Kapitel 4
Der Unterricht verging mir viel zu schnell und das kommende Gespräch mit Noah verängstigte mich bereits jetzt ein wenig. Als es dann klingelte packte ich ganz langsam meine Schulsachen zusammen und hoffte so, Noah aus dem Weg gehen zu können. Ich verließ den Klassenraum und eine Welle der Erleichterung überrollte mich, als ich niemanden sah. Mit großen Schritten ging ich auf den Ausgang zu, als ich an der Schulter zurückgezogen wurde.
„Ich habe gesagt, dass du mitkommst", sagte der Spanier mit einer tieferen Stimme als sonst. Mein Herz setzte kurz aus und ich versuchte meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, während ich nickte.
Er blickte mir erst noch in die Augen, ehe er sich umdrehte und in eine andere Richtung lief. Für mich war das die Chance wegzulaufen, aber irgendetwas hielt mich auf. Schließlich rannte ich ihm ein paar Meter hinterher und drosselte dann mein Tempo um gemütlich neben ihm zu laufen.
Wir liefen vielleicht zehn Minuten, bis wir in einer ruhigen Straße ankamen. Überall standen Bäume auf grünen Wiesen und man hörte nichts, als das Rascheln der Blätter im Wind oder das Gezwitscher der Vögel.
„Wow, es ist total schön hier", murmelte ich fasziniert, denn auch wenn ich hier schon seit sechzehn Jahren lebte, hatte ich in dieser Stadt noch nie so viel Grünfläche gesehen.
„Ja, ich dachte nicht, dass man hier so viel Wiesen sehen kann, als wir herzogen."
Noah zog einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss die Holztür eines kleinen, weißen Hauses auf. Neben der Tür standen Blumenkästen, die mit vielen bunt leuchtenden Blumen gefüllt waren.
Nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen und die Schultaschen bei Seite gelegt hatten, lief er geradeaus durch in die Küche.
„Ich schlage vor, dass wir erst Etwas essen. Im Kühlschrank steht noch Lasagne, isst du sowas?"
„Ja, wer isst denn nicht gerne Lasagne", versuchte ich die angespannte Stimmung zu lockern. Noah sah mir kurz in die Augen und verteilte die Lasagne dann auf zwei Teller, um sie kurz darauf in die Mikrowelle zu stellen. Nur ein wenig später stellte er den einen Teller vor mir auf den Tisch, reichte mir Besteck und wünschte mir einen guten Appetit.
Ich nahm den ersten Bissen in den Mund und schloss genüsslich die Augen.
„Die ist echt gut", sprach ich meine Gedanken aus und sah, wie Noah mich von der Seite betrachtete und leicht schmunzelte.
„Ja, ich weiß. Meine Mama ist die beste Köchin auf der Welt", erwiderte er und ein wenig Stolz schwang in seiner Stimme mit, der mich leicht zum Schmunzeln brachte. „Außerdem ist sie die schönste Frau, die du je sehen wirst. Nur bei ihrem Temperament musst du ein wenig aufpassen. Sie nimmt sehr Vieles sehr ernst."
Wir aßen fertig und räumten das Geschirr weg, bevor wir uns im angrenzenden Wohnzimmer hinsetzten. Noah sah mich mit forschendem Blick an und sofort spannte ich mich an. Schluckend senkte ich meinen Kopf.
„Wie geht's dir inzwischen? Du hast nicht mehr gehumpelt, also gehe ich davon aus, dass es nicht mehr so stark weh tut oder?"
Sanft sprach er diese Worte aus, er versuchte nicht wieder, mich zum Sprechen zu drängen. Langsam nickte ich, da ich glaubte, dass meine Stimme zu brüchig sei, um Antworten zu können.
„Sie haben dich also tatsächlich geschlagen? Weshalb tun sie das", fragte er mich nun, den Blick immer noch starr auf mich gerichtet.
Ich schwieg. Ich konnte nicht antworten, wollte es nicht. Zu unangenehm war mir die Tatsache, dass ich mich nicht selbst verteidigen konnte, dass ich zu schwach war, um mich zu schützen. Sollte er sich doch lieber um seine eigenen Probleme kümmern oder um Mira. Mich kannte er schließlich nicht mal wirklich und ich verstand auch nicht, weshalb er ein solches Interesse an mir zu haben schien.
„Aaron? Ist alles okay?"
„Verdammt nochmal, ja es ist alles okay. Misch' dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen! Ich will nicht, dass du so tust, als würdest du dich für mich interessieren, weil du Mitleid mit mir hast. Lass' mich in Ruhe und kümmer' dich um Mira", ich sprang auf und funkelte ihn aus meinen wütenden Augen an.
Entsetzen spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. Dann umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen.
„Bist du etwa eifersüchtig?"
„Was ist dein beschissenes Problem? Es überrascht dich vielleicht, aber nicht Alles in dieser Welt dreht sich um dich. Wenn ich wollen würde, dass sich jemand über mich lustig macht, dann wäre ich jetzt bei Sören", spuckte ich ihm wütend entgegen und lief in den Flur, um mir in Rekordzeit meine Schuhe anzuziehen.
Noah schien erst jetzt alles realisiert zu haben, denn er trat mit schuldbewusster Miene zu mir und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
„Aaron, es tu-"
„Vergiss es einfach, Noah. Ich werde jetzt gehen und du lässt mich verdammt nochmal in Ruhe!" Mit diesen Worten verließ ich das schöne Haus und lief mit brennenden Augen die Straße hinunter.
Die grünen Wiesen, die an mir vorbeizogen, verwandelten sich langsam wieder in die grauen, steinigen Parkplätze, die ich so gut kannte. Viele Dinge schossen mir durch den Kopf.
Hatte er recht mit dem was er gesagt hatte? War ich eifersüchtig auf Mira? Allerdings konnte ich wirklich nicht verstehen, weshalb er seine Zeit mit ihr verbrachte, wenn er Sören doch scheinbar nicht ausstehen konnte. Sie gehörte zu seinem Freundeskreis, wieso sollte sie also anders sein? Komisch war nur ihr Verhalten heute. Erst war sie so nett zu mir und dann spuckte sie mir vor die Füße... Wieso interessierte ihn das überhaupt? Konnte er seine Zeit nicht lieber mit Sören, Elias, Tim und Dario verbringen? Wenn er weiter bei mir wäre, würde sich das auf seinen Ruf auswirken. Momentan war er noch der Neue, der Interessante, der Mysteriöse. Bald aber, wäre er nur der gleiche Loser, der ich bin.
Weshalb also verbrachte er seine Zeit mit mir? Was bedeuteten seine letzten Worte im Wald? Und wieso will ich jetzt zu ihm zurück?
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