Kapitel 72

Kapitel 72

Niall POV

Das wiederholte Vibrieren meines Handys, das ich geistesabwesend in meiner Hand halte, reißt mich aus meiner minutenlanger Starre. Fahrig gebe ich den Entsperrungscode ein, wobei ich mich mehrmals vertippe. Ein tiefes Seufzen entweicht mir, als ich durch die verschiedenen Nachrichten scrolle, um Wichtigen zu antworten oder auch nicht. 

Denn eine übermächtige Antriebslosigkeit nahm mich ein, als ich das Krankenhaus schnellen Schrittes einfach verließ, mir ein Taxi rief und mich zu meinem Haus hier in London fahren ließ. Seitdem sitze ich tatenlos auf der breiten Couch in meinem Wohnzimmer und starre auf die fortrückenden Zeiger der Uhr, die neben dem Fernseher an der Wand hängt. 

Jedes Mal, wenn mein Handy eine einkommende Nachricht, durch eine kurze Vibration und gleich darauf aufblinkendes Licht signalisiert, verfolge ich mechanisch eine bestimme Abfolge: Entsperren, Überfliegen, Sperren. 

Der Druck in meiner Brust steigt mit jeder Sekunde, da ich nach wie vor nicht zu glauben gedenke, dass Harrys Worte stimmen könnten. Aber wieso sollte er mich in diesem großen Ausmaß anlügen? Nur, um meine erst frisch entstandene Beziehung zu zerstören? Selbst ich kann mir diesen Egoismus bei Harry einfach nicht vorstellen. 

Dennoch weigert sich mein Herz den Anschuldigungen meines besten Freundes über Amy auch nur einen Funken Wahrheit zuzusprechen. Sie könnte mir diesen wohlmöglichen Verrat niemals antun. Ausgeschlossen. Und doch beginnt die Vernunft in mir zu zweifeln sowie mein Verstand Partei für Harry ergreift. Zu viel haben wir zusammen durchgestanden, als dass der Jüngste in der gemeinsamen Band mich derart makaber verarschen würde. 

Konfus fahre ich mir wiederholt durch mein bereits abstehendes blondiertes Haar und schließe kurzzeitig meine Augen, nur um diese im darauffolgendem Augenblick sofort wieder aufzureißen. Jedes Mal, wenn ich die Lider meiner Augen zum eigentlichen Entspannen zufallen lasse, erscheint ein verstörendes Bild vor meinem inneren Blickfeld. Harry, der anklagend mit vor Wut verzerrtem Ausdruck auf meine feste Freundin deutet, und Amy, die mich mit flehendem Gesichtsausdruck und wie zum Beten zusammengefalteten Händen inständig bittet den Lügen meines besten Freundes kein offenes Ohr zu schenken. 

Die erneute Vibration des Gerätes in meiner Hand befreit mich einen Moment lang von diesem unlösbaren Zwist. Automatisch tippe ich das Datum, von Amys und meinem ersten Aufeinandertreffen, ein, scrolle durch die eingekommenen Nachrichten und halte abrupt inne. Mehrmals blinzle ich, um ein mögliches Missverständnis auszuschließen. Der Grund für meine Handlung ist eine lange Nachricht über WhatsApp, die von keinem anderen als Liam geschickt wurde. 

Meine Augen fliegen flink über das Geschriebene 'Ich weiß, dass du Zeit brauchst, um dir über Einiges klar zu werden. Aber lass uns nicht allzu lange warten! Wir machen uns Sorgen, besonders Harry. Wenn du jemand zum Reden brauchst: Ich bin für dich da! Das weißt du doch. Melde dich einfach bei mir und versprich mir bitte nichts Unüberlegtes zu tun' 

Obwohl ich mich schlecht fühlen sollte, ignoriere ich Liams Bitte und lasse die Nachrichten für diesen Moment unbeantwortet. Was soll ich denn auch zurückschreiben? Ich bin noch zu keinem Schluss gekommen, wie ich mit Harrys ausgesprochenen Worten umzugehen habe. Wie sehr ich mir doch wünsche, dass Harry sich Amys Telefonat nur ausgedacht hat. Es wäre um einiges leichter, wenn alles nur der Fantasie entsprungen wäre. 

Jedoch sind die Hindernisse des eigenen Lebensweges niemals vorauszusehen, allerdings ist jedem selbst überlassen ob man lediglich strauchelt oder vollkommen versagt. Ich habe nicht vor mich derart aus der Bahn werfen zu lassen, weshalb ich mit Amy sprechen werde. Bis viertel nach Vier am Nachmittag muss sie heute ihrer Schulpflicht nachgehen, danach wird sie direkt zu mir kommen, das hat sie mir per Nachricht versprochen. Nie hat sie ein Versprechen gebrochen und das wird sie auch nicht, dessen bin ich mir hundertprozentig sicher. 

Das Ertönen meiner Klingel lässt mich hochschrecken und reißt mich abrupt aus meinen Gedanken. Zerstreut verharre ich unbewegt und drehe bloß meinen Kopf in die entsprechende Richtung. Mehrere Sekunden vergehen, in denen ich mich nicht rühre. 

Doch als die Türklingel erneut durch das Haus erklingt, schüttele ich meinen Kopf, um die wirren Gedanken loszuwerden. Ich erhebe mich rasch und durchquere mit großen Schritten das Wohnzimmer. Meine Augen fest auf die Tür gerichtet, haste ich durch den Flur und drücke schwungvoll die Klinke herunter. 

All meine Vorsätze Amy keine Ausreden gelten zu lassen verpuffen in dem Moment, als ich in diese unglaublichen rabenschwarzen Augen blicke, die durch ihr breites Lächeln zu funkeln scheinen. Ohne es recht zu merken erwidere ich das Lächeln und schlinge meine Arme von einer ziehenden Sehnsucht getrieben fest um ihren schmalen Körper. Wortlos legt sie ihre Hände in meinen Nacken, dabei blickt sie mich durchweg strahlend an. 

Ihre Berührung löst einen wohligen Schauer aus, der meinen Rücken hinab huscht. Verlangend ziehe ich sie enger an mich, indes sie sich leicht auf ihre Zehenspitzen stellt. Meine Umgebung verschwimmt leicht, während ich jeden Millimeter ihres Gesichtes messerscharf wahrnehme. Automatisch fallen meine Augen zu, als sich ihre und meine Lippen treffen. Das Kribbeln durchfährt meinen gesamten Körper und ich fühle mich wie in einem Drogenrausch. 

Viel zu schnell endet der zärtliche Kuss, doch haucht Amy gegen meine halb geöffneten Lippen „Ich habe dich vermisst." „Ich dich auch." Mehr Worte bringe ich nicht heraus. Widerwillig entlasse ich sie aus meiner körpernahen Umklammerung und trete zur Seite „Komm rein." Nach meiner rechten Hand greifend lächelt sie mich glückselig an und befolgt meine Aufforderung. Mit meinem Fuß gebe ich der Tür einen Schubs, sodass sie ins Schloss fällt. 

Mein eigentliches Vorhaben drängt sich wieder nach oben und dämpft mein Hochgefühl stufenweise. Angespannt beiße ich auf meine Unterlippe, indes ich mit Amy an meiner Seite ins Wohnzimmer auf direktem Weg zur großen Couch gehe. Langsam lasse ich mich in die Polster sinken und blicke nervös auf unsere verschränkten Hände. 

Wie wird Amy reagieren? Wird sie wütend werden, mich vielleicht anschreien? Oder noch schlimmer, mich enttäuscht anblicken? Werde ich sie dadurch verlieren? 

„Niall? Was hast du?" Ein leichter Druck meiner Hand und ihre sanfte Stimme lässt mich aufschauen. Meinen Mund schon zur Antwort geöffnet kommt doch kein einziges Wort über meine Lippen. Mein Blick huscht über ihr Gesicht und verliert sich beinahe in ihren atemberaubenden pechschwarzen Augen. 

Wie soll ich nur beginnen? Mit welchem Anfang erkläre ich ihr die herrschende Lage am besten? Fieberhaft versuche ich die, in meinem Kopf umherwirbelten, Möglichkeiten logisch zu ordnen. Allerdings bringe ich es nicht zustande ihr die harte Anschuldigung direkt ins Gesicht zu sagen. Ich kann es nicht, dazu sieht sie mich einfach viel zu einfühlsam und verständnisvoll an. Ich stottere lediglich ein armseliges „I-ich..." 

Ihren musternden Blick auf mir spürend wende ich meine Augen von ihr ab und atme tief durch. Ihre weiche Hand entzieht sich meinem lockeren Griff und ich presse meine Lippen bedrückt aufeinander. Allerdings rückt sie nicht in Abneigung von mir ab, sondern rutscht noch näher an mich und legt ihre linke Hand auf meinen Hinterkopf. Kreisende Bewegungen mit ihren Fingern in meinem Haar veranlassen mich meine Augen genießend zu schließen. 

Gedämpft äußert sie mit beruhigender Stimme „Du kannst mir alles sagen. Ich werde nicht sauer sein, versprochen." Als ich keine Regung zeige, fügt sie mit fester Stimme hinzu „Sag mir einfach was mit dir los ist. Bitte." Nun gebe ich ein kleines Nicken von mir, doch öffne ich meine Augen nicht. Alles in mir spielt verrückt. Meine starke Zuneigung zu Amy und mein standhaftes Vertrauen in Harry. 

„Nialli?" Ihre pure Sorge, die in einem simplen Spitznamen zum Ausdruck kommt, schiebt all meine Bedenken aus dem Weg und drückt den exakt richtigen Auslöser. Meinen Blick auf sie gerichtet sprudeln die Worte ohne mein Zutun in einem rasanten Tempo aus meinem Mund. Angefangen bei Harrys Zweifeln in Amys Glaubwürdigkeit, über das Misstrauen meiner anderen Bandkollegen, bis hin zur Erklärung der handgreiflichen Auseinandersetzung mit Harry an Liams Geburtstag.

Zunächst krault Amy noch meinen Nacken, jedoch stoppt sie diese Geste im Laufe der Erzählung und legt ihre Hände schließlich verschränkt in ihren Schoß. Einen quälenden Augenblick lang herrscht eine unangenehme Stille, dann äußert Amy tonlos „Und was glaubst du?" Von dieser Frage überrascht zucke ich nichtsagend meine Schultern und erwidere leidend „Ich weiß es nicht, Amy. Ich weiß es nicht." 

Prüfend wandert mein Blick über ihre Gesichtszüge, die keineswegs wütend oder enttäuscht wirken, und bleibt schließlich in dem intensiven Ausdruck ihrer Augen hängen. Ich meine in diesen Tiefen eine bodenlose Angst zu erkennen, die sich jedem Moment zu einem Strom blanker Panik steigern könnte. Leise und mit vorsichtiger Stimme frage ich zögerlich „Stimmt es, Amy? Hat Harry recht? Lügst du mich an?" 

Meinem festen Blickkontakt offenbar nicht durchhaltend senkt sie schweigend ihren Kopf, ihre Lippen nur noch eine dünne Linie. Wieso macht sie keine Anstalten irgendetwas zu ihrer Verteidigung zu sagen? Unbehaglich presse auch ich meine Lippen zusammen, als mir die einzig mögliche Erklärung klar vor Augen geführt wird: Alles entspricht der Wahrheit. 

Der Knoten in meinem Magen zieht sich fester und eine tiefe Traurigkeit breitet sich in meinem Körper aus. Seelisch verletzt frage ich mit gebrochener Stimme „War etwa alles erschwindelt und erlogen?" Erst meine bittere Äußerung bringt wieder Leben in das Mädchen neben mir, die hochzuckt, mich mit aufgerissenen Augen anblickt und heftig beteuert „Nein! Bitte, glaube das nicht!" 

Sie greift nach meiner rechten Hand, doch entziehe ich ihr diese und fordere schneidend „Was soll ich deiner Meinung nach denn denken, wenn du mich im Ungewissen lässt?" Amy öffnet ihren Mund, allerdings fahre ich bereits mit erhobener Stimme frustriert fort „Du erzählst mir nichts aus deinem Leben! Über Geschwister oder mögliche Haustiere hast du nie ein Sterbenswort verloren. Nie durfte ich dich inkognito von der Schule abholen, zum Essen einladen, oder einfach nur außerhalb meiner vier Wände mit dir spazieren gehen. Ich weiß noch nicht einmal, ob du mit deiner Familie, die ich übrigens auch nicht kenne, in einer mickrigen Wohnung lebst oder in einem großen stattlichen Haus. Du-" Ich stocke, da sich Amys Lippen bewegt haben, doch in meiner Rage kein Wort zu mir hindurchdrang. 

Einen Augenblick lang blicke ich sie abwartend an, doch sie ergreift nicht erneut das Wort. Aus diesem Grund äußere ich halblaut „Was hast du gesagt?" Mit schnellem Herzschlag starre ich Amy an, die nun mit einer kaum hörbaren Stimme beinahe schon eingeschüchtert ihre Aussage vermutlich wiederholt „Ich zeige es dir." Verständnislos frage ich „Du zeigst mir was?" Mein Puls beruhigt sich langsam, während ich Amy mit gerunzelter Stirn betrachte. 

Behutsam erklärt das Mädchen „Ich werde dir mein Zuhause zeigen, aber du musst mir versprechen mich alles erklären zu lassen." „Okay." Ich nicke leicht, indes der verwirrte Ausdruck in meinem Gesicht verweilt. „Versprich es mir!" Ihre fordernde Stimme und ihren bangen Gesichtsausdruck nicht verstehend könnend, entgegne ich dennoch mit fester Stimme „Du hast mein Wort." 

Ein Ausdruck der Erleichterung huscht über ihr Gesicht und ihr zuvor verkrampfter zierlicher Körper entspannt sich. Bevor ich den Mut und die Willenskraft verliere klopfe ich mit beiden Händen auf meine Oberschenkel und erhebe mich tief durchatmend von der Couch. Entschlossen schaue ich zu Amy, die meinen Blick mit offenem Mund erwidert. 

Als sie sich nicht regt, bemerke ich mit zusammengezogenen Augenbrauen „Ohne dich finde ich wohl schlecht den Weg." Zunächst zeichnet sich pure Verwirrung in ihrem Gesicht ab, dann scheint sie zu begreifen und sie erwidert mit großen Augen „Jetzt sofort? Ich dachte-" Ungewohnt harsch schneide ich ihr das Wort ab „Nein. Nicht morgen, heute! Ich will es wissen." ‚Ich kann die Lügen nicht noch länger ertragen', füge ich gedanklich mit einem stechenden Schmerz in meinem Herzen hinzu. 

Große schwarze Augen sehen zu mir hoch, die mich unweigerlich in ihren Bann ziehen. Abwesend schnappe ich mir ihren rechten Arm und ziehe sie rasch in den Stand, sodass kein Blatt mehr zwischen uns passt. Ihr warmer Atem auf meinen Lippen benebelt meinen Verstand und bringt mich von meinem eigentlichen Vorhaben ab, beinahe jedenfalls. Als wäre sie eine heiße Kartoffel, lasse ich sie abrupt los und stolpere einige Schritte zurück. 

Meinen Kopf schüttelnd und sie nicht mehr ansehend äußere ich mit schnell pochendem Herzen „Ich fahre, du sagst an." Keine Erwiderung ihrerseits abwartend verlasse ich eilig das Wohnzimmer in Richtung Haustür, schlüpfe schnell in meine Schuhe und greife nach meinen Schlüsseln. 

Erst beim Öffnen der Tür werfe ich einen kurzen Blick über meine Schulter und erblicke Amy, die ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen hat und sichtbar niedergeschlagen hinter mir steht. Das Verlangen mich umzudrehen, sie fest in meine Arme zu schließen und beruhigende Kreise auf ihren Rücken zu malen unterdrücke ich nur mithilfe starker Beherrschung. Wortlos bedecke ich meine Haare mit einer Kappe und stapfe über die Türschwelle direkt zur Fahrertür meines Autos. 

Die Dämmerung setzt schon langsam ein, weswegen ich die Sonnenbrille, die zu meiner üblichen Tarnung dazugehört, weglasse. Den Schlüssel grob ins Zündschloss steckend bringe ich den Motor gleich darauf zum Brummen. Ungeduldig zerre ich wiederholt an dem Gurt, um mich anzuschnallen. Indes lässt sich Amy still auf den Beifahrersitz sinken. Ich spüre ihren ruhigen Blick auf mir, während ich aus der Einfahrt auf die Straße hinausschieße und mutwillig geradeaus fahre. 

„Southwark. Wir müssen nach Southwark." Ihre Stimme kaum ein Flüstern lässt mich dennoch heftig zusammenzucken, sodass ich erschrocken nach rechts ausschwenke. Zum Glück befindet sich kein Auto auf der Gegenbahn. Mit einem kurzen Nicken, dass ich verstanden habe, fädele ich mich zum Rechtsabbiegen ein. 

Einige Minuten lang herrscht ein unangenehmes und unterkühltes Schweigen, welches nur durch gelegentliches Hupen, schrille Rettungssirenen oder Aufheulen eines aufgemotzten Motors durchbrochen wird. Bewusst lasse ich das Radio ausgeschaltet, da meine Gedanken ansonsten auf Reisen gehen würden. Doch muss ich konzentriert bleiben! Diese gesamte Situation bringt mich an die Grenzen meiner Selbst. Meine grenzenlose Liebe zu einem Mädchen, dem ich vor einem Monat im Unglück begegnet bin. Der innere Konflikt, ob ich Amy wirklich noch vertrauen kann oder gerade einen gewaltigen Fehler begehe. 

„Ich habe keine Geschwister, ich bin Einzelkind." Erneut reißt mich ihre sanfte weibliche Stimme aus meinen wirren Gedanken. Ohne auf eine Reaktion meinerseits zu warten, vielleicht rechnet sie auch mit keiner, spricht sie weiter. „Ich wollte schon immer ein niedliches Kaninchen, aber habe eine Tierhaarallergie. Die Blackheath High-School ist eine öffentliche Schule, du wärst sofort erkannt worden. Deshalb wollte ich nicht, dass du mich dort abholst." 

Nicht wissend was ich erwidern soll, bleibe ich stumm und lasse meine Augen auf die Fahrbahn gerichtet. Ich verstehe nicht weshalb sie mir all diese Sachen verschwiegen hat. Gehörte dies zu ihrem Schwindel einfach dazu? Musste sie mich belügen? Und erst jetzt, als ich nachgehakt habe und stur bei meiner Entscheidung bleibe, ist sie bereit mir alles zu erzählen? Da ich nichts auf ihre Worte erwidere, verfällt sie vermutlich ebenso in ein lang anhaltendes Schweigen. 

Erst in dem Augenblick, als ich in den Stadtbezirk ‚Southwark' hineinfahre, erklingt ein leises Räuspern. „Die Nächste links." Ihre Stimme ertönt dünn und verhalten, weswegen ich ihr einen kurzen Blick zuwerfe. Bei ihrem bedrückten Erscheinungsbild muss ich schwer schlucken und mein Hals zieht sich zu. 

Ich liebe sie doch über alles, wie kann ich sie nur dermaßen zurückweisen? Trotz der heftigen Zweifel und dem wohlmöglichen Vertrauensbruch kann ich unmöglich hartherzig bleiben. Zu tief hat sich das Mädchen bereits in meinem Herzen eingenistet und würde eine nackte kalte Stelle zurücklassen, wenn ich sie aus meinem Leben verdränge. 

Mit halben Ohr höre ich auf ihre Anweisungen, während meine Bedenken mit jeder vergehenden Sekunde wachsen. Mache ich wirklich das Richtige? Ist es in Ordnung die große Liebe dermaßen auf die Probe zu stellen? „Hier ist es. Nummer 63." Bei Amys Worten nehme ich meinen Fuß sofort von dem Gaspedal und fahre links an den Bordstein heran. Meine Augen unablässig auf das ansehnliche, hellgelb gestrichene Haus gerichtet.

Leise murmle ich „Hier wohnst du also." Die Sonne ist bereits komplett vom Himmel verschwunden und die Dunkelheit setzt ein. Straßenlaternen erleuchten in breiten Abschnitten den Gehweg. Meine Kappe tiefer ins Gesicht ziehend steige ich aus und betrachte die Umgebung. Ehrlich meine ich „Schön hast du es hier." Neugierig trete ich an das Tor zum Hof heran und lese den Namen am Klingelschild. „Dein Nachname ist Sheffield..." 

Plötzlich unsicher betrachte ich den makellos erscheinenden Vorgarten und zucke leicht zurück, als im Hof unerwartet das Außenlicht anspringt. „Das ist nur der Bewegungsmelder." Ein leises Kichern entschlüpft ihr, sodass ich sie verlegen angrinse und zu meiner Verteidigung murmle „Weiß ich doch." Amy schließt das Tor auf und betritt, gefolgt von mir, den gepflasterten dahinterliegenden Hof. 

Wird sie mich jetzt ihren Eltern vorstellen? Die erleuchteten Fenster zeigen mir, dass zumindest einer der beiden Elternteile im Haus sein muss. Aber bin ich wirklich bereit dazu vollkommen in ihr Leben eingebunden zu werden? Ist sie sich bewusst was sie damit verursachen würde? Die Öffentlichkeit kann grausam sein, besonders wenn es um unbekannte Freundinnen geht. Das kann und will ich ihr nicht antun! 

Irritiert, doch auch erleichtert, verfolge ich wie Amy sich nach rechts wendet, anstelle auf die Haustür zuzusteuern. Mit großen Schritten hole ich zu ihr auf und frage zögernd „Wohin gehen wir?" Sie deutet auf einen im milden Grün gestrichenen Teil des Hauses und erwidert leise „Die meiste Zeit verbringe ich im Anbau, den haben mir meine Eltern zum dreizehnten Geburtstag geschenkt." Verdutzt äußere ich „Das wurde extra für dich gebaut?" 

„Mhm." Ihre langen Haare fallen ihr ins Gesicht, als sie mehrmals hintereinander leicht nickt. Ich unterdrücke mein Verlangen ihr eine Strähne hinter das linke Ohr zu streichen, indes sie einen Schlüsselbund aus ihrer Handtasche zieht und die Tür aufschließt. An der Klinke ziehend blickt sie mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an und meint merkwürdig schüchtern „Ich habe den Raum selbst eingerichtet." 

Ich entgegne ein verwirrtes Nicken und trete über die Türschwelle. Dunkelheit umfängt mich in dem Augenblick, als Amy die Tür hinter uns ins Schloss fallen lässt. Ihren Körper an meinem Rücken spürend schleicht sich eine Gänsehaut auf meine Haut und das bekannte Kribbeln dringt durch meinen Körper. 

„Du hast mir ein Versprechen gegeben. Lass mich zuerst alles erklären." Ihre Stimme, ein gehauchtes Flüstern, jagt mir den nächsten Schauer über den Rücken. Mit stark klopfendem Herzen nicke ich und bestätige „Ich halte mein Wort." Direkt nach meiner Äußerung durchflutet ein helles Licht den Raum und ich muss wiederholt blinzeln, um mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. 

Diesen Teil habe ich in zwei Kapitel geteilt, da es ansonsten zu lange geworden wäre. Deshalb auch der abrupte Schluss :-) Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und würde mich über einen Vote oder ein Kommentar sehr freuen ^-^

Meine Fragen an euch: 

- Hinterliegen Amys Lügen einem logischen Grund?  

- Was glaubt ihr wird Niall in dem Raum erwarten?


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