Kapitel 110 ( Nadja )

„Bist_du_blöd?!", fragte Sascha fassungslos, jedes Wort mit einer langen Pause versehend, als wir uns nach meiner Berlin-Reise trafen und ich ihr insbesondere die Treffen mit Mischa in allen Einzelheiten schilderte.

Sie schüttelte verständnislos ihren Lockenkopf. „Wie konntest du nur ablehnen! Im Westen zu leben, das wäre ein Traum. Ich hätte sofort >ja< gesagt." Sie blickte träumerisch an die Decke. „Alles zu essen, was man sich nur wünschen kann, schicke Autos, Pariser Chic...."

Davon wollte ich nun nichts hören und gab ihr einen freundschaftlichen Knuff, der etwas kräftiger als geplant ausfiel. Sascha gab ein empörtes „Heh!" von sich und rieb sich übertrieben die Seite. Zumindest hatte sie mit der Schwärmerei aufgehört, ich wollte gar nicht darüber nachdenken, welche Möglichkeiten ich mir mit meiner impulsiven Reaktion beraubt hatte. Doch ich stand zu meiner Entscheidung...meistens jedenfalls.

„Es wäre sowieso nicht gegangen. Man kann nicht so einfach in ein fremdes Land einwandern", äußerte ich nüchtern.

„Das!", entgegnete Sascha und richtete ihren Zeigefinger auf mich, „weiß man erst, wenn man es versucht hat."

„Und ich kann Mila nicht aus ihrem Leben hier herausreißen. Sie hat hier alles, was sie braucht und liebt", fuhr ich entschlossen fort.

Sascha verdrehte die Augen. „Mila ist, wie alt jetzt? 18? 19? Hast du sie überhaupt gefragt?"

Ich musste zugeben, dass ich das nicht getan hatte. Sascha seufzte abgrundtief, wie man es bei einem Kind tut, das einfach nicht begreifen will, was das Richtige ist.

„Mach mir nichts vor, Nadjenka." Sie legte die Hände flach auf den Tisch und sah mich mit leicht gerunzelter Stirn an. „Es geht hier nicht um Mila. Es geht um dich."

Womit sie natürlich Recht hatte, ich konnte ihr nichts vormachen.

„Ja, verdammt, es geht um mich", brach es aus mir heraus. „Ich kann nicht in Deutschland leben, wo ich nur das Anhängsel eines Mannes wäre. Wo ich den ganzen Tag zu Hause säße, um auf seine Rückkehr zu warten. Wo ich meinen geliebten Beruf nicht ausüben könnte!"

Mit wachsender Erregung fuhr ich fort:„Ich habe nicht all die Jahre gelitten und geschuftet und gekämpft, um alles, was ich mir aufgebaut habe, plötzlich aufzugeben." Das Schluchzen saß mir in der Kehle, als ich hinzufügte: „Auch nicht für den Mann, den ich liebe. Ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht!"

Verzweiflung machte sich in mir breit. Die Entscheidung für das eine war eine Entscheidung gegen das andere. Und umgekehrt. Ich jedoch wollte beides...Sascha legte den Arm um mich und nickte wissend:

„Ich verstehe schon. Keine Entscheidung im Leben ist leicht. Und die meisten Entscheidungen haben immer auch eine Kehrseite", sagte sie verständnisvoll.

Für einen Moment schwiegen wir, dann rief sie scherzhaft aus:„Ist das Angebot nicht übertragbar? Vielleicht könnte ich es wahrnehmen...ach ne, das geht ja nicht, ich habe ja schon einen Mann."

Sie guckte so zerknirscht, dass ich laut lachen musste. Doch in mir drinnen haderte ich damit, dass mir das Schicksal immer Knüppel zwischen die Beine werfen zu schien. Warum konnte es nicht mal einfach sein?

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