Kapitel 19
Seufzend wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Es war selbst für mich manchmal noch unbegreiflich, wie mein Vater solche Mengen an Alkohol vernichten konnte. Ein letztes Mal ließ ich den Blick über das Wohnzimmer gleiten. Keine Flasche, kein Müll mehr waren zu entdecken. Mit der Küche war ich schon fertig und selbst wenn die Bullen hier nicht mehr auftauchen sollten, war wenigstens wieder aufgeräumt. Die Ordnung würde sowieso nicht lange anhalten. Ich beschloss dennoch einige Zeit im Haus zu warten, falls sich Sörens Aussage bewahrheiten sollte und tatsächlich klingelte es nur wenige Sekunden später an der Haustür. Beim Erklingen dieses schrillen Geräusches zuckte ich kurz zusammen und mein Herz setzte für einen Moment aus. Mein Magen fühlte sich an, als würde er sich umdrehen und meine Handflächen begannen zu schwitzen. Hastig wischte ich sie an meiner Hose ab und ging zur Tür. Zuerst öffnete ich sie nur einen Spalt, um zu sehen, wer dort stand. Sobald ich die Polizisten erkannte, die sich nun unweigerlich in meinem Blickfeld befanden, drückte ich kurzentschlossen wieder gegen die Haustür. Einer der beiden reagierte aber schnell genug und drückte von der anderen Seite. Meiner Schwäche war es zu verschulden, dass die Tür dann doch offenstand und mich die Polizisten mit ihren Blicken abschätzten. Verdammt, was wollten die hier? Und wieso zur Hölle wusste Sören, dass die hier auftauchen würden? Hatte er etwa..?
„Bist du Aaron Gehl? Der Sohn von Tilman Gehl?”, fragte die Frau. Sie bedachte mich mit einem vorsichtigen Blick. Ihr Gesicht war etwas faltig und rundlich. Generell war sie eher klein und machte nicht den Anschein einer Person, die regelmäßig Sport trieb. Insgesamt aber sah sie nett aus. Ich nickte. Um ehrlich zu sein, fürchtete ich mich ein wenig vor dem, was die beiden mir zu sagen hatten.
„Können wir reinkommen?”, fragte nun der Mann. Er war deutlich jünger und auch um ein ganzes Stück größer. Wieder nickte ich. Diese Situation überforderte mich, also wusste ich mir nicht anders zu helfen.
„Ja, kommen Sie rein.” Meine Stimme klang zu schwach und ängstlich. Wieso konnte ich mich nicht zusammenreißen? Schließlich hatte ich doch nichts zu verbergen. Abgesehen der Narben und Blutergüsse auf meinem Körper.
Diese zwei fremden Menschen folgten mir durch den Flur ins Wohnzimmer und ich bot ihnen an, sich zu setzen. Dankend nahmen sie an und dann hüllten sie sich in Schweigen. Nervös knetete ich meine Hände. Die Polizistin räusperte sich dann und durchbrach die Stille.
„Dein Vater liegt momentan im Krankenhaus”, begann sie und meine Augen weiteten sich vor Schock etwas. Was hatte er nur getan? Mein Puls beschleunigte sich etwas und ich bekam ein flaues Gefühl im Magen.
„Was ist passiert? Weshalb liegt er im Krankenhaus? Wie geht es ihm?”, durchlöcherte ich die Beamten mit meinen Fragen. Aufgebracht rutschte ich auf meinem Platz herum. Der junge Polizist seufzte einmal genervt und versuchte dann, mich zu beschwichtigen.
„Beruhig' dich mal Junge, wenn du meine Kollegin hier ausreden lassen würdest, wüsstest du das schon lange.”
Die dickliche Frau lächelte ihm einmal dankbar zu, sah dann wieder zu mir, wendete ihren Blick dann aber wieder ab. Ganz so, als würde sie sich schämen, mir das Folgende zu sagen.
„Man hat deinen Vater schwer alkoholisiert in einer Gasse gefunden. Er war nicht ansprechbar und ist noch immer bewusstlos. Der Anrufer konnte ihn identifizieren und hat uns dann gebeten, nach dir zu sehen. Kam es schon öfter vor, dass so etwas passiert ist? ” Mit besorgtem Blick sah sie mir dann in die Augen. Schnell schüttelte ich mit dem Kopf. Ich wollte ihn nicht verraten, auch wenn er mich jetzt wieder alleine gelassen hatte.
Beschissener Säufer.
„Gut, dann will ich dir das glauben, aber wenn du doch mal irgendwas loswerden willst, dann kannst du immer zum Jugendamt gehen.”
Der Polizist räusperte sich jetzt auch und meldete sich dann zu Wort.
„Du scheinst mir noch minderjährig zu sein. Lebt deine Mutter noch hier?” Ich sah auf den Boden.
„Nein, sie- sie ist nicht mehr hier.” Ich schluckte hart.
„Okay, hast du vielleicht sonst noch irgendeinen anderen Verwandten, zu dem du gehen kannst?” Eindringlich musterte er mich.
„Mein Onkel wohnt noch hier in der Stadt. Ich weiß allerdings nicht, ob ich zu ihm kann, mein Vater und er sind seit einiger Zeit verstritten.”
Die Beiden nickten.
„Gut. Dann geh' ein paar Sachen zusammenpacken und wir klären das mit deinem Aufenthalt. Wir brauchen allerdings noch den Namen deines Onkels.”
Ich nickte, um zu zeigen, dass ich verstanden hatte, nannte dann den Namen und begab mich hoch in mein Zimmer. Dort angekommen, setzte ich mich auf mein Bett und raufte mir erst einmal die Haare. So viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Sollte ich ihn im Krankenhaus besuchen?
Nein!
Aber er war mein Vater. Vielleicht brauchte er mich jetzt!
Klar, er hat dich allein gelassen. Er hat es nicht verdient, dass du dich um ihn kümmerst.
Und dieser letzte Gedanke schien mir plötzlich so plausibel, so logisch. Also nahm ich mir einen Rucksack aus meinem Schrank und packte dort alles hinein, was ich in den nächsten Tagen brauchen könnte. Verschiedene Kleidungsstücke, Hygieneartikel und Schulzeug landeten unordentlich zusammen geworfen in der Tasche. Dann begab ich mich auf den Weg nach unten und setzte mich mit den Beamten in den Streifenwagen. Die Häuser rauschten nur so an mir vorbei und je näher wir dem Haus meines Onkels kamen, desto ländlicher wurde die Gegend. Mein Herz schlug noch immer ungewöhnlich schnell und meine Aufregung war längst noch nicht verschwunden. Woher wusste Sören von meinem Vater und den Bullen? Was würde als nächstes passieren? Und was würde Arno sagen, wenn ich nach Jahren wieder vor seiner Tür stand?
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