Teil 27
Das Erste, was ich nach dem Erwachen spürte, waren ein paar zarte Berührungen an der Wange, und ich lächelte mit geschlossenen Augen. Doch dann wurde ich sanft gerüttelt und öffnete daher widerwillig die Augen. Das herein flutende Licht versetzte mir einen gehörigen Schreck, der mich sofort hellwach machte. Ich hatte verschlafen! Ich erblicke Michaels Gesicht vor mir, der mich angespannt ansah und einen Finger vor die Lippen hielt.
Dann hörte ich Stimmen, die meinen Namen riefen. Ich geriet in Panik, da ich nicht mehr die Möglichkeit hatte, unentdeckt ins Haus zu gelangen. Sie suchten bereits nach mir und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auch hier nachschauen würden. Mühsam versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich musste unbedingt vor Ihnen zum Stall kommen, dann konnte ich so tun, als käme ich von dort.
Ich richtete in aller Eile meine Kleidung, gab Michael einen flüchtigen Kuss und kletterte gehetzt die Leiter hinunter. Verstohlen schlüpfte ich durch die Tür, doch stellte sofort fest, dass ich zu spät dran war, denn ich sah gerade noch Tante Shenja im Stall verschwinden und zog mich deshalb zurück hinter die Ecke des Gebäudes. Was sollte ich tun? Es gab nur noch eine Möglichkeit, so absonderlich sie auch wirkte... Im Schatten des Heuschobers lief ich Richtung Waldrand, drehte mich dann um und ging dann gemächlich und deutlich sichtbar auf unser Haus zu, vor dem meine Mutter mit einem suchenden Blick stand.
„Nadja!" Sie hatte mich entdeckt und ich konnte erkennen, wie sich auf ihrem Gesicht Erleichterung und Ärger zugleich spiegelten. Mit schnellen Schritten kam sie mir entgegen und rief:
„Wo warst du?! Dein Bett war unberührt. Ich habe mir Sorgen gemacht!"
Sie war nun dicht vor mir und ich hätte schwören können, dass sie kurz davor war, mich in die Arme zu schließen. Doch sie blieb schließlich stehen und tat nichts dergleichen. Ich wusste auch nicht, ob ich es so gut gefunden hätte, es war nicht unsere Art.
„Ich... ich war heute Nacht im Stall geblieben. Bin bei Marianka eingeschlafen" phantasierte ich darauf los und fügte, bevor sie fragen konnte, hinzu:„Und als es dämmerte, bin ich noch mal kurz in den Wald hinüber, um ... äh ... ein paar frische Gräser zu holen." Ich merkte selbst, wie lahm das klang.
Mutters Stirn umwölkte sich und sie stieß hervor:„Du törichtes Ding! Ich will nicht, dass du in der Nacht oder im Morgengrauen allein in den Wald gehst. Oder zu sonst einer Zeit! Was kann dir da alles zustoßen!" Sie holte Atem und fuhr wütend fort:„Reicht es nicht, was unseren Nachbarn passiert ist? Musst du unbedingt das Glück herausfordern?"
Ich beschloss, sie nicht darauf aufmerksam zu machen, dass ich schon öfter in den Abenddämmerung im Wald gewesen war.
„Muss man dich etwa nachts einschließen, um dich im Haus zu halten?!" fuhr Mutter verärgert fort.
Ich erschrak, doch bevor ich noch reagieren konnte, verpasste sie mir eine schallende Ohrfeige. Mein Ohr brannte, doch ich riss mich mit eisernem Willen zusammen, um eine aggressive Entgegnung zu vermeiden. Aus den Augenwinkeln sah ich Tante Shenja den Stall verlassen und auf uns zugehen. Mit Mühe presste ich ein demütiges „Entschuldigung" hervor.
„Das ist dir hoffentlich eine Lehre", zischte meine Mutter, wandte sich um und ging Tante Shenja entgegen.
Ich atmete langsam aus. Wie ich sie in diesem Moment hasste! Aber die Gefahr schien zumindest gebannt. Ich würde in Zukunft eben äußerste Vorsicht an den Tag legen müssen.
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