Schuldgefühle
Kapitel 2
Schuldgefühle
TRIGGERWARNUNG!!
Nicht detailliert ausgeschriebenes suizidales Verhalten.
Jungkook
Zusammengesunken saß ich vor meiner Couch auf dem Boden und starrte apathisch an die Wand. Kraftlos lagen meine Hände in meinen Schoß, während ich über die Kopfhörer, die mit meinem Smartphone verbunden waren, ein trauriges Lied nach dem anderen hörte.
Es linderte den Schmerz meines gebrochenen Herzens nicht, stattdessen liefen mir unaufhörlich Tränen über meine Wangen.
Stockend holte ich tief Luft und schloss für einen Moment meine brennenden Augen. Blinzelnd öffnete ich sie wieder und ließ meinen Kopf erschöpft gegen die Polster der Couch fallen.
Ich fühlte mich innerlich leer und vermisste Taehyung mit jeder Faser meines Körpers, während ich in der aufkommenden Dunkelheit an die Decke sah.
Nach all der verstrichenen Zeit, hatte ich meine Entscheidung getroffen.
Der starke Wind zerrte an meinem viel zu dünnem Shirt und ich klammerte mich zitternd an das metallene Geländer der Brücke. Hinter mir rauschten die Autos vorbei und doch war mein Blick nur auf den Horizont gerichtet, der langsam von der Dunkelheit verschlungen wurde.
Auch wenn es hier nicht besonders romantisch war, verband ich diesen Ort mit einer wunderbaren Erinnerung. Wehmütig dachte ich daran zurück, als Taehyung und ich den Punkt einer normalen Freundschaft überschritten hatten.
Schmerzlich wurde mir ein weiteres Mal bewusst, dass ich Taehyung verloren hatte und schloss wimmernd die Augen.
Tränen liefen über meine Wangen und ich schluchzte leise.
„Warum hast du das gemacht?"
Der Wind trug meine geflüsterten Worte fort und ich erwartete auch keine Antwort darauf. Stockend atmete ich aus und kletterte schließlich über das Geländer der Brücke.
Zitternd presste ich meinen Rücken an das kühle Metall und wagte einen vorsichtigen Blick nach unten. Die gefährliche Dunkelheit wirkte beruhigend auf mich und ich lockerte den Griff meiner Finger, die ich durch die Kälte schon lange nicht mehr wirklich spürte.
Gedanklich entschuldigte ich mich bei meinen Eltern, die ich viel zu lange nicht mehr besucht hatte und bei Jimin. Ganz besonders bei ihm.
Mit Taehyungs Lächeln vor Augen und der Frage, ob er mich überhaupt vermissen würde, ließ ich schließlich los.
Ich fühlte mich schwerelos, als ich mich nach vorne lehnte. Ein glückliches Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich plötzlich Taehyungs Stimme hörte, die meinen Namen rief.
Erleichtert schloss ich meine Augen und versank in der Dunkelheit.
~♥~
Taehyung
Schluchzend stolperte ich durch den strömenden Regen und ignorierte das widerliche Gefühl von feuchtem Stoff, der an meinem Körper klebte. Immer wieder wurde ich angerempelt, verlor beinah das Gleichgewicht und kämpfte mich wieder auf die Beine. Meine Tränen vermischten sich mit dem unaufhörlichen Regen und es glich einer vergeblichen Mühe, dass ich mir mit meinem Ärmel versuchte die Wangen zu trocknen.
Einzig und allein das monoton, piepende Geräusch hallte in meinen Ohren wider und ein verzweifeltes Wimmern löste sich aus meiner Kehle. Jungkooks bleiches Gesicht, seine blau angelaufenen Lippen und die vielen kleinen Prellungen an seinem Körper, hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt.
Ich hatte ihn nicht aufhalten können.
Er war wirklich gesprungen und hatte sich das Leben nehmen wollen.
Wimmernd stolperte ich über meine eigenen Füße und stützte mich haltsuchend mit der Hand an der Hauswand neben mir ab. Nur mit Mühe setzte ich meinen Weg fort, stolperte ein weiteres Mal und schleppte mich schluchzend in eine Seitengasse. Kraftlos rutschte ich mit dem Rücken an der rauen Wand hinab und verbarg mein Gesicht hinter meinen Händen. Dicke Regentropfen trafen mich im Nacken, sorgten für eine unangenehme Gänsehaut und ließen mich zittern. So kalt und elendig ich mich auch fühlte, gerade war es mir völlig egal.
Ich konnte nur an Jungkook denken, der nur wegen mir im Krankenhaus lag. Ich wusste noch nicht mal wie es ihm wirklich ging und ob er überhaupt wieder aufwachen würde.
Niemand hatte mir eine Auskunft über seinen Zustand geben wollen, stattdessen hatte mich eine Krankenschwester höflich aber bestimmend nach Hause geschickt. Auch wenn ich ihre Beweggründe verstand, immerhin war ich kein direkter Verwandter von ihm, strapazierte es meine angespannten Nerven nur noch mehr.
So blieb mir nur das grauenhafte Szenario, welches mir mein Kopf vorspielte, in dem Jungkook nie wieder erwachen würde.
Ich hatte mir eingeredet, dass er ohne mich glücklicher sein würde, stattdessen hatte ich genau das Gegenteil erreicht. Meine Worte hatten ihn so sehr verletzt, dass er aus völlig Verzweiflung sein Leben hatte beenden wollen.
Schluchzend und völlig erschöpft kämpfte ich mich wieder auf meine Beine und lehnte mich gegen die Hauswand, als mir für einen Moment schwindelig wurde. Angst erfasste mich, als ich daran denken musste, Jungkook nie wieder zu sehen. Er war alles für mich, mein bester Freund, mein Lebensinhalt und noch viel mehr.
Ich wollte ihm noch so vieles sagen, doch jetzt würde ich wahrscheinlich niemals die Chance dazu bekommen. Wimmernd und meine Arme um mich selbst geschlungen, schlich ich aus der Seitengasse und machte mich auf den Weg zu meiner Wohnung.
In der Nacht verfolgte mich Jungkooks bleiches Gesicht bis in meine Träume und hielt mich davon ab länger als ein paar Stunden zu schlafen. Mein Hungergefühl hatte sich längst in eine beständige Übelkeit gewandelt und ich hielt mich mit einem viel zu starkem Kaffee wach. Völlig übermüdet, schleppte ich mich gegen Mittag zum Krankenhaus und sah die weiße, unheilvolle Fassade mit den vielen Fenstern hinauf. Schwer schluckend betrat ich das Gebäude, schlich durch die sterilen Flure und blieb vor der Tür zu Jungkooks Zimmer stehen. Meine Hand zitterte, als ich sie schließlich auf die Klinke legte und diese langsam herunterdrückte.
Das unheilvoll piepende Geräusch begrüßte mich und mit unsicheren Schritten ging ich auf das Bett zu, in welchem Jungkook lag.
Seine Hautfarbe hob sich kaum von den weißen Laken ab und unzählige Schläuche verbanden ihn mit den Geräten, die um das Bett herumstanden.
„Es tut mir leid", wisperte ich und griff zaghaft nach Jungkooks Hand. Sie war eiskalt und ein leises Wimmern löste sich aus meiner Kehle. „Ich wollte das nicht", flüsterte ich stockend und beugte mich zu ihm, um ihn federleicht auf die Stirn zu küssen.
Am nächsten Tag regnete es unaufhörlich und schon nach wenigen Minuten war meine Kleidung komplett durchnässt. Etwas abseits vom Krankenhaus blieb ich stehen, schob meine Hände in meine Jackentaschen und starrte gedankenverloren in eine Pfütze. Alles in mir schrie danach zu Jungkook zu gehen, aber nachdem ich gestern Abend seine Eltern getroffen hatte, wagte ich nicht mehr das Gebäude zu betreten. Von ihrem Mann gestützt, war Jungkooks Mutter an mir vorbeigegangen und ihre geröteten Augen hatten mir deutlich gezeigt wie schlecht es ihr ging. Die Scham darüber, dass ich am Zustand ihres Sohnes Schuld war, verursachte ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Brust und ich wollte oder konnte ihnen einfach nicht mehr unter die Augen treten. Seine Eltern hatten mich damals so herzlich aufgenommen und ich brach Jungkook einfach das Herz.
Ich schämte mich so sehr.
„Taehyung!"
Träge hob ich meinen Kopf und blickte direkt in Jimins trauriges Gesicht, der mit einem Schirm in der Hand vor mir stand.
„Warum gehst du nicht rein?", fragte er mich leise und stellte sich so dicht neben mich, dass der Schirm für uns beide reichte.
„Kann nicht", antwortete ich und hüllte mich dann wieder in Schweigen.
„Warum nicht?", hakte Jimin nach und ich spürte seinen durchdringenden Blick auf mir. „Kookie würde sich bestimmt freuen."
Unwillkürlich zuckte ich bei seinem Spitznamen zusammen und presste meine Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte.
„Von seinem Vater habe ich erfahren, dass er stabil ist", redete Jimin einfach weiter und störte sich nicht daran, dass ich nichts darauf erwiderte. „Gib dir nicht die alleinige Schuld. Es war seine eigene Entscheidung... so weit zu gehen." Ich konnte spüren wie schwer es ihm fiel darüber zu sprechen und als ich mich leicht in seine Richtung drehte, traten die Knöchel seiner Hand, die den Griff des Schirms umklammert hielt, weiß hervor.
„Wir wissen beide, dass ich daran Schuld bin", murmelte ich und presste meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Als er Anstalten machte mich umarmen zu wollen, wich ich hastig zurück und zog die Schultern an, als der Regen wieder ungehindert auf mich niederprasselte.
„Hör auf so nett zu mir zu sein", zischte ich und sah Jimin warnend an. „Das habe ich nicht verdient." Emotionslos erwiderte er meinen Blick, bevor er mich plötzlich anlächelte. „Kookie hätte das anders gesehen."
Überrascht weiteten sich meine Augen und mein Kopf war mit einem Mal wie leergefegt.
„Für ihn bist du alles", sagte er leise und lächelte mich so warm an, dass ein angenehmes Kribbeln durch meinen Körper lief. Doch sobald mir Jungkook bleiches Gesicht wieder in den Sinn kam, konnte ich ein Zittern nicht unterdrücken.
„Mit dem was ich ihm angetan habe, bezweifle ich das", zischte ich und drehte Jimin den Rücken zu.
„Wenn er aufwacht sage ich ihm Bescheid, dass du da warst", rief er mir hinterher, doch ich drehte mich nicht zu ihm um.
„Lass dich nicht aufhalten", presste ich hervor, auch wenn Jimin mich nicht mehr hören konnte. Wütend auf mich selbst, machte ich mich auf den Weg nach Hause.
Auch zwei Tage später war Jungkook noch nicht erwacht, zumindest entnahm ich das Jimins Nachrichten, die er mir unaufhörlich schrieb. Die Tatsache, dass sich Jungkooks Zustand nicht verschlechtert hatte, beruhigte mich nicht mal ansatzweise.
Die Schuldgefühle quälten mich.
Rücklings lag ich auf der Couch und starrte mal wieder apathisch an die Decke. Mein Smartphone, welches neben mir auf den Tisch lag, vibrierte zum wiederholten Mal, doch ich ignorierte es einfach. Wimmernd lösten sich weitere Tränen aus meinen Augenwinkeln und liefen über meine Schläfen, bevor sie vom Polster der Couch aufgesogen wurden.
„Es tut mir leid", hauchte ich erschöpft und biss so stark auf meine Unterlippe, dass sie ein wenig aufplatzte. Angewidert verzog ich das Gesicht, als sich der metallische Geschmack auf meiner Zunge ausbreitete. Vehement schluckte ich meine Übelkeit hinunter und brüllte in einem Anflug von Verzweiflung meine Wut hinaus. Dabei waren mir meine Nachbarn völlig egal.
Ich wusste, dass ich damit Jungkooks Schicksal nicht ändern würde und doch klammerte ich mich an den kläglichen Rest meiner Hoffnung. Wenn Jimin wirklich Recht behalten sollte, würde ich Jungkook nur noch mit Respekt behandeln, denn was anderes hatte er nicht verdient.
Einige Stunden später schreckte ich keuchend aus meinem unruhigen Schlaf auf und stolperte hastig aus dem Wohnzimmer. Eine Hand vor meinen Mund gepresst, schaffte ich es gerade so ins Badezimmer, bevor ich mich vor der Toilette auf die Knie fallen ließ. Wimmernd würgte ich ein wenig Magensäure hervor, während sich mein Magen mehrmals schmerzhaft zusammenzog. Schweißperlen standen mir auf der Stirn und ich zitterte so stark, dass ich mich erschöpft gegen die Badewanne sinken ließ. Verkrampft drückte ich meine Nägel in meine Oberschenkel und versuchte mich verzweifelt zu beruhigen. Keuchend schnappte ich nach Luft, als ein stechender Schmerz durch meinen Körper raste und ich riss die Augen auf.
Gequält stöhnte ich auf und brauchte mehrere Anläufe, bevor ich auf unsicheren Beinen zum Waschbecken taumelte.
Mit zitternden Fingern öffnete ich den kleinen Schrank neben dem Spiegel und griff nach der kleinen, runden Dose. Die kleinen weißen Tabletten klapperten leise, als ich mir zwei davon auf die Hand schüttete. Ungeduldig stellte ich die Dose zurück und würgte die Tabletten mit viel zu wenig Wasser hinunter. Noch immer lag ein leicht bitterer Geschmack auf meiner Zunge, doch ich hatte gerade keine Geduld dafür mir meine Zähne zu putzen. Taumelnd verließ ich das Badezimmer, stützte mich an der Wand ab und betrat mein Schlafzimmer.
Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen, machte mir nicht die Mühe meine Kleidung auszuziehen und schloss die Augen.
Nur langsam begannen die Tabletten zu wirken und als der pochende Schmerz in meinem Körper in den Hintergrund rückte, stieß ich erleichtert die Luft aus. Betäubt schlief ich schließlich ein, auch wenn mein Schlaf nicht besonders erholsam war, denn Jungkook verfolgte mich noch immer in meinen Träumen.
Ausgestreckt lag ich die gesamte Nacht in meinem Bett, bewegte mich nur minimal und hörte am nächsten Morgen, als die Sonne langsam aufging, mein Smartphone im Wohnzimmer klingeln.
Das Geräusch drang wie durch einen Schleier zu mir durch und ich quälte mich stöhnend in eine sitzende Position. Die Welt begann sich um mich zu drehen und ich drückte mir keuchend zwei Finger gegen die Schläfen, solange bis das Schwindelgefühl langsam abebbte.
Äußerst vorsichtig stand ich schließlich auf und folgte meinem klingelnden Smartphone ins Wohnzimmer. Träge griff ich nach dem kleinen Gerät und machte mir nicht die Mühe, den Namen des Anrufers zu lesen.
„Taehyung?"
Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine spröden Lippen, als ich die Stimme erkannte.
„Doktor Kang, was kann ich für dich tun?", fragte ich meinen behandelnden Arzt und wusste bereits was er mir sagen wollte, bevor er es ausgesprochen hatte.
„Taehyung, es tut mir wirklich leid", sagte er leise und über all die Zeit, die wir uns jetzt schon kannten, konnte ich mir seinen traurigen Gesichtsausdruck gut vorstellen.
„Es schreitet schneller voran, als erwartet."
Eine eisige Kälte schloss sich um mein Herz und obwohl ich es mir schon gedacht hatte, schockten mich seine Worte. Ich spürte selbst, dass es mir täglich schlechter ging und die Tabletten meine Schmerzen nicht mehr lange unterdrücken konnten.
„Wie viel Zeit bleibt mir noch? Jahre? Wochen? Tage?", fragte ich monoton und wartete keine Antwort ab, bevor ich einfach auflegte. Kraftlos ließ ich meine Hand sinken und spürte wie mir im nächsten Moment heiße Tränen über die Wangen liefen.
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