Kapitel 119 ( Nadja )
Ich hatte meinen Kopf auf Mischas Brust gelegt und lauschte seinem sich wieder verlangsamenden Atem.
„Du hast Stroh im Haar", stellte Mischa fest und grinste:„Sieht aus, als hättest du dich im Heu herumgetrieben."
„Da hielt ich mich schon immer am liebsten auf", erwiderte ich träge.
„Das glaube ich gern", gab mir Mischa Recht und ich spürte seine Brust beben, als er leise lachte.
Dann zupfte er mir die Halme aus den Haaren. Es war so gemütlich... doch wir konnten hier nicht ewig bleiben. Ich schaute hinaus, aber es war schwer, den Stand der Sonne und damit die Tageszeit zu erkennen.
„Wie spät ist es?", fragte ich Mischa und zog seinen Arm an mich heran, um auf die Armbanduhr zu schauen.
Es war kurz nach vier Uhr nachmittags. Seufzend richtete ich mich auf.
„Wir müssen los", sagte ich bedauernd, „Schließlich wollen wir hier nicht übernachten."
„Willst du mich nicht deiner Mutter und den anderen vorstellen?", fragte Mischa, während er noch ein wenig die Behaglichkeit des Strohlagers auskostete.
„Glaub mir, das willst du gar nicht", wehrte ich ab und zog eine Grimasse. Warum konnten sie nicht so sein wie Olga und Boris? „Komm."
Ich stand auf und zog meine Kleidung wieder an. Dann verwischten wir mehr schlecht als recht die Spuren, die verrieten, dass sich hier oben jemand aufgehalten hatte. Ich öffnete vorsichtig die Tür und schaute hinaus. Niemand war zu sehen und wir rannten über die Wiese zum Wald. Plötzlich geriet mein Fuß in eine Kuhle und ich stolperte und fiel auf dem Boden. Ein jäher Schmerz durchfuhr mich. Mischa kehrte um und reichte mir die Hand, um mich hochzuziehen. In diesem Augenblick sah ich jemandem vom Haus herüber kommen. Marina.
In verärgertem Ton rief sie laut:„Stehenbleiben!" und kam auf uns zu.
Sie hatte mich offenbar noch nicht erkannt. Sollten wir zurück zum Wald laufen oder sollten wir unseren Besuch jetzt offiziell machen? Die Schnelligkeit, in der Marina bei uns war, enthob mich einer Entscheidung. Ihre Augen wurden groß, als sie mich so unerwartet vor sich stehen sah.
„Nadja, du???", brachte sie verdutzt heraus. Dann glitt ihr Blick zu Mischa hinüber. „Und wer ist das?"
Ich räusperte mich und antworte leichthin: „Ich bin gerade bei Oksana zu Besuch. Und wollte deshalb mal bei euch vorbeischauen. Das hier ist übrigens Milas Vater."
Nervös beobachtete ich Marinas Gesichtsausdruck, der in verblüffender Geschwindigkeit von Erstaunen zu Wut wechselte, als ihr klar wurde, wen sie vor sich hatte.
Mit zusammengekniffenen Augen schrie sie: „Ich will hier keine Faschisten sehen! Nie mehr!"
„Marina, das ist doch fast 20 Jahre her", versuchte ich sie zu beruhigen und machte einen Schritt auf sie zu, während sie gleichzeitig zurückwich, als hätte ich etwas Ansteckendes.
Sie reagierte auch nicht auf meine Worte, sondern starrte Mischa mit wutverzerrtem Gesicht an, hob drohend ihre Faust und schleuderte ihm in schriller Stimme entgegen: „Ihr habt meinen Mann zum Krüppel gemacht! Verschwinde von hier, Faschistenschwein, bevor ich mit einer Waffe wiederkehre. Und glaube mir, ich weiß sie zu gebrauchen!"
Die Intensität ihres Hasses erschreckte mich und ich zweifelte nicht daran, dass sie ihre Drohung wahrmachen würde.
„Komm, wir gehen", sagte ich mühsam beherrscht zu Mischa und zog ihn fort.
Widerstrebend folgte er mir. Mir war, als säße ein Berg auf meiner Brust und erschwerte mir das Atmen. Langsam gingen wir auf den Wald zu und als ich mich ab und zu umdrehte, sah ich Marina uns die ganze Zeit mit ihrem Blick folgen.
Im Schutz der Bäume stoppte Mischa, zog mich in die Arme und fragte mit besorgtem Ton:„Was ist los, was hat sie gesagt?"
„Es ist nichts", quetschte ich heraus und entwand mich ihm. Mischa fasste mit festem Griff mein Handgelenk und hielt mich auf. „Lüg nicht", sagte er ruhig, „ich sehe, dass es dich aufgeregt hat."
Und wie es das hatte! Deshalb kämpfte ich mit meiner Beherrschung. Und außerdem mussten wir so schnell wie möglich fort von hier, es war weder der Moment noch der Ort für lange Erklärungen. Außerdem hatte ich absolut keine Lust, das Gehörte widerzugeben.
„Lass mich!", versetzte ich daher schärfer als beabsichtigt. Ich sah Mischas Gesichtsausdruck an, dass ihn das verletzt hatte. Er ließ meine Hand los und folgte mir schweigend zum Pferd. Was für ein schreckliches Ende eines schönen Tages.
Es dauerte, bis ich mich beruhigt hatte und schließlich anhielt. Wir rutschten vom Pferd und ich beschloss, mich für meine impulsive Reaktion zu entschuldigen und versuchte, in Mischas Gesicht zu lesen, doch es verriet nichts über seinen derzeitigen Gemütszustand.
„Es tut mir leid, dass ich vorhin so kurz angebunden war", gab ich verlegen von mir und legte ihm Abbitte leistend die Hand auf die Schulter. „Es hatte mich geärgert, was Marina gesagt hatte."
„Geärgert?" Mischa zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf „Du warst aufgewühlt. Wieso?"
„Ich war nicht aufgewühlt!", widersprach ich, „Sie hat einfach etwas Dummes gesagt."
„Sei doch nicht immer so verdammt unabhängig", fluchte Mischa verärgert und trat ein paar Schritte von mir fort zur Seite, von wo aus er mich herausfordernd ansah.
Ich seufzte resigniert:„Sie hat dich beleidigt. Und mit Gewalt gedroht."
„Ich kann selbst auf mich aufpassen, Nadja!", gab er zurück und sah nun wirklich sauer aus.
„Dann mach doch", erwiderte ich hitzig ohne nachzudenken, schwang mich auf das Pferd und ritt aufgebracht davon.
Nach ein paar Minuten stoppte ich und reflektierte, was ich gesagt hatte. Wieso konnte ich mich nur nicht zurückhalten? Mein Zorn verrauchte so rasch, wie er aufgeflammt war und ich wendete und ritt den Weg zurück, den ich gekommen war. Schon von weitem entdeckte ich Mischa, sprang vom Pferd und ging ihm nervös entgegen. Sein Gesichtsausdruck war finster.
Ich hob die Hände in einer Geste des Ergebens und rief zerknirscht: „Ich rede leider schneller, als ich denken kann. Entschuldige!"
Mischa quittierte meine Entschuldigung mit Schweigen. Nervös bis ich mir auf die Lippen.
„Wie gut, dass wir uns einst ohne Worte kennengelernt haben", kommentierte er schließlich trocken, aber ich sah es um seine Mundwinkel zucken.
„Freunde?", fragte ich und streckte ihm als Friedensangebot die Hand entgegen. Mischa schüttelte den Kopf – ich erstarrte – und zog mich dann an sich. „Hoffentlich mehr als das", befand er und gab mir einen langen Kuss.
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