Teil 13

Tag 5, noch später

Ich hatte mich noch nie im Leben so gedemütigt gefühlt. Ich wusste nicht, wo es hinging, schwitzte Blut und Wasser, weil ich auf einem verhassten Pferd saß, meine Beine zitterten ob der Anstrengung, nicht herunter zu fallen, und mein linker Arm schmerzte wie Hölle. Ich wünschte mich weit weg, zurück nach Hause, in eine Zeit ohne Krieg, in der ich nicht hätte Soldat werden müssen, sondern Kunst hätte studieren können. Stattdessen befand ich mich in einem fremden Land in der Gewalt von Feinden, ohne eine Ahnung zu haben, was mich erwartete. Als sich das Pferd wieder in Bewegung setzte, öffnete ich meine Augen und hob den Kopf. Nadja führte das Pferd durch den immer dunkler werdenden Wald, die Sicherheit, mit der sie den Pfad oder was immer es war, entlang ging, ließ darauf schließen, dass ihr die Strecke vertraut war. Sträucher und Blätter strichen an meinen Beinen entlang und irgendetwas hinterließ einen brennenden Kratzer an meinem Fuß. Der Geruch des Pferdes stieg mir in die Nase, so dass ich das Gesicht verzog.

Ich hasste Pferde, seitdem ich etwa zehn Jahre alt war, genauer gesagt, ich hasste es, ihnen nahe zu sein, nachdem ich damals auf die bescheuerte Idee gekommen war, vom Zaun auf den braunen Hengst zu steigen, der am Rande unseres Ortes seine Koppel hatte. Es war eine Wette zwischen mir und Karl gewesen. In meinem kindlichen Leichtsinn hatte ich draufgängerisch behauptet, jedes Pferd reiten zu können, selbst den wilden Braunen, der oft mit wehender Mähne über die Weide tobte, ohne einen Moment darüber nachzudenken, dass ich nur einmal im Urlaub auf einem nahe gelegenen Bauernhof auf einem alten gemütlichen Ackergaul gesessen hatte. Aber der Wettanreiz war auch zu verlockend gewesen: ein ganzes Album voller Briefmarken aus aller Welt, die Karl mit Inbrunst gesammelt hatte und um das ich ihn glühend beneidet hatte.

Karl hatte den Braunen mit einigen Zuckerstückchen an den Zaun gelockt und ich war geschwind auf seinen Rücken geglitten. Es hatte nicht lange gedauert und das Pferd hatte den Kopf zwischen die Vorderbeine gesteckt, nach hinten ausgekeilt mich dadurch in hohem Bogen auf die Wiese geworfen. Dann hatte es sich mit wirbelnden Hufen über mir aufgebäumt, doch in dem Moment, als ich mein letztes Stündlein geschlagen wähnte, hatte es sich schließlich von selbst abgewandt. Zum Glück hatte ich mir daher nur den Stolz verletzt und außer ein paar blauen Flecken nichts weiter abbekommen, aber ich hatte mir danach geschworen, nie wieder auf ein Pferd zu steigen. Nicht, dass ich hier überhaupt eine Wahl gehabt hätte.

Ich stellte fest, dass wir inzwischen am Waldrand angekommen waren und gewahrte den sternenklaren Himmel über mir, denn ohne die Bäume war es bedeutend heller. Ein kleines Stück von uns entfernt konnte ich Häuser erkennen. Mir wurde unverzüglich klar, dass jegliche Fluchtgedanken, die ich noch vor kurzem hätte gehabt haben können, hiermit unweigerlich zum Scheitern verurteilt waren, denn hier war offenbar der Beginn eines Dorfes und wahrscheinlich wollte sie mich der lokalen Obrigkeit oder ähnlichem übergeben.

Entsetzt erkannte ich meine Chancenlosigkeit: Mein linker Arm war verletzt und kampfunfähig und mein rechter Arm immobilisiert... Erneut durchfuhr mich glühendheiß die Wut darüber, so reingelegt worden zu sein. Von einem Mädchen! Scheißrussen! Wie hatte ich diesem Pack bloß Vertrauen schenken können?! Unerwartet blieb das Pferd plötzlich stehen und Nadja löste das Seil vom Kopf des Pferdes und bedeutete mir, abzusteigen. Die Gedanken rasten mir durch den Kopf. Was sollte ich tun? Wenn ich nur reiten könnte...

Abrupt ging das Pferd in die Knie, so dass ich beinahe herunter fiel und Nadja fasste mein rechtes Bein, um es über den Pferderücken zu schieben. „Das hättest du wohl gern", dachte ich sarkastisch und der Zorn, der noch immer in mir schwelte, brach sich Bahn. Mit einem Ruck riss ich mein Bein fort und stieß sie dann grob mit dem Fuß zu Boden, so dass sie einen Schmerzensschrei von sich gab. Mein Moment der Genugtuung währte jedoch nicht lange und es dauerte nur einen Moment, bis sie sich aufgerappelt hatte und mir wortlos eine schallende Backpfeife verpasste. Meine Wange brannte. Widerwillig musste ich mir eingestehen, dass mir mein Widerstand nichts gebracht hatte, es war Zeit, zumindest meine Würde zurück zu erlangen.

Verärgert über meine Hilflosigkeit in dieser Situation schwang ich mein Bein über den Pferderücken, bis mein Fuß den Boden berührte. Als ich jedoch mein Gewicht auf beide Füße verlagern wollte, sackte ich beinahe zu Boden, denn die lange zur Untätigkeit verdammten Beinmuskeln brachten nichts mehr fertig. Ich biss die Zähne zusammen, stützte mich mit der Hand am Pferd ab und hielt mich mit äußerster Willenskraft aufrecht.

Nadja bedachte mich, wie mir schien, mit einem spöttischen Blick und wies dann zornig funkelnd Richtung Ecke des Schuppens, an dem wir uns befanden. Mir war längst klar, dass Gehen ein Ding der Unmöglichkeit sein würde, aber da ich ohnehin keine Möglichkeit hatte, das verbal zu vermitteln, löste ich meinen Halt, tat wunschgemäß einen Schritt und sank entkräftet zu Boden. „Verfluchter Mist!", fuhr es mir durch den Kopf, weil ich durch den blöden Ritt und meine generell noch schwache Konstitution völlig erledigt war. Am liebsten wäre ich hier und jetzt einfach liegen geblieben, um der Dinge zu harren, die mich erwarteten.

„Dawai, dawai", zischte Nadja, beugte sich hinab und legte mit einem widerwilligen Gesichtsausdruck meine Hand auf ihre Schulter.

Irgendetwas in ihrer drängenden Stimme, ein leiser Ton der Verzweiflung, drang zu mir durch. Ich stützte mich auf ihre Schulter, holte tief Luft und zog mich hoch, die Entschlossenheit, mir hier keine Blöße zu geben, gab mir Kraft. Die Muskeln meiner Beine zitterten, als ich einen Schritt tat. Und noch einen. Dann waren wir an der Ecke und ein paar Meter entfernt konnte ich eine Tür ausmachen.

„Dawai!", drängte Nadja wieder und unter Aufbietung all meiner letzten Kräfte gelang es mir irgendwie, die Distanz zu bewältigen, so dass ich mich schließlich in einem Schuppen wiederfand, wo ich mich völlig erschöpft zu Boden fallen ließ. Nadja ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Ich legte den Kopf auf den Boden. Mir war nun alles egal.

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Nachdem ich Marianka in den Stall gebracht hatte, kehrte ich zum Heuschober zurück, doch vor der Tür blieb ich zögernd stehen. Ich gab es nicht gerne zu, aber ich hatte Angst. Was erwartete mich im Heuschober? Würde Michael mich angreifen? Er hatte mir einen Tritt versetzt, und trotz seines geschwächten Zustandes hatte es ordentlich weh getan. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn er im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen wäre. Doch wenn ich jetzt nicht den Mut aufbrachte, wäre der ganze Aufwand umsonst gewesen. Ich gab mir daher einen Ruck, schob vorsichtig die Tür auf und starrte hinein, bis sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten.

Michael lag mit leicht erhöhtem Oberkörper im Heu und sein Kopf fuhr hoch, als ich eintrat, aber den Ausdruck auf seinem Gesicht konnte ich im Dunkeln nicht erkennen, es schien aber nicht so, als wäre er in der Lage, sich auf mich zu stürzen. Ich war erschöpft und todmüde und verfluchte meine bescheuerte Idee, ihn hierher zu bringen, doch nun musste ich zu Ende bringen, was ich begonnen hatte.

Ich ging zur Waschschüssel hinüber, die noch aus Zeiten stammte, als das Gebäude ebenfalls einen Stall beherbergt hatte, pumpte Wasser in einen Becher und trank durstig. Widerstrebend füllte ich ihn erneut und ging zurück zu Michael, dabei einen Sicherheitsabstand einhaltend.

„Hier hast du was zu trinken", sagte ich in harschem Tonfall.

Er ignorierte meinen Blick, aber nahm den Becher und trank gierig. Mein Plan war gewesen, Michael auf dem Heuboden unterzubringen, allerdings erschien der Gedanke aufgrund der damit verbundenen Schwierigkeiten jetzt kaum realisierbar und ich fragte mich, ob er nicht stattdessen doch hier unten bleiben könnte. Allerdings bestand dann die Gefahr, dass jemand zum Heu holen kam und ihn entdeckte... Dann wäre der ganze heutige Aufwand und Ärger für nichts gewesen. Ich seufzte, denn das war irgendwie keine Option.

Ich schaute die Leiter hinauf und mein Blick blieb an dem Pfosten hängen, der die Decke stützte. Ich überlegte... wenn ich voraus ging, das Seil dort herum wand, und ihn dann mit dem Seil beim Hochklettern absicherte... Ich betrachtete Michael prüfend. Er hatte sich ein wenig aufgerichtet, lehnte schief an der Wand, den verletzten Arm auf einem Heuballen abgelegt, und sah nun unverkennbar zornig in meine Richtung. Nervös hielt ich seinem Blick stand. Für einen Moment sahen wir uns abschätzend an. Ich zweifelte daran, dass er noch genügend Kraft hatte, mit nur einer Hand als Halt die Leiter hochzuklettern. Aber es gab keine Alternative, wir mussten es versuchen.

Das hieß, ich musste Michael irgendwie anseilen. Nach den Erfahrungen von vorhin legte ich nicht mehr viel Wert darauf, ihm nahe zu kommen. Erneut bedauerte ich sehr, dass wir uns nicht verständigen konnten, und er daher vermutlich das Schlimmste von mir annahm. Mit Gesten versuchte ich, Michael meinen Plan zu schildern. Er sah kurz zum Heuboden empor, dann wurde sein Blich ausdruckslos und ich fragte mich, ob er verstanden hatte, was ich von ihm wollte.

Das Herz klopfte mir bis zum Halse, doch ich nahm meinen Mut zusammen und berührte vorsichtig seine rechte Hand, ständig damit rechnend, dass er versuchen würde, mir einen Schlag zu versetzen. Doch er schloss nur die Augen und blieb bewegungslos sitzen, darum lockerte ich das Seil an seinem Handgelenk und entfernte es, anschließend formte ich eine große Schlaufe und ließ sie langsam über Michaels Schultern gleiten. Er zeigte auch keine Regung, als ich seine Arme leicht anhob, um das Seil um seine Hüfte zu legen und zu straffen. Ich kam dabei nicht umhin, ihn zu berühren, was mein Herz sofort schneller schlagen ließ. Mein Gott, was war sein Körper attraktiv.... Peinlich berührt von diesen Gedanken zog ich meine Hand fort.

Dann kletterte ich flink mit dem Seil die Leiter hoch, legte es um den Balken, verkürzte es, bis es auf Spannung war und hielt es gut fest.

„Komm!", rief ich ihm zu.

Michael öffnete die Augen, blickte auf die Leiter, dann hoch zum Dachboden und zog sich langsam in den Stand. Das Seil lockerte sich, als er auf die erste Sprosse trat und ich fasste es kürzer, um es wieder zu straffen. Das Klettern dauerte eine gefühlte Ewigkeit, aber es funktionierte. Michael lehnte seine linke Seite an die Leiter, wenn er mit der rechten Hand den Griff wechselte und ich war froh darüber, dass die Leiter ein wenig schräg stand.

Schweißperlen standen auf seiner Stirn, aber sein Gesicht spiegelte Entschlossenheit wider. Er war fast oben, als er seinen Körper in dem Bemühen, einen Halt für seine rechte Hand zu finden, etwas drehte und dabei mit den Füßen von der Sprosse rutschte. Ein Ruck ging durch das Seil und ich hielt mit all meiner Kraft fest. Michael fluchte laut und pendelte etwas hin und her, bis er mit der Hand einen Halt fand und auch seine Füße wieder auf einer Sprosse abstellen konnte. Dann kniete er sich auf die Kante, krabbelte von der Leiter fort und ließ sich ins Heu fallen.

Erleichtert ließ ich das Seil fallen, meine Hände waren schweißnass und meine Arme zitterten nach dieser Anstrengung. So ließ auch ich mich ins Heu sinken und atmete ein paar Mal tief durch. Ich hatte genug für heute, wollte nur ab ins Bett und noch ein paar Stunden Schlaf ergattern, bevor der Morgen anbrach. Ohne noch irgendetwas zu tun oder zu sagen, kletterte ich todmüde die Leiter hinunter und verließ den Heuschober.

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