Kanarienvogel
Ich habe lange gebraucht, um mir einzugestehen, dass ich psychisch-krank bin. Davor war dieses Wort wie ein Fremdwort für mich. Ich war die ganze Zeit der Meinung, ich wäre „normal". Ein ganz normaler Teenager, der nur etwas schüchtern ist. Bis diese Schüchternheit, diese leichte Nervosität sich in richtige Angst umgewandelt hat. Es ist nicht die Angst, die man beispielsweise bei einem Erdbeben verspürt. Diese Lebensangst. Aber irgendwie ist sie es schon. Zumindest zum Teil.
Ich wache täglich, wenn ich in die Schule gehen muss, zitternd auf und will am liebsten wieder meine Augen schließen und diese negativen Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirren, verbannen. Aber das kann ich nicht. Also versuche ich mich, da irgendwie durchzuboxen. Auch, wenn mir aufgrund dieser Angst so übel ist, dass ich nicht einmal mehr frühstücken kann. Ich zwinge mich jedes Mal, zumindest ein paar Bissen zu nehmen, sodass mein Magen in der Schule nicht knurrt. Denn das wäre ein weiteres Problem für mich.
Stellt euch mal vor, es herrscht absolute Stille im Klassenraum. Keiner redet. Man hört nur das feine Schreiben, welches durch den Füller verursacht wird, das Suchen nach einem Blockblatt und die Schritte des Lehrers. Plötzlich verspürt ihr einen riesigen Hunger und euer Magen fängt an, zu knurren. Ihr werdet vor Scham etwas rot, versucht die peinliche Situation aber durch ein Lachen aufzulockern. Und alles ist gut.
Bei mir ist das etwas anders. Denn mir wäre das so peinlich, dass meine Hände zu schwitzen beginnen würden, mein Herzschlag schneller werden würde und ich am liebsten aus dem Klassenzimmer verschwinden würde. Ich bilde mir ein, jeder würde mich anschauen, mich auslachen oder über mich reden. Und genau das bringt meinen Kopf zum Explodieren. Es macht mich fertig.
Jedes Mal, wenn ich von der Schule heimkomme, kann ich nur noch an den Gedanken „Ich kann das alles nicht mehr" denken. Es ist alles wie ein ewiger Kreislauf, ich fühle mich, als wäre ich in einem Käfig gefangen. Als wäre ich ein Kanarienvogel, der ungefähr immer zur gleichen Zeit seine Mahlzeiten bekommt, mit dem gesprochen wird, er aber nicht antworten kann. Ja, genauso fühle ich mich.
Ich habe keinen, mit dem ich darüber sprechen könnte, mich austauschen könnte. Denn keiner würde es verstehen - würde mich verstehen. Deswegen versuche ich, meine Geschichte möglichst verständlich zu erzählen, auch wenn ich weiß, dass sie vielleicht verrückt klingt ...
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