Stärke bedeutet, zu seinen Schwächen zu stehen.

Kapitel 9
Stärke bedeutet, zu seinen Schwächen zu stehen.


Taehyung

In gleichmäßig, ruhigen Wellen schwappte das Meer an den Strand, während ich entspannt auf das glitzernde Wasser sah. Meine Hände zwischen meine Oberschenkel geschoben, saß ich im feuchten Sand, während eine leichte Brise meine Haare zerzauste.
Genießend sog ich die frische Luft des Meeres ein und schloss die Augen.
So musste sich Freiheit anfühlen.
Vor mir erstreckte sich bis zum Horizont das tiefblaue Meer und um mich herum war keine Menschenseele. Mein Herzschlag verlangsamte sich, meine wirren Gedanken ruhten und ich vergaß für einen Moment all meine Sorgen.

„Wie geht es dir?" Träge drehte ich meinen Kopf in Jungkooks Richtung, der entspannt neben mir saß und mich eingehend musterte. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen und ich nickte unmerklich. „Gut", antwortete ich einsilbig und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. „Besser auf jeden Fall."
„Schön", sagte er leise und hauchte einen Kuss auf meine Schläfe. Es waren keine weiteren Worte nötig und wir blickten gemeinsam auf das glitzernde Meer hinaus. Gähnend versteckte ich mein Kinn hinter meinem Schal und brummte zufrieden. Wir waren heute morgen extra früh losgefahren und mittlerweile stand die Sonne hoch am Himmel. Warm war mir allerdings trotzdem nicht, weshalb ich zusätzlich noch eine dicke Jacke trug. Ich hasste es, dass mein Körper sich nicht mehr selbst erwärmen konnte.

„Lass uns ein Stück gehen", schlug Jungkook nach einiger Zeit vor und riss mich damit aus meinem leichten Dämmerschlaf. Brummend setzte ich mich auf und rieb meine Handflächen aneinander, als mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Okay", nuschelte ich und ließ mich von Jungkook auf die Beine ziehen. Sofort schoben sich seine Finger zwischen meine, bevor er sich zu mir lehnte und mich sanft küsste. Genießend schloss ich meine Augen und griff nach dem Stoff seines Kapuzenpullovers, als er sich von mir lösen wollte. Etwas grob zog ich ihn wieder zu mir, womit Jungkook leicht gegen mich stolperte und mich aus großen Augen ansah. „Küss mich", raunte ich und schämte mich nicht dafür, dass ich ihn so sehr wollte. Jetzt wo er von meinem Schicksal wusste, wollte ich unbedingt noch all die Dinge machen, die normale Paare taten.
Unsanft prallten meine Lippen auf seine, als er sich im selben Moment nach vorne lehnte. Kichernd hielt er sich die Nase und steckte mich mit seiner guten Lauen an, als ich in seine strahlenden Augen blickte.
„So stürmisch", sagte er und legte seine Hände an meine Wangen, bevor er mich abermals küsste.
Zärtlicher als vorhin, bewegte er seine Lippen gegen meine und verursachte damit ein angenehmes Kribbeln in meinem Bauch.
„Ich liebe dich so sehr, vergiss das niemals", wisperte ich gegen seine Lippen und griff nach seiner Hand. Ein trauriger Ausdruck huschte über Jungkooks Gesicht, bevor er mich liebevoll anlächelte. „Niemals", wiederholte er, bevor wir uns in Bewegung setzten und langsam am Strand entlang schlenderten.

„Was ist eigentlich mit deinen Eltern?", fragte Jungkook nach einiger Zeit und warf mir einen unsicheren Blick zu. „Du musst nicht antworten, ich weiß ja wie schwierig sie sind."
Es rührte mich, dass er so viel Rücksicht auf mich nahm und ich strich zärtlich mit meinem Daumen über seinen Handrücken.
„Ich habe es ihnen gesagt, aber es hat sie nicht interessiert", antwortete ich, woraufhin Jungkook scharf die Luft einsog.
„Du bist ihr Sohn", stieß er aufgebracht hervor. „Wie herzlos kann man sein."
„Ich bin mir sicher, dass meine Mutter geweint hat. Aber gemeldet haben sie sich nicht mehr", erwiderte ich und zuckte mit den Schultern. „Um ehrlich zu sein, ist es mir egal."
Abrupt blieb Jungkook stehen und zog mich an meiner Hand zu sich. „Das ist nicht richtig", murmelte er und sah mich wehleidig an.
„Kookie", begann ich und lächelte ihn zuversichtlich an. „Du reichst mir völlig als Familie. Meine Eltern haben mich noch nie geliebt, ich habe mich schon lange damit abgefunden."
Unsicher blickte Jungkook mir entgegen und kaute nervös auf seiner Unterlippe herum.
„Ich habe nie verstanden, wie man dich nicht lieben kann."
Gerührt schlang ich meine Arme um seinen Körper und verbarg mein Gesicht an seinem Hals. „Dankeschön", murmelte ich und trat einen Schritt zurück. „Für alles."
„Ich habe nicht viel gemacht", erwiderte Jungkook verlegen und verschränkte unsere Finger wieder miteinander. „Lass uns zum Auto zurückgehen."

„Was ist mit Jimin?", fragte ich ihn, als wir ein gutes Stück schweigend nebeneinander hergelaufen waren.
„Was soll mit ihm sein?", wich er meiner Frage aus .
„Ich will dich nicht zwingen, aber du solltest mit ihm reden", warf ich vorsichtig ein und zog mir meinen Schal wieder über die Nase.
„Ich habe mit ihm geschrieben" grummelte er und schob seine Unterlippe vor. „Reicht das nicht?"
Kichernd schüttelte ich den Kopf und drückte Jungkooks Hand ein wenig. „Du bist seit zwei Tagen bei mir, seitdem ich dir-", begann ich und verstummte. Kurz huschte sein Blick zu mir und ich wusste, dass wir den selben Gedanken hatten. „Was ich damit sagen will. So schön es auch ist, dass du bei mir bist, solltest du dich trotzdem mit ihm vertragen."
„Ich möchte dich nicht alleine lassen", erwiderte Jungkook knapp und drückte meine Hand ein wenig fester. So sehr er es auch zu verbergen versuchte, er machte sich Sorgen. Ständig.
Wann immer ich Husten musste oder mich anders verhielt, lag Jungkooks komplette Aufmerksamkeit auf mir.
„Ich könnte mitkommen", schlug ich vor, woraufhin er mich mit großen Augen ansah.
„Wirklich?" Erstaunt sah er mich von der Seite an.
„Ist doch nichts dabei." Völlig entspannt erwiderte ich seinen Blick und blieb stehen, als wir bei der alten Holztreppe ankamen, die zur Straße hoch führte.
„Ich dachte es ist dir vielleicht unangenehm", begann er zögernd, was mich fragend eine Augenbraue hochziehen ließ. „Naja, weil ihr ja nicht wirklich miteinander befreundet seid."
„Wenn wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten, wären wir bestimmt Freunde geworden. Aber ich war so sehr mit mir und meiner Krankheit beschäftigt, dass ich dafür keinen Kopf hatte", versuchte ich ihm zu erklären. „Aber", eindringlich sah ich Jungkook in die Augen, „ich vertraue ihm, dass er auf dich aufpassen wird. Er wird für dich da sein, wenn ich es nicht mehr kann." Mit Tränen in den Augen lehnte Jungkook seinen Stirn gegen meine Schulter und holte stockend Luft.
„Sag Jimin Bescheid, dass wir gleich vorbeikommen", murmelte ich und streichelte dabei mit meiner Hand über seinen Rücken. Ich spürte sein Nicken an meiner Schulter, bevor wir uns einige Zeit später voneinander lösten.

Hand in Hand stiegen wir die hölzerne Treppe nach oben, bevor ich meinen Autoschlüssel aus der Jackentasche zog. Mit einem leisen Klickgeräusch und auf dem Aufblitzen der Warnleuchten entriegelte ich mein Auto und wartete, bis Jungkook auf der Beifahrerseite eingestiegen war. Sehnsüchtig warf ich einen letzten Blick in Richtung Strand und Meer, bevor ich ebenfalls einstieg.

Die Fahrt verlief ruhig, während Jungkook mit seinem Smartphone beschäftigt war. Das Radio spielte leise Musik und unwillkürlich begann ich den Takt, mit meinem Daumen, auf das Lenkrad zu klopfen. „Okay", sagte Jungkook und erhaschte damit meine Aufmerksamkeit. „Jimin weiß Bescheid."
„Dann hoffen wir mal, dass wir gut durchkommen", warf ich ein und konzentrierte mich auf den Straßenverkehr. Niemand von uns hatte das große Bedürfnis sich zu unterhalten, dafür ließ es sich Jungkook aber nicht nehmen seine Hand auf meinen Oberschenkel zu legen. Sofort spürte ich die Wärme durch den Stoff meiner Jeans.
„Ich-", begann ich und zuckte heftig zusammen, als ein stechender Schmerz durch meine Brust jagte. Keuchend krallte ich mich in das Lenkrad und riss die Augen auf.
„Tae?", fragte Jungkook alarmiert und lehnte sich zu mir. „Hast du Schmerzen?"
Durch die Nase atmend versuchte ich mich verzweifelt zu beruhigen. „Es geht schon", presste ich angestrengt hervor und blinzelte mehrmals, als meine Sicht verschwamm.
„Tae, bitte", vernahm ich Jungkooks Stimme und runzelte die Stirn, als sie sich seltsam verzerrt anhörte. „Du fährst zu schnell."
Ich verstand nicht was er mir damit sagen wollte und stöhnte gequält auf, als eine weitere Schmerzwelle durch meinen Körper jagte.
„Halt an, verdammt", brüllte Jungkook plötzlich und griff nach dem Lenkrad, als ich vor Schreck zusammenzuckte. Nur mit seiner Hilfe, schaffte ich es in einen Feldweg einzubiegen und das Auto zu stoppen. Kalter Schweiß brach auf meinem gesamten Körper aus, ließ mich unkontrolliert zittern und ich hörte Jungkook weit entfernt fluchen. Übelkeit stieg in mir auf und verzweifelt öffnete ich die Tür, um mich nach wenigen Schritten ins hohe Gras zu übergeben.
Röchelnd ließ ich mich auf die Knie fallen und grub meine Nägel in den matschigen Boden, bis sich mein Magen langsam beruhigt hatte. Mit geblähten Nasenflügeln versuchte ich den beißenden Gestank meines Erbrochenen zu ignorieren und kämpfte mich hastig auf die Beine.

„Mach langsam", bat Jungkook mich leise und legte stützend eine Hand auf meinen Rücken, als ich ein wenig stolperte. Tränen liefen mir über die Wangen und ich schämte mich dafür, dass er mich so sehen musste. Völlig erschöpft ließ ich mich von ihm zur Beifahrerseite führen und ich ließ mich langsam in den Sitz sinken.
„Trink", forderte Jungkook und hielt mir eine halbvolle Wasserflasche hin. Gierig trank ich ein paar Schlucke und spülte anschließend noch meinen Mund aus, um den widerlichen Geschmack loszuwerden.
„Du hast keine Tabletten dabei, oder?", fragte Jungkook mich, nachdem er die Flasche wieder entgegen genommen hatte und mit dem restlichen Wasser ein Taschentuch tränkte.
„Nein", krächzte ich und hasste mich dafür, so nachlässig gewesen zu sein. Dabei war ich einfach nur glücklich gewesen. Ich war neben Jungkook aufgewacht und hatte mich gut gefühlt.
So normal.
Aber das war ich nicht.
Ich war todkrank und durfte mir keine Fehler erlauben.
Ohne Jungkook, wäre ich womöglich in einen Verkehrsunfall geraten und gestorben.

Niedergeschlagen saß ich vor meinem Freund und starrte mit geröteten Wangen auf seine breite Brust. Ich kam mir wie ein kleiner Junge vor, als er äußerst vorsichtig meine Hände säuberte und anschließend meine Hosenbeine abklopfte, um den groben Dreck zu entfernen. Schweigend ließ ich es über mich ergehen und biss mir schmerzhaft auf die Zunge, um nicht schon wieder in Tränen auszubrechen.
„Es ist in Ordnung", flüsterte Jungkook und strich mir ein paar schweißnasse Strähnen aus der Stirn. Kopfschüttelnd wich ich seinem Blick aus, zu sehr schämte ich mich für meine Schwäche.
„Du musst für mich nicht stark sein."
„Ich hasse meine Hilflosigkeit", zischte ich und bedachte Jungkook mit einem wütendem Blick. Seine wunderschönen Augen blickten mir traurig entgegen und mit einem Mal überkam mich mein schlechtes Gewissen. „Ich sollte meine Laune nicht an dir auslassen."
„Ich möchte, dass du immer ehrlich zu mir bist. Ich will wissen was in dir vorgeht, wie es dir geht und was dich beschäftigt. Wenn du sauer bist, dann sag es mir. Verstell dich nicht, nur damit ich mich dann besser fühle", sagte er und klang dabei ein wenig verzweifelt. „Ich leide so oder so mit dir. Tae, ich liebe dich verdammt nochmal."
Fluchend entfernte er sich von mir und lief unruhig vor dem Auto auf und ab. Ich vergaß immer wie sehr Jungkook und ich voneinander abhängig waren. Er brauchte mich, so wie ich ihn brauchte.
„Kookie", nuschelte ich und verstummte, als er die Hand hob.
„Nicht", begann er und lief um das Auto herum, um sich hinter das Steuer zu setzen. „Ich fahre. Jimin wartet bestimmt schon."

Eine knappe Stunde später parkte Jungkook vor einem mehrstöckigen Gebäude, stieg aber nicht sofort aus. Nachdenklich spielte er mit dem Schlüssel in seiner Hand, während ich nervös auf meiner Unterlippe herumkaute.
„Ich bin nicht auf dich sauer", begann Jungkook und ich spitzte angespannt die Ohren. „Viel mehr fühle ich mich hilflos, wenn ich sehe wie du leidest." Mit einem gequälten Ausdruck im Gesicht, sah er durch die Frontscheibe nach draußen. „Ich würde dir so gerne helfen und dabei weiß ich, dass ich nicht kann."
Unruhig fuhr ich mit meinen Fingern über den Stoff meiner Hose, während ich meine Gedanken sortierte.
„Manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Körper mich von innen zerstört."
Ruckartig drehte Jungkook seinen Kopf in meine Richtung und sah mich dann verständnislos an.
„Wann immer ich diese Schmerzen habe, fühle ich mich so klein und hilflos. Aber sobald ich an dich denke, wird es leichter. Ich weiß, dass du mich für meine Schwäche niemals verurteilen würdest. Aber wenn man plötzlich aus seinem Leben gerissen wird und die Kontrolle über sich verliert", offenbarte ich ihm meine innersten Gedanken und beendete meinen Satz nicht. „Ich bin so egoistisch und möchte dich immer in meiner Nähe haben. Zu jeder Stunde des Tages. Gleichzeitig will ich aber auch nicht, dass du dabei bist, wenn ich mich verliere. Meine Schmerzen sollen nicht zu deinen werden."
„Ich verstehe deine Beweggründe, aber ich werde an deiner Seite bleiben", sagte Jungkook und sah mir fest entschlossen in die Augen.
„Ich weiß", erwiderte ich daraufhin. „Ich weiß."

Ich hielt mich respektvoll im Hintergrund, als Jimin uns die Tür öffnete und Jungkook mit großen Augen ansah. Ich wunderte mich jedes Mal über ihre außergewöhnliche Freundschaft und gleichzeitig beruhigte es mein Herz. Ihre Verbindung zueinander war stark und Jimin würde alles tun, um Jungkook durch die schwierige Zeit zu helfen.
„Ich verzeihe dir", hörte ich meinen Freund flüstern und zog Jimin daraufhin in eine innige Umarmung. Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie sich nach einiger Zeit voneinander lösten.
„Danke", murmelte er und verzog das Gesicht, als Jungkook ihm kichernd durch die Haare wuschelte.
„Ich konnte dir noch nie lange böse sein", sagte er und drehte sich dann zu mir. „Alles gut, Tae?"
Dieses Mal musste ich nicht darüber nachdenken, gerade war wirklich alles gut. Unmerklich nickend ergriff ich seine Hand, als er sie mir auffordernd hinhielt und konzentrierte mich dann auf Jimin. Unsicher erwiderte er meinen Blick und spielte nervös mit dem Saum seines Pullovers.

„Ich musste es ihm sagen", sagte er und zog unterwürfig den Kopf ein, als hätte er Angst vor meiner Reaktion.
„Du hast recht. Es wäre meine Aufgabe gewesen", erwiderte ich und deutete eine Verbeugung an. „Ich wollte eure Freundschaft nicht gefährden."
Überrascht weiteten sich Jimins Augen, bevor er unmerklich den Kopf schüttelte.
„Du wirst auf ihn aufpassen, oder?", fragte ich ihn und mit einem Mal veränderte sich die Stimmung zwischen uns. Sie wurde ernster, gleichzeitig aber auch entspannter.
„Werde ich. Versprochen", antwortete er und ich schenkte ihm daraufhin ein kleines Lächeln.

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