Teil 36

Wir waren gerade damit beschäftigt, die ersten Birnen zu ernten und ich lauschte träge der Unterhaltung meiner Cousinen, die zum Trinken eine kurze Pause eingelegt hatten. Als das Wort „Partisanen" fiel, horchte ich auf. Es gab in unserem Land viele Partisanen; die einen unterstützten die Sowjetunion, die anderen einen polnischen Staat und Weitere wiederum einen eigenen Staat Weißrussland. Nicht selten kamen sie sich dabei gegenseitig in die Quere. Während die einen die Eisenbahnlinien in den Westen zerstörten, um die Versorgung der deutschen Soldaten an der Front zu unterbinden, hatten andere mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet. Für die Zivilbevölkerung stellten sie alle eine Belastung dar, weil sie sich immer mal ungefragt Nahrungsmittel und Vieh bedienten.

„Alexandra Nikolajewna hat erzählt, dass sie sich bei ihren Verwandten einquartiert hatten und jetzt wieder auf dem Weg nach Osten sind", hörte ich Marina sagen.

„Aber das heißt, sie kommen bei uns vorbei!", rief Oksana erschrocken. „Was, wenn sie uns unsere Schweine und Hühner wegnehmen?"

Ich erschrak ebenfalls, aber nicht wegen der Tiere. Wenn die Partisanen kämen, dann würden sie womöglich nicht gleich weiter ziehen, sondern erst einmal unsere Häuser und Schuppen in Beschlag nehmen. Durch die Abgeschiedenheit unseres Hofes war er dafür prädestiniert, zum Unterschlupf für Partisanen zu werden. Und dass hieß, dass Mischa hier nicht mehr sicher sein würde, weder im Heuschober noch im Wald...

Wie mechanisch angelte ich nach den Birnen, während sich mein Gehirn weigerte, die Konsequenzen meiner Gedanken zu Ende zu denken. Was, wenn es gar nicht stimmte? Ich klammerte mich an den kleinen Hoffnungsschimmer, dass Marina falsch gehört hatte, dass die Partisanen nicht auf den Weg nach Osten, sondern nach Westen waren. Das war ohnehin viel logischer, schließlich wurde viel weiter westlich gekämpft, was wollten die Partisanen dann im Osten des Landes. Mit jedem weiteren Gedanken war ich überzeugter, dass es sich genauso verhalten musste: Marina hatte sich einfach verhört.

Mein Herzschlag beruhigte sich langsam wieder, ich stieg vom Baum herab und trat auf meine Cousinen zu.

„Das macht doch keinen Sinn, dass die Partisanen hierher kommen", kommentierte ich. „Hier wird doch gar nicht mehr gekämpft."

„Das habe ich auch sofort gefragt", erwiderte Marina, „Aber Alexandra Nikolajewna hat bestätigt, dass sie auf dem Weg nach Russland sind, wohl Waffen beschaffen, oder so."

Ich riss eschrocken die Augen auf und spürte, wie sich Panik meiner bemächtigte.

Marina versuchte mich zu beruhigen:„Keine Angst, Nadjuscha, denk daran, sie kämpfen gegen unsere Feinde. Wir werden ihnen geben, was sie brauchen, und dann werden sie uns auch in Ruhe lassen. Wir haben schon viel Schlimmeres mitgemacht."

Ich zwang mich, ruhig und tief zu atmen, denn ich durfte auf keinen Fall zusammenbrechen, sondern musste darüber nachdenken, was nun zu tun war. Mischa musste fort, das zumindest war klar. Und zwar ganz fort, denn selbst der nahe Wald würde nun besonders gefährlich sein. Ich lehnte mich gegen den Baumstamm und verschränkte die Arme vor der Brust, um sie am Zittern zu hindern. Verdammt, ich wollte nicht, dass er ging. So hatten wir nicht geplant gehabt...

Ich schloss kurz die Augen, blendete Oksanas und Marinas Unterhaltung aus und versuchte, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sollte ich ihn jetzt begleiten und genauso heimlich verschwinden wie Lena damals? Doch das konnte ich meiner Mutter unmöglich antun. Gequält schlug ich die Augen wieder auf und sah in die fragenden Gesichter meiner Cousinen.

„Du bist immer noch blass", stellte Marina fest. „Am besten gehst du ein Weilchen ins Haus."

Willig folgte ich ihrem Vorschlag und sobald ich von draußen nicht mehr gesehen werden konnte, schlich ich in die Wohnstube. In der Truhe, in der Mutter ihre Kleidung aufbewahrte, lagen unten noch immer einige Sachen meines Vaters. Mit einem Ohr auf Geräusche lauschend suchte ich vorsichtig Hemd und Hose heraus, dann sah ich mich suchend im Zimmer um. Hatte Mutter nicht auch noch Vaters Schuhe irgendwo stehen? Wir hatten nicht viele Möbel in der Wohnstube und so dauerte es nicht lange, bis ich mir eingestehen musste, dass hier nichts weiter zu finden war. Doch ich war mir fast sicher, dass sie die Schuhe nicht fortgegeben hatte.

Ich brachte die Kleidung in mein Zimmer und versteckte sie in einer Decke, anschließend ging ich in den Keller, wo unsere Vorräte lagerten. Hinter den Regalen in einer Ecke entdeckte ich tatsächlich noch ein Paar Schuhe, das genügen musste und vorsichtig schlich ich mich damit wieder in mein Zimmer und verbarg sie ebenfalls in der Decke. Es war keine Zeit zu verlieren, die Partisanen konnten schon morgen hier sein. Meine Gedanken arbeiteten fieberhaft: Mischa würde noch Essen brauchen und eine Wasserflasche, das würde ich heute Abend organisieren. Allmählich wurde es Zeit, in den Garten zurückzukehren, und mit erzwungener Ruhe nahm ich meine Tätigkeit wieder auf und konzentriert mich ganz auf die Arbeit, um an nichts anderes denken zu müssen.

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