Kapitel 8

Wir liefen schon eine Weile stumm durch irgendwelche Straßen. Das was Noah mir eben erzählt hatte, war zu überwältigend gewesen. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Oder was ich sagen sollte.
Aber die Tatsache, dass er gerade mir all das erzählt hatte, machte mich unfassbar glücklich. Zum ersten Mal seit vielen Monaten fühlte ich mich nicht mehr alleine. Er gab mir das Gefühl besonders und wichtig zu sein. Wenn ich ehrlich war, konnte ich nicht genau sagen, wann ich zuletzt so glücklich war, aber das machte gerade keinen Unterschied. Ich schloss meine Augen, atmete tief ein und aus und dann...

Ich lächelte. Er hatte mir vertraut und mir von seiner Vergangenheit erzählt. Er hatte gesagt, dass ich nicht wie die Anderen war. Seine Worte machten daraus nichts Abwertendes, eher etwas Schönes.

Aber genauso fühlte ich mich auch schlecht. Mein Lächeln verschwand fast automatisch, mein Blick senkte sich in Richtung des Bodens. Sollte ich mich ihm jetzt auch anvertrauen? Aber selbst wenn, was hatte ich schon zu sagen? Diesen Gedanken nahm Noah mir ab.

„Es ist vollkommen okay, wenn du mir nichts erzählen willst oder kannst. Ich verstehe das, schließlich musste ich mich ja auch eben überwinden." Er kratzte sich kurz am Nacken und griff dann nach meinen Händen. Mit leicht geöffnetem Mund und großen Augen starrte ich ihn an. Mein Herz blieb kurz stehen und schlug dann mit doppeltem Tempo weiter.

„Ich wollte nur, dass du weißt, dass du nicht alleine bist. Und ja, vielleicht glaubst du, diese Krise alleine überwinden zu können, aber das geht nicht. Vertrau' mir. Ich hab' das versucht. Es macht dich nur noch mehr kaputt. Aber ich bin hier und ich werde dich beschützen. Dir wird nichts mehr passieren."

Seine Augen sahen mich mit einer Zärtlichkeit an, die ich bis da nicht kannte. Meine Knie wurden weich und ich wollte ihm gerade in die Arme fallen, als mein Kopf sich wieder zu Wort meldete.

Noah wollte mich nur verarschen. Er würde dafür sorgen, dass ich mich in ihn verliebte und mich dann fallen lassen und fertig machen. Er würde mir eine Liebe vorspielen, die niemals existieren wird. Das konnte ich nicht. Obwohl mein Herz mir sagte, dass er so nicht sein konnte. Weshalb sollte er das tun, wenn er auch von einem ihm so wichtigen Menschen verletzt wurde?

Weiter konnte ich darüber nicht nachdenken, denn ein freudiges Bellen durchbrach meine Gedanken. Erst da sah ich mich genauer um. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie wir langsam durch meine Straße liefen. Scheiße!

Wenn mein Vater uns gesehen hätte, war ich geliefert. Und Noah gleich mit. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn panisch an. Mein Puls beschleunigte sich erneut und ich befürchtete gleich umzukippen.

„Du solltest jetzt gehen", setzte ich an. Irgendwas musste mir einfallen. Dieses Irgendwas musste aber auch überzeugend genug sein, damit Noah wirklich verschwand, um sich und letztendlich auch mich zu retten.

Nach weiterem Überlegen setzte ich den kühlsten und abweisendsten Blick auf, den ich besaß.

„Deine Geschichten interessieren sowieso niemanden. Verschwinde und such' dir Freunde", mit diesen Worten zerbrach mein Herz innerlich, äußerlich behielt ich meine kühle Fassade und ich konnte erkennen, wie Noahs Blick ein wenig unsicherer wurde.

„Was ist denn jetzt mit dir los, Aaron?"

„Verpiss dich einfach, Serrafino", spuckte ich ihm förmlich entgegen.

Zuerst trat er langsam ein paar Schritte zurück, hob eine Augenbraue, drehte sich dann aber um und lief weg. Sofort bereute ich was ich soeben gesagt hatte und eine Träne ran meine Wange herunter. Ich flüsterte noch ein schwaches „Komm zurück", aber Noah hatte schon längst das Ende der Straße erreicht. Verdammt, wieso musste ich immer alles kaputt machen? Augenblicklich wurde ich unfassbar wütend. Wütend auf mich, weil ich Noah schon zu nah an mich herangelassen habe. Wütend auf ihn, weil er mich verdammt nochmal nicht in Ruhe ließ. Wütend auf meinen Vater, weil er nicht einfach seine Vergangenheit hinter sich lassen konnte und mich akzeptierte, wie ich war.

Weinend stand ich also auf der Straße und rührte mich nicht, bis ein lautes Hupen mich aus meinen Gedanken riss. Mein Kopf drehte sich zu dem Ursprung des Geräuschs, ein Auto, das neben mir auf der Straße stand. Wie ferngesteuert bewegte ich mich auf meine Haustür zu und schloss diese auf. Im Flur angekommen legte ich meine Schlüssel ab und hielt einen Moment lang inne. Kein Geräusch war zu hören, keine Regung zu vernehmen. Entweder war mein Vater in irgendeiner Kneipe um sich wieder mal die Kante zu geben oder er hatte einen Termin beim Arbeitsamt.

Dieses Gefühl des Alleinseins füllte den Teil in mir, der nicht wütend war, mit Frustration auf. Diese gefährliche Mischung sorgte dafür, dass ich kurzerhand den alten dunkelbraunen Schrank aufriss und sämtliche Vasen von ihr gegen die Wand schmiss. Zuerst die mit den hässlichen blauen Blumen, dann die Buntbetupfte. Nach und nach zerschellen die Vasen und damit meine noch verbliebenen Erinnerungen. Eine unfassbare Erleichterung machte sich in mir breit und ich atmete heftig aber zufrieden ein und aus. Meine Augen waren geschlossen und ein leichtes Lächeln lag auf meinen Lippen.

Gott, wie sehr hatte ich das jetzt gebraucht.

Als ich die Augen wieder öffnete, breitete sich direkt vor mir ein riesiger Scherbenhaufen aus, der meinem gebrochenen Herzen glich. Sofort füllten sich meine Augen wieder mit Tränen. Hatte ich Noah jetzt verloren? Würde er mich jetzt hassen? Und wieso interessierte mich das überhaupt so sehr?

Panisch riss ich meine Augen auf. Dieses Chaos musste verschwinden, bevor mein Vater wiederkam. Ich schüttelte leicht den Kopf, um mich zu beruhigen und einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn ich die Scherben wegräumen musste, konnte ich direkt die ganze Etage aufräumen.

Schnell hatte ich mich gesammelt. Voller Tatendrang begann ich, die leeren Flaschen nacheinander in die Garage zu bringen, um sie dann ordentlich in die Kisten einzusortieren. Dann hob ich die ganzen leeren Pizzakartons auf und schnitt sie klein. Die Müllsäcke waren auch schnell gefüllt und in den Keller gebracht. Zum Schluss wischte ich nochmal alles ab und staubsaugte den Boden.

Die Arbeit lenkte mich ab und ich vergaß einen Moment lang meinen Schmerz und betrachtete zufrieden mein vollendetes Werk. So sauber war es lange nicht mehr gewesen.

Aber ich wurde augenblicklich nervös, als ich hörte, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.

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