Teil 37
Die Tür öffnete sich und ich hörte Nadjas Stimme meinen Namen rufen, doch sie klang anders als sonst, aufgewühlt und verzweifelt. Ich kam hervor, warf einen Blick auf ihr Gesicht und sah sofort, dass etwas vorgefallen sein musste. Alarmiert kletterte ich die Leiter hinunter und sobald ich auf dem Boden angekommen war, warf sich Nadja mir in die Arme und fing bitterlich an zu schluchzen. Ich strich ihr sanft über das Haar und versuchte sie mit beruhigendem Tonfall zu trösten. Es musste etwas Schlimmes passiert sein, noch nie hatte ich sie so aufgelöst erlebt. Ob jemand von ihren Verwandten gestorben war?
Mein Blick fiel auf einen halb geöffneten Sack, den sie achtlos fallen gelassen hatte, und der seinen Inhalt offenbarte. Da verstand ich... und schluckte schwer. Meine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt und wortlos zog ich Nadja eng an mich. Sollte es jetzt vorbei sein? Das durfte, das konnte nicht sein! Verzweifelt vergrub ich meinen Kopf in ihrem Haar, während sich Nadja zitternd an mich klammerte und zwischendurch einige Sätze von sich gab, von denen ich nur das Wort „Partisanen" verstand.
So standen wir eine lange Weile eng umschlungen, bis Nadjas Tränen schließlich versiegten. Sie gab sich einen spürbaren Ruck, löste sich aus meinen Armen, nahm den Sack auf und kletterte die Leiter hoch. Ich folgte ihr, noch immer wie betäubt von der plötzlichen Entwicklung der Geschehnisse. Mit noch tränenfeuchtem Gesicht ergriff Nadja ein Stück des bemalten Papiers, radierte darauf und skizzierte dann einen groben Umriss der Ostsee und der polnischen und schlesischen Gebiete, wo sie markierte, wo sich gerade Gefechte befanden. Mit einem Pfeil wies sie auf ein Gebiet in Richtung Südwesten, das frei von Kampfhandlungen war.
Ich nahm ihr den Stift aus der Hand und zeichnete zwei Personen neben den Pfeil. Als ich sie daraufhin fragend ansah, löste sich eine einzelne Träne aus ihrem Auge, doch sie schüttelte langsam den Kopf und wischte sich die Träne mit dem Handrücken fort. Dann nahm sie den Stift in die Hand und zeichnete zwei Szenarien: in dem einen wurde eine einzelne Figur immer kleiner. In dem anderen gingen zwei Figuren fort und weitere Figuren erschienen, die von den Häusern aus in verschiedene Richtungen strebten. Schweren Herzens verstand ich, was Nadja mir sagen wollte: Ich allein konnte unbehelligt von dannen ziehen, denn keiner wusste von meiner Anwesenheit. Wenn sie jedoch verschwand, würde es Aufmerksamkeit erregen.
Nadja nahm sich ein neues Blatt Papier und zeichnete eine detaillierte Karte der Umgebung, auf der sie mir den Weg zeichnete, den ich gehen sollte. Immer tiefer drang in mein Bewusstsein, dass dies nun tatsächlich Abschied nehmen bedeutete. Ich sah nicht mehr auf die Karte, ich sah nur noch Nadja an, entschlossen, mir jede Geste, jede Bewegung einzuprägen. Dann blickte sie zu mir hoch, öffnete den Mund, hauchte erstickt „Mischa...„ und verstummte.
Ich blickte in ihre Augen und las darin eine so große Traurigkeit und solchen Schmerz, dass nun auch mir die Tränen kommen wollten. Rasch wandte ich daher meinen Blick der Karte zu. Der Weg führte in den Wald, kreuzte eine Bahnlinie und führte in großem Abstand an einigen Orten vorbei, deren Namen Nadja daneben geschrieben hatte. Mit dem Stift begann Nadja jetzt noch sich hinzuzufügen, die an einem gewissen Punkt im Wald kehrt machte und zurückging. Schließlich nahm sie ein drittes Blatt, schrieb darauf „Nadja = Nadjeschda und malte eine Wolke, in denen wir beide Hand in Hand zu sehen waren. Sie fügte ihre Adresse hinzu. Ich schrieb ihr meine Adresse auf, deutlich in Blockbuchstaben, und wortlos tauschten wir beide Zettel miteinander.
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