Teil 43 ( Michael )

Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen vor Erleichterung. Dann trat ich aus dem Schatten und antwortete hastig:„Ich bin Deutscher. Bitte lassen Sie mich herein!"

Die Tür öffnete sich einen weiteren Spaltbrei, eine junge Frau schaute mich mit großen Augen an, sah sich hektisch um und zog mich dann schnell in den Flur, bevor sie mit einem Ruck die Tür wieder schloss. Sofort umfing mich die angenehme Wärme eines gut beheizten Hauses.

„Was wollen Sie?", fragte mich die junge Frau und nervös zuckte ein Muskel in ihrem Gesicht.

Sie wirkte äußerst verängstigt, was ich ihr nicht verdenken konnte. Sicherlich bot ich keinen besonders vertrauenserweckenden Eindruck. Ich machte eine beruhigende Geste und lächelte sie so freundlich und harmlos an, wie ich konnte.

„Bitte haben Sie keine Angst. Ich suche nur für den Tag einen Platz, an dem ich mich verbergen kann."

Aus dem Nebenraum war ein Geräusch zu hören und ich zuckte zusammen, meine Hand umklammerte fest das Messer in der Jackentasche. Doch es war nur ein etwa vierjähriger Junge, den Daumen ängstlich in den Mund gesteckt, der plötzlich im Türrahmen erschien und sich an seine Mutter drängte.

„Bist du weggelaufen?", nuschelte er von der Sicherheit ihrer Beine aus und sah mich an.

„Ja...", bestätigte ich, „...vor dem Iwan" und log weiter:"Jetzt versuche ich, meine Einheit wieder zu finden."

Ich sah die Mutter, deren Gesicht blass und von Sorgen gekennzeichnet war, fragend an.

„Die sind schon seit Wochen weg", flüsterte sie. „Richtung Westen."

Das überraschte mich und ich fragte daher verblüfft:„Und warum sind Sie dann noch hier?"

Sie zog es vor, darauf nicht zu antworten und teilte mir mit einem leicht flehenden Ton mit:

„Bis heute Abend können Sie bleiben, dann müssen Sie aber fort."

Ich bekam ein schlechtes Gewissen darüber, dass ich ihr so viel Unbehagen verursachte, aber ich war wirklich auf einen Unterschlupf angewiesen. Vielleicht hatte sie mir den Zwiespalt vom Gesicht abgelesen, denn sie fügte nun etwas zuvorkommender hinzu:

„Sie haben bestimmt Hunger? Ich mache Ihnen etwas zu essen. Und wollen Sie sich vielleicht frisch machen?"

Ich sah an mir herunter, registrierte zum ersten Mal seit langem, wie verdreckt und zerrissen die Kleidung war, die ich trug, und brachte ein verlegenes „Ja, gern" heraus.

„Das Bad ist dort drüben. Wenn Sie ihre Schuhe hier...."

Sie stockte und sah auf den Rest dessen, was einmal ein Stiefel gewesen war, hinunter, schüttelte halb amüsiert, halb kritisch den Kopf.

„Die sind ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich gucke nachher mal, vielleicht finde ich etwas für Sie..." Sie fragte noch nach der Schuhgröße und deutete dann den Flur entlang, wo sich das Bad befinden sollte.

Als ich die Tür öffnete, blieb ich wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Das war ein Badezimmer! Es war mit modernstem Mobiliar ausgestattet und das Schönste: es gab eine Brause. Ich hielt mich nicht mit Gedanken daran auf, wie dieses teure Interieur zu Stande gekommen war, sondern riss mir rasch die durchnässte Kleidung vom Leib und ließ einen Schwall warmen Wassers auf mich niederbrausen.

Ich reckte mein Gesicht der Dusche entgegen und genoss das Gefühl der über meinen Körper rinnenden Wassertropfen. Wie lange hatte ich dies schon entbehrt! Warmer Wasserdampf hüllte mich ein und ließ mich für einen Moment alles Unheil und alle Beschwerlichkeiten vergessen. Ein Klopfen schreckte mich auf und ein kreischendes „Will aber nicht!", war zu hören. Anschließend öffnete sich auch schon die Tür und ich hatte gerade noch Zeit, mich wegzudrehen.

„Ich lege Ihnen hier ein Handtuch hin", vernahm ich die Stimme der hilfsbereiten Hausbewohnerin in meinem Rücken, dann spürte ich einen leichten Luftzug, hörte die Tür ins Schloss fallen und erkannte, dass sie das Badezimmer bereits wieder verlassen hatte. Nachdem ich mich mit der Seife ordentlich abgerieben hatte und längst wieder warm geworden war, stellte ich mit Bedauern die Dusche aus und wickelte mich in das bereit gelegte Handtuch.

Der Spiegel über dem Waschbecken war beschlagen. Ich wischte mit der Hand darüber, bis ich ein wenig erkennen konnte, und erschrak. Ein ausgezehrtes Gesicht blickte mir entgegen, die Wangen eingefallen, die Augen von dunklen Ringen umrahmt und mein Haar war unglaublich lang geworden. Ich sah ungemein wüst aus und ich fragte mich unwillkürlich, was Nadja an meinem Anblick gefunden hatte. Mit diesem ungepflegten Erscheinungsbild würde ich auf jeder Straße auffallen, deshalb war dringend Abhilfe geboten.

Unverfroren inspizierte ich darum die Schränke und entdeckte eine Nagelschere, mit deren Hilfe ich nicht nur meine Fingernägel, sondern auch die langen Haarsträhnen radikal kürzte. Sauber und hergerichtet fühlte ich mich wieder wie ein Mensch. Ich öffnete die Badezimmertür und der Schwall kühle Luft, der hereinwehte, hätte mich beinahe wieder in den warmen Raum zurück getrieben, doch ich wickelte mich fester in das Handtuch und begab mich auf die Suche nach meiner Gastgeberin.

Ein würziger Duft nach Bratkartoffeln stieg mir in die Nase und führte mich geradewegs in die Küche, wo sie am Herd mit der Pfanne hantierte. Ohne sich umzudrehen forderte sie mich auf, in die bereit gelegte Hose und das Hemd zu schlüpfen. Ich tat, wie mir geheißen und dann stellte sie mir unaufgefordert einen Teller hin und forderte mich auf zuzulangen. Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Das einfache Gericht schmeckte vorzüglich. Vielleicht war ich aber auch einfach nur froh, mal wieder etwas Warmes im Magen zu haben.

Ich sah meine Gastgeberin nachdenklich an und überlegte, warum sie wohl allein mit dem Kind hier geblieben war. Sie setzte sich ebenfalls an den Tisch und begann mich dann neugierig auszufragen, so dass ich ihr die erfundene Geschichte eines versprengten Soldaten präsentierte, der auf der Suche nach den eigenen Truppen war. Das erwies sich als überaus vorteilhaft, denn ich erfuhr so, wo die Front inzwischen verlief. Auch zeigte sie mir auf einer Karte, wo ich mich gerade befand.

Es war angenehm, mal wieder Deutsch zu hören, und ich war froh darüber, dass es mich hierher verschlagen hatte. Was ihre eigene Person betraf, blieb meine Gastgeberin jedoch ausgesprochen wortkarg. Als sie mir anbot, mich nun ein wenig hinzulegen und mir den Weg in das Schlafzimmer wies, schob ich jegliche Bedenken beiseite. Einladend stand ein weiches Bett vor mir und sobald ich mich auf die darüber gebreitete Tagesdecke fallen ließ, war ich auch schon eingeschlafen.

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