seungcheol nie von dem Blondhaarigen erwartet hätte. Eher gesagt, es war unvorstellbar, wie sein Freund im Fernsehen als Reporter war und gerade über seinen Vater berichtete. Sein ausdrucksloses Gesicht schien die Worte harmlos wirken zu lassen, doch in Wahrheit zerstörten sie nicht nur den Erfolg eines Menschen, sondern auch der Firma und dessen Familie. Sie zerstörten Seungcheol.
"Außerdem stellte sich heraus, dass Choi Yoontae Korruption beging. Es handelt sich um den Fall vor zwanzig Jahren, Yoon Daejeong. Der Vorstandsvorsitzender von Yoon Enterprises wurde angeblich wegen Verwendung von Falschgeld, illegalen Geschäften sowie gefälschten Verträgen festgenommen und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Yoon Enterprises war schon immer eine Konkurrenz für KBC Corporation gewesen. Choi Yoontae fand heraus, dass ein guter Freund von ihm all diese Verbrechen beging und sorgte dann dafür, all dies an den Vorstandsvorsitzenden Yoon Daejeong anzuhängen. Um ihn loszuwerden, und damit auch Yoon Enterprises ein Ende zu setzen, nutzte er seine Macht und sein Geld aus."
Sie logen. Seungcheol war sich sicher, sie logen. Sein Vater würde keiner Fliege etwas zuleide tun, geschweige denn einem Menschen. Dachten sie sich so etwas aus, nur um den Untergang ihrer wertvollen Firma zu sehen? Er könnte sie wegen Verleumdung anzeigen, solange es keine festen Beweise gab, durften sie kaum derartige Falschnachrichten ausstrahlen.
Seine Verzweiflung wuchs. Der Braunhaarige hasste es, zu sehen, wie sein Freund dort stand und in aller Ruhe davon berichtete. Es war Wut, Frust, der sich in seinem Körper aufbaute. Seine Hand formte sich zu einer Faust und sein ganzer Körper spannte sich so sehr an, dass er unkontrolliert zitterte. Er verachtete es, zu sehen, wie Jeonghan über seinen Vater dermaßen sprach. Wie die Reporter alle dort standen und keine Wimper zuckten. Wie sie so taten, als bestände die Persönlichkeit seines Vaters nichts, außer aus Korruption und Verbrechen.
Warum?
Sie wussten nichts über seinen Vater. All das waren nur Falschmeldungen. Choi Yoontae, sein Vater, den er so sehr verehrte und auf den er herauf blickte. Derjenige, der ihm immer alles beibrachte und seine Weisheiten durch Geschichten weiter erzählte. Der seine Kinder über alles liebte und alles für sie tat. Der die Firma seines Vaters beinahe verkaufte, nur um seine Kinder zu beschützen. Sie alle wussten nichts.
"Choi Yoontae selbst gestand seine Verbrechen."
Für einen Augenblick stand er wie gefroren da. Sein Körper versteifte sich, auch das Zittern, welches ihn störte, stoppte. Alles spielte verrückt, er war ein Chaos, ein Desaster vom feinsten. Während ein erzwungenes Lächeln seine Lippen zierte, fingen die Tränen an, über seine Wangen zu laufen. Keinesfalls war ein Wort von alledem wahr. Er glaubte es nicht. Er glaubte ihnen kein Wort, keineswegs würde er ihre aufgetischten Lügen wahrhaben.
Der Braunhaarige wusste nicht warum, Adrenalin schien in seinem Körper in ungesunden Maßen zu durchfließen. Dieser plötzliche Drang, der Frust, es packte seinen Körper. Ob er bei gesundem Menschenverstand war, ist nicht zu beantworten, doch im nächsten Moment schnappte er nach einer Vase, die sein Freund ihm einst schenkte, und schleuderte sie auf den Boden.
Sie zerbrach. In tausend Einzelteile, genauso wie es Seungcheols zerbrechliches Herz in dem Moment tat. Der sonst so lebensfrohe Mensch verlor sich selbst in einem dunklen, tiefen Loch des Kummers. Egal wie sehr er es leugnete, die Gedanken schwirrten in seinem Kopf umher und wollten ihm keine Ruhe lassen. Erbittert schrie er auf, während seine Finger sich in seinen Haaren verfingen. Lügen, es waren alles nur törichte Lügen.
Ein Bild. Dieses Mal war es ein eingerahmtes Bild, welches seinen Weg zum Untergrund fand. Das Glas zerbrach und kurz darauf folgten die Tassen. Seungcheol wurde verrückt. Seinen Vater in Handschellen zu sehen, war die Hölle für ihn, eine Hölle, die er einfach nicht ertragen konnte. Er war schon immer sensibel gewesen. Vielleicht war dies auch der Grund, warum er sich nicht kontrollieren konnte.
Seine Tränen stoppten nicht. Das Schluchzen rollte über seine Zunge mit Leichtigkeit, selbst wenn er aufhören wollte, scheiterte es kläglich. Ebenso tropfte das Blut seiner Hand auf den Boden, es fand seinen Ausweg durch die Wunden, entstanden durch die Scherben, auf denen er ruhte. Die dunkelrote Farbe seines Blutes sah faszinierend auf den weißen Keramikscherben aus. Kaum in Worte fassbar, der Kontrast war eine Verbildlichung aller Gefühle, die im Kopfe des Braunhaarigen kreisten.
"Allerdings vergibt das einzige Familienmitglied des verstorbenenen Yoon Daejeong, sein Sohn Yoon Jeonghan, dem Vorstandsvorsitzenden nicht. Nachdem er als Kind jahrelang versucht hatte, die Aufmerksamkeit der Polizei zu gewinnen, untersuchte er letztendlich selbst den Fall."
Yoon Jeonghan? Seungcheol stockte, als er diesen Namen hörte. Mit einem Male erstarrte sein Körper, die Ahnung, was als nächstes passieren könnte, welche ihn so erschaudern ließ. Es war nur ein Name, ein gewöhnlicher Name sowie jeder andere, und doch befürchtete er das schlimmste.
"Dieser Vorfall zeigt, dass das Justizsystem Koreas deutlich verbessert werden sollte. Denn die Reichen nutzen ihre Macht und ihr Geld aus, um vor ihren Verbrechen zu entkommen. Durch Choi Yoontae werden weitere Korruptionsfälle hervorgehoben, darunter auch einige, bei denen Politiker mit einbezogen sind."
Jeonghans Gesichtsausdruck änderte sich. Seungcheol erkannte dies nur zu gut. Es war Hass. Purer, bitterer Hass, aber verdeckt durch sein friedliches Engelsgesicht. Er kannte seinen Freund gut. Die Art, wie er dort stand, angespannt und doch nervös. Er konnte Jeonghan so lesen wie ein offenes Buch. Oder vielleicht dachte er das, denn wäre er wirklich in der Lage, den Blondhaarigen so verstehen zu können, wären sie nun nicht in dieser Situation.
"Reporter Yoon Jeonghan."
Yoon Jeonghan. Der Name schallte in seinem Kopf. Der Braunhaarige riss seine Augen auf. Unmöglich. Es war unmöglich, dass der Jeonghan, den er kannte, der Sohn von Yoon Daejeong war. Nur ein Zufall. Seungcheol redete sich ein, dass ihre Namen nur ein Zufall war, auch wenn er tief im Inneren daran zweifelte.
Die Nachrichtensender waren schnell. Sie waren verdammt schnell und der Braunhaarige verfluchte sie dafür. Mit viel zu starkem Druck schaltete er mit der Fernbedienung um und ignorierte dabei sein Blut, welches an ihr klebte. Allerdings war dies völlig zwecklos, denn die Nachrichten waren überall dasselbe.
"Yoon Jeonghan, Sohn des verstorbenenen Vorstandsvorsitzenden von Yoon Enterprises, Yoon Daejeong, lüftet die Schandtaten des wahren Verbrechers auf."
An diesem Punkt war es sinnlos, es weiter zu leugnen. Alles sprach dafür, dass Yoon Jeonghan, der Sohn des verstorbenen Yoon Daejeong, wirklich sein Jeonghan war. Seungcheol schrie auf, sein verzweifelter, lauter Schrei wurde von dem Abendgewitter außerhalb übertönt. Mit einem Male warf er die Fernbedienung in die Richtung des Fernsehers und zerschmetterte dadurch den Bildschirm.
Das Schluchzen nahm zu. Es wurde lauter und strahlte pure Einsamkeit aus. Seine Stimme brach, sie brach, wie es sein Herz tat. Mittlerweile schmerzte es ihn so sehr, dass er seine Wunden an den Händen vergaß. Er hasste das Blut, immer ließ es ihn erschaudern, dieses Mal jedoch hatte es kaum einen Effekt auf ihn. Dafür war er viel zu verloren in seiner Erbitterung und er entwickelte einen Groll. Ob Jeonghan gewidmet war oder ihm selbst galt, wusste er nicht.
Nach einem Schniefen wischte er seine Tränen weg. Seungcheol war fest entschlossen, den Blondhaarigen zu treffen und mit ihm zu reden. Zumindest ein Gespräch war dieser ihm schuldig. Auch wenn er etwas schwankte beim Aufstehen, fand er seinen Weg zur Haustür. Seine Knie zitterten und er fürchtete jeden Moment zusammen zu fallen, allerdings war dem Braunhaarigen dies fast schon egal.
Er blickte mit einem emotionslosen Gesichtsausdruck nach draußen, aber verrieten seine roten Augen die Trauer, die sich in dem jungen Mann versteckte. Er musste mit dem Blondhaarigen reden. Auch wenn das Abendwetter sein innerliches Gefühlschaos wieder spiegelte und den Weg zu seinem Freund somit erschwerte. Für Warten war jedoch keine Zeit, Seungcheol musste jetzt zu ihm.
Die Tür hinter ihm fiel zu, nachdem er seinen Mantel hastig anzog und die Wohnung verließ. Der Knall der zufallenden Tür ließ ihn zusammenzucken, seine Lautstärke ähnelte dem des Donners. Die Blutabdrücke an seinem Mantel, entstanden durch die Wunden seiner Hände, wirkten beängstigend, beinahe so, als wäre der junge Mann ein Verbrechen begangen.
Er verfluchte sich selbst dafür, Jeonghan seinen Wagen ausgeliehen zu haben. Denn nun brauchte er selbst, doch der Parkplatz stand leer. Normalerweise begann die Schicht des Blondhaarigen später, sodass er seinen Freund zuerst zu dem Unternehmen fahren würde und am Ende des Tages ihn wieder abhole. Normalerweise.
Aber nach diesem Vorfall war nichts mehr normal. Und alles was bis jetzt so alltäglich erschien, würde nun ein Ende nehmen.
Auf ein Taxi zu warten war vermutlich die beste Lösung, jedoch war Seungcheol viel zu ungeduldig. Seoul war eine viel zu große Stadt, er konnte es sich nicht leisten, mehr Zeit zu verlieren. Und somit beschloss er zu laufen, bis zu dem Gebäude des Senders. Dass es sich in der Hauptstadt Koreas befand, war kaum ein Wunder, vorallem für eine der populärsten Nachrichtensender.
Für Äußere sah er aus wie ein flüchtiger Verbrecher. Blut an den Händen, seine hastigen Schritte, die ihn durch den Regen brachten, sein Körper, der vor Nervosität zitterte. Und doch stoppte ihn nichts, seinen Weg zu Jeonghan zu finden.
Die dunklen Straßen, etwas heller durch die schwachen Straßenlichter, erschienen so einsam wie er selbst. Keine Menschenseele schien draußen zu sein, sie zogen sich zurück in ihr warmes, gemütliches Zuhause, um dem Sturm zu entkommen. Nichts weiter, als ein menschlicher Reflex, sie verkrochen sich in ihre sichere Umgebung.
Seungcheol schien nicht zu ihnen zu gehören. Zumindest nicht in dem jetzigen Moment, denn anstatt sich zu verstecken, rannte er direkt in die Richtung des beängstigend Sturms. Der beängstigende Sturm, der durch sein lautes Grollen die Furcht in Anderen weckte und an die Türen der Familienhäuser klopfte.
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