Kapitel 25

Meine Kapuze war durch den Regen schon ganz durchgeweicht, als ein Regentropfen mir über die Stirn rann und sich dann den Weg über mein Gesicht bahnte.

Die Tür zur Eingangshalle des Krankenhauses ließ sich nur schwer öffnen, aber letztendlich stand ich an der Rezeption.

Meine Klamotten waren komplett durchnässt und tropften taktweise kleine Wasserperlen auf den grauglänzenden, mit Linoleum ausgelegten Boden. Die Wandfarbe glich einem Weiß, aber schien in meinen Augen ebenfalls grau zu sein und mit jeder verstrichenen Sekunde gräulicher, dunkler und trister zu werden.

Selbst das Licht, das blendend hell von der Decke flackerte und beißend in den Augen brannte, schien höhnisch auf mich herab zu leuchten.

Das ferne Erklingen eines Schuhpaares und das darauffolgende Räuspern rissen mich aus den Tiefen meiner Gedanken. Ruckartig drehte ich meinen Kopf in Richtung der Krankenschwester, die Akten im Arm haltend und mit dem Fuß auf den Boden tippend einen missbilligenden Blick in meine Richtung warf.

„Kann ich dir irgendwie helfen?" Ihre Augen wanderten immer wieder über meinen Körper. Ich schluckte und nickte.

„Ja, ich suche jemanden." Meine Stimme zitterte, was vermutlich daran lag, dass meine Lippen kalt waren und ich selbst das Gefühl hatte, blau anzulaufen. Die Schwester verdrehte ihre Augen.

„Und wen suchst du?" Ihre Stimme war kratzig und klang insgesamt nicht angenehmer als das Geräusch, das beim Kratzen an der Tafel entstand.

„Ich suche Noah, Noah Serrafino. Er müsste heute hier eingeliefert worden sein. Also, glaube ich." Als ich den letzten Satz ausgesprochen hatte, kratzte ich mich an meinem Nacken. Vielleicht war er auch schon gar nicht mehr hier und ich hatte völlig umsonst den Weg auf mich genommen und mir Sorgen gemacht.

Sie seufzte und verschwand hinter der Theke, bevor sie ihren Kopf hob und mich mit hochgezogener Augenbraue skeptisch musterte.

„Bist du mit ihm verwandt?"

Ihre Augen huschten hektisch hin und her. Immer wieder lagen sie auf der Uhr an der Wand und dann auf mir. Vermutlich verschwendete ich ihre Pause, aber das war mir egal.

„Ich?"

„Siehst du hier noch jemanden, der den Boden wässert?"

Die Krankenschwester war sichtlich genervt und bereute wahrscheinlich, mich nicht direkt weggeschickt zu haben. Ihr faltendurchzogenes Gesicht verformte sich langsam immer mehr zu einer strengen Fratze und auch die breiten, grauen Strähnen, die sich durch ihren festen Dutt zogen wie dicke Stahlseile verstärkten diesen Ausdruck vorgetäuschter Stärke. Sie war alt, ihre Haut dünn und Adern zierten wie Girlanden ihre zitternden Hände.

Genau genommen wäre sie mir deutlich unterlegen gewesen, hätte ich es darauf angelegt. Meine Chancen erhöhten sich nochmal dadurch, dass niemand zu sehen war. Wir schienen alleine zu sein. Und plötzlich wurde ich ganz ruhig. Es entspannte mich zu wissen, dass ich jederzeit die Kontrolle über diese Situation bekommen konnte.

„Ja, ich bin mit ihm verwandt. Er ist mein Bruder." Diese Lüge kam mir so leicht über die Lippen. Um ehrlich zu sein, klang ich durch die Ruhe, die ich ausstrahlte, nur nicht so überzeugend, da ich besorgter hätte auftreten müssen, aber das hatte ich jetzt ja wohl verpasst.

Ups.

Das schien der Alten vor mir auch aufzufallen, ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Klar, dann zeigʼ mir doch mal deinen Perso", sagte sie und ein hinterlistiger Ton schwang in ihrer kratzigen Stimme mit. Siegessicher grinste sie mich an. Ich zuckte mit den Schultern.

„Habʼ ich nicht dabei." Meine Stimme klang gleichgültig, aber ich stand innerlich kurz vor dem explodieren. Meine Hände, die ich schon eine Weile in meinen Hosentaschen versteckte, ballten sich zu Fäusten. Meine Kiefer presste ich fest aufeinander und meine Zähne knirschten gefährlich, als sie sich ein wenig verschoben. Jetzt zuckte die Schwester mit den Schultern.

„Ich fürchte, dass ich dir so nicht weiterhelfen kann. Schönen Tag noch." Ihre Augen verengten sich und mit einem arroganten Blick hob sie ihren Kopf. Ich stand noch ein wenig unentschlossen in der Eingangshalle rum, bevor ich große Schritte in Richtung der Patientenzimmer mache. Ich brauche keine Hilfe, ich finde Noah auch alleine.

Fluchend rennt mir die Schwester auf ihren quietschenden Sohlen hinterher. „Verdammt!"

„Hey, jetzt warte doch! Du kannst da nicht langgehen." Aufhalten konnte sie mich sowieso nicht mehr. Ich musste jetzt endlich wissen, was mit Noah los war.

Ich bog nach Rechts in den breiteren Flur ab, hinter beiden Seitenwänden verteilten sich unzählige Räume, noch mehr Krankheiten und verzweifelte Menschen, die um ihre Liebsten trauerten. Ich musste schlucken. Das helle Licht über mir flackerte immer noch und die kühlgrauen Wände liefen wie in zu einem Tunnel beängstigend nah aufeinander zu. Scheinbar passte ich aber nicht allzu gut auf, denn wenige Augenblicke später stieß ich mit einer Person zusammen.

Ich trat einen Schritt zurück, um die Frau vor mir genauer anzusehen. Sie war ein wenig kleiner als ich, etwas kräftiger und mit Sicherheit nicht älter als fünfzig. Ihre schwarzen Haare, die vereinzelt grau schimmerten, waren in einen unordentlichen Zopf gebunden, einzelne Haare hatten sich gelöst und standen wild von ihrem Kopf ab. Ihre Augen tränten noch und ihre Wangen waren rot, aber trotzdem war unbestreitbar, dass sie mit Noah verwandt war.

„Aaron?", ihre Stimme klang ein wenig verwundert, so als hätte sie nicht damit gerechnet, mich hier zu sehen. Sie zog ihre Nase hoch und schlang dann fest ihre Arme um mich, bevor sie wieder anfing, zu schluchzen. Ich war ein wenig überfordert und konnte mich erst nicht bewegen, erwiderte dann aber die Umarmung, um Rita zu trösten. Ich wusste nicht, weshalb sie so verzweifelt und aufgelöst war und meine Sorge um Noah war auf einen Schlag zurück. Aber gleich würde ich endlich wissen, was mit ihm los ist.

Sie löste sich von mir, warf mir noch ein kleines Lächeln zu und zog mich dann den Flur entlang. Die Schwester, die mir nachgelaufen war, sah uns verwirrt hinterher und ich schenkte ihr noch ein siegessicheres Grinsen, bevor ich mich umdrehte und dieses wieder verschwinden ließ.

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