Teil 24
Ich erzählte mein Leben in Bildern und verzweifelte unzählige Male, weil ich mit dem Stift nicht ausdrücken konnte, was ich wirklich gesehen und was ich empfunden hatte. Ich konnte rudimentäre Gefühle zeichnen, aber keine Nuancen davon. Ich versuchte Mischa das Leben auf dem Bauernhof nahe zu bringen, doch die landwirtschaftlichen Geräte und Nutztiere hatten nur wenig Ähnlichkeit mit dem Original. Und dass ich einmal beim Kräuter pflücken unkonzentriert mitten in einen Bund Brennnesseln gefasst hatte, konnte ich nicht darstellen, weil die Pflanzen mehr oder weniger gleich aussahen. Aber Mischa war geduldig, nahm mich tröstend in den Arm und drang mit seinen gezeichneten Nachfragen zum Kern meiner Erzählungen vor. Und so gelang es mir dann doch irgendwie, glaube ich, den Widerwillen, den ich an der Landwirtschaft empfand, mitzuteilen und die mit mir lebenden Familienmitglieder zu charakterisieren und ein Bild von meinem Leben zu entwickeln.
Wenn er dann anfing, seine Erlebnisse bis in das kleinste Detail zu skizzieren, betrachtete ich die Zeichnungen aufmerksam und sah dabei sein bisheriges Leben auf dem Papier entstehen, ein offenbar beneidenswertes sorgloses Leben, das zum großen Teil geprägt war von Schule und Unternehmungen mit Freunden, in denen aber die Jugendjahre zunehmenden Unwillen abbildeten, weil nicht mehr genug Zeit für das Malen blieb. Und ich konnte hier deutlich erkennen, welche Bedeutung diese Fähigkeit in seinem Leben hatte, denn er wirkte in diesen Momenten völlig in sich ruhend und strahlte bei jeder Handbewegung eine ungeheure Zufriedenheit aus.
Ich erfuhr so, dass Mischa vor zwei Jahre die Schule beendet hatte, aber das gewünschte Studium wegen des Krieges nicht hatte aufnehmen können. Zum weiteren Verlauf seines Lebens schwieg er sich aus – und ich hütete mich davor, nachzufragen. Mir reichte die Information, dass er seitdem an der Front auf sowjetischen Boden gewesen war, um zu wissen, dass ich nicht mehr erfahren wollte. Aber wir erzählten uns von unseren Zukunftsträumen: eines Tages würde ich in die Stadt gehen und Ärztin werden.
Als die Reihe an Mischa war, sah ich ihn zögern – dann zeichnete er sich selbst mit einer großen Gedankenblase, darin eine Hand mit Pinsel, Malfarben und Staffelei und vielen Bildern in kostbaren Rahmen. Verstohlen warf er mir einen Blick zu, der seine Unsicherheit nur schlecht verhehlte. Das überraschte mich, denn so hatte ich ihn noch nicht erlebt, im Gegenteil, er strahlte stets ein enormes Selbstbewusstsein aus, was angesichts seiner Situation hier ja durchaus nicht selbstverständlich war. Aber ich konnte sein Ziel, Künstler zu werden, gut verstehen, denn seine Zeichnungen waren unglaublich detailreich und lebendig. Und mit welcher Leichtigkeit er den Stift über das Papier führte, ohne kaum einmal zu zögern. Er hatte wirklich Talent und ich zweifelte daher nicht daran, dass er damit einmal erfolgreich sein konnte.
Ich antwortete deshalb mit einem zuversichtlichen Lächeln und sagte fröhlich:„Du kannst gleich einmal mit mir anfangen."
Mit Gesten gab ich ihm zu verstehen, dass er mich zeichnen sollte und setzte mich in Positur. Mischa grinste und nahm erst ein paar Korrekturen an meiner Haltung vor, dann war nur noch das Schaben des Bleistiftes auf dem Papier zu hören. Immer wieder hob er den Kopf, warf einen konzentrierten Blick auf mein Gesicht, um daraufhin weiter zu zeichnen. Zwischendurch fiel ihm das lang gewordene blonde Haar in die Stirn, dass er in einer automatischen Bewegung fortstrich.
Nach einiger Zeit müde geworden senkte ich meinen Kopf ein wenig, worauf Mischa sofort protestierte und mir scherzhaft mit dem Finger drohte.
„Ich hätte nicht gedacht, dass Model sitzen so anstrengend sein kann", erwiderte ich und hauchte ihm einen Kuss zu. Mischa lächelte nur und fuhr mit dem Zeichnen fort. Schließlich bemerkte ich, dass sein gelegentlicher Blick nun nicht mehr auf meinem Gesicht ruhte, offenbar hatte er diesen Teil abgeschlossen. Das brachte mich auf eine Idee. Unbemerkt öffnete ich die Knöpfe meiner Leinenbluse und zog sie aus. Mischa stutzte, als er erneut den Kopf hob, ließ dann seinen Blick langsam über meinen Körper wandern, ohne Anstalten zu machen, das Bild fortzusetzen. Ich stand auf und ließ betont langsam meinen Rock zu Boden gleiten. Ein hungriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, als er mit den Augen meinen Bewegungen folgte, und nach wenigen Schritten war ich bei ihm und warf mich übermütig in seinen Arm. Der plötzliche Gedanke, dass ich mich möglicherweise zu draufgängerisch benahm, ließ mich einen Moment inne halten. Doch schon suchte sein Mund den meinen und während des sich anschließenden leidenschaftlichen Kusses vergaß ich alle tugendhaften Gedanken.
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