Kapitel 17
Nachdem Noah aufgerufen wurde, um im Büro des Direktors zu erscheinen, brach die angespannte Stille im Klassenraum und alle begannen wild durcheinander zu tuscheln. Überall entstanden unrealistische Theorien über das, was passiert sein könnte. Ich hingegen versank in meinen Gedanken. Was war passiert? Als die Aufforderung aus den Lautsprechern der Schule ertönte, wurde ich ganz plötzlich nervös. Meine Handflächen fingen auf einmal an, kleine Schweißperlen abzusondern und ein merkwürdig kribbelndes Gefühl machte sich in meinem Inneren breit. Unbewusst rutschte ich auf meinem Stuhl herum. Irgendwie fühlte ich mich direkt angesprochen, auch wenn ich selbst nicht betroffen war. Meine Augen huschten ständig von Ecke zu Ecke, von Gesicht zu Gesicht, bis mein Blick auf Sören hängen blieb, der ziemlich offensichtlich zu Noah und mir rübergrinste. Im Nachhinein hätte man sehr gut behaupten können, dass es ein tiefböses Grinsen war. Noah bemerkte diesen Blick ebenfalls, drehte sich zu mir um und schenkte mir ein beschwichtigendes Lächeln, ehe er aufbrach. Was konnte der Direktor nur von Noah wollen? Fast automatisch zog ich meine Unterlippe ein, um darauf herumzukauen, als ich weiter über den Grund nachdachte, der einen Auftritt beim Leiter der Schule rechtfertigte. Was zur Hölle hatte Sören nur getan? Was hatte er sich nur einfallen lassen, um Noah Stück für Stück fertig zu machen? Er wollte ihn grundlos loswerden, das war mir längst klar geworden.
Mitten in der Stunde kamen dann beide in den Klassenraum und Noah wurde gebeten, seine Tasche auszuräumen. Dieser zuckte nur mit den Schultern und kippte den gesamten Inhalt über unseren Tisch aus. Auf den ersten Blick konnte man nichts Besonderes finden. Da waren Hefte, ein Mäppchen und zusammengeknüllte Blätter. Trotzdem sah man bei genauerem Betrachten ebenfalls ein Klappmesser. Noah erkannte dies und sein Blick fand fast augenblicklich Meinen. In seinen Augen spiegelte sich die blanke Panik wieder. Dieses Messer konfiszierte der Direktor und inspizierte es aus kritischen Augen. Danach verkündete er, dass er Lackreste erkennen konnte oder wollte, wie ich persönlich es lieber nennen wollte, die dem seines Autos wohl recht ähnlich sahen. Wenig später, verließen sie den Raum wieder und das Gemurmel in den Reihen breitete sich wieder furchtbar schnell aus. Jeder schien zu glauben, dass Noah wirklich zur Rechenschaft gezogen werden sollte.
Während all dem bekam ich eine furchtbare Angst. Die Scheiße sah so echt aus, Sören hatte sich anscheinend wirklich Mühe gegeben, es so überzeugend wie möglich zu machen. So einfach würde Noah da nicht rauskommen. Verdammt, ich musste ihm doch irgendwie helfen. Aber vielleicht erkannte die Schulleitung von selbst, wie absurd es war, Noah für diese Tat zu beschuldigen. Ich war mir so sicher, dass er gleich wieder durch die Tür trat, um am Unterricht teilzunehmen...
Er kam nicht.
Zu Beginn der Pause entdeckte ich ihn dann an der Mauer des Schulgebäudes lehnend. Den Kopf gegen die Wand zurückgelehnt, die Augen geschlossen. Ich musste unbedingt wissen, was passiert war, also beschleunigte ich meinen Schritt und erschlug ihn regelrecht mit meinen Fragen. Er lachte daraufhin nur, nahm meine Hand und platzierte einen Kuss auf ihr. Dann sah er mich aus seinen funkelnd braunen Augen an.
„Jemand hat das Auto vom Direx zerkratzt und die Reifen zerstochen. An der Windschutzscheibe hat der einen Zettel gefunden, auf dem stand, dass er dich in Zukunft nicht mehr so hart bestrafen soll. Deswegen lag der Verdacht direkt auf mir. Und dann hat er ja das Messer in meiner Tasche gefunden. Zu leugnen hat also nichts gebracht.”
„Du hast es aber natürlich doch abgestritten, weil du es nicht getan hast oder?” Irgendwie konnte ich nicht anders, als es wie einen Vorwurf klingen zu lassen. Als mir das auffiel, zuckte ich kurz zusammen. Wer war ich, ihm solche Dinge zu unterstellen? Zudem glaubte ich doch eigentlich an seine Unschuld.
„Natürlich hab' ich es abgestritten! Ich heiße ja nicht Aaron und nehme die Schuld anderer auf mich, ohne über die verschissenen Konsequenzen nachzudenken!” Noahs Stimme hatte deutlich an Lautstärke zugenommen und er sprach aus voller Wut. Seine Worte fühlten sich an, als würde man mit Steinen nach mir werfen. Verstand er denn wirklich nicht, weshalb ich das getan hatte? Diese plötzliche Stimmungsschwankung überraschte mich. Deshalb zog ich meine Augenbrauen kurz nach oben und verschränkte dann meine Arme miteinander.
„Oh, entschuldige bitte, dass nicht jeder so verdammt egoistisch ist, wie du es scheinbar bist. Falls du dich nur kurz zurück erinnern könntest, würde dir vielleicht wieder einfallen, dass ich das getan habe um dir zu helfen.” Nun war auch ich sauer und ich hatte meine Worte nicht mehr unter Kontrolle. Ungezügelt schrie ich ihm alles entgegen, das mir vor Zorn in Gedanken einfiel.
„Also gut, wenn du mich wirklich für egoistisch hältst, kannst du gehen. Ich bin einfach nur ein Fan der Wahrheit, die du auch öfter mal erzählen solltest, findest du nicht? Wenn du dich dann wieder beruhigt hast, kannst du dich ja melden, aber ich muss jetzt Rachepläne schmieden. Der Idiot hat meine Warnung ja scheinbar nicht ernst genommen.” Noah ging einen Schritt auf mich zu, blieb kurz stehen um mich nochmal zu mustern und lief dann ziemlich wackelig an mir vorbei. Entweder der Streit hatte ihm psychisch so zugesetzt oder, was ich definitiv für realistischer hielt, seine körperliche Verfassung hatte sich kein Stück verbessert.
„Na, Ärger im Paradies?”
Sören kam gerade um die Ecke, dann meinte er leiser:„Du kannst immer noch zu mir zurückkommen. Ich wäre dir auch nicht böse und würde dir deinen Fehler verzeihen.”
Sprachlos schüttelte ich den Kopf, löste meine verschränkten Arme und stieß meinen Gegenüber im Vorbeigehen an der Schulter zur Seite.
In diesem Moment schien alles so lächerlich. Scheiße, mein Vater war noch immer am Saufen, Noahs schlechte körperliche Verfassung bereitete mir eine Heidenangst und Sören, verdammt, der ging mir einfach nur auf die Nerven. Ich musste irgendetwas machen, sonst würde ich komplett ausrasten, das spürte ich. Mir war warm, ich schwitzte, mein Atem ging schneller und mein Gehirn entwickelte diese merkwürdigen Gedanken.
Alle lassen mich im Stich. Auf niemanden kann ich mich verlassen. Sie werden das bereuen.
Und dann stürmte ich in das Büro des Schulleiters.
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