Kapitel 73
Kapitel 73
Niall POV
Langsam verwandeln sich die unscharfen Silhouetten, der im Raum befindenden Gegenstände, in erkennbare Möbel. Das warme Licht, das mich zuerst unangenehm blendete, wird von einer an der Decke hängenden Lampe ausgestrahlt. Ich nehme unbewusst wahr, dass ich in einem einzigen großen Zimmer stehe, doch wird meine gesamte Aufmerksamkeit von einer ganz anderen Gegebenheit förmlich angesogen.
Mein Mund steht leicht offen, indes ich mitten in meiner Bewegung verharrt an die gegenüberliegende Zimmerwand starre. Von dieser blicken mich in einer unzählbaren Masse nur allzu bekannte Gesichter entgegen, sodass die eigentliche Tapete oder gestrichene Farbe nur noch schwach zu erahnen ist. Sehr langsam dringt das mir bietende Bild bis in mein Gehirn vor und ich beginne zu begreifen.
Die unmittelbare, wiederholte, Erkenntnis hinterlässt tiefe Furchen in meinem Herzen. Buchstaben fügen sich zu zusammenhangslosen Worten, die ich nicht über meine Lippen zu bringen vermag. Ich spüre förmlich wie das starke Band des Vertrauens, das ich zu Amy hege, haarfeine Risse bekommt und meine grenzenlose Liebe zu diesem Mädchen von einer undurchdringbaren Finsternis überschattet wird.
Noch immer wie versteinert presse ich gequält zwischen zusammengepressten Lippen heraus „Du hast mich wirklich belogen." Jetzt, da ich diese unwiderlegbare Tatsache ausgesprochen habe, löst sich meine Bewegungslosigkeit und ich schlage, begleitet von einem verzweifelt ausgestoßenen Laut, meine Hände vor mein Gesicht. Bis zu diesem Augenblick hin hatte ich felsenfest an die Unschuld meiner Freundin geglaubt, umso heftiger treffen mich nun die verwobenen Gefühle von bitterer Enttäuschung, unbändiger Wut und tiefer Traurigkeit.
„Harry hatte völlig recht, die gesamte Zeit. Wie konnte ich seine Worte nur ignorieren..." Meine Finger wandern in meine blondierten Haare und krallen sich in die einzelnen Strähnen, doch ich spüre den aufkommenden Schmerz kaum. Mein Körper fühlt sich taub und leer an, als wäre es nicht mehr mein eigener. Gewaltsam ergreift mich ein unsägliches Gefühl der Frustration, hauptsächlich auf mich selbst bezogen. Meine Blindheit, Naivität und Selbstsüchtigkeit.
Ich wollte so dringend, dass Amy meine lang ersuchte Prinzessin ist, dass ich alle Anzeichen eines möglichen Fehlers außer Acht ließ. Ich erfand paradoxe Ausreden, die in meinen Ohren nun schwach und kläglich wiederhallen. Der Grund dafür, dass Amy mir nie etwas von ihrem Zuhause erzählte, mich bewusst davon fernhielt. Ich dachte, dass sie noch nicht bereit dazu sei mich in ihr Leben komplett einzubinden, dass sie einfach noch mehr Zeit brauchte, um sich über die Konsequenzen klar zu werden.
Doch ist dessen auch so? Oder ist das alles nur ein Spiel für sie? Wie ein aufregendes Erlebnis in einem Freizeitpark, das inmitten anderer spannenden Geschehnisse eingereiht wird? Diese Frage dringt stechend in mein tiefstes Innerstes und ich beginne jedes Beisammensein mit ihr zu hinterfragen.
„War alles eine Lüge?" Meine Stimme klingt angeschlagen, als sei ich verschnupft, aber es ist der Herzschmerz der meinen Hals verengt und auf meinen Kehlkopf drückt. Ich spüre ihre Anwesenheit direkt hinter mir und zucke dennoch leicht zusammen, als sie mit bittender Stimme ansetzt „Niall, ich-"
„Was?" Ich unterspreche sie harsch und wende mich ihr abrupt zu. Der in mir wütende Zorn gewinnt schlagartig die Oberhand und ich muss meine Hände zu Fäusten ballen, um nicht völlig die Kontrolle über mich selbst zu verlieren. Schwer atmend und das Rauschen des Adrenalins in meinen Ohren blicke ich in die Augen meiner großen Liebe.
Ungehalten zische ich „Ist das alles nur ein Spaß für dich?" Ihre Augen weiten sich bei meinen Worten und sie entgegnet protestierend „Nein! Niall, ich liebe dich!" Ein bitteres Lachen verlässt meinen Mund, doch kann ich nicht verhindern, dass Tränen meine Sicht verschwimmen lassen. Tief atme ich durch und beiße dabei fest auf meine Unterlippe, meinen Blick notgedrungen auf den Teppich zu meinen Füßen gerichtet.
„Bitte, lass es mich erklären." Der flehende Unterton verweilt in ihrer Stimme. Bestimmt blinzle ich die Tränen aus meinen Augen und bohre meine Fingernägel in meine Handflächen. Mein Verstand brüllt mich an diesen Raum sofort zu verlassen, doch vermag es mein Herz nicht. Ich kann Amy hier nicht wie einen begossenen Pudel stehen lassen, ohne ihr eine Chance geben zu haben sich zu erklären.
„Du hast mir dein Wort gegeben." Leise erklingt ihre weibliche Stimme, welche diesmal von einem ängstlichen Vorwurf begleitet wird. Die Vorstellung der Grund für ihre Furcht zu sein kann ich nicht ertragen, weshalb ich ein ruckartiges kurzes Nicken von mir gebe und das Brennen in meinen Augen nicht zu beachten versuche.
„Kannst du..." Sie verstummt kurzeitig, während ich meine angespannte Haltung bewahre. „Können wir uns setzen? Bitte." Das abermalige herauszuhörende Flehen treibt mich dazu meinen Kopf zu heben. Meine Augen huschen kurz zu der ihren, allerdings kann ich sie in diesem Moment zum ersten Mal seit unserem Kennenlernen vor über einem Monat nicht länger als wenige Sekunden ansehen. Ihr Anblick bereitet mir einen tiefsitzenden schleichenden Schmerz, der wie todbringendes Gift in meinen Adern fließt und in jede einzelne Zelle meines Körpers vordringt.
Schweigend, da ich kein einziges sinnvolles Wort in den umherwirbelnden Gedanken erfassen kann, blicke ich mich gezwungenermaßen in dem Zimmer nach einer Sitzgelegenheit um. An jeder einzelnen Seitenwand hängen etliche Poster, in einem Wandregal befinden sich ordentlich aufgereihte CDs und DVDs, daneben eine beeindruckende Musikanlage und ein hölzerner Schrank, dessen rechte Hälfte von einem Spiegel eingenommen wird, sowie die lebensgroße Pappfigur meiner Wenigkeit, von der ich nur schwer meinen entsetzten Blick wende.
Ich bemühe die auf mich einstürmenden Eindrücke nicht abzuspeichern und sofort wieder zu vergessen, doch kann ich meine Füße nur mit größter Not daran hindern vor Amys folgender Erklärung wortwörtlich davonzurennen. Mechanisch bewegen sich meine Beine in Richtung eines Bettes, während meine geweiteten Augen jedes Detail in diesem Raum in sich aufzusaugen versuchen. Direkt vor dem eisernen Bettgestell, das sich von der Tür aus gesehen an der linken Wand befindet, bleibe ich abrupt stehen. Vom Bezug grinst mich mein jüngeres Ebenbild mit einem breiten Lächeln beinahe schon schadenfroh an.
Meine Lippen fest aufeinandergepresst, um das Chaos an diversen Gefühlen zu unterdrücken und daran zu hindern brutal aus mir herauszubrechen, lasse ich mich widerstrebend auf der Matratze nieder und verschränke meine Hände, die ich daraufhin langsam in meinen Schoß lege.
Ich spüre wie sich Amy neben mir niederlässt, aber dabei einen gewissen Abstand behält als wäre ich eine tickende Zeitbombe, der man lieber nicht allzu nahekommt. Doch sehnt sich mein Körper mit jeder einzelnen Faser nach ihrer Nähe, danach ihre nackte Haut auf meiner eigenen zu spüren, ihren Herzschlag an meiner Brust, ihre Lippen mit meinen vereinigt. Einzig und allein mein rationaler Verstand gebietet diesem unaufhaltsamen Drang Einhalt, verbietet meiner für dieses Mädchen empfundenen endlosen Liebe mich komplett einzunehmen, meine Sinne völlig zu benebeln – mich ihr voll und ganz hinzugeben.
„Ich... Also weißt du..." Ihr plötzlich einsetzendes Stammeln reißt meine Gedanken jäh aus dem schneidenden Konflikt zwischen heißer Sehnsucht und vernunftmäßigen Gegner. „Wo soll ich nur beginnen?" Erst nehme ich an dies sei eine rhetorische Frage, auf die ich nicht zu antworten gebrauche, jedoch spüre ich kurz darauf ihre Augen auf mir liegen und erwidere mit abgespannter Stimme, ohne aufzusehen „Wieso hast du mich belogen?"
„Ich..." Ihre Stimme bricht und sie verstummt für nur wenige Sekunden, während mir jede einzelne wie ein schleppender Tagesmarsch durch die staubtrockene Wüste erscheint: auslaugend, mühsam, nervenaufreibend. „Ich hatte Angst." Leise erklingen diese Worte, als habe sie Sorge ansonsten den strammen Faden, der mich allein am vollständigen Ausrasten hindert, zu zerreißen.
„Wovor?" Meine Frage, die fordernd und fest ertönen sollte, kommt schwerfällig und tonlos über meine Lippen. Eine eiskalte imaginäre Hand hat sich um mein Herz gelegt und übt nun einen gleichmäßigen stechenden Druck darauf aus. Ein quälend langer Moment vergeht, dann ein weiterer, bis Amy schließlich hastig erklärt „Dass du nichts mehr mit mir zu haben willst; dass du mir den Rücken zukehrst, mich von dir abweist; dass du... dass du mich nicht mehr liebst, wenn du davon erfährst. Dass du-" Ein unterdrücktes Schluchzen dringt aus ihrer Kehle und bringt mein ohnehin schon gepeinigtes Herz zum Bluten.
Doch kann ich sie nicht sanft an mich ziehen und beruhigende Kreise auf ihren Rücken malen, indes ihr Gesicht sich in meine Halsbeuge presst. Sähe ich Amy nun allein durch die Augen eines Liebenden könnte mich nichts auf der Welt daran hindern, ihr so nahe wie nur möglich zu sein, doch lichtet tiefste Finsternis meinen getrübten rosaroten Blick und offenbart mir die schmerzende Wahrheit der Lüge.
Ihre zierliche Hand legt sich ohne Vorwarnung auf meine im Schoß ruhenden gefalteten Hände, weshalb ich eigentlich zusammenzucken und mich ihr entziehen sollte, allerdings rege ich mich in keinster Weise und starre lediglich auf ihren Daumen, der stockend über meinen linken Handrücken zu streichen beginnt. Kleine Blitze der Zuneigung und Sehnsucht zucken durch meinen erstarrten Körper, doch werden diese von maßloser Trauer und wildem Zorn erstickt, bevor sie weiter vordringen können.
„Niall, ich..." Leichten Druck mit ihrer Hand ausübend schenkt sie dem Streichen ihres Daumens ebenso mehr Sicherheit. „Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen! In tiefster Düsternis warst du mein Retter – Das Licht, das mich von der schaurigen Dunkelheit befreite." Bei ihren Worten steigt Verwirrung in mir auf und ich ziehe meine Augenbrauen verständnislos zusammen.
Murmelnd entgegne ich mit rauer Stimme „Ich verstehe nicht... Wovon sprichst du?" Es war doch umgekehrt! Sie war mir wie ein Engel in höchster Not am Tage meines Autounfalls erschienen, hatte sich um mich gekümmert und war nicht von meiner Seite gewichen. Sie hatte MICH gerettet, nicht andersherum.
Ihr Daumen verharrt schlagartig und ich spüre ihre jähe Anspannung, obwohl ich meinen Blick gesenkt halte. Ein Beben durchfährt meinen Körper und eine böse Vorahnung breitet sich in mir aus, dennoch zögere ich nicht und verlange mit nervösem Unterton in meiner Stimme „Ich will die Wahrheit wissen. Sag es mir, oder ich werde auf der Stelle gehen."
Die letzten Worte bringe ich nur unter großer Anstrengung heraus und bin mir nicht sicher, ob ich tatsächlich einfach aufstehen und den Raum verlassen könnte. Weshalb mich ein Hauch von Erleichterung durchströmt, als Amy ein kaum hörbares 'Ich sag es dir' von sich gibt und somit den nicht zu bewältigten Konflikt in Luft auflöst. Ich höre sie tief durchatmen und spüre, dass sie den Druck auf meinen Händen verstärkt. Innerlich versuche ich mich auf die nun kommende Offenbarung zu wappnen und rechte mit dem Schlimmsten.
Unruhig warte ich darauf, dass sie das Wort ergreift und hätte mich beinahe schon ungeduldig geäußert, aber genau in diesem Augenblick setzt sie mit gedämpfter und trauriger Stimme an „Schon im Kindesalter habe ich mit dem Tanzen begonnen. Meine Eltern scherzten nur zu gern damit, dass ich nach dem Krabbeln das Laufen übersprungen und direkt zu tanzen angefangen hätte." Üblicherweise würde nun ein Lachen ertönen, das freudig und belustigt klingt, doch Amy stößt stattdessen einen Laut aus, der vor Kummer trieft.
„Ich fand im Tanzen die Möglichkeit meine intimsten Gefühle durch vielfältige einzigartige Bewegungen zum Ausdruck zu bringen. Doch wäre mein tänzerisches Potenzial und Talent im Leeren verpufft, hätte ich nicht schon von aller Anfang an Unterstützung gehabt. Sal..." Ihre Hand verkrampft sich und ich zucke unweigerlich zusammen, als sich ihre Nägel schmerzhaft in meine Haut drücken.
Doch unternehme ich keinen Versuch mich ihr zu entziehen, denn ich habe das starke Gefühl, dass sie mich jetzt an ihrer Seite braucht. Aus diesem Grund verharre ich reglos in meiner Position. Die innere Stimme täuscht einen bekanntlich nur sehr selten und in diesem Fall behält mein Unterbewusstsein recht. Als sammle sie Mut, indem sich ihre Finger in meine Haut graben, spricht sie nach einer kurzen angespannten Pause merkwürdig gepresst weiter.
„Meine Tanzlehrerin hat mich jeden einzelnen Tag gefordert und motiviert. Hatte ich einmal wieder einen meiner schlechten Tage und zerfloss in Selbstmitleid, dann drängte sie mich mit ihr ins Studio zu gehen und mich so lange auf der Parkettfläche auszutoben, bis ich wieder frei atmen konnte. Durch sie lernte ich die zerdrückende Last von aufkommenden Selbstzweifeln, täglichen Frustrationen sowie aufkeimender Wut auf mich und andere in positive Empfindungen umzuwandeln. Und dahingehend zu bewältigen. Sie, die mich nie aufgab und immer an meine Stärke glaubte, hieß Sally... Sally Hawkins." Erneut verstummt sie und bevor ich richtig über meine nächste Handlung nachgedacht habe, löse ich meine inzwischen hart zusammengepressten Hände, nehme ihre zitternde zierliche Hand und umschließe sie fest mit meinen beiden Händen.
Ein einziges Wort aus ihrer Äußerung schallt unangenehm laut in meinen Ohren nach: 'hieß'. Nicht heißt, sondern hieß. Eine dunkle Befürchtung kommt in mir auf, doch frage ich dennoch mit überraschend sanfter Stimme „Was ist passiert?"
„Sally..." Amy scheint in großer Ferne zu sein, als sei sie tief in ihrer Erinnerung versunken. „Sie hatte eigene Dämonen mit denen sie Tag für Tag zu kämpfen hatte. Ich wusste nichts davon. Hätte ich... hätte ich Bescheid gewusst, ich hätte ihr geholfen, sowie sie mir immer beistand. Jeder braucht doch jemanden, der uneingeschränkte Rückendeckung gibt..." Sie schluchzt und ich spüre ihre tiefe Verzweiflung, als sei es meine eigene.
Ohne, dass ich sie auffordere weiterzusprechen, ergreift sie mit kummervoller Stimme erneut das Wort „Eines Tages konnte sie nicht mehr... Sie gab auf und ließ zu, dass die vernichtende Last sie überrollte und sie vollends einnahm. Ich verstand damals nicht, wieso sie auf keine meiner Nachrichten antwortete und ging deshalb zu ihrer Wohnung. Ich..." Abermals bricht ihre Stimme und ein herzergreifendes Schluchzen ertönt. Mein eigenes Herz zieht sich krampfend zusammen und ein Kloß steigt in meine Kehle.
Leise entgegne ich „Du musst nicht-" „Doch, ich muss! Ich habe gesagt, dass ich dir alles sagen werde." Unvermutet sicher unterbricht sie mich und fährt gleich darauf eilig fort, als habe sie Angst ansonsten den Mut zu verlieren. „Ich habe sie gefunden, als sie... Als sie... " Ich öffne meinen Mund, um ihr erneut zu versichern, dass sie mir nicht jedes Detail zu erzählen braucht, allerdings lässt sie mir keine Chance.
„Ich erinnere mich an jede Einzelheit, nur nicht daran wie ich den Notruf wählte. Die Sanitäter mussten mich von ihr herunterzerren, ich weinte haltlos und schrie mir die Seele aus dem Leib. Meine Mutter wurde verständigt, mit der ich dann ins Krankenhaus fuhr. Und sie war es, die mir dort angekommen und nach einem kurzen Gespräch mit einem der Ärzte, mit elendigem Gesichtsausdruck sagte, dass jede Hilfe zu spät kam." Als sei diese Schilderung nicht schon grausam genug, spricht Amy mit einer solchen Ruhe und Gelassenheit, dass sie mir damit eine unbändige Angst einjagt.
Ich finde keine tröstenden Worte oder sonstige angebrachte Erwiderungen, weshalb ich stumm ihre Hand halte, meine Augen noch immer fest nach unten gerichtet. Es vergehen einige Sekunden, wenn nicht sogar Minuten, in denen wir beide schweigen.
Unvermittelt setzt Amy mit trostloser Stimme zu einer Äußerung an „Sie war nicht nur wie eine große Schwester, sie war meine große Schwester, wenn auch nicht blutsverwand. Ohne sie hatte ich die Stütze meines Lebens verloren und fiel ungehindert in ein bodenloses Loch tiefer Trauer verbunden mit all den Lasten, die ich ohne das Tanzen nicht mehr verarbeiten konnte. Niemand kam an mich heran, meine Eltern verzweifelten. Lediglich Samy gewährte ich Einblick in meine finstere Welt und sie war es, die mir die Rettung brachte, die letzte Zugleine, die mich in das Licht der Welt zurückholte: Dich."
Verblüfft hebe ich zum allerersten Mal meinen Kopf und blicke sie unverwandt fragend an „Mich?" Diesmal ist sie es, die ihren Blick gesenkt hält und zögernd ein kleines Nicken von sich gibt. Leise und unsicher erzählt sie nun „Samy kam jeden Tag und verbrachte unzählige Stunden an meiner Seite, obwohl ich sie die meiste Zeit nicht sonderlich beachtete. Doch minderte das keinen einzigen noch so kleinen Augenblick ihre Bemühungen mein altes Ich zurückzubringen. Täglich forderte sie mich wiederholt dazu auf irgendetwas anderes zu machen, als mich im Bett zu verkriechen. An genau dem einen Abend meiner Errettung setzte sie sich erstmalig wirklich durch, auch wenn es nur daraus bestand, dass wir gemeinsam eine Show im Fernseher schauten." Sie verstummt und hebt leicht ihren Kopf an, sodass sich unsere Blicke begegnen.
Wie so oft verliere ich mich in diesen atemberaubendem Schwarz, doch sehe ich nun nicht nur Amys Schönheit, sondern auch ihre Verwundbarkeit. Die Düsterheit in ihrem Leben, ihre dunkle Vergangenheit, die aus einem großen Schmerz heraus entstanden ist. Meine immense Wut, die durch meine Adern rast, verblasst und weicht einem teilnahmsvollen Gefühl: Mitleid. Ihre andere Hand, die sich nicht zwischen meinen beiden Händen befindet, berührt nun behutsam meine Wange und ich sehe in ihre funkelnden Augen, die vor mächtiger Liebe zu sprühen scheinen.
„Damals sah ich dich, nur dich. Alles andere war mir mit einem Mal völlig gleich. Ich musste wohl starr auf den Bildschirm geschaut haben, da Samy mit einem Mal kicherte und grinsend meinte 'Das ist Niall, Niall Horan'. Von dem Moment an habe ich jedes Mal pünktlich eingeschaltet und die gesamte Zeit nur auf dich geachtet. Ich habe mit dir gelitten und mich mit dir gefreut. Du warst mein rettender Engel und immer da, wenn ich dich brauchte."
Zwiegespalten huschen meine Augen über ihr gesamtes Gesicht und im Wechsel zwischen ihren Augen hin und her. Mein Körper derweilen steif wie eine Marmorsäule, doch durchfährt mich ein Gefühl schierer Überforderung. Ich weiß nicht wie ich nun zu reagieren habe. Kann ich ihr die gravierende Lüge verzeihen, aufgrund dieser tiefgreifenden Erklärung? Mein Herz ist zerrissen, einerseits meine unvorstellbar große Liebe zu diesem Mädchen, andererseits die bittere Enttäuschung des Verrates und fehlenden Vertrauens. Selbst mein klarer Verstand ist unentschlossen und kann sich auf keine Seite schlagen.
„Jetzt sag doch etwas." Meine Augen erfassen ihren flehenden Ausdruck in ihrem Gesicht und ich höre die Angst in ihrer Stimme, doch vermag ich nicht zu antworten. „Bitte..." Ihre Augen suchen die meinen, allerdings weiche ich dem Kontakt aus und murmle in mich gekehrt „Ich brauche Zeit."
Überraschend löst sie ihre Hand aus meinem schwächer gewordenem Griff, weshalb ich meinen Blick ruckartig anhebe. In diesem Augenblick legt sie ihre beiden Hände an meine Wangen und umgreift somit entschlossen mein Gesicht. Mir fest in die Augen sehend, sodass ich in ihrem Blick gefangen bin, verkündet sie „Ich liebe dich, Niall! Nichts kann meine Gefühle für dich trüben!"
Mein Herz pocht stark in meiner Brust, während das wohlige Kribbeln von einem fast schon schmerzenden Rausch des Verlangens abgelöst wird. Meine Atmung verschnellert sich zunehmend, indes sich jede Faser meines Körpers danach verzerrt den verbliebenden Abstand zu ihr zu schließen und ihre weichen Lippen auf den meinen zu spüren. „Liebst du mich?" Ihre Stimme nur ein Flüstern lässt eine Gänsehaut über meinen Rücken huschen und mein von Zweifeln überfülltes Gehirn beginnt sich zu leeren.
Stammelnd und unter größter Mühe der Selbstbeherrschung erwidere ich „Amy, ich... ich brauche Zeit... zum Nachdenken und..." „Aber es ist doch ganz einfach!" Ihr unbeirrter Blick hält mich fest und ihre Daumen streichen nun liebevoll über meine Wangen, sodass mir ganz schummrig im Kopf wird. „Ich liebe dich und du liebst mich." Ich öffne meinen Mund, doch bringe ich keinen sinnvollen Satz über meine Lippen. „Unser Treffen war Schicksal, Niall. Wir sind füreinander bestimmt!"
Erst bei diesen Worten dringt mein alarmierender Verstand zu mir hindurch und ich weiche ruckartig zurück. Mein Herz protestiert wutschnaubend. Amys sanfter Gesichtsausdruck weicht der Verwirrung und ich sehe in ihren Augen, dass sie verletzt über meine Handlung ist. Schwer atmend erhebe ich mich schnell, bevor meine Beine sich weigern mich zu tragen, und äußere bedrückt „Ich kann das nicht. Du musst mir Zeit geben. Ich muss nachdenken, in Ruhe."
„Aber... aber du wirst mich anrufen. Oder?" Ihre tränengefüllten Augen versetzen meinem geschundenen Herzen einen weiteren Stich und ich entgegne schwermütig „Ich weiß es nicht, Amy. Ich weiß es nicht." Langsam sinkt sie in sich zusammen und schluchzt auf „Ich kann dich nicht auch noch verlieren." „Es tut mir leid." Meine Stimme bricht, indes ich sie mit todtraurigen Augen ansehe. Ich muss mich förmlich dazu zwingen mich Millimeter um Millimeter umzudrehen, dann auf die Tür schleichend zuzugehen und anschließend nach draußen in die kühle Septembernacht zu treten.
Hier, nach langer Wartezeit, ist nun endlich sozusagen die zweite Hälfte des vorherigen Kapitels. Ich hoffe euch gefällt die Entwicklung und die Auflösung von Amys Geheimnis. Ich freue mich über Votes oder Kommentare! Lasst mich wissen welche Gedanken in euren Köpfen umherfliegen :-)
Meine Fragen an euch:
- Hat sich eure Vermutung um Amy bestätigt oder habt ihr ein anderes Geheimnis erwartet?
- Soll Niall Amy verzeihen oder sagt ihr, dass ein Schlussstrich nun das beste ist?
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